Zu Besuch bei der vierfachen Schwingerkönigin

Sonia Kälin hat nicht nur Kampfgeist, sondern auch eine Kampfkuh

(Bild: zVg)

Wer sich einen Schweizer Schwinger ausmalt, denkt an Stierennacken und Edelweisshemden. An Christian Stucki. Testosteron im Sägemehl. Oder umgekehrt. Die vierfache Schwingerkönigin Sonia Kälin will da partout nicht ganz ins Bild passen.

Sonia Kälin sitzt in ihrer Heimat Schindellegi im Schatten der Kirche. Die junge Frau mit den hohen Wangenknochen trägt eine rote Spitzenbluse. Sie wirkt zurückhaltend. «Es war manchmal hart, dahin zu kommen, wo ich heute bin», erzählt sie von ihrem Werdegang zum Aushängeschild des Frauenschwingens. «Weiterzumachen, obwohl niemand an dich glaubt, das braucht viel Disziplin, Zielfokussierung und Willenskraft.»

Die knapp fünfzig Kilo leichte Sekundarlehrerin wurde zu Beginn ihrer Schwingerkarriere von ihren oft ungleich schwereren Kontrahentinnen chancenlos gebodigt. Gewichtsklassen gibt es keine im Schwingen. Schwer- und Leichtgewichte stehen zusammen auf dem Sägemehl.

Hoselupf

Sogar beim Pingpong kommt der Kampfgeist

Heute, rund sechzehn Jahre und vier Königinnentitel später, liegen die Dinge etwas anders. Ihren Gewichtsnachteil macht Kälin mit ihrer überragenden Technik, Geschwindigkeit und viel Ausdauer wett. Ihr stärkster Vorteil scheint aber ihr unbändiger Kampfgeist zu sein. «Sogar wenn ich mit meinem Freund Pingpong spiele: Sobald wir um etwas spielen, bricht bei mir dieser Feuereifer aus und ich gebe mein Allerbestes.»

Ein bisschen über sich selber schmunzeln muss sie schon, als sie davon erzählt. Diesen Biss und dieses Durchhaltevermögen brauchte sie aber. In ihrer momentanen Lage vielleicht mehr denn je.

«Es gibt immer mal wieder Leute, die das Frauenschwingen diskreditieren. Meistens haben sie noch nie einen unserer Wettkämpfe gesehen.»

Sonia Kälin, mehrfache Schwingerkönigin

«Es gibt immer mal wieder solche, die das Frauenschwingen diskreditieren.» Schwingen, das sei nichts für Frauen. Frauen seien nichts fürs Schwingen. «Meistens haben diese Leute noch nie einen unserer Wettkämpfe gesehen», erzählt Kälin. Zu viel Energie möchte sie in solche Begegnungen aber nicht stecken.

Sonia Kälin kämpft an der Frauenschwinget Oberbuehl Huttwil gegen Yolanda Geissbuehler.
Sonia Kälin kämpft an der Frauenschwinget Oberbühl Huttwil gegen Yolanda Geissbühler.

(Bild: Rolf Eicher)

Und sie ergänzt: «Wenn es jemandem nicht passt, was wir machen, ist das sein Problem. Wer stur auf Altbewährtes setzt, verpasst etwas im Leben. Ich nutze meine Energie lieber, um etwas Positives zu erreichen.» Zum Beispiel für den Schwingsport der Frauen in der Schweiz, wenn sie ihre 18 Juniorinnen unterrichtet.

«Der Sport soll auch nach mir weiterleben. Das ist mir wichtig», sagt Kälin. Doch nicht nur als Wegbereiterin für Frauen in einem stark männerdominierten Sport brauchte sie ihren Kampfwillen. Auch seit letzter Saison ist dieser wieder gefragt. Vielleicht sogar mehr denn je: Kreuz-, Innenband- und Meniskusriss. Seit Monaten ist Kälin in der Reha-Phase.

Ein langer Weg zurück

Monotone Aufbauübungen, Arztbesuche, die Hoffnung, dass alles wieder gut wird. «Zu Beginn der Verletzung war ich manchmal nahe dran, aufzugeben», verrät sie. Fortschritte stellten sich nur graduell ein. Ob die ursprüngliche Leistungsfähigkeit wieder hergestellt werden kann, ist noch immer offen. Man solle unbedingt versuchen, noch einmal in den Sport zurückzukehren, erklärt Kälin. Damit man sich aktiv für den Ausstieg entscheiden könne, wenn man das möchte. «Von der Verletzung rauskatapultiert zu werden, ist für viele psychologisch schwer zu verkraften», sagt Kälin.

«Ich liebe diesen Sport zu sehr, um nicht wieder versuchen einzusteigen.»

Kommenden Frühling hofft sie, wieder bereit zu sein. Dann steht ein Entscheid an zwischen Herz und Kopf. «Nochmals einsteigen oder nicht. Das Verletzungsrisiko ist jetzt natürlich grösser. Andererseits liebe ich den Sport zu sehr, um es nicht zu versuchen.»

Mit Wort und Tat

Ihre Erfolgsgeschichte und die damit verbundenen Werte gibt sie gerne auch an öffentlichen Vorträgen weiter. Sie spricht über ihren Werdegang, ihren Umgang mit Herausforderungen und ihren Kampfgeist. Ständchen am Schwyzerörgeli inklusive. «Das gibt den Zuschauern gleich einen ganz anderen Zugang», meint sie vergnügt. «Ich spiele, seit ich Kind bin, und liebe es. Vor fünfhundert Leuten dann aber so ganz mutterseelenalleine zu spielen, macht mich schon immer wieder nervös», so die Schwingerin. Dieses Jahr hielt sie in ihrer Nachbargemeinde Oberägeri etwa die 1.-August-Rede.

Weil sie verletzt ist, braucht Kälin derzeit viel Geduld.
Weil sie verletzt ist, braucht Kälin derzeit viel Geduld.

(Bild: Wolf Meyer)

Eine Kampfkuh namens Nina

Vor unserem Interview brachte Kälin frühmorgens auf dem Vitaparcours bereits ihr erstes Intervall hinter sich. Rennen, Kraft und Ausdauerübungen. «Es hilft mir, mich zu konzentrieren.» Als wir uns verabschieden, macht sie sich auf zum Hof ihres Bruders. An der seeseitigen Flanke des Etzels hat dieser den rund 12 Hektar grossen Hof der Eltern übernommen. «Wenn ich kann, helfe ich manchmal aus. Ich liebe den Kontakt mit den Tieren und habe sogar meine eigene Kuh hier.»

2016 gewann sie als Schwingerkönigin eine Eringer Kampfkuh. Eringer-Kühe haben ein hohes Aggressionspotenzial und tragen ausgeprägte Rangkämpfe aus, um die Hierarchie innerhalb der Herde zu klären. Besonders im Wallis lässt man die Kühe als Volkssport und Touristenattraktion gegeneinander antreten.

«Meine Nina!» Kälin strahlt über beide Ohren. «Wenn ich an den Zaun trete und sie rufe, kommt sie und begrüsst mich. Und vergangenen Dezember warf sie sogar Zwillinge.» Als Siegerin konnte sie zwischen einem Preisgeld oder der Kuh wählen. Aus ihrem Umfeld versteht niemand, weshalb sie sich für die Kuh entschied, die viel Heu und Arbeit braucht. Ihre Nina will sie aber im Leben nicht mehr hergeben.

«Wenn du in die Arena hineintrittst, ist bereits eine Anspannung spürbar. Ich bekomme jedes Mal Gänsehaut.»

In einem Jahr findet findet in Zug mit dem «Eidgenössischen» ein Schwingfest der Superlative statt (zentralplus berichtete). Für Kälin natürlich ein wichtiges Ereignis. Denn das ESAF, das sei eine einzigartige Sache. «Wenn du in die Arena hineintrittst, ist bereits eine Anspannung spürbar. Ich bekomme jedes Mal Gänsehaut», erzählt sie. Besonders der Einzug der Schwinger sei sehr emotional. «Da versuche ich mir jeweils vorzustellen, was das für ein fantastisches Gefühl sein muss, wenn du dort einmarschieren darfst», sagt sie.

Frau braucht Geduld im Schwingsport

Dass beim ESAF keine Frauen mitschwingen, nimmt sie gelassen. Und sie äussert einen bescheidenen Wunsch. «Es wäre bereits ein riesiger Schritt, wenn es in Zukunft andere, viel kleinere und regionale Feste geben würde, an denen beide Geschlechter antreten dürfen.» Und sie sagt lachend: «Frau kann nicht gleich mit der Türe ins Haus fallen.»

So freut sie sich bereits ob kleinerer Zeichen der Wertschätzung. Etwa, dass Kälin für die Zuger Bauunternehmen Landis und Jego als Munigotte des Siegermuni «Kolin» vor Ort sein dürfe. «Dies ist eine riesige Ehre und zeigt mir, dass ich in den letzten Jahren als Schwingerkönigin einiges richtig gemacht habe», so die Schwyzerin.

Themen
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon