Pleiten, Pech, Pannen: Der langsame Dorfbeizen-Tod

Wie krank ist eigentlich die Zuger Gastronomie?

Oberägeri rechnet mit einem Minus 2020. (Bild: PD)

In verschiedenen Zuger Gemeinden stehen bekannte Gasthäuser leer. Hohe Kosten und ausbleibende Gäste machen den Wirten zu schaffen. Manchmal gibt’s auch Knatsch mit den Hausbesitzern. zentralplus schildert einige Fälle und spricht mit einem Zuger Gastroexperten.

Verschiedene Dorfbeizen im Kanton Zug sind geschlossen und laut Inseraten zu vermieten. Das Restaurant Bären in Oberägeri sucht auf 1. Oktober einen neuen Pächter. Schon wieder, ist man versucht zu sagen.

Vor drei Jahren sorgte ein vom lokalen Treuhänder und «Bären»-Stammgast Michael Senn publik gemachter Knatsch der beliebten Pächter Margrith Giglio und Peter Steiger mit der Hausbesitzerin für böses Blut in der Berggemeinde.

«Bären»-Pächterin in Oberägeri muss kürzertreten

Senn kritisierte die Erhöhung des Pachtzinses um 2’000 Franken im Monat und sprach von «Abzocke». Die Hausbesitzerin Heidy Merz Iten begründete die Erhöhung mit notwendigen Investitionen von über 100’000 Franken. Es sei damals um die Verlängerung des Pachtvertrags gegangen, sagt die Besitzerin heute auf Anfrage gegenüber zentralplus. «Dazu äussere ich mich aber nicht mehr», sagt die pensionierte Bürgerschreiberin und Unternehmerin.

«Wenn man viel und hart arbeitet, läuft das Geschäft.»
Heidy Merz Iten, Hausbesitzerin, Oberägeri

Der Grund, dass die heutige «Bären»-Pächterin aufhöre, sei ihre Schwangerschaft. Wegen des Kinds wolle sie kürzertreten, sagt die Hausbesitzerin gegenüber zentralplus.

Von einer Krise der Dorfbeizen will die Vermieterin nichts wissen. «Wenn man viel und hart arbeitet, läuft das Geschäft», sagt Iten. Sie selbst habe im «Bären» lange gewirtet und sei 14 bis 16 Stunden auf den Beinen gewesen. Wenn man aber nur zeitweise offen habe, erwirtschafte man nicht genügend Rendite, sagt die Hausbesitzerin. Der «Bären» sei im Übrigen ein Dorfrestaurant «mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis», fügt sie hinzu.

Treuhänder Michael Senn will sich zum «Bären» nicht mehr äussern. Er rief 2014 die E-Mail-Adresse [email protected] ins Leben. «Ich habe Reaktionen erhalten, die Adresse aber bald wieder gelöscht», sagt er zentralplus.

Ein Foto aus besseren Zeiten. Das Restaurant Lido in Oberägeri ist momentan geschlossen.

Ein Foto aus besseren Zeiten. Das Restaurant Lido in Oberägeri ist momentan geschlossen.

Pächter des Restaurants Lido wechseln nach Edlibach

Auch das Restaurant Lido in Oberägeri ist seit 1. Juli geschlossen. Es war die letzten Wochen zur Neuvermietung ausgeschrieben. Es ist mit 70 Plätzen und einer Terrasse mit 100 Plätzen eines der grösseren Lokale der Region. Der Grund für den Pächterwechsel: Das bisherige Wirtepaar Zoran und Zorana Obradovic wechselt in den «Edlibacherhof», wo das Wirtepaar Hegglin-Rohner in Pension geht. Obradovics haben deshalb ihren Pachtvertrag in Oberägeri vorzeitig aufgelöst und fangen am 1. September in Edlibach an.

Idealistisch: So stellte sich der  Wirt des Cafés am Dorfplatz, Lorenz Trost, das Walchwiler Dorfleben vor. Er wollte einen Markt ins Leben rufen.

Idealistisch: So stellte sich der  Wirt des Cafés am Dorfplatz, Lorenz Trost, das Walchwiler Dorfleben vor. Er wollte einen Markt ins Leben rufen.

(Bild: zvg)

«Loris Coffee Bar» in Walchwil ging Konkurs

Zu verpachten ist auch das erst 2015 erbaute Café am neuen Dorfplatz von Walchwil. Das Lokal gehört der Gemeinde Walchwil und wird von dieser vermietet. Der erste Pächter Lorenz «Lori» Trost musste sein Lokal namens «Loris Coffee Bar» im Frühling 2017 schliessen und hat laut Handelsregistereintrag Konkurs angemeldet. Er konnte die Pensionskassenrechnungen nicht mehr bezahlen. Ausserdem hatte er gegen ziemlich alle existierenden Regeln des Brandschutzes verstossen und alles verbaut, ist bei der Gemeinde zu erfahren.

Nun ist das Café zur Verpachtung ausgeschrieben. Es heisst neu «Riviera Café». Laut dem Walchwiler Gemeindeschreiber René Arnold hat der Gemeinderat die Namensänderung beschlossen. «Der erste Pächter hatte den Namen des Lokals noch selbst gewählt. Das wollte der Gemeinderat aber nicht mehr und hat deshalb einen Grundsatzentscheid gefällt.»

Der Gemeinderat musste sich Vorwürfe von Einwohnern anhören, dass der Pachtzins womöglich zu hoch sei. «Er ist bewusst nicht hoch angesetzt, beträgt im ersten Jahr exklusive Nebenkosten 2’000 Franken monatlich und steigt dann mit der Staffelmiete leicht an», sagt René Arnold, «ab dem dritten Jahr beträgt er 3’000 Franken und wird indexiert. Das ist moderat», sagt René Arnold. Das wurde auch an der Gemeindeversammlung erklärt.

«Wir suchen weiterhin einen Pächter.»
Christoph Hürlimann, Besitzer des «Sternen» in Walchwil

Pächter des «Sternen»: Schluss aus gesundheitlichen Gründen

Ob der poetische Name Café Riviera zum Erfolg beitragen wird, steht also noch in den Sternen. Apropos «Sternen»: Das frühere  Gourmetlokal in Walchwil steht ebenfalls schon länger leer. Es war wegen Spitzenkoch René Weder während 18 Jahren eine besondere, wenn nicht gar die Adresse für Feinschmecker im Kanton Zug. Die letzten Pächter, Heimo Franz und Sandra Anliker, mussten den Betrieb aus gesundheitlichen Gründen nach kurzer Zeit aufgeben.

Das Restaurant Sternen an der Dorfstrasse 1 in Walchwil steht seit knapp vier Monaten leer.

Das Restaurant Sternen an der Dorfstrasse 1 in Walchwil steht seit knapp vier Monaten leer.

(Bild: mbe.)

Suche nach Nachfolgern läuft

Und wie geht’s weiter in den erwähnten geschlossenen Dorfbeizen? Die Suche nach einer Nachfolge im «Bären» in Oberägeri ist bereits weit fortgeschritten. «Wir haben verschiedene Bewerber, aber noch ist nichts entschieden», sagt Heidy Merz Iten zentralplus.

Das «Lido» in Oberägeri wird bald vermietet sein: «Wir haben relativ schnell jemanden gefunden, obwohl der Wechsel sehr kurzfristig geschieht», sagt Franz Iten von der Vermieterin Abona Treuhand AG auf Anfrage. Es sei noch zu früh, um Namen oder ein Eröffnungsdatum zu nennen. «Wir stehen am Anfang der Vertragsverhandlung», erklärt der Abona-Geschäftsleiter.

Beim Rivieria Café in Walchwil liegen der Gemeinde laut Gemeindeschreiber René Arnold verschiedene Bewerbungen vor, die Gemeinde habe sich aber noch nicht entschieden. Zwischenzeitlich führt ein Team vom Alterswohnheim Mütschi das Café. Es wurde ihm versprochen, dass es den Betrieb mindestens ein halbes Jahr führen kann. «Wir haben uns ebenfalls als Pächter beworben», sagt Heimleiter Daniel Dossenbach.

Das frühere Walchwiler Gourmetlokal Sternen ist immer noch zu: Seit Ende März sucht der Hausbesitzer einen Nachfolger oder ein Wirtepaar, bisher ohne Erfolg. «Leider ist der Stand immer noch der gleiche wie im April. Wir sind weiter am Suchen», sagt Christoph Hürlimann auf Anfrage.

«Unsere Situation ist nicht anders als die vergleichbarer Gemeinden in der Schweiz.»
Tobias Hürlimann, Gemeindepräsident Walchwil

Walchwil: von acht Restaurants eines geschlossen

Von einem Beizensterben will man in Walchwil dennoch nichts wissen. «Nehmen Sie den ‹Engel› als Beispiel. Der konnte schnell mit einer neuen Pächterin wiedereröffnet werden», sagt der Walchwiler Gemeindeschreiber René Arnold. Gemeindepräsident Tobias Hürlimann findet ebenfalls, die Situation habe sich verbessert gegenüber früher. «Von unseren acht Dorfrestaurants in Walchwil ist eines geschlossen.»

Klar gebe es viel weniger Gaststätten als noch vor Jahrzehnten, als viel mehr Zuger nach Walchwil essen gingen. Hürlimann erwähnt den früheren «Löwen», die «Grafstadt», das 2003 abgebrannte «Hörndli» und das Hotel Zugersee. «Aber unsere Situation ist nicht anders als die vergleichbarer Gemeinden in der Schweiz.»

Bodenpreise im Ägerital extrem hoch

Die pensionierte Oberägerer Bürgerschreiberin Heidy Merz Iten, schwört – wie erwähnt – auf harte Arbeit als Erfolgsfaktor. Doch in einer Gemeinde wie Oberägeri, wo der Quadratmeter Land an guter Lage bereits 4’500 Franken kostet, liegt es wohl nicht nur an der harten Arbeit, ob jemand erfolgreich ist oder nicht.

«In den letzten Jahren zeigten die Grundstückspreise in Oberägeri nur in eine Richtung, steil nach oben.»
Immobilien-Experte

Ein Immobilien-Fachmann, der lieber nicht genannt sein möchte, erklärt zentralplus: «In den letzten Jahren zeigten die Grundstückspreise in Oberägeri nur in eine Richtung, steil nach oben.» Beizer steckten da in einem Dilemma: Die Vermieter erwarteten eine gewisse Rendite, welche die Pächter oft nicht liefern könnten. Dieses Problem könne man nur «managen», aber nicht lösen.

Da bleibt nichts anderes übrig, als fremdzugehen, wenn die Dorfbeizen reihenweise zu sind. Zum Beispiel in den Nachbarkanton Schwyz. Heidy Merz Iten nannte zentralplus ein Beispiel, wo die Dorfgastronomie noch funktioniere: «Mein Neffe führt den ‹Hirschen› in Sattel. Gehen Sie mal dort vorbei und überzeugen Sie sich selbst, was er daraus gemacht hat. Mittags und abends ist das Restaurant voll.»

Gastroexperte: «70 Prozent der Restaurants in Zug werden von Ketten geführt»

Gastroberater Michael Hostmann

Gastroberater Michael Hostmann

(Bild: Picasa)

Der Stadtzuger Michael Hostmann vom Kompetenzzentrum für das Gastgewerbe und die Hotellerie in Kriens berät Restaurants in der Zentralschweiz.

zentralplus: Herr Hostmann, viele Dorfbeizen in Zuger Gemeinden wechseln oft den Pächter oder machen den Laden dicht. Ist das Konzept Dorfbeiz tot?

Michael Hostmann: Viele traditionelle Dorfrestaurants sind einfach zu klein. Mit 20 Plätzen können sie nicht genug Rendite erwirtschaften, um einen Koch und Serviceangestellte zu bezahlen. Der Stammtisch ist tot. Die Einheimischen kommen seltener oder essen lieber auswärts in grösseren Ortschaften. Und auch der Kaffee, für den man früher in die Beiz ging, schmeckt vielen heute besser im Café oder der Konditorei.

zentralplus: Wird das Sterben so weitergehen?

Hostmann: Das Beizensterben hat sich in ein Wirtesterben umgewandelt: Einzelunternehmen sind oft nicht mehr konkurrenzfähig. Es gibt einige Ausnahmen in Zug, wie das Guggital, den «Ochsen», den Freimann und die alte Lorze – um nur einige zu nennen. Wir haben in der Stadt Zug bereits über 70 Prozent Kettenunternehmen in der Gastronomie, zum Beispiel Remimag. Doch auch wenn junge Leute einen Betrieb eröffnen, planen sie meistens nicht nur einen Standort, sondern mehrere. Ein Beispiel aus Zug ist Hello World in Baar, dem das Hello World City im Grand Café in Zug folgte. Sie werden sehen, es folgt bald ein weiterer Betrieb. Diese neuen Kleinketten werden sich neben Grossketten weiterentwickeln.

zentralplus: Ist auch die grosse Konkurrenz im Ausserhauskonsum verantwortlich fürs Beizensterben? Grossverteiler, Bäckereien, Metzgereien bieten Snacks an, an jeder Ecke kann man sich verpflegen.

Hostmann: Das ist auch ein Grund, aber da kommt noch mehr, warten Sie’s ab: Migros und Coop rüsten ihre Gastronomiebetriebe auf. Dadurch sinken in der normalen Gastronomie die Umsätze noch weiter. Volg steigt ins Verpflegungsbusiness ein, Aldi und Lidl haben in Deutschland bereits Restaurantkonzepte im Supermarkt eingeführt. Die Idee dahinter ist, damit den Tagesumsatz am Mittag zu erhöhen.

«Moderne Restaurants haben Erfolg, weil sie auf die veränderten Gästewünsche eingehen.» Michael Hostmann

zentralplus: Liegt es vielleicht auch an den hohen Zuger Bodenpreisen, dass viele Restaurants aufgeben?

Hostmann: Das ist sicher ein Faktor. Ich weiss Beispiele aus Zug, wo Restaurants 20 Prozent ihres Umsatzes dem Hausbesitzer abliefern müssen. Doch auch der Standort spielt eine grosse Rolle. Ich sage immer: An der Hauptstrasse «Restaurant Ja», an der Nebenstrasse «Restaurant Nein», da rate ich ab. An guten Lagen läuft die Gastronomie noch, sonst ist tote Hose. Ausnahmen bilden mit dem Auto einfach erreichbare Standorte wie beispielsweise das Restaurant Thalacher in Baar. Das läuft wie verrückt, mittags stehen 30 bis 40 Autos auf dem Parkplatz, abends 80 bis 100.

zentralplus: Müsste die traditionelle Gastronomie modernere Konzepte realisieren, um erfolgreich zu sein?

Hostmann: Auf dem Land fehlt dafür einfach die Klientel. In den Städten laufen moderne Konzepte wie leichte oder vegetarische Küche, aber nicht abseits des urbanen Raums. Die Zeit verändert sich schnell im Gastgewerbe. Neue moderne Restaurants haben Erfolg, weil sie auf die veränderten Gästewünsche eingehen. Der Gast erkennt sie schon am Namen: Sie heissen nicht mehr Bären, Rössli, Hirschen oder Löwen, sondern zum Beispiel Opus, Blue, Rive Gauche oder Schwefel.

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