Ein Leben für die Kampfkunst

Sie will in Japan Kendo-Weltmeisterin werden

Selina Koller in ihrem Kendo-Anzug. (Bild: Fabian Biasio)

Die 37-jährige Selina Koller tritt diesen Mai an der Kendo-Weltmeisterschaft in Japan an. Die Luzernerin trainiert dafür fast ununterbrochen. An ihrer Seite hat sie einen ganz speziellen Kampfsportprofi.

Im Dojo, dem Kendo- und Karate-Trainingsraum der Budoschule von Selina Koller beginnt bald das Karate-Training. Es ist Mittwochabend und der grosse Raum mit dem hellen Parkett füllt sich mit Kindern und Erwachsenen. Sie tragen grüne, weisse, blaue und schwarze Gurte.

Selina Koller (37), die 2010 das Dojo übernahm und im Mai mit dem Schweizer Nationalteam an die Kendo-Weltmeisterschaften nach Tokyo fliegt, erscheint mit ihrem Vater. Er wohnt in der Stadt Luzern und sie in Geuensee. Sie holt den 67-Jährigen jeweils zum Training ab. Kendo ist eine japanische Kampfsportart bei der man versucht mit dem Shinai (dem Bambusschwert) eine der vier festgelegten Zonen Kopf, Unterarme, Rumpf oder Kehle zu treffen. Der Name der Sportart heisst «Weg des Schwertes», auch übersetzt als «Lebensweg». Traditionell trägt man einen dunkelblauen Hosenanzug und einen Kopfschutz.

Selina Koller in ihrem Kendo-Anzug.

Selina Koller in ihrem Kendo-Anzug.

(Bild: Fabian Biasio)

Vater ist Karate-Meister

Bruno Koller ist Karate- und Kendo Lehrer und baute 1977 eine der ersten Karate- und Kendoschulen der Schweiz in Luzern auf. Er verbrachte zwei Jahre in Japan und hat heute den 8. Dan, einer der höchsten Grade in Karate.

Die Familie mit den drei Kindern wuchs in Luzern auf, alle drei machten von klein auf Karate. «Ich lerne heute noch viel von meinem Vater», sagt Selina Koller. Das Team besteht aus sieben Frauen und sieben Männern. In Japan war sie als 9-Jährige schon einmal: «Das Land und die Kultur haben mich sehr beeindruckt.»

Herzinfarkt in Thailand

Die Karate-Trainingsgruppe an der Güterstrasse ist langsam komplett, Assistenztrainer Predrag Andrijanic führt durchs Training. Sensei Bruno Koller kam nach einem Herzinfarkt von Thailand zurück in die Schweiz. Er wollte eigentlich auswandern. Seiner Tochter gab er einen wichtigen Ratschlag, erinnert sich Selina Koller: «Er sagte, ich solle unbedingt auch auswärts trainieren, wenn ich im Kendo weiterkommen wolle. Einmal in der Woche trainiere ich nun in Zürich bei Gerry Tscherter Sensei.»

Kurzvideo aus einem Kendo-Training in Luzern von Fabian Biasio

Nach Bruno Kollers Rückkehr aus Thailand fingen Tochter und Vater wieder neu an, Trainings in Luzern zu geben. Selina in Kendo, Bruno Koller reduziert auf Karate unter Mithilfe seines Sohnes Giosuel Koller. Zuerst in einer gemieteten Turnhalle und nun ,seit drei Jahren, an der Güterstrasse hinter dem Bahnhof.

Wenige kommen regelmässig

Während sich die Karateschüler aufwärmen, kontrolliert Selina die Anwesenheitsliste, heute sind es 14 Sportler. «Es dürften noch ein wenig mehr Schüler sein. Vor allem solche, die regelmässig kommen.»

«Die meisten kommen nur sporadisch. Wenn man vorwärts kommen will, muss man aber regelmässig trainieren.»

Selina Koller

Haben die Schüler heute keine Disziplin mehr? «Ja, es ist schade, die meisten kommen nur sporadisch. Wenn man vorwärts kommen will, muss man regelmässig trainieren. Es hat aber keine Konsequenzen, wenn man nicht ins Training kommt.» Wieso dann die Listenführung? «Die Anzahl der besuchten Trainings und die Regelmässigkeit der Trainingsbesuche sind für mich Anhaltspunkte, um einen Schüler an seine nächste Prüfung schicken zu können.»

13 Stunden Training pro Woche

Die Inhaberin der Budoschule war schon als Kind sportbegeistert – und ehrgeizig: Reiten, Ballett, Karate, Geräte- und Kunstturnen begleiteten Selina Koller bis ins Erwachsenenalter. Heute trainiert sie zwischen 11 und 13 Stunden Kendo – unter der Woche. «An den Wochenenden kommen Kadertrainings, Wettkämpfe oder Lehrgänge hinzu.» Jetzt vor der WM hat sie das Training nochmals verdichtet. Für Zuhause hat sie sich ein spezielles Programm zusammengestellt, sie trainiere jetzt jeden Tag eine Stunde zusätzlich.

«Ich mag das Kämpfen und das jeder jeden besiegen kann.»

Selina Koller

Zum Kendo kam Selina Koller erst, als sie 27 und schon Mutter war. «Das Kendo hat mir von Anfang an gefallen», die Wildheit, das Instinktive habe sie fasziniert. «Ich mag das Kämpfen und das jeder jeden besiegen kann. Es kommt nicht auf Grösse und Kraft an, sondern auf Technik und das Timing.»

Mittlerweile hat Selina Koller drei Söhne und arbeitet Vollzeit als Tierärztin, ihr Mann kümmert sich um die Betreuung der Kinder. «Meinen Job mache ich gerne, aber ich würde nicht sagen, dass er mich erfüllt. Darum nutze ich jede freie Minute, um zu trainieren.»

Auch ihre Kinder betreiben Kampfsport

Ihre Kinder machen alle auch Kendo und der älteste Sohn zusätzlich noch Karate. «Ich wünsche mir für sie, dass sie dran bleiben und Kendo oder eine andere Budosportart langjährig oder bestenfalls lebenslang trainieren.» Koller sagt, die Kinder sollen Freude daran behalten und erfolgreich sein können.

«Kendo macht selbstbewusster, ausgeglichen und psychisch und physisch stark.»

Selina Koller

Was haben denn die Sportarten für Auswirkungen auf den Geist und Körper? «Es macht selbstbewusster, es macht ausgeglichen und psychisch und physisch stark. Man bleibt gesund und ist unvoreingenommen gegenüber vielem», Vorurteile könnten so abgebaut und man werde offener. Man lerne, durchzuhalten und die Fehler bei sich zu suchen, anstatt bei anderen.

«Das ist absolut grossartig»

Seit 2009 trainiert Selina Koller im Nationalkader. Sie hat bereits an der Kendo EM in Polen und in Frankreich teilgenommen. Dieses Jahr reist sie an die WM nicht nur ins Ursprungsland der Sportart, die Wettkämpfe finden sogar im Nippon Budōkan, dem Hauptdojo von Japan, statt. «Das ist sehr speziell und für alle etwas absolut Grossartiges!» Für sie gehe ein Traum in Erfüllung.

Hat das Schweizer Team denn reale Chancen? Das Team Japan hat bis jetzt fast jede WM gewonnen. «Die Schweizer sind gute Kendo-Kämpfer und die Chancen sind für alle Teilnehmer gleich.»

Ein neuer Raum muss her

Es wird leiser in Raum. Die Karateschülerinnen und Schüler haben kurz Verschnaufpause und trinken Wasser. Selina Koller hofft, dass es nach dem Abbruch der Güterstrasse (geplant 2016) für die Budoschule in Luzern weitergeht. Einen so grossen Raum zu günstigen Konditionen zu finden, werde aber nicht leicht. «Wäre der Raum hier keine Zwischennutzung, könnten wir uns das gar nicht leisten», sagt Selina Koller.

«Ich möchte ein schönes grosses Dojo, das in der Stadt steht. Die Schule soll wachsen und es soll ein harter Kern dabei sein, der zusammen arbeitet.» Diesen Plänen widmet sich Selina Koller weiter, wenn sie aus Tokyo zurück ist: «Aber jetzt bin ich zuerst einmal aufgeregt, zappelig und neugierig. Das Ganze ist noch zu abstrakt für mich, um es wirklich zu fassen.»

Selina Koller in ihrem Kendo-Anzug.

Selina Koller in ihrem Kendo-Anzug.

(Bild: Fabian Biasio)

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