Chinesen in Luzern

«Es geht in Richtung Fremdenhass»

In Luzern gehören sie zum Stadtbild, in Zug bald auch: chinesische Touristen. (Bild: zentral+)

Tourismus hat bekanntlich auch seine Schattenseiten. Zurzeit ist aber «Chinesen-Bashing» besonders in. Man ärgert sich über Verkehrskollapse, die Fusswege sind versperrt, Chinesen sind laut oder spucken auf den Boden. Klischees? zentral+ hat sich mit der Familie Beeli getroffen. Sie leistet einen Beitrag zur «besseren Völkerverständigung». 

Viele Luzerner Stadtbewohner haben sich noch nicht so recht mit den Gästen aus dem Reich der Mitte anfreunden wollen. Im Gegenteil. Es wird fleissig über Reisecars geschimpft, die angeblich den Verkehr in Luzerns Innenstadt in den Kollaps führen, Fusswege sind verstopft, WC’s versch…, das Personal wird angeschrien, der Boden bespuckt oder der Güselchübel ignoriert. Kulturschock pur. Das Reklamieren gegenüber chinesischen Touristen wird immer lauter. Zu Unrecht, finden jene, die sich mit dem Thema auskennen. 

«In letzter Zeit werden mehr die Schattenseiten hervorgehoben.»

Carli Beeli, The China Switzerland Connection


Ist es eine Invasion? 

Fakt ist: Chinesische Touristen sind nun mal da. Und sie haben ein zunehmend schlechtes Image (in Zug übrigens auch, siehe das Interview von zentral+ mit Zug Tourismus). «Ich finde es schade, dass sich niemand mit den Chinesen auseinandersetzen will», sagt Carli Beeli. Der 33-jährige Informatiker aus Luzern ist Schweizer und hat zusammen mit seiner chinesischen Frau Xiaojie Wang die Plattform «The China Switzerland Connection» ins Leben gerufen. Eine gemeinnützige Organisation, die sich dem Kulturaustausch zwischen Schweizern und Chinesen widmet. «In letzter Zeit werden mehr die Schattenseiten hervorgehoben. Es geht manchmal bereits schon in Richtung Fremdenhass.» The China Switzerland Connection ist eine Gruppe von mehrheitlich jungen Schweizern und Chinesen, dies es sich zum Ziel gesetzt hat, die Freundschaft zwischen der Schweiz und China zu fördern (siehe Veranstaltungshinweis am Ende des Artikels). 

 

Familie Beeli hält nicht viel von den Nörgeleien über Chinesen in Luzern. «Wir sollten es etwas lockerer sehen.»

Familie Beeli hält nicht viel von den Nörgeleien über Chinesen in Luzern. «Wir sollten es etwas lockerer sehen.»

(Bild: bra)

Zuerst die Fakten: Gemäss den Zahlen von Luzern Tourismus haben die Gäste aus dem Reich der Mitte mit 99’000 Logiernächten letztes Jahr die Deutschen mit total 94’000 überholt. Sie landen somit auf Platz drei hinter den Gästen aus der Schweiz (160’000) und den USA (78’000 Übernachtungen). In diesem Jahr wurden von Januar bis Juni 2015 bereits 56’000 Logiernächte verbucht. Ferner schätzt man aufgrund einer Stichprobe, die im Rahmen der Studie Cartourismus in der Luzerner Innenstadt durchgeführt wurde, dass in rund 60 Prozent der Reisebusse chinesische Gäste sitzen. 

Warum sind Chinesen so? 

330 Franken pro Tag

Gemäss Sibylle Gerardi, Sprecherin von Luzern Tourismus, reisen Gäste aus China vermehrt auch in Kleingruppen oder als Individualgäste an. Dieser Trend werde künftig zunehmen. Chinesen geben mit 330 Franken überdurchschnittlich viel Geld aus bei uns und tragen so rund einen Viertel zur touristischen Wertschöpfung bei (geschätztes Umsatzvolumen von jährlich zirka 1,5 Milliarden Franken).

«Wir können uns im Gegensatz zu vielen anderen Tourismusregionen in der Schweiz in Luzern glücklich schätzen, die markanten Rückgänge aus Europa mit Gästen aus Asien sowie aus der Schweiz und aus Amerika, dort verzeichnen wir ebenfalls Zunahmen, kompensieren zu können», sagt Gerardi. Es sei erfreulich, dass Luzern in China so beliebt ist.

Also, statt zu nörgeln, wird es Zeit, sich mit den chinesischen Touristen auseinanderzusetzen. Die Familie Beeli will mit den Klischees aufräumen. Ein kurzes Interview als Beitrag zur Annäherung und Völkerverständigung. Xiaojie Wang Beeli, kann zwar nachvollziehen, warum es den Einheimischen manchmal zu viel wird: «Oft höre ich meine Sprache in den Strassen rund um den Schwanenplatz. Ich komme mir vor, als wäre ich nicht in Luzern. Da hat man viellleicht das Gefühl, diese Stadt sei nicht Luzern.» Dennoch empfiehlt die Familie Beeli unisono, etwas lockerer mit dem Thema umzugehen. «Wir Schweizer sind privilegiert. Und der Tourismus schafft so viele Arbeitsplätze. Und wenn die Leute etwas offener wären, könnten sie davon noch mehr profitieren.»

zentral+: Herr Beeli, warum sagt man den chinesischen Gästen nach, sie seien manchmal laut? 

Carli Beeli: In China ist es normal, dass es häufig grössere Menschenansammlungen gibt. Zum Beispiel in der U-Bahn, auf der Einkaufsmeile oder im Restaurant. Zudem sind Chinesen generell sehr gesellige Leute. Es wird viel gelacht und geredet. Dies führt dazu, dass der Geräuschpegel immer relativ hoch ist, auch bis spät in den Abend. Wenn Touristen aus China manchmal am Abend oder am Sonntag durch die Altstadt laufen, wird es ihnen ganz mulmig, wie still es in Luzern ist und wieso alle Läden geschlossen sind.

zentral+: Warum spucken unter anderem Chinesen manchmal auf den Boden? 

Beeli: In den Grossstädten Chinas gibt es oftmals viel Staub. Der Staub stammt von einer der zahlreichen Baustellen oder vom Sand der Gobi-Wüste zum Beispiel, der mit dem Wind nach Peking geweht wird. Es kann also sein, dass sich die Leute dort angewöhnt haben, den Staub auszuspucken. Sie wissen noch nicht, dass Staub in Luzern kein Problem darstellt. Generell ist das Spucken jedoch in China inzwischen etwas verpönt und wird auch bei uns immer weniger zum Problem werden.

Die Reiseleiter «Kaiser» und «Tony»: Für Luzern rechnen sie drei Stunden. «Shopping und Lion Monument.» Insgesamt fahren sie mit dem Car 13 Tage durch Europa.

Die Reiseleiter «Kaiser» und «Tony»: Für Luzern rechnen sie drei Stunden. «Shopping und Lion Monument.» Insgesamt fahren sie mit dem Car 13 Tage durch Europa.

(Bild: bra)

zentral+: Warum rülpsen Chinesen beim Essen? 

Beeli: Vor allem bei älteren Chinesen gehört Rülpsen zum Anstand. Rülpsen bedeutet ja, dass das Essen so gut war, dass man sich satt gegessen hat. Wenn man nun nicht rülpst, heisst das, dass man sich nicht satt gegessen hat und der Gastgeber damit seine Pflicht nicht erfüllt hat. Der Gastgeber verliert somit sein Gesicht, was man in der chinesischen Kultur unter allen Umständen vermeiden möchte, selbst wenn das Essen nicht sonderlich gut war. Da sich in China aber immer mehr die westlichen Verhaltensweisen breit machen, ist auch dieses Thema bald Vergangenheit.

«Die Bahnhöfe in China sind vielfach viel sauberer als in der Schweiz.»

zentral+: Und warum werfen unter anderen Chinesen ihren Müll manchmal nicht in den Abfalleimer?

Beeli: Chinesen sind generell sauberkeitsliebende Menschen. Nur: In China gibt es in jeder Stadt viele Mülleimer und unzählige Angestellte, die den Müll vom Strassenrand einsammeln. Man sieht kaum Abfall herumliegen (ausser auf Baustellen). Es geht sogar so weit, dass die Müllverwertung in China ein Riesen-Business ist. Alle paar Tage klopft jemand an die Tür, der zum Beispiel das Altpapier oder die leeren Pet-Flaschen mitnehmen möchte, um damit Geld zu verdienen. Die Bahnhöfe in China sind vielfach viel sauberer als in der Schweiz. Manche Chinesen sind sogar schockiert darüber, wie viele Zigarettenstummel bei uns auf dem Bahngleis zu sehen sind.

zentral+: Chinesische Reisecars würden in Luzerns Innenstadt einen Verkehrskollaps verursachen. Was sagen Sie dazu? 

Beeli: Das Problem ist, dass die meisten Reisegruppen sehr wenig Zeit haben und man sie darum so nahe wie möglich an den Zielort bringen muss (Löwendenkmal, Kapellbrücke). Ich könnte mir gut vorstellen, dass wenn die Reisegruppen nun weiter weg parkieren würden, und darum mehr Zeit bräuchten, Luzern dann in vielen Reise-Rundfahrten aus Zeitgründen wegfallen würde. Die Touristen könnten stattdessen vermehrt nach Interlaken fahren. Ich denke, es ist längerfristig sinnvoll, die Hauptverkehrsader von den Touristenhotspots zu trennen.

zentral+: Ein weiteres Klischee: Chinesen würden in Luzern den Durchgang für Einheimische am Schwanenplatz und entlang der Reuss erschweren.  

Beeli: Ich finde das übertrieben. Luzern lebt vom Tourismus – das war schon immer so. Der Schwanenplatz ist tatsächlich stark frequentiert, so wie etwa die Bahnhofstrasse in Zürich. Den Einheimischen war das schon immer bewusst und sie kennen inzwischen vielleicht Schleichwege auf denen weniger Touristen unterwegs sind.

Der Reiseleiter gibt Anweisungen. Diese Gruppe am Schwanenplatz kommt aus Peking.

Der Reiseleiter gibt Anweisungen. Diese Gruppe am Schwanenplatz kommt aus Peking.

(Bild: bra)

zentral+: Unter anderen müssen Chinesische Touristen mit Schildern aufgeklärt werden, wie man hierzulande «sein Geschäft» verrichtet. 

Beeli: Vor allem ältere Leute in Asien sind es sich gewohnt, sogenannte ‹Hocktoiletten› zu benutzen. Vielleicht sollte man sich überlegen, an stark frequentierten Orten eine Alternative anzubieten. In China sind die Abflussrohre der Toiletten manchmal sehr eng. Da darf unter keinen Umständen Toilettenpapier in die Toilette geworfen werden. Das führt nämlich zu gröberer Verstopfung. Darum wirft man das Toilettenpapier statt in die WC-Schüssel in einen Abfallkorb, der neben der WC-Schüssel steht. Dass man dies in der Schweiz problemlos in die WC-Schüssel werfen kann, könnte auf einem Schild auf der WC-Türe stehen. Ausserdem wäre zu empfehlen, dass man für den WC-Sitz Desinfektionsmittel bereitstellt und erklärt wie man dies benutzt, da viele chinesische Touristen denken, eine WC-Brille wäre unhygienisch.

 

 Freundschaft fördern

The China Switzerland Connection ist eine Gruppe von mehrheitlich jungen Schweizern und Chinesen, dies es sich zum Ziel gesetzt hat, die Freundschaft zwischen der Schweiz und Chinas zu fördern (www.facebook.com/chinaswiss). Sie organisiert Events, wie den China-Erlebnistag am 20. September im Verkehrshaus Luzern (china-erlebnistag.ch). 

 

 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von cob
    cob, 02.09.2015, 13:32 Uhr

    Ich würde gerne noch eine Berichtigung anbringen zum Thema: Warum die Chinesen auf den Boden spucken.

    In diesem Thema war ich mir selbst nicht 100% sicher und habe darum auch «es kann also sein» gesagt.

    Die aus meiner Sicht plausible Begründung für dieses Verhalten stammt von Frau Zhang aus Luzern.

    Sie geht in etwa so:

    Ich China haben die Leute traditionell keine Nastücher verwendet. Chinesen finden es meistens auch ziemlich grusig ein geschnäuztes Tuch wieder in die Tasche zu legen. Was man stattdessen gemacht hat, ist es auf den Boden zu spucken. Heutzutage machen dies meist nur noch ältere Leute. Die jüngeren verwenden Papiernastücher.

    Als Lösung für dieses Problem, welches sich mit der Zeit von selbst lösen wird, könnte man den Touristen bei der Einreise in Europa erklären dass sie bitte Papiernastücher verwenden sollen als auf den Boden zu spucken (Man könnte Ihnen ja dann auch gleich eine Packung Papiernastücher reichen).

    Vielen Dank nochmals an Frau Zhang für die Erklärung.

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