«Leaf to root»: Ganzheitliches Kochen in Hünenberg

Was sich aus Karottenstielen und Selleriegrün zaubern lässt

Sebastian Rabe kocht, was er in der Umgebung findet: Momentan spriesst in den Wäldern der Hünenberger Reussebene der Bärlauch.

 

(Bild: Peter R. Egli)

Nach «nose to tail» kommt «leaf to root». Nicht nur alles vom Tier, sondern auch alles vom Gemüse verwerten – das will Sebastian Rabe, neuer Küchenchef im Restaurant Wart. Dabei will er nicht nur 15 Gault-Millau-Punkte verteidigen, sondern beabsichtigt mittelfristig auch, einen Michelin-Stern nach Hünenberg zu holen.

Küchenabfälle im klassischen Sinn gibt es für ihn nicht. Sebastian Rabe, Küchenchef im traditionsreichen Restaurant Wart, verwertet alles – vom Huhn und Lamm ebenso wie von der Karotte oder der Zwiebel. Schalen, die andere achtlos in den Grünabfall werfen, röstet er und kocht aus ihnen einen Fond.

«Wenn ich die Wahl habe, Lauch mit oder ohne Wurzel zu kaufen, dann kaufe ich ihn immer mit Wurzel», sagt Rabe. Die scheinbar unnützen Teile kann er dünsten, schmoren, rösten und allenfalls auch pulverisiert weiterverarbeiten.

Alles hat seinen Wert. Diese Teile ergeben einen feinen Fond.

Alles hat seinen Wert. Diese Teile ergeben einen feinen Fond.

(Bild: zvg)

Sebastian Rabe steht für eine neue Bewegung in der Küche – eine, die nicht nur alles vom Tier verwerten will und nach dem Leitspruch «nose to tail», von der Nase zum Schwanz, kocht. Sondern eine, die auch Stiele, Schale oder Kerne von Gemüsen verwertet – also alles vom Blatt zur Wurzel, von «leaf to tail», verwendet.

Was man im Ennetsee findet

Rabe ist seit November auf seinem Posten. Seine Vorgängerin hatte das geschichtsträchtige Haus über 20 Jahre lang als gutbürgerliches Restaurant mit herkömmlicher Karte geführt, Rabe bringt nun neuen Wind in die «Wart». Zuvor war der 35-jährige gebürtige Koblenzer im «Roots» in Basel, davor im «Pur» in Pfäffikon gewesen.

Er verwertet nun auf kreative Weise das, was die Natur in seiner näheren Umgebung täglich hervorbringt. «Unsere Produkte stammen eigentlich alle aus der Umgebung von zehn Kilometern», erzählt er. Wild hat man sich aus Hünenberger Jagd gesichert, Gemüse steht vom bekannten lokalen Produzenten Boog zur Verfügung.

Lesen Sie dazu unser Porträt über Edgar Boog

Nicht gebrauchte Teile des verwendeten Tiers hat Stefan Rabe eingeschweisst, um es anstelle von Bauchspeck zu verwenden.

Nicht gebrauchte Teile des verwendeten Tiers hat Stefan Rabe eingeschweisst, um es anstelle von Bauchspeck zu verwenden.

(Bild: mam)

Geschichten, die das Terroir schreibt

Doch das reicht dem Küchenteam nicht. Gleich hinter dem barock bemalten Haus legen sie sich einen eigenen Garten an – ein ziemlich grosses Stück Land ist umgepflügt und wartet auf Aussaat und Bepflanzung.

Historisches Versammlungshaus

Die Wart ist das historische politische Zentrum Hünenbergs. Im Gesellenhaus, das in seiner heutigen Form aus dem Jahr 1703 stammt, wurden alle Rats- und Gemeindeversammlungen abgehalten. Unweit davon liegt der Lindenplatz – ein Steinkreis unter Bäumen, wo in alten Zeiten der Schwörtag stattfand und Gericht gehalten wurde.

Bei unserm Besuch gabs als Vorspeise Blattsalat oder Rehravioli mit Bärlauch. Als Hauptgänge eine vegetarische Pie mit Zucchetti, Ziegenkäse und Kresse; Forelle und Saibling mit Erbsen, Fenchel und Kartoffeln; Küken mit Kartoffeln, Spinat und Heu … oder aber Kalbskarree mit einer Gemüseauswahl des Hünenberger Produzenten Boog. Dazu verschiedene tagesfrische Desserts. Die Preise sind fair.

«Es geht uns darum, dass unser Personal bei der Arbeit mit den Pflanzen auch die Wertigkeit unserer Produkte kennen und schätzen lernt.» Und dann verarbeite man, «was die Natur uns so schenkt».

Mit seinen Kreationen will Rabe Geschichten aus dem Ennetsee erzählen. Gemüse kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, denn es ist nicht nur Beilage, sondern kündet mit seinem Geruch und Geschmack von der Krume. Vom Wald, von der Jahreszeit und den Träumen, die sie beim Koch evozieren.

Gewöhnung braucht Zeit

Beim Fleisch konzentriert sich Rabe auf die «second cuts». «Aber keine Angst, wir bieten auch mal Entrecôte an.» Überhaupt müsse man das Publikum langsam an die neue Art des Kochgenusses heranführen.

«Nach einer langen Zeit unter dem gleichen Wirt sind wir einfach diejenigen, die danach kommen», erzählt Peter Egli, der als Pächter Sebastian Rabe und dem Serviceteam zur Seite steht. Beim einheimischen Publikum habe es eine Weile gedauert, bis es wieder vermehrt in der Wart essen gegangen sei.

Im Restaurant Wart fanden früher die Gemeindeversammlungen von Hünenberg statt.

Im Restaurant Wart fanden früher die Gemeindeversammlungen von Hünenberg statt.

(Bild: mam)

«Wir tun alles, um die Hünenberger von uns zu überzeugen», sagt Egli. Man sei stolz, in der historischen Wart zu kochen – quasi in der guten Stube der Hünenberger.

Hipsterküche auf dem Land

«Ich bin sicher, dass ‹leaf to root› in der Stadt als Konzept einschlagen würde», meint er. Doch hier brauche es eine Weile, bis man sich ans Neue gewöhne.

«Wir sind hier auf dem Land, und daher liegt es nahe, dass wir auch voll auf Produkte setzen, die wir vor Ort finden.» Was mindestens Gourmets und Foodies aus Zürich, Zug oder Luzern zu schätzen wissen.

Nach einer mehrmonatigen Startphase, die auch Veränderungen im Servicebereich mit sich brachte, sind Rabe und Egli «recht zufrieden» mit dem Geschäftsgang – «vor allem am Abend». Das schöne Stücklein Fleisch gibt’s immer noch in der Wart, ebenso die gute Flasche Bordeaux, welche die Lieblingsweine von Sommelier Egli aus Mallorca, dem spanischen Priorat oder der Südpfalz ergänzen.

Ente – ebenfalls ein heimischer Vogel.

Ente – ebenfalls ein heimischer Vogel.

(Bild: zvg)

Aber in gewissen Bereichen machen die beiden keine Zugeständnisse. Erdbeeren ausserhalb der Saison oder die üblichen Renommiergerichte wie Riesencrevetten, die nicht einheimisch sind, wird man in der neuen Wart vergeblich suchen.

Kimchi aus Rotkraut

Dafür gibt es neue Geschmackserlebnisse aus Produkten von hoher Qualität. Bekanntes wird neu interpretiert. Auf der Karte stand schon Metzgete vom Reh statt vom Schwein, weil man so das ganze Tier verwerten kann. Oder Kimchi – koreanisches Sauerkraut –, welches aus Rotkraut statt aus Chinakohl bereitet wird, weil dieses Gemüse hier eben seit jeher gegessen wird.

«Gewiss», sagt Sebastian Rabe, «wenn man alles am Produkt verwendet, bedeutet dies mehr Aufwand.» Aber es benötige vor allem auch Liebe und Erfahrung.

Damit hat sich Rabe in der Vergangenheit schon 15 Gault-Millau-Punkte erkocht. Mittelfristig soll ein Michelin-Stern hinzukommen. Wenn der Acker hinter der Wart bestellt ist und die Leute im Ennetsee erkannt haben, was sich Tolles aus Karottenstielen, Tomatenhaut, Petersilienwurzel oder Selleriegrün zaubern lässt.

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