Sterbebegleiterin erzählt von den letzten Stunden

Wie eine Zugerin dem Tod immer wieder ins Auge blickt

Anita Renggli am Zugersee: Die 64-Jährige begleitet Menschen, die im Sterben liegen.

(Bild: pze)

Die Zugerin Anita Renggli bietet ihre helfende Hand für Menschen, die im Sterben liegen. Sie ist eine von 25 Sterbebegleitern im Kanton Zug, die vor allem nachts bei schwerkranken Menschen verweilen. Die Erfahrungen durch ihre Tätigkeit haben ihre Sicht auf das eigene Leben merklich verändert.

Was denkt man in den letzten Momenten seines Lebens? Eine Frage, die viele Menschen beschäftigt; ist man glücklich, oder wehmütig? Vielleicht kennt Anita Renggli eine Antwort. Sie kümmert sich um Menschen, die ihre letzten Tage erleben.

Seit gut einem Jahr arbeitet sie für Hospiz Zug als freiwillige Sterbebegleiterin. Sie begleitet schwer kranke und sterbende Menschen. Sie verbringt dabei vor allem die Nacht, sprich die Zeit zwischen 22 und 5 Uhr bei den «Patienten», wie sie die Menschen nennt.

Erzählen von früher

Wenn sie zu einer Begleitung gerufen wird, fühle sie sich meist ruhig, sagt Renggli. Oft sei sie einfach da, und verbringe die Nacht im Zimmer. oder in der Nähe des Patienten. Bei einer Person Sitznachtwache zu halten sei manchmal auch ein Aushalten der gegebenen Situation, sagt sie.

«Wenn ich die Menschen am Morgen verlasse, erfüllt mich oft ein Gefühl der Befriedigung.»

Die Menschen, die Anita Renggli begleitet, seien oft zu verwirrt zum Sprechen, doch sie spüren ihre Präsenz Sie lässt die Sterbenden ruhiger werden. Dazu reiche ein leichter Körperkontakt oder ein beruhigendes Wort. «Es gibt aber auch Begegnungen wo Geschichten von früher erzählt werden, wo die Familie, der Beruf oder andere Erlebnisse in der Erinnerung sind». Es könne den Menschen die Angst nehmen, sagt sie.

«Wenn ich die Menschen am Morgen verlasse, erfüllt mich oft ein Gefühl der Befriedigung», sagt Renggli. Sie meint es in dem Sinne, dass sie spürt und erlebt, geholfen zu haben. Und zwar nicht nur der sterbenden Person.

Die Sterbebegleiter entlasten Pflegepersonal in Spitälern und Altersheimen, aber auch immer mehr Angehörige, die eine sterbende Person zu Hause pflegen. «Die letzten Tage eines Menschen können auch für das engste Umfeld belastend sein. Man will eine sterbende Person nicht alleine lassen und ist deshalb rund um die Uhr eingespannt», sagt sie. Der freiwillige Einsatz verschaffe allen Nahestehenden Entlastung und vermittle ihnen Sicherheit, dass sie in Ruhe schlafen können.

Kurs in Zürich besucht

Der Wunsch, Sterbebegleiterin zu werden, sei bei ihr vor rund acht Jahren zum ersten Mal aufgetaucht. Eine Kollegin, die für Hospiz Zug arbeitet, habe ihr von der Tätigkeit erzählt und weckte ihr Interesse.

Sie suchte nach Ausbildungsmöglichkeiten. Im Kanton Luzern wurden von der Caritas Kurse angeboten, jedoch nur am Donnerstag. Durch ihren Beruf als Musiklehrerin konnte sie sich dies aber zeitlich nicht einrichten. «Ich legte es auf die Seite», sagt sie, «doch es hat mich in Gedanken nie mehr losgelassen.» Sie fand einen Kurs bei Caritas Zürich. Dieser dauerte acht ganze Samstage, was neben ihrem Beruf machbar war.

Palliativpflege

Palliative Pflege bedeutet, dass die Linderung des Leidens im Vordergrund stegt. Die Behandlung verfolgt das Ziel, unheilbar kranken und sterbenden Menschen ein würdiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und dies unabhängig vom Ort. Es werden keine lebensverlängernden Massnahmen mehr eingesetzt.

Nach dieser Ausbildung meldete sie sich bei Hospiz Zug. Bei der ersten Sitznachtwache wurde Anita Renggli durch eine erfahrene freiwillige Begleitende eingeführt. «Nach zwei Stunden fühlte ich mich sicher genug, um die restliche Nacht alleine beim Patienten zu bleiben», erzählt sie. Inzwischen ist sie Teil eines rund 25-köpfigen Zuger Teams.

Für die letzte Ruhe kleiden

Anita Renggli war noch nie dabei, als ein Mensch starb, obwohl sie seit rund einem Jahr fast wöchentlich bei jemandem die Sitznachtwache hält. Angst vor dem ersten Mal hat sie nicht. «Ich würde bei diesem Menschen sitzen, eventuell die Hand halten oder sachte den Arm berühren und ihn mit stillen Gedanken auf seinem letzten Weg begleiten», sagt sie.

Sei ein Patient zu Hause, würde sie die Angehörigen, wenn gewünscht, wecken. Sterbebegleiter seien weder Pflegende noch Arzt –  sie sind, wie der Name sagt, Begleitende in den letzten Tagen und Stunden.

«Manchmal zünde ich eine Kerze für jemanden an und wünsche, dass die Person den Weg gehen kann, den sie muss.»

«Wenn die Angehörigen es wünschen, würde ich helfen, die verstorbene Person bereit zu machen», sagt Renggli. Das heisst waschen und für die letzte Ruhe kleiden. «Dann würde ich auch noch einen Moment mit den Angehörigen verbringen, wenn dies gewünscht wird. 

Krankheiten stimmen nachdenklich

Der Umgang mit dem Sterben verändert sich, steht man ihm so oft gegenüber wie Anita Renggli. Furcht habe sie keine, sagt die Zugerin. Ihre Gefühle bei Ihren Einsätzen seien denn auch nie negativ. «Manchmal wünsche ich mir für die Menschen, dass sie friedlich, würdevoll und ruhig einschlafen können», sagt sie.

Das Thema Krankheit stimme sie nachdenklich. «Man lernt viel über Leiden, die einen treffen können, gerade im Alter». Wenn jemand stark dement ist oder lange gepflegt werden musste, das beschäftigt mich schon.» Anita Renggli kennt die Situation der Angehörigen, sie hat auch ihre eigene Mutter im Sterben begleitet. «Am Tag, an dem sie starb, wehte ein starker Wind. Ich sass an ihrem Bett und habe mir gewünscht, der Wind würde ihre Seele forttragen», erzählt sie.

Nach einer langen Nacht: den Kopf durchlüften

Eine gewisse Spiritualität brauche man sicher, meint Anita Renggli. Sie selber ist gläubige Christin. Man müsse jedoch nicht praktizierend religiös sein, um Sterbebegleiterin oder Sterbebegleiter zu werden. «Ein Herz voller Nächstenliebe, Ruhe, Geduld und Gelassenheit, das sind wichtige Eigenschaften», sagt sie. «Manchmal zünde ich eine Kerze für jemanden an und wünsche, dass die Person den Weg gehen kann, den sie muss.»

Die Tage nach einer Sitznachtwache verbringt Anita Renggli nicht mit Schlafen. Nur rund fünf Stunden bleibe sie im Bett, danach zieht es sie nach draussen. Spazieren, Velofahren, aktiv sein, den Kopf durchlüften. «So kann ich abschalten», meint sie.

Sterbebegleitung in der Pension

Die Reaktionen von Menschen auf ihre Tätigkeit sind unterschiedlich. Oft seien sie positiv, doch gewisse Leute seien auch überrascht und sagen: ‹Das könnte ich nie!›, erzählt sie schmunzelnd. Auch ihr Mann war zunächst skeptisch. «Er hat eine grössere Distanz zum Thema. Doch seit ich die Sterbebegleitungen mache, zeigt er mir, dass er stolz auf mein Engagement ist.» Ihre beiden Kinder, 33 und 35 Jahre alt, zeigten sich beide sehr interessiert, sagt sie.

«Es ist Anfang und Ende des Lebens, das ich gerade sehr intensiv erlebe.»

Ihren Beruf als Musiklehrerin übt sie noch bis im Sommer des nächsten Jahres aus, dann folgt die Pension. Ein neuer Lebensabschnitt für Anita Renggli. «Den Begleitungen schwer kranker und sterbender Menschen, werde ich mich auch im Pensionsalter widmen können», sagt sie.

Man spürt die spezielle Art und Weise, mit der die Zugerin mit dem Leben umgeht. Inzwischen sei sie Grossmutter. «Es ist Anfang und Ende des Lebens, das ich gerade sehr intensiv erlebe. Das ist sehr speziell.» Der Tod habe seinen Schrecken inzwischen verloren, sagt Renggli. Man will es der lebensfrohen Frau glauben.

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