Vater Lichtsteiner vor dem Champions-League-Final

«Viele hätten sie ihm nicht vor die Nase setzen können»

Stephan Lichtsteiner im Dress der «alten Dame» am Ball.

(Bild: Facebook/ juventus)

Diesen Samstag spielen Juventus Turin und Real Madrid in Cardiff um die begehrteste Trophäe im europäischen Klubfussball. Der Luzerner Stephan Lichtsteiner wäre der erst vierte Schweizer, der den Henkelpott stemmt. Vor dem Finale sprachen wir mit Reto Lichtsteiner über die mögliche Krönung der Karriere seines Sohnes.

Von Adligenswil aus startete Stephan Lichtsteiner seine fussballerische Weltkarriere, die ihn bereits zum zweiten Mal ins Endspiel der besten Clubmannschaften Europas führt. Im Gegensatz zu 2015 wird Lichtsteiner dieses Jahr wohl nicht in der Startaufstellung stehen. Der rechte Aussenverteidiger hat mit Dani Alves den zurzeit wohl weltbesten Spieler auf seiner Position als Konkurrenz. Als Beleg für die Behauptung dient das Halbfinale, in dem der Brasilianer an allen vier Toren seiner Mannschaft massgeblich beteiligt war. Nichtsdestotrotz erarbeitete sich Stephan Lichtsteiner bei Juventus einen Legendenstatus.

Als einziger Nicht-Italiener war er bei den letzten sechs italienischen Meisterschaften in Serie immer dabei. Dem Club winkt heuer sogar eine historische Triplette aus Meistertitel, Pokalsieg und Champions League. Es wäre die Krönung – auch für Stephan Lichtsteiners Fussballkarriere, die hierzulande ihresgleichen sucht (siehe Box am Ende).

«Er war körperlich klein und leichtgewichtig – ein Hämpfling.»

Reto Lichtsteiner

Wege nach Rom

Vater Reto Lichtsteiner war sein allererster Trainer. Beim FC Adligenswil durfte der 5-jährige Stephan bei den F-Junioren mittun. Dort spielte damals auch Reto Lichtsteiners älterer Sohn. Marco Lichtsteiner wuchs mit der Zeit vom Ratschläge erteilenden grossen Bruder zu Stephans Berater und Manager. Das Bruder-Paar blieb sich während der gesamten Laufbahn treu. «In Adligenswil, als D-Junior bei den C-Junioren, war er körperlich klein und leichtgewichtig – ein Hämpfling», erinnert sich Reto Lichtsteiner, dessen jüngerer Sohn schon früh auf der Aussenbahn eingesetzt wurde. «Wegen der Schnelligkeit, dem Laufvolumen und weil er sich dort ein bisschen den Zweikämpfen entziehen konnte.»

Reto Lichtsteiner blickt auf die steile Profikarriere seines Sohnes – die trotz Innerschweizer Bezug nicht beim FC Luzern begann.

Reto Lichtsteiner blickt auf die steile Profikarriere seines Sohnes – die trotz Innerschweizer Bezug nicht beim FC Luzern begann.

(Bild: esa)

Mit der Zeit verschwand der Grössenunterschied – die läuferischen Vorteile blieben. Stephan Lichtsteiners Spielstil lebt mehr vom Tempo als von seidener Ballbehandlung. Dafür sind Zuverlässigkeit, Antizipationsvermögen, Wille und Durchsetzungskraft bei ihm umso ausgeprägter. Besonders diese Talente halfen ihm, sich bei all seinen Stationen als Stammspieler zu etablieren. Dazu kam das Glück, selten verletzt zu sein und fast durchgehend von Trainern lernen zu können, die zu den renommiertesten ihres Landes gehören und längerfristig arbeiten durften.

Als U21-Internationaler wagt Stephan Lichtsteiner den Schritt ins Ausland. Die Zeit unter Claude Puel in Lille, Delio Rossi bei Lazio Rom und Antonio Conte bei Juventus Turin formen ihn zur Weltklasse. Gerade beim ersten Transfer sei viel Wert darauf gelegt worden, dass der Übungsleiter auf den Nachwuchs und speziell auf Stephan setzt, erzählt Reto Lichtsteiner. «Lille war vom Trainer her sehr attraktiv.» Mit 24 Jahren folgt der Wechsel in die italienische Serie A. «Nebst dem sportlichen Fortschritt war eine wichtige Überlegung, in einen Verein zu kommen, wo man auch den Umgang mit medialem Druck lernen kann und muss.»

Vom Ergänzungsspieler zur Legende

Medial wurde der Schweizer in Rom zunächst als Ergänzungsspieler gesehen. In der Realität spielte sich Stephan Lichtsteiner auf Anhieb in die Stammelf. Seine erste Saison bei Lazio wurde durch den Gewinn der Coppa Italia gekrönt – sein erster Titel im Ausland. Im Finale kommt es zum Penaltyschiessen. «Der nervöseste der Familie bin bei solchen Spielen wahrscheinlich schon ich», gibt Reto Lichtsteiner zu. Lachend erinnert er sich daran, wie Stephan seinen Elfmeter verwandeln musste, um die Mannschaft im Spiel zu halten. «Ich habe zwar hingeschaut, aber weiss nicht, wie verkrampft ich da aussah.»

Der Erfolg auf dem Platz liess sich sehen. Mit konstant überzeugenden Leistungen empfahl sich Lichtsteiner für einen Vertrag beim Grossklub Juventus Turin. Im ersten Ligaspiel der Saison 2011/12 steht der Schweizer Nationalspieler in der Startaufstellung und schiesst prompt das allererste Tor im neu eröffneten «Juventus Stadium». Es ist ein Höhepunkt seiner Karriere und der Startschuss zu sechs italienischen Meisterschaften in Serie.

«Vor dem Fernseher bin ich ruhiger als im Stadion.»

Reto Lichtsteiner

Heute stehen noch sechs Spieler in Juves Kader, die alle sechs aufeinanderfolgenden Scudetti zusammen erspielten. Neben dem Monument Gianluigi Buffon sind das Andrea Barzagli, Giorgio Chiellini, Claudio Marchisio, Leonardo Bonucci und eben dieser Stephan Lichtsteiner. Zusammen holten sie zwölf Titel für Juventus Turin und stehen bereits zum zweiten Mal im Final der Champions League. Medial werden sie als Legenden gefeiert. Stephan Lichtsteiner hat mit allen von ihnen ein professionelles Verhältnis. Mit Marchisio pflegt er darüber hinaus eine Freundschaft – die Familien reisen auch mal gemeinsam in die Ferien.

Die Eltern werden, im Gegensatz zum Bruder, nicht nach Cardiff an den Champions-League-Final reisen. Sie schauen sich das Spiel am Fernsehen an. «Vielleicht bringt das mehr Glück als das letzte Mal, als wir nach Berlin reisten», sagt Reto Lichtsteiner. Damals habe er das Spiel, auch wegen des Verlaufs, nicht geniessen können. «Vor dem Fernseher bin ich ruhiger als im Stadion.»

Stephan Lichtsteiner postete auf Instagram ein Bild der «6 Legenden»:


 

In der Schublade

Auch Stephan Lichtsteiner wird es wahrscheinlich ruhiger haben als beim letzten Mal – ihm blüht die Ersatzbank. «Unsere Erwartung war, dass ein Junger kommt, der in die Fussstapfen wachsen kann», sagt Reto Lichtsteiner zum letztjährigen Transfer von Dani Alves, der wie ein Tiefschlag wirkte. Der Brasilianer spielte bei Barcelona und ist ein Weltstar auf Lichtsteiners Position. «Sie hätten ihm nicht viele vor die Nase setzen können, die nicht hinten hätten anstehen müssen.» Der Schweizer kam trotzdem zu seinen Einsätzen – vor allem in der Liga. Doch auch da gab es Situationen mit fadem Beigeschmack. Als am vorletzten Spieltag Juve der bereits feststehende Meisterpokal überreicht wurde, sass Stephan Lichtsteiner 90 Minuten lang auf der Bank. «Das ist menschlich stillos», ärgert sich sein Vater. «Ich hätte schon erwartet, dass er mindestens für die letzten Minuten eingesetzt wird – als Dankeschön.» Stephan Lichtsteiner habe es ruhig und hochprofessionell hingenommen und gesagt, das sei Teil des Spiels.

«Die Medien haben ihn in diese Schublade gesteckt und werden ihn auch nicht da rausnehmen.»

Reto Lichtsteiner

«Er sagt immer, was er denkt», gibt Reto Lichtsteiner zu verstehen. Nachdem jedoch ein paar Mal Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen wurden, sei sein Sohn medial überlegter geworden. «Es sind sicher zwei Paar Schuhe, wenn er etwas gegen aussen oder gegen innen sagt.» Vor allem in Schweizer Medien wird Stephan Lichtsteiner oft als lamentierender Hitzkopf dargestellt. «Das war am Anfang sicher richtig», gibt Vater Reto zu. «Er hat sich dadurch aber auch einen Status in der Mannschaft  erschaffen.» Mitspieler hätten ihn zum Teil aufgefordert, beim Schiri zu intervenieren, weil sie sich selbst nicht trauten.

«Er nimmt das für das Wohl der Mannschaft auch wahr.» Mittlerweile seien die Diskussionen mit dem Schiedsrichter ruhiger. Das sehe man auch an den gelben Karten fürs Reklamieren, die extrem runtergegangen seien. Nur werde das zu wenig wahrgenommen, findet Reto Lichtsteiner. Er hat wenig Hoffnung, dass sich das öffentliche Bild seines Sohnes ändert. «Die Medien haben ihn in diese Schublade gesteckt und werden ihn auch nicht da rausnehmen, aus welchem Grund auch immer.»

Stephan Lichtsteiner als Captain der Schweizer Nati bei der EM in Frankreich:

 

Herzlichen Glückwunsch diesem Super-Team! Eine tolle EM 👍👍Wir hätten grossartige Ziele erreichen können! Ich bin sehr stolz auf Euch! Herzlichen Dank an alle Fans … Ihr wart fantastisch! Umarmung, Steph Complimenti a questa grandissima squadra! Un› ottimo torneo👍👍 Avremmo potuto raggiungere grandi traguardi… Sono molto fiero di voi! Un grazie di cuore a tutti i nostri tifosi… siete stati immensi! Un abbraccio, Steph Congratulations to this great team! What a tournament👍👍 We could have achieved great things…. I am very proud of you! Many thanks to all our fans … You were fantastic! Big Hugs, Steph @nationalteams_sfvasf #HoppSchwiiz #ForzaSvizzera #Allezlasuisse #euro2016

Ein Beitrag geteilt von Stephan Lichtsteiner (@stephanlichtsteiner) am25. Jun 2016 um 11:36 Uhr


 

Weg zum Erfolg

Kein Schweizer Fussballer vor ihm sammelte im Ausland so viele Titel wie Stephan Lichtsteiner. Trotzdem gibt es helvetische Spieler, die berühmter sind. «Man kann sagen, er wird unterschätzt, oder man kann sagen, andere werden überschätzt», findet sein Vater. «Für mich ist es nicht relevant, ob Stephans Fussballer-Laufbahn gebührend wahrgenommen wird.» Überhaupt gebe es wichtigere Karrieren, die medial nicht erwähnt werden – zum Beispiel diejenigen von Ärzten, Lehrern oder Betreuern von Behinderten.

«Dieses Jahr hört er nicht auf.»

Reto Lichtsteiner

Stephan Lichtsteiner ist mittlerweile über 33-jährig. Im Fussballjargon spricht man über dieses Alter vom «Herbst der Karriere». «Dieses Jahr hört er nicht auf», glaubt Reto Lichtsteiner. «Seine Freude am Spielen ist viel zu gross.» Solange der Körper mitmache, sei es auch keinen Gedanken wert, dass Stephan Lichtsteiner nach einem allfälligen Champions-League-Sieg aufhöre. Zudem findet nächsten Sommer eine Weltmeisterschaft an, bei der der Nati-Captain dabei sein will.

Ein ganz wichtiger Aspekt in Bezug auf die nahe Zukunft sei die Familie. Die Tochter werde demnächst eingeschult. Deshalb wäre beispielsweise China, wo sich zum Ende der Karriere viel Geld verdienen liesse, kein Thema. Auch eine Rückkehr in die Schweiz bezweifelt Stephan Lichtsteiners Vater. «Von mir aus gesehen, wäre dies unklug. Er kann fast nur verlieren.» Bei Juve hat Stephan Lichtsteiner einen Vertrag bis Sommer 2018. In der Tendenz spricht vieles für einen Verbleib in Italien. Nach der aktiven Karriere wird Stephan Lichtsteiner dem Sport wohl erhalten bleiben. Vater Reto denkt: «Er kann nicht sein ohne Fussball. Wahrscheinlich wird er sich zum Junioren-Trainer ausbilden lassen und dort seinen Weg aufbauen.» Wo der Weg zum Erfolg liegt, weiss Stephan Lichtsteiner ja bereits.

Stephan Lichtsteiner feiert mit seiner Familie Geburtstag:


 

Beispiellose Karriere

Nach den Anfängen beim FC Adligenswil wechselte Stephan Lichtsteiner als Jugendlicher zum FC Luzern und später zum Grasshopperclub Zürich. GC stand im Ruf, die beste Nachwuchsförderung des Landes zu betreiben. Zudem bot der Club die Möglichkeit, eine Banklehre mit dem Sport zu verbinden. In der Saison 2002/03 gewinnt der damals 19-jährige den ersten Titel. «Da wurde er am Samstag Schweizer Meister und musste am Montag zur Lehrabschlussprüfung», erzählt Reto Lichtsteiner lachend.

Es folgte eine Karriere, wie sie sich der Fussballverband vorstellt und gerne vorzeigt. Am 15. November 2006 debütiert Stephan Lichtsteiner gegen Brasilien für die Schweizer A-Nationalmannschaft, deren Kapitän er seit 2016 ist. In seinen bisher 88 Länderspieleinsätzen feierte je zwei Teilnahmen an Europa- und Weltmeisterschaften. In seiner Karriere holte Stephan Lichtsteiner bisher 15 Mannschaftstitel – sechs Mal die italienische Meisterschaft, je vier Mal den italienischen Cup und Superpokal sowie eine Schweizermeisterschaft. Insgesamt kommt er auf 527 Einsätze als Profi. Dabei schoss er 29 Tore und gab 43 Torvorlagen. Am kommenden Samstag, 3. Juni 2017, steht Stephan Lichtsteiner mit Juventus Turin zum zweiten Mal im Finale der Champions League und könnte dabei zum erst vierten Schweizer werden, der diese Trophäe gewinnt.

Laufbahn                                                                 

2001 bis 2005: Grasshoppers Zürich                                     

2005 bis 2008: OSC Lille                                                                 

2008 bis 2011: Lazio Rom                                                              

seit 2011: Juventus Turin

 

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