So feierten in der Kolinstadt erstmals die Narren

Als die Zuger Fasnacht in einen Krieg ausartete

So darf man sich die ersten Zuger Fasnächtler vorstellen: Mitglieder der Reenactment-Gruppe Company of Saynte George stellen Krieger aus der Zeit der Burgunderkriege dar.

(Bild: Facebook Company of St. George)

Wenn die Fasnacht jedesmal zu einer mehrjährigen Staatskrise führen würde, wäre sie schon lange verboten. Aber 1477 passierte ebendies. Es war die erste Erwähnung von Fasnacht in Zug. Doch wie wurde vor Jahrhunderten in den Gassen gefeiert?

«Schon wieder leer!», brüllt der Muotathaler und knallt den Weinkrug auf den Tisch der rauchigen Schänke. Eingehend untersucht er seinen Geldbeutel – und findet nichts mehr darin. «Sie haben uns über den Tisch gezogen, das werden sie uns büssen», grölt er und taumelt unter Absingen wüster Lieder nach draussen, um in den Gassen der Zuger Altstadt nach spendablen Zechkameraden zu suchen.

Wir schreiben den Februar 1477 – Zug ist voll von Männern aus Schwyz und Uri, die eben aus den Burgunderkriegen zurückgekehrt sind und auf dem Heimweg Station an der Fasnacht in Zug machen, um sich dem närrischen Treiben hinzugeben.

Sicher ist nur: Fasnacht findet statt

Dabei gründen sie die «Gesellschaft vom torechten Leben». Und planen einen wilden Kriegszug in die Westschweiz, um Schulden einzutreiben.

Es ist die erste Erwähnung der Fasnacht in Zug, ausführlich festgehalten vom Chronisten Diebold Schilling dem Älteren in der Grossen Burgunderchronik. «Ansonsten weiss man für die Zeit vor 1500 nichts über die Fasnacht jener Zeit in Zug», sagt der Stadtarchivar Thomas Glauser. Einzig, dass sie stattgefunden hat. Erst in den folgenden Jahrhunderten wird die Fasnacht in den Schriftquellen besser fassbar.

In der Ehre verletzt

Doch erzählen wir erst die Geschichte der ersten verbrieften Zuger Fasnacht zu Ende: Die Männer, die in Zug am Bechern und Singen sind, und sich über ihre wohl immer leereren Portemonnaies beugen, erinnern sich gut an einen Plünderungszug in die Waadt und nach Genf zwei Jahre zuvor. Beide waren damals in savoyischem Besitz und mit dem Kriegsgegner, Karl dem Kühnen von Burgund, verbündet.

Genf wurde vor der Brandschatzung verschont, weil die Stadt versprach, 24’000 Gulden zu zahlen. Davon sind zur Fasnachtszeit 1477 aber erst 2’000 Stück bei den Eidgenossen eingegangen. Das wird als Kränkung aufgefasst, ausserdem lockt wohl auch das Abenteuer.

Mit Wein besänftigt

Die Gesellen vom törichten Leben basteln sich in der Folge eine Fahne mit einem Eber und einem Streitkolben drauf – als Zeichen von Unzufriedenheit – und bereiten ihren Kriegszug vor.

Der führt sie dann bis ins Waadtland, wo sie am 4. März gestoppt werden können. Genf muss sofort mehrere Tausend Gulden locker machen, um die 1’700 wilden Männer zu besänftigen. Diese bekommen ausserdem alle ein Handgeld und werden auf Kosten der Genfer bewirtet; erhalten dabei mehrere Fässer Wein geschenkt.

Vier Jahre lang dauert die Staatskrise

Die Folge ist indes eine mehrjährige Staatskrise, die erst mit dem Stanser Verkommnis von 1481 beigelegt wird. Denn die eidgenössischen Städte, welche dabei waren, mit Frankreich und Savoyen zu verhandeln, waren nicht amüsiert, dass ein wilder Haufen von Männern aus den Länderorten ohne Bewilligung ihrer Regierung die Initiative ergriff und auf eigene Faust und Rechnung einen Saubannerzug durchführte.

Die Brüder vom torechten Leben sammeln sich nach der Rückkehr von der Schlacht bei Nancy an der Zuger Fasnacht unter dem blauen Banner mit Kolben und Sau.

Die Brüder vom torechten Leben sammeln sich nach der Rückkehr von der Schlacht bei Nancy an der Zuger Fasnacht unter dem blauen Banner mit Kolben und Sau.

(Bild: Berner Chronik 1483)

Wein und Schnaps stehen im Angebot

Was lernen wir daraus für die Zuger Fasnacht? Dass die Kriegsknechte gern feierten und tranken, ist offensichtlich. Im Angebot stand zu allererst Wein, der damals an vielen Sonnenhängen der Umgebung angebaut wurde. Wie gut der war, bleibe dahingestellt.

Bekannt ist, dass der Wein im Mittelalter oft mit Wasser verdünnt und gelegentlich mit Honig gesüsst wurde, sagt Stadtarchivar Thomas Glauser – oder sogar gewürzt. «Aber die Leute waren damals sicher etwas härter im Nehmen als wir heutigen», meint er. Daneben wurden auch Äpfel zu Most verarbeitet. Und wo gemostet wird, da wird auch aus Trester Schnaps gebrannt. Beides – Most und «Bräntz» – werden in den Ratsprotokollen ausdrücklich erwähnt.

Holdrio statt Kaffee Schnaps

Destillierte Getränke beginnen in Europa in den folgenden Jahrzehnten eine zunehmend grössere Rolle zu spielen. Also wäre denkbar, dass die alten Zuger schon Holdrio tranken – das Gemisch aus Hagebuttentee und Zwetschgenbrand. Kaffee Schnaps hingegen ist ausgeschlossen, denn Kaffee war 1477 noch unbekannt.

Bier hingegen scheint zunächst eine geringere Rolle gespielt zu haben –  erst ab dem späten 17. Jahrhundert wurde es auf dem Zuger Markt gehandelt und mit einer entsprechenden Steuer belegt.

Stadt sorgt für musikalische Unterhaltung

Um eine Vorstellung zu gewinnen, wie 1477 gefeiert wurde, muss man auf spätere Meldungen zurückgreifen. Die Zuger Fasnacht lässt sich laut Glauser ab 1500 lückenlos nachweisen. So wird sie in den Protokollen des Stadtrats in den folgenden Jahrhunderten immer wieder bezeugt. «Typischerweise dann, wenn der städtische Rat regulierend einzugreifen hatte», so Glauser. 

In den Protokollen häufig behandelt wurden die Spielleute an der Fasnacht, die zum Teil von der Stadt beauftragt und bezahlt wurden. Es gab also schon früh musikalische Unterhaltung.

Fasnachtsküchlein geben viel zu reden

Ein wiederkehrendes Thema war ein typisches Gebäck, das schon seit Jahrhunderten zur Karnevalszeit gegessen wird: die Fanachtsküchlein. Daran störte sich die Obrigkeit, verschiedentlich wurde das Ausgeben von Fasnachtsküchlein verboten und insbesondere das Betteln um die Leckereien trieb den städtischen Rat zur Weissglut.

Weiter muss die Zuger Fasnacht früher oft laut und ausgelassen gewesen sein, man schoss in die Luft und es wurde viel getanzt. Dies lässt sich daraus ableiten, dass der Rat zur Fasnachtszeit Lärm- und Schiessverbote erliess und sich wiederholt mit Nachtruhestörungen auseinandersetzte.

Tanzen unter Aufsicht

Ausserdem verhängte er in späterer Zeit Tanzverbote oder verfügte, dass jeweils nur im Rathaus getanzt werden dürfe. Frei nach dem Motto: Maskenball ja, aber nur dort, wo leicht kontrolliert werden kann.

Ein interessanter Punkt ist das Entfachen von Fasnachtsfeuern, was der städtische Rat bisweilen verboten hat. Es liegt auf der Hand, dass offene Feuer in einer mittelalterlichen Stadt wegen der Brandgefahr gefährlich waren – aber es waren wohl nicht einfach Feuer gemeint, an denen sich die Fasnächtler in den Gassen wärmten, sondern grosse Holzstösse, auf denen man einen Böögg wie in Zürich verbrennen kann.

Symbolisches Winteraustreiben mit Feuer

Jedenfalls galt das Feuerverbot nicht nur für die eigentliche Stadt, sondern fürs ganze Gemeindegebiet – und natürlich fürs städtische Untertanenland, zu dem Walchwil, Cham, Steinhausen, Risch, Hünenberg und Oberrüti gehörten.

Was mit den Fasnachtsfeuern erreicht werden sollte, ist nicht überliefert. Doch viele Fasnachten in der Schweiz enden heute noch mit einem Feuer – in Baar zum Beispiel geht am Schluss der Räbechüng in Flammen auf, in Schwyz explodiert beim abschliessenden Blätzverbrennen am Güdeldienstag ebenfalls ein Art Böögg, im Kanton Uri gibt’s dieses endwinterliche Brauchtum in jedem zweiten Dorf.

Kostümierung bleibt ein Rätsel

Wie die Zuger Fasnächtler einst kostümiert waren und ob sie es überhaupt waren, ist unbekannt. Der Begriff des Narren, der für einen Spassmacher steht, welcher sich überdies lächerlich anzieht, legt solches nahe. Und auf den Narren nahmen die Gesellen vom törichten Leben im Jahr 1477 ausdrücklich Bezug.

Denn töricht ist das Adjektiv zu Tor – und das ist bekanntlich ein Narr. Die Teilnehmer am Saubannerzug hätten sich also geradeso gut Gesellschaft zum närrischen Treiben oder Zuger Fasnachtsvereinigung nennen können. Allerdings zeigt 1483 eine Darstellung in der Berner Chronik die Brüder vom törichten Leben unverkleidet vor der Stadt Zug. Wobei sie gemäss der Überlieferung erst am Donnerstag nach Aschermittwoch, also wohl ausgenüchtert in Richtung Welschland aufbrachen.

Greth Schell hatte einiges zu tragen...

Greth Schell hatte einiges zu tragen…

Greth Schell war nie verheiratet

Wie auch immer: Zug-typische Fasnachtsgestalten tauchten erst später auf – das Greth-Schell-Brauchtum am Güdelmontag mit den sieben Lölis wird von der Zunft der Schreiner, Drechsler und Küfer seit dem 19. Jahrhundert gepflegt, einzelne Löli-Gestalten wie «der Uneheliche» sind sogar erst im 20. Jahrhundert entstanden.

Die Fasnachtgestalt der Greth Schell, die der Sage nach ihren trunkenen Mann jeweils aus der Beiz holen musste, um ihn Huckepack heimzutragen, bildet eigentlich einen erfundenen Sachverhalt ab: Denn die wirkliche Margarethe Schell lebte im 18. Jahrhundert in der Stadt Zug, war eine strenge und gefürchtete Lehrerin und überdies nie verheiratet.

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