Niklaus Flütsch sprach an Erzählnacht in Cham

«Aus meiner Zeit als Frau vermisse ich nichts»

Seit Niklaus Flütsch 46 Jahre alt ist, lebt er als Mann.

(Bild: wia)

Was, wenn man im falschen Körper geboren wird? Niklaus Flütsch sprach im Rahmen der Schweizer Erzählnacht 2017 über seine «Metamorphose» von der Frau zum Mann. Und über die Wichtigkeit der Sensibilisierung, ungeliebte Schubladen und unangebrachte Fragen zum Thema Trans.

«Aus meiner Zeit als Frau vermisse ich nichts», liest Niklaus Flütsch laut vor. «Es gibt keinen Augenblick, in den ich mich zurücksehne. Auch habe ich meine Brüste nie vermisst.» Im Raum ist es mucksmäuschenstill.

«Mutig, mutig», ist das Motto, unter dem die diesjährige Schweizer Erzählnacht steht. Und der Mensch, der am Freitagabend in Cham vor vielen Leuten aus seinem Leben erzählt, ist in der Tat mutig.

Indianer statt Puppen

Niklaus Flütsch ist ein gutaussehender Mann, wirkt selbstsicher und zugänglich. Als Gynäkologe geniesst er beruflich ein hohes Ansehen. Der Weg hierhin war jedoch kein leichter, wie man aus dem Buch «Geboren als Frau, glücklich als Mann» erfährt, aus dem er vorliest. Flütsch wurde als Mädchen geboren und aufgezogen. Auch wenn es für ihn als Mädchen bereits damals viel natürlicher gewesen sei, herumzurennen und Indianer zu spielen, anstatt sich mit Puppen zu befassen und Röcke zu tragen.

Niklaus Flütsch liest aus seinem Buch «Geboren als Frau – glücklich als Frau»
Niklaus Flütsch liest aus seinem Buch «Geboren als Frau – glücklich als Mann»

(Bild: wia)

Schon in früher Kindheit merkte er, dass da etwas nicht stimmte. Was genau, sollte das Mädchen erst viel später definieren können. Sein Körper war ein weiblicher, die Identität jedoch männlich. Entsprechend problematisch sei es dann in der Pubertät geworden. Es folgten schwierige Zeiten, Flütsch entwickelte als Jugendliche Depressionen. «Die Trans-Identität ist ein ganz schambehafteter Teil in mir», liest Flütsch über diese Zeit. «Die Wissenschaft wollte einem weismachen, dass man als Transmensch eine Missgeburt sei; zwischen Borderline und Psychose.»

«Innerlich hatte sich nichts verändert. Aber nun war ich in einer anderen, endlich stimmigen Verpackung.»

Niklaus Flütsch

Und erst viele Jahre später, nachdem Flütsch sich bereits intensiv mit dem Gedanken einer Geschlechtsanpassung befasst hatte, mit 46 Jahren, fiel der Entscheid, den definitiven Schritt zu wagen: Er liess die nötigen Behandlungen durchführen, um auch äusserlich als Mann zu erscheinen. «Innerlich hatte sich nichts verändert. Aber nun war ich in einer anderen, endlich stimmigen Verpackung.»

Auszüge aus einer Metamorphose

2014 hat Niklaus Flütsch sein Buch «Geboren als Frau, glücklich als Mann. Logbuch einer Metamorphose» veröffentlicht. In diesem Tagebuch beschreibt Flütsch seinen Weg von der Kindheit als Mädchen bis zur Geschlechtsanpassung zum Mann. Anlässlich der Erzählnacht 2017 zum Thema «Mutig, mutig!» hat der gebürtige Prättigauer aus seinem Buch vorgelesen. Flütsch ist verheiratet und arbeitet als Gynäkologe im Zuger Kantonsspital und in eigener Praxis.

Noch immer steht ein «F» im Pass

Als Niklaus Flütsch aufhört zu lesen, kommen sogleich erste Stimmen aus dem Publikum. Die erste gehört einer Person im Pensionsalter. Sie sei bereits bei der ersten Lesung zu Flütschs Buch dabeigewesen, damals, vor drei Jahren. Und mittlerweile habe sie endlich selber den Schritt gewagt und sich als Frau geoutet. «Das war eine grosse Befreiung», sagt sie.

Eine andere Person wendet sich mit einer Frage an Flütsch. Wie das für ihn sei, dass in seinem Pass noch immer ein «F» statt ein «M» stehe. Denn wohl konnte Niklaus Flütsch seinen Vornamen ändern, eine Anpassung des Geschlechts in amtlichen Dokumenten gestaltet sich in der Schweiz jedoch als deutlich komplizierter.

«Ich frage mich, warum Deutschland mit einer dritten Geschlechtsbezeichnung noch eine weitere Schublade öffnet, anstatt sie allesamt abzuschaffen.»

Niklaus Flütsch

Flütsch schmunzelt und erzählt: «Tatsächlich hat mir das am Flughafen noch nie Probleme bereitet. Einmal fragte ich die Zollbeamtin aus Neugier, ob sie sich denn nicht störe an dem ‹F› im Pass, und sie fragte mich, wo denn da ein ‹F› stehe. Es ist ihr gar nicht aufgefallen.» Und er ergänzt: «Ehrlich gesagt, bin ich kein grosser Fan von diesen Schubladen. In Deutschland wird bald eine dritte Geschlechtsbezeichnung eingeführt. Doch ich frage mich, warum man noch eine dritte Schublade öffnet, anstatt sie allesamt abzuschaffen.»

«Ein Kind weiss oft erstaunlich genau, was es selber ist.»

Niklaus Flütsch

Die Menschen in unserer Gesellschaft können so viele Dinge ausprobieren, sagt Flütsch. Doch wenn es um die sexuelle Identität gehe, höre diese Toleranz auf. «Sobald ein Junge eine Masche in den Haaren trägt, wird er als Provokation wahrgenommen. Dabei sollte man doch eher davon ausgehen, dass es viele Leute gibt, die irgendwo zwischendrin sein möchten.»

Welche Fragen gehen zu weit?

Als sich die Veranstaltung dem Ende zugeneigt hat und sich die meisten Leute bereits in die Nacht hinaus verabschiedet haben, nutzen wir die Gelegenheit, um Niklaus Flütsch noch zwei weitere Fragen zu stellen. Aktuell wird das Thema Trans-Kinder medial stark behandelt. Was hält Flütsch davon, dass es beispielsweise Ferienlager gibt, die explizit für Transkinder durchgeführt werden? Braucht es das? «Unbedingt. Ein Kind weiss oft erstaunlich genau, was es selber ist. Und wenn man dieser Tendenz Raum gibt, lernt es, besser damit umzugehen.» Doch grundsätzlich müsse diese Sensibilität auch in öffentlichen Schulen passieren, sagt Flütsch. «Doch sind wir betreffend Trans meines Erachtens bereits auf einem sehr guten Weg», ist er sich sicher.

An dem Abend wurden Flütsch sehr viele interessante, aber auch intime Fragen gestellt. Gibt es denn auch solche, die zu weit gehen? «Ja, die gibt es. Wenn jemand etwa wissen will, wie ich früher hiess oder frühere Bilder von mir sehen will. Oder die Frage, ob ‹da unten alles operiert sei›.»

Die Chamer Bibliothek war zum bersten voll.
Die Chamer Bibliothek war zum bersten voll.

(Bild: wia)

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