Stimmen zu Luzerns Moskau-Reise

Russische Medien: «Gemütliche Schweizer sind aufgewacht»

Die Delegation aus Politik und Wirtschaft mit dem stellvertretenden Schweizer Botschafter Stefan Estermann (4.v.l.) vor der Botschaft in Moskau. V.l. Marcel Imhof, Stefan Roth, Reto Wyss, Guido Graf, Marcel Perren, Sinfonieorchester-Chef Bischoff-Ullmann. (Bild: PD)

Vier Tage lang war eine Luzerner Delegation in Moskau und stellte den Kanton vor (zentral+ berichtete). Nach den Kontroversen um die Finanzierung der Reise verlief der eigentliche Besuch ohne Überraschungen – und ohne viel Resonanz in der russischen Presse. Nur der Radiosender «Stimme Russlands» wollte es genauer wissen und glaubt, dass die Schweizer Botschaft die Kantone nur aus Konkurrenzgründen so fleissig einlädt. Ein positives Fazit aus dem Besuch ziehen die Luzerner Politik, Wirtschaft und Kultur.

Nach ihrer Rückkehr aus Moskau in die Schweiz zeigte sich die Luzerner Delegation zufrieden. Ein Kooperationsabkommen zwischen Hochschulen in Luzern und Moskau, ein gut besuchter Tourismus-Workshop, die Konzerte und politische Treffen waren für die Luzerner Kantonsregierung die wichtigsten Eckpunkte.

Doch wie kam eigentlich der Besuch in der 14-Millionen-Metropole Moskau an? In den russischen Medien erhielt das Ereignis wenig Resonanz. Zwar besuchten rund vierzig Journalisten die Medienkonferenz in der Schweizer Botschaft und applaudierten nach den Reden von Stadtpräsident Stefan Roth und Regierungspräsident Guido Graf.

Die grossen russischen Zeitungen schrieben jedoch anschliessend nur über das Schicksal des Archivs und der Villa des Komponisten Sergej Rachmaninoff bei Luzern. Genau während des Besuchs der Luzerner Delegation kommunizierte Präsident Wladimir Putin nämlich den Wunsch der russischen Regierung, Archiv und die Villa in Hertenstein zu erwerben. Passend dazu spielte Mazuev zusammen mit dem Luzerner Symphonieorchester bei seinem Auftritt in Moskau ein Stück von Rachmaninoff, das in Hertenstein entstand. Der staatliche Sender Rossija Kultura lobte die gelungene Kombination von schweizerischen und russischen Elementen im Auftritt des Orchesters, das «schon lange zum Symbol der Stadt Luzern» geworden sei.

Heidi Happy verzauberte

Schweiz baut Kontakte zu Russland aus

Der Rundfunkauslanddienst «Stimme Russlands» (früher Radio Moskau), schreibt in einem deutschen Beitrag zum Besuch der Luzerner in Moskau: «Die hohe Intensität der deutsch-russischen Zusammenarbeit, die viele ausländische Geschäftsleute aufmerksam verfolgen, scheint auch die gemütlichen Schweizer wachgerüttelt zu haben. Russlands zukunftsträchtiger Markt wird nicht lange warten, das hat man im Alpenland eingesehen. Man hat begonnen, neue Kontakte auszubauen und sich an die alten zu erinnern.»
Dann zitiert sie die vielsagende Aussage eines Schweizers: «Die Schweizer Investitionen bleiben hinter ihrer deutschen Konkurrenz zurück, so haben wir sie einzuholen. Man muss das russisch-deutsche Niveau erreichen», forderte Derrick Widmer, Präsident der Vereinigten Geschäftskammer der Schweiz-Russland-GUS, an der Konferenz «Die Schweiz als Geschäftsfeld für russische Unternehmen».

Der Vizepräsident der russischen Industrie- und Handelskammer Alexander Rybakow hat seinerseits eingeräumt, dass die Russen die Schweiz als ein Land mit einem zuverlässigen Bankensystem, den weltweit genauesten Uhren und der weltbesten Schokolade sehen. Es sei längst an der Zeit, diese Klischees aufzubrechen und den Bereich der Zusammenarbeit zu erweitern: «Wir sehen, dass die Schweizer Unternehmer grosses Interesse an elektrischer Energietechnik, Maschinenbau, chemischer Industrie, Pharmaindustrie, Spitzentechnologien und friedlicher Nutzung der Kernenergie zeigen. Das sind die Bereiche, die für uns prioritär sind und in der Entwicklungsstrategie Russlands bis 2020 festgehalten sind.»

Luzern ist nicht der erste Kanton, der sich in Moskau präsentiert: Die Schweizer Botschaft lädt seit 2004 jährlich einen anderen Kanton ein. Basel-Stadt zum Beispiel präsentierte sich bereits zwei Mal und kann eine Kooperation zwischen den Hochschulen sowie einen baldigen Gastauftritt Russlands an der Muba als Resultat vorweisen.

Das Signet von Radio Moskau, heute «Stimme Russlands».
Das Signet von Radio Moskau, heute «Stimme Russlands». (Bild: PD)

Auch die von Pro Helvetia unterstützten Auftritte von Luzerner Bands wurden in der Kulturpresse beachtet. Der russische Rundfunkauslanddienst «Stimme Russlands» liess verlauten, Heidi Happys Auftritt im Klub Masterskaja habe das Publikum «regelrecht verzaubert». Zwar habe das grösstenteils russische Publikum keine der Luzerner Bands gekannt, doch als Happy das Volkslied «Kalinka» als Zugabe spielte, hätte sie viel Applaus erhalten.

Im Interview mit dem Online-Magazin «Colta.ru» plauderte Happy über ihre Musik, zeigte aber auch, dass sie sich vor dem Besuch nicht sehr intensiv mit Russland auseinandergesetzt hat. Von den Interviewern wollte sie wissen, was «Danke» und «Guten Tag» heisse – und wie man in Russland Wodka ablehne, ohne jemanden zu beleidigen.

«Luzern eine lustige mittelalterliche Stadt»

Sucht man indes nach einem Resultat des Besuchs, das die hohen finanziellen Aufwendungen auch wirtschaftlich rechtfertigt, findet sich dieses am ehesten in der Tourismusförderung. Russische Branchenorganisationen publizierten gross aufgemachte Meldungen über den Workshop von Luzern Tourismus in Moskau. Gemäss «Turbusiness» seien «Hotel- und Kurneuheiten» präsentiert worden. Der Russische Rat der Tourismusindustrie bewarb vor allem die Schönheit der Stadt: «Die lustige mittelalterliche Stadt mit weissen Häusern und schönen roten Dächern fügt sich erstaunlich harmonisch in die umgebende alpine Landschaft ein.»

Reiche und kranke Russen beworben

Offensichtlich sieht Luzern Tourismus grosses Potenzial auf dem russischen Markt. Tourismusdirektor Marcel Perren verwies darauf, dass die Zahl russischer Touristen in Luzern jedes Jahr um zwanzig Prozent wachse – auf 15’000 im letzten Jahr. Da sich nur eine winzige Elite eine teure und prestigeträchtige Reise in die Schweiz leisten kann, ist sie entsprechend kaufkräftig.

Wie schon beim Basler Besuch waren auch in der Luzerner Delegation mit «Lucerne Health» indirekt Vertreter von Sanatorien und Kliniken vertreten, die im russischen Touristenmarkt grosses Potenzial sehen.

Klischees zementiert

Das idyllische, ländliche Bild prägt das Image der Schweiz in Russland weiterhin. Praktisch alle Russen, mit denen man sich als Schweizer unterhält, loben die Sauberkeit, die Alpen und die Schokolade in der Schweiz. Dass in Russland relativ wenig Interesse an anderen Aspekten der Schweiz besteht, zeigt das mangelnde Medieninteresse am Luzerner Besuch. Gleichzeitig trug aber auch die Delegation aus Luzern dazu bei, traditionelle Bilder zu verfestigen. Heidi Happy jedenfalls beendete ihr Interview mit «Colta.ru» mit den Worten: «Die Schweiz ist wirklich so schön, wie sie auf Postkarten aussieht.»

Beeindruckte Luzerner

Soweit zur Rezeption des Auftritts in Moskau. Die Luzerner, welche die 14-Millionen-Stadt das erste Mal besuchten, waren sehr beeindruckt. «Moskau ist eine Stadt der Gegensätze», findet Fabienne Burri vom Designatelier C2F. Eindrücklich fand sie die historischen Orte wie den Kreml, den Roten Platz oder die Basiliuskathedrale, die nachts beleuchtet werden sowie die künstlerisch gestalteten U-Bahnstationen. «Eher trist wirken auf der anderen Seite der enorme Autoverkehr auf den breiten Strassen und die schlechte Luft», sagt Burri.

Die Luzerner Plakat-Gestalter Dani Klauser, Fabienne Burri und Cybu Richli.

Die Luzerner Plakat-Gestalter Dani Klauser, Fabienne Burri und Cybu Richli.

Fabienne Burri gestaltete mit ihren Kollegen Dani Klauser und Cybu Richli von C2F sowie acht weiteren Gestaltern eine Ausstellung zur Luzerner Plakatszene an der Design-Fakultät der Higher School of Economics in Moskau. Ausserdem hielt sie Vorträge zur Tradition des Plakatdesigns in Luzern. «Luzern und Russland gemeinsam ist die lange Tradition dieser Kunstgattung mit hervorragenden Grafikern. Plakat-Künstler wie Niklaus Troxler und Melchior Imboden sind international bekannt», sagt sie.

Auf der anderen Seite sei es interessant gewesen, russische Kollegen kennen zu lernen. «Wir unterhielten uns so gut wie es geht, auf Englisch, ansonsten mit Händen und Füssen», erzählt Burri. «Am Vortrag war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt, die Russen erlebten wir als offen und herzlich.» Die russische Designer-Szene sei sehr aktiv, es gebe hervorragende Gestalter wie zum Beispiel Serge Serov. «Es war toll, diese Leute endlich persönlich kennen zu lernen, sich auszutauschen und dabei ein Stück er russischen Kultur selber zu erleben.» Laut Burri wurden auch neue Freundschaften geschlossen. «Wir bleiben in Kontakt per Mail und auf Facebook.»

Kultur: Keine Kontakte zur Politik

Mit den Luzerner Musikern, die in Moskau auftraten, waren die Plakatkünstler in Kontakt und gingen zusammen aus. Die später eintreffenden Politiker und Wirtschaftsvertreter bekamen sie hingegen nicht zu Gesicht.

Insgesamt reiste die alternative Luzerner Musikszene mit einer 17-köpfigen Delegation in die russische Hauptstadt. Der Verein B-Sides und das Musiklabel Little Jig organisierten die zwei Konzertabende in der Metropole. Gemäss Edina Kurjakovic vom Verein B-Sides hätten die Konzerte «einen bleibenden Eindruck beim Moskauer Publikum hinterlassen.» Heidy Happy, Ephrem Lüchinger und das New-Wave-Trio Les Yeux Sans Visage traten im Masterskaya-Club auf,  das Indierock-Quartett Alvin Zealot und Sänger Beni Bucher mit seinen Mitmusikern im Club Gogol. Alle kamen beim Publikum sehr an und erhielten viel Applaus.

Eine Überraschung war der letzte Auftritt der Luzerner Hip-Hopper «GeilerAsDu». «Vor dem Auftritt war ungewiss, wie Schweizer Hip-Hop in Moskau ankommen würde», sagt Edina Kurjakovic, «nach dem Konzert war die Antwort eindeutig. «Ihre energievolle Live-Show, die den ganzen Club in Bewegung brachte, mündete in lautstarke Zugabe-Rufe der begeisterten Zuschauer.» «Es bleiben eindrückliche Erinnerungen und Erfahrungen», sagt Edina Kurjakovic. Ein Nachfolgeprojekt in Luzern, bei dem russische Bands in die Schweiz kommen würden, sei angedacht und wichtige Kontakte dafür geknüpft.

Der Auftritt der Hip-Hop-Band GeilerAsDu im Club Gogol.

Der Auftritt der Hip-Hop-Band GeilerAsDu im Club Gogol.

(Bild: Valentin Monasturskiy)

Die Band Alvin Zelot

Die Band Alvin Zelot

(Bild: Valentin Monasturskiy)

Auch wirtschaftliche Kontakte geknüpft

Nicht nur auf kultureller Seite hat der Austausch Früchte getragen. Zwei russische Unternehmen haben gemäss Walter Stalder, Direktor der Wirtschaftsförderung Luzern, ihr Interesse für Luzern bekundet. «Wir führen bereits Verhandlungen», sagt Stalder auf Anfrage von zentral+. Es handle sich um Firmen, die in Luzern allenfalls ein Büro für Vertriebs- und Marketingaktivitäten in Westeuropa eröffnen wollten. Eines der Unternehmen erbringt laut Stalder Dienstleistungen für Spitäler und Hotels. Man berate die Unternehmen zu Fragen, wie man eine Firma in der Schweiz gründet. Ein Thema seien aber auch die nötigen Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen.

Moskauer Gesundheitsminister in Luzern?

Auch die Politik Luzerns ist zufrieden mit den erreichten Resultaten. «Wir haben die Ziele, die mit dem Auftritt in Moskau verbunden waren, umfassend erreicht», sagt der Luzerner Regierungsratspräsident Guido Graf gegenüber zentral+. In den Bereichen Kultur und Bildung sei es zu einem anregenden Austausch mit der Moskauer Kunst- und Hochschulszene gekommen. «Den Nachwuchskünstlerinnen aus dem Kanton Luzern stand mit dem Auftritt eine einzigartige internationale Bühne zur Verfügung.»

Ebenso im Bereich Wirtschaftsförderung und Gesundheitstourismus ist Graf zufrieden. Der Austausch wird übrigens fortgesetzt. «Ich hätte Freude, den Gesundheitsminister der Stadt Moskau im nächsten Frühling in Luzern begrüssen zu dürfen», sagt Graf zu zentral+. Er habe seinen «Amtskollegen» eingeladen. Ob er denn wirklich kommen kann, sei noch offen. Es gehe darum, dass Luzern und Moskau im Ausbildungsbereiche allenfalls kooperieren könnten und ob Luzern die Spitäler technisch unterstützen könnte.

Guido Graf war das erste Mal in Moskau. Befragt nach seinen persönlichen Eindrückten meinte er, er sei positiv überrascht gewesen. «Es ist sehr sauber und sicher und die Leute sind offener als ich es erwartet habe.» Er habe aber auch gelernt, dass Moskau nicht gleich Russland sei – und Russland nicht gleich Moskau.

Überrascht war die Luzerner Delegation übrigens auch durch die unerwartete Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass sich Russland für den Erwerb des Rachmaninov-Archivs und des Anwesens in Hertenstein interessiert. Diese Äusserung machte Putin während des Besuchs der Luzerner – der Kreml ist also wie früher stets gut informiert.

Auf dem Roten Platz: Walter Stalder, Direktor der Wirtschaftsförderung Luzern.

Auf dem Roten Platz: Walter Stalder, Direktor der Wirtschaftsförderung Luzern.

(Bild: PD)

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