Raumplanerischer Kantönligeist bremst Projekt

Luzern ist kein Wasserkraftkanton

Der Ausbau der Wasserkraft im Kanton Luzern ist umstritten. (Bild: Fabian Duss)

Bei Stromkonzernen sorgt die Energiewende für Goldgräber-Stimmung, bei Umweltverbänden für rote Köpfe. Im Kanton Luzern tobt ein Konflikt um ein geplantes Wasserkraftwerk an der Waldemme. Eine national koordinierte Energienutzung würde das verhindern, meinen Experten.

 

Um die Waldemme ist ein heftiger Streit entbrannt. Die Centralschweizerischen Kraftwerke AG (CKW) plant, dem Fluss kurz nach Flühli Wasser zu entziehen, es via einen Druckstollen durch die Lammschlucht zu führen und damit in einem Kraftwerk am Ausgang der Schlucht Strom zu produzieren. Bei den kantonalen Behörden ist mittlerweile nicht nur das Konzessions- und Baugesuch, sondern auch eine Einsprache von Umweltverbänden und dem Luzerner Fischereiverband eingegangen.

Dani Heusser, beim WWF als Gewässerschutzexperte tätig, lobt die anfänglich gute Zusammenarbeit des Stromkonzerns mit den Umweltverbänden. Zu Beginn sei er dem Projekt positiv gegenüber gestanden. «Wir haben der CKW früh klar gemacht, dass in diesem einzigartigen Gebiet entweder ein hinsichtlich der ökologischen Verträglichkeit perfektes Kraftwerk oder gar keines gebaut werden dürfe,» sagt Heusser. Das vorliegende Projekt sei zwar keine Minimalvariante, leider aber auch nicht das geforderte ökologische Top-Projekt.

Streitpunkt Restwasser

Durch die Lammschlucht soll künftig nur noch etwa halb soviel Wasser fliessen wie bisher. Zu wenig, finden die Umweltverbände. Derweil betont CKW-Projektleiter Paul Hürlimann, die Schlucht bleibe als Schutzgebiet und Lebensraum erhalten. «Wir haben über drei Jahre lang wissenschaftlich abklären lassen, ob die Restwassermenge von 600 Liter pro Sekunde reicht, um sämtliche ökologische Anforderungen zu erfüllen.» Und das tue sie, sagt Hürlimann.

Die Umweltverbände bestreiten dies. Sie fordern 1000 Liter pro Sekunde, damit die Fischwanderung gewährleistet bleibe. Die CKW plant an Stellen mit zu geringer Wassertiefe mit baulichen Massnahmen die erforderliche Niederwasserrinne sicherzustellen. Dieses Vorhaben kommt beim WWF nicht gut an: «Man kann nicht einfach im Gewässer herum basteln, sondern müsste es gleich renaturieren», wendet Heusser ein.

Zunächst wird nun der Regierungsrat, danach wohl Gerichte über den Disput entscheiden müssen. Samuel Ehrenbold, Geschäftsführer von Pro Natura Luzern, hofft aber, dass es nicht so weit kommt und man zurück an den runden Tisch findet. Die Chancen dafür sind aber gering, denn die CKW lehnt eine Erhöhung der Restwassermenge aus Gründen der Wirtschaftlichkeit kategorisch ab.

Während die CKW von der Bewilligungsfähigkeit ihres Projektes überzeugt ist, wittert der WWF zumindest auf juristischer Ebene gute Aussichten für die Einsprache. «Es geht hier nicht darum, ein Exempel zu statuieren», wehrt sich Heusser gegen den Obstruktions-Vorwurf. Der WWF habe schon Dutzende Wasserkraftprojekte problemlos akzeptiert, das dürfe man nicht ignorieren.

Im kantonalen Planungsbericht ist die Waldemme als Vorbehalts- und stellenweise auch als Ausschlussstrecke vermerkt. «Sie ist ein geschütztes Naturobjekt und eine der wenigen bisher nicht beeinträchtigten Schluchtstrecken im Kanton Luzern», unterstreicht Samuel Ehrenbold von Pro Natura.

Der Konflikt dreht sich also grundsätzlich um die Vereinbarkeit der angestrebten Energiewende mit dem Landschafts- und Umweltschutz. Es geht um Raumplanung. Und es geht letztlich um die Beantwortung der Frage, in welchem Ausmass ein Ausbau der Wasserkraft im Kanton Luzern überhaupt Sinn macht.

Sämtliche Potenziale ausschöpfen?

Luzern ist kein Wasserkraft-Kanton. Das lassen Topographie und Hydrologie nicht zu. Zwei Drittel des kantonalen Verbrauchs erneuerbarer Energien stammen zwar aus Wasserkraft, davon wird aber bloss etwa jede 17. Gigawattstunde (GWh) im Kanton produziert. 2011 waren das bescheidene 52.7 GWh. Zum Vergleich: Im Kanton Schwyz wurde 9 und in Uri gar 29 Mal soviel Strom aus Wasserkraft gewonnen.

Der Luzerner Planungsbericht schätzt das wirtschaftliche Potenzial der bisher ungenutzten Wasserkraft im Kanton auf etwa 30 GWh, die CKW auf 35-40 GWh. Mit dem Waldemme-Projekt würde rund die Hälfte dieses Zubaupotenzials ausgeschöpft. «Ohne das dereinst grösste Wasserkraftwerk im Kanton ist das Ziel nicht erreichbar», sagt CKW-Projektleiter Hürlimann.

Der kantonalen Dienststelle Raumentwicklung, Wirtschaftsförderung und Geoinformation (rawi) liegen gemäss Mario Conca aktuell drei weitere Wasserkraft-Projekte als Vorabklärung zur Beurteilung vor: Zwei konkurrierende Neuanlagen am Rümlig – der durchs Eigental fliesst und bei Schachen in die Kleine Emme mündet – mit einer jährlichen Energieproduktion von 7.4 bzw. 10.2 GWh und die Reaktivierung und Sanierung eines bestehenden Kraftwerks an der Kleinen Emme (5.4 GWh).

Energiewende ist kein Freipass

Beim Bund geht man davon aus, dass ein nachhaltiger und umweltverträglicher Ausbau der Wasserkraftnutzung von 3200 GWh bis 2050 nötig und möglich ist. Im Vergleich zur nationalen Zielsetzung erscheinen die zusätzlichen 18.6 GWh aus der Waldemme daher «als Tropfen auf den heissen Stein, auf den man locker verzichten könne», heisst’s beim WWF. Für Hürlimann hingegen ist klar, dass die Energiewende nur zu schaffen sei, «wenn in allen Kantonen sämtliche vorhandenen Potenziale ausgeschöpft werden, die technisch, wirtschaftlich und ökologisch Sinn machen.»

Gewässerschutzexperte Heusser widerspricht vehement und wettert: «Die Energiewende ist kein Freipass, um auch noch den letzten Bergbach zu verbauen!» Für die Umweltverbände ist die Zitrone bereits ausgepresst, da rund 95 Prozent des wirtschaftlichen Potenzials der Wasserkraft bereits genutzt wird. «Jeder weitere Ausbau ist eine Zwängerei», findet auch Samuel Ehrenbold von Pro Natura.

Die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) mache seit 2009 auch kleine Wasserkraftwerke «finanzierbar», was oft mit relativ hohen Schäden an Gewässern verbunden sei, so Ehrenbold. Bei den Umweltverbänden setzt man bei der Energiewende deshalb primär auf Energieeffizienz und den Ausbau der Solarenergie. «Und wenn die Stromkonzerne trotzdem in Wasserkraft investieren, sollen sie das wenigstens in ohnehin schon verbauten, weniger wertvollen Gewässern tun», sagt Dani Heusser.

Koordination statt Kantönligeist

Heusser spricht an, was auch den Experten des Bundes und der Akademien der Wissenschaften nicht behagt: Der raumplanerische Kantönligeist. Im vergangenen Oktober forderten die Akademien die Integration der Energienutzung ins schweizerische Raumplanungssystem. «Das Ziel sollte sein, die Produktion erneuerbarer Energie in Gebieten zu konzentrieren, die ein hohes Energiepotenzial aufweisen und bereits von Technik geprägt sind», heisst es im Bericht.

Urs Neu ist Mitverfasser des Berichts. Er sagt, bei der Energienutzung müsse der Blick über die Kantonsgrenzen hinaus gerichtet werden. «Ein Gebiet kann für den Kanton Luzern als passend erscheinen, während es anderswo in der Schweiz aber viel geeignetere, konfliktärmere Gebiete mit höherem Potenzial gäbe.»

Bessere Lösungen liegen manchmal also jenseits der Kantonsgrenze. Auf Wasserzinsen hingegen verzichtet man ungern und Arbeitsplätze schafft man bevorzugt im eigenen Kanton. Die Akademien der Wissenschaften schlagen daher ein Instrument zum regionalen Ausgleich wirtschaftlicher Vor- und Nachteile vor. «Neben der Nutzung, müsste auch die Nicht-Nutzung in Betracht gezogen und entschädigt werden», sagt Neu. Ohne guten Interessenausgleich und gemeinsame Koordination werde das Hin und Her mit Einsprachen weitergehen und den Ausbau erneuerbarer Energien blockieren.

In dieselbe Richtung zielt überdies auch die Energiestrategie 2050 des Bundes. Wenn die Sicht eine gesamtschweizerische und nicht bloss eine kleinräumige sei, könnten leichter brauchbare Lösungen gefunden werden, heisst es dort. In Luzern kommt diese Botschaft zu spät an – und bis die nationale Energiestrategie umgesetzt wird, ist das Lammschlucht-Kraftwerk wohl längst gebaut.

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