Industriestrasse Luzern wie weiter?

«Wohnbaugenossenschaften sind keine Kulturförderer»

So stellte sich ein Luzerner Architekturbüro 2011 die Überbauung des Areal Industriestrasse vor. Das Projekt der Genossenschaft EBG erreichte Rang 3. (Bild: pd)

Sechs Luzerner Wohnbaugenossenschaften wollen gemeinsam auf dem städtischen Areal Industriestrasse bauen. Sie werden der Stadt bis im Herbst ein Konzept einreichen. «G-Net» äussert sich erstmals zu den Wohnungspreisen und räumt Illusionen aus dem Weg – denn die Mietpreise werden deutlich höher ausfallen, als von vielen erhofft.

Die sechs potentiellen Investoren sind Mitglieder des Genossenschaftsnetzwerks «G-Net». Sie haben eine einfache Gesellschaft

 mit dem Namen «Kooperation Industriestrasse» 
gegründet. Das bestätigt Florian Flohr, Mediensprecher des «G-Net». «Weil die Bebauung von 10’000 Quadratmetern ein grosser Brocken ist, wollen die Genossenschaften zusammenspannen», sagt er. Es handelt sich um die Wohngenossenschaft Geissenstein-EBG (EBG), die Wogeno, die Luzerner Bau- und Mietergenossenschaft, die Liberale Baugenossenschaft Sternmatt-Tribschen, die Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse und die Baugenossenschaft Wohnwerk.

Maximal 40’000 Franken

Gemäss Flohr haben die Vorstände der Genossenschaften beschlossen, maximal 40’000 Franken für die Ausarbeitung eines Konzepts aufzuwerfen. Wieviel die Investitionsssumme für eine Überbauung Industriestrasse beträgt, die eventuelle Aufteilung des Areals, sei noch nicht festgelegt. «Kooperation Industriestrasse» hat sich aber schon zu drei Sitzungen getroffen.

Ausschreibung verzögert sich

Gemäss Stadtbaumeisterin Friederike Pfromm braucht die Ausschreibung für die Industriestrasse mehr Zeit als geplant. Vorgesehen war sie im Juli. Der Grund: Die Stadt muss die Abgabe jetzt öffentlich ausschreiben. Die Ausschreibung müsse nun auch «juristisch wasserdicht» sein, sagt Pfromm. Die Abklärungen bräuchten mehr Zeit, zumal nun auch die Ferienzeit ansteht. Der Stadtrat wollte die Abgabe eigentlich dem «G-Net» übertragen und nur Luzerner Genossenschaften und G-Net-Mitglieder als Bewerber zulassen. Das Parlament hat dies jedoch abgelehnt. Jetzt können sich auch auswärtige gemeinnützige Wohnbauträger bewerben.

Als nächstes warten die Genossenschafter auf die Ausschreibung der Stadt (siehe Kasten). Die Ausschreibungskriterien für die Abgabe des städtischen Areals im Baurecht wurden vergangene Woche vom Parlament lange diskutiert, aber schliesslich genehmigt (zentral+ berichtete). Florian Flohr meint dazu, das «Paket» enthalte zwar viele Auflagen, sei aber «verträglich». Zudem habe «G-Net» die Kriterien ja mitgestalten dürfen.

Gemeinnützig und regional

Ist das «G-Net» brüskiert, weil das Parlament entgegen dem Willen des Stadtrats beschlossen hat, dass Bewerber nicht zwingend aus Luzern stammen und dem Netzwerk angehören müssen? «Nein», sagt Flohr, «das ändert für uns nichts.» Zum gemeinnützigen Wohnungsbau gehöre meist die lokale und regionale Verankerung. Flohr rechnet deshalb nicht damit, dass sich Wohnbaugenossenschaften aus anderen Städten bewerben. «Wir haben bereits mit Genossenschaften aus Zürich informell gesprochen, für sie ist das keine Option.»

Was versteht «G-Net» unter «günstig»?

Der Stadtrat will keine Maximal-Preise für die Wohnungen festlegen und überlässt dies den Bauträgern. Werden die Genossenschaften, wie von der Bevölkerung gewünscht, mit diesen Rahmenbedingungen und den vielen Extrawünschen überhaupt «günstig» bauen können? «Eine 4,5-Zimmer-Wohnung wird um die 2’000 Franken kosten», sagt Florian Flohr. «Darunter kann man mit den heutigen Baustandards nicht gehen. Wohnungen müssen zum Beispiel behindertengerecht sein und viele andere Kriterien erfüllen.» Der Landzins sei ja ebenfalls «nicht geschenkt», fügt Flohr hinzu. Bei den 2,5- bis 3-Zimmer-Wohnungen rechnet Flohr mit Mietzinsen zwischen 1’400 und 1’600 Franken. «Wenn die Wohnung natürlich im obersten Stockwerk mit Blick auf den Pilatus liegt, wird sie vielleicht etwas teurer sein», sagt Flohr.

Niedrigere Mieten könnten höchstens in alternativen Wohnformen entstehen, erklärt der «G-Net»-Sprecher. Also beispielsweise in Cluster-Wohnungen*.

«Eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung wird monatlich um die 2’000 Franken kosten»

Florian Flohr, Mediensprecher «G-Net»

Ökologische Kriterien lassen Spielraum

Die Überbauung in der Industriestrasse muss weiterhin ökologische Kriterien erfüllen, hat das Parlament beschlossen. Bürgerliche Politiker und die Liberale Baugenossenschaft Tribschen-Sternmann hatten im Vorfeld kritisiert, dass diese Auflagen den Bau unnötig verteuerten. Die Überbauung muss jetzt die Kriterien des Labels 2000-Watt-Gesellschaft erfüllen. Das macht «G-Net» keine Mühe. Im Gegenteil. Der Minergie-Standard verlange, dass energetische Ziele mit gewissen Massnahmen erreicht werden. Beispielsweise mit einer kontrollierten Wohnungslüftung. «Beim Label 2000-Watt-Gesellschaft arbeitet man mit Zielen. Wie diese erreicht werden, mit welcher Technik, ist dem Bauherren überlassen. Wir finden dieses Konzept breiter und vielfältiger.»

Keine indirekte Kulturförderung

Zur Nutzung des Areals durch Kultur und Kleingewerbe meint Flohr, die Genossenschaften würden diese natürlich in ihre Überlegungen einbeziehen. Er macht aber auch klar, dass Wohnbaugenossenschaften keine Geschenke machen können. «Wir sind dem Prinzip der Kostenmiete verpflichtet und nicht der Kulturförderung.» Man sei darauf angewiesen, die Räume zu Selbstkostenpreisen abgeben zu können.

Eine Frage drängt sich auf: Können Genossenschaften mit so unterschiedlichen Hintergründen wie die Liberale Baugenossenschaft Tribschen-Sternmatt und die Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse denn überhaupt zusammen Kompromisse finden? Flohr ist zuversichtlich: «Die Industriestrasse zeichnet sich ja dadurch aus, dass ganz verschiedene Interessen unter einen Hut gebracht werden müssen. Es ist gut, wenn die beteiligten Genossenschaften dies spiegeln.» Zudem seien alle, unabhängig ihrer «politischen Ansichten», dem Genossenschaftsgedanken verpflichtet.

«Wir möchten bald Klarheit über den Baurechtszins»

Daniel Käslin, Präsident Wohngenossenschaft Geissenstein-EGB

Zweite Initiative der EGB

Die Wohngenossenschaft Geissenstein-EBG, kurz EBG, ist die grösste Wohnbauträgerin, die sich fürs Industrieareal interessiert. Mit 430 Wohnungen ist sie nach der ABL die zweitgrösste Genossenschaft Luzerns. «Unsere Stärke ist der Bau von Privatwohnungen für Familien», sagt EBG-Präsident Daniel Käslin auf Anfrage. Die EBG nahm am ersten Architekturwettbewerb Industriestrasse teil; das von Iwan Bühler und Max Lehmann eingegebene Projekt kam 2011 auf Platz 3 (siehe Bild).

Damals wollte die EBG alleine bauen. Nun also mit Partnern. «Wir würden uns sehr gerne engagieren», sagt Daniel Käslin. Der EBG-Vorstand hat dafür bereits den Rückhalt der Genossenschafter. Von der Generalversammlung hat er sich ein Mandat geben lassen, um sich an der «Wohnbau-Offensive» der Stadt auf deren vorgesehehen Grundstücken zu beteiligen. Zudem stehen insgesamt zehn Millionen Franken dafür zur Verfügung, welche die EBG-Generalversammlung genehmigt hat. Wieviel die Genossenschaft für die Industriestrasse investieren will, kann noch nicht beziffert werden, sagt Käslin. Zur Industriestrasse meinte Käslin, man hätte gerne bald Klarheit über den Baurechtszins und die konkrete Zusammenarbeit der Genossenschaften.

*Cluster-Wohnungen sind «WGs für Individualisten»: Private Wohneinheiten (Zimmer/ganze Wohnungen) gruppieren sich um grosszügige Gemeinschaftsbereiche für Essen, Wohnen, Arbeit und Freizeit, in denen das gemeinsame Leben stattfindet. Man hat also Privatsphäre und (manchmal obligatorische) Gemeinschaft in einem. Solche Wohnformen gibt es bereits in verschiedenen Schweizer Städten. Es sind teilweise Grosswohnungen mit bis zu 20 Personen, und die Mietenden teilen sich die Gesamtmiete.

Verzicht auf Referendum

Die IG Industriestrasse (IGI) gibt sich lammfromm. Sie teilte gestern mit, die Beschlüsse des Grossen Stadtrats seien «ein gangbarer Kompromiss, bei dem alle Seiten Abstriche akzeptieren müssen». Nach der Parlamentsdebatte war der Ton noch einiges schärfer. Die IGI hatte mit einer Umsetzungsinitiative gedroht, um den Anliegen der im September 2012 von den Stadtluzernern angenommenen Initiative «Für eine lebendige Industriestrasse» zum Durchbruch zu verhelfen.

Jetzt verzichtet die IGI nach einer langen internen Diskussion darauf. Sie erwarte aber von den Teilnehmern der Ausschreibung einen «sorgfältigen Umgang mit den Anliegen der Bevölkerung». Die Stimmbürger hätten vor zwei Jahren klar Ja gesagt zum Erhalt von kulturellem Freiraum und günstigem Wohnraum, zu einem lebendigen Quartier mit Platz auch fürs Kleingewerbe und «zu einer massvollen Weiterentwicklung statt Abriss und Vertreibung».


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