Zu Besuch beim Gütsch-Nachbarn

Wer verkehrt im Luzerner Schönegg-Schlössli?

Auf der sogenannten «Wilhelmshöhe» trohnt das Schloss Schönegg über der Stadt.

(Bild: gwi)

Wenn man der Gibraltarstrasse entlang schlendert und zaghaft nach oben blickt, fällt das extravagante Schlösschen am Gütsch-Hang ins Auge. Das historische Gemäuer fristet sein Dasein im Schatten des weissen Château Gütsch. Bei einem Besuch sind wir auf feiernde Punks, eine elitäre Privatschule und die Mitentwickler von Google Maps gestossen.

«Sie sind hier im Luzerner Silicon Valley», sagt Marina De Simone von der Axon Active Holding AG gleich zu Beginn. Gemeinsam mit dem Verein der Luzerner Stadtführerinnen sind wir zum Besuch in einem speziellen Haus geladen: Das Schloss Schönegg hebt sich von der Luzerner Innenstadt auf halber Höhe zum Château Gütsch ab. Die im Haus domizilierte Firma lädt zum Rundgang durch die historischen Gemäuer. Doch bevor das Schloss ein internationales IT-Unternehmen beherbergte, durchlebte das illustre Haus eine turbulente Geschichte.

Entstanden in der touristischen Glanzzeit

Es ist der 2. Mai 1893 – das deutsche Kaiserehepaar Wilhelm II. und seine Gattin Augusta Victoria besuchen die Leuchtenstadt. Obwohl Wilhelm II nur wenige Stunden in Luzern verweilt und sich mit drei Bundesräten trifft, vermehrte diese Stippvisite das Ansehen der damals bereits attraktiven Feriendestination: «Dieser kurze Kaiserbesuch war nicht nur ein politischer und gesellschaftlicher Höhepunkt, sondern brachte dem Luzerner Tourismusgewerbe unmittelbare Einnahmen und vor allem eine grosse Werbewirkung», schreibt Dr. Peter Omachen 2011 in der Zeitschrift «Heimatschutz».

Das ursprüngliche Chalet und rechts das Schlössli Schönegg.

Das ursprüngliche Chalet und rechts das Schlössli Schönegg.

(Bild: giw)

Eine findige Geschäftsfrau profitiert von den damals günstigen Marktbedingungen im Tourismusgewerbe: Kaum zehn Jahre nach dem Besuch des deutschen Kaiserpaares erweitert eine Babette Hurter-Wangler den eigens «Wilhelmshöhe» benannten Grund ihres bestehenden Chalets am Gütsch mit einer schlossartigen Riegelkonstruktion. Bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs blüht der Tourismus und mit ihm die Pension im Schloss Schönegg. Doch der Weltenbrand setzt der «Belle Époque» ein jähes Ende – 1918 muss die Pension schliessen, weil die Gäste ausblieben.

Ein steter Niedergang folgt

Es folgt eine Phase der Stabilität: Zwischen 1918 und 1971 werden im Schlösschen junge Herren aus feinem Hause im «Institut Helvetia» unterrichtet. Sie leben zusammen mit den Lehrern über den Dächern der Stadt. 1971 schliesst die Privatschule aus unbekannten Gründen. Es folgt eine wilde Nutzungs-Odyssee, die Phase ist zwar historisch relativ schlecht dokumentiert, dafür umso spektakulärer. Für ein paar Jahre werden im Schloss ausreisewillige Geistliche auf ihren Missionseinsatz mit der Missionsgesellschaft Bethlehem vorbereitet.

Die Büroräume der Axon Holding im Denkmalgeschützten Gebäude.

Die Büroräume der Axon Holding im denkmalgeschützten Gebäude.

(Bild: gwi)

Mitte der 80er-Jahre fällt das Gebäude an den Immobilienhändler Franz Glanzmann, der Kaufpreis bewegt sich laut einem Bericht der damaligen «Luzerner Neusten Nachrichten» auf 1,4 bis 2,4 Millionen Franken. Glanzmann sticht mit diesem Angebot die Mitbieterin, die Wohngenossenschaft «Wogeno», aus. Die Wogeno wollte mit ihrem Kaufangebot verhindern, dass das Gebäude der Spekulation verfällt, doch als Wohngenossenschaft für bezahlbaren Wohnraum stehen ihr beschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung, wie zwei Maturanden des Gymnasiums Alpenquai in ihrer Abschlussarbeit 2014 über das Schloss Schönegg schreiben.

Vom edlen Institut zum Asylheim

Franz Glanzmann kaufte den stolzen Bau als reines Objekt der Spekulation, noch vor dem offiziellen Eigentumsübertrag schreibt er das Gebäude bereits wieder als «repräsentativen Herrschaftssitz» zum Verkauf aus. Bei seiner Suche nach einem Käufer ist er vorerst nicht erfolgreich. Doch der Kanton ist wegen mangelnder Asylunterkünfte in Not geraten. Ein dankbarer Mieter also: Glanzmann vermietete das Objekt im April 1987 dem Kanton als Asylzentrum. Für jährlich 195’000 Franken entrichtet der Staat Luzern einen hohen Mietzins über vertraglich gesicherte fünf Jahre hinaus.

Zwei Jahre nach dem Erwerb verkauft Franz Glanzmann das Haus bereits wieder für vier Millionen Franken mit bestehendem Mietvertrag.

Die Räumung drohte

Das Gebäude verfällt danach vollständig der Spekulation, der Mietvertrag mit dem Kanton blieb nach einer Verlängerung noch bis im März 1993 bestehen. Danach steht es ganze zwei Jahre leer. 1996 wird das Schloss aus Sicht der Öffentlichkeit gar von unerwünschten Mächten erobert: Die Besetzer-Szene nimmt das inzwischen an allen Ecken und Enden sanierungsbedürftige Anwesen in Beschlag.

So sah es während der Besetzung Ende der 90er-Jahre im Schloss Schönegg. Graffitis säumten die Wände des Treppenhauses.

So sah es während der Besetzung Ende der 90er-Jahre im Schloss Schönegg aus. Graffiti säumten die Wände des Treppenhauses.

(Bild: zvg)

Im Schlössli Schönegg etabliert sich rasch eine alternative Kulturszene mit Kaffee, Mittagstisch und Partys. Es wird teilweise von bis zu 60 Personen bewohnt. Die Stadt Luzern sucht händeringend nach einer Lösung für das prominent platzierte Gebäude – es kommt ein Not-Mietvertrag mit den Besetzern zustande.

Der Eingangsbereich, rechts ein Becken aus der Wasser aus einer Quelle fliesst. Dieser spricht man Heilfähigkeiten zu.

Der Eingangsbereich, rechts ein Becken, aus dem Wasser aus einer Quelle fliesst. Dieser spricht man Heilfähigkeiten zu.

(Bild: gwi)

Der Ruf nach polizeilicher Räumung ertönte seitens der damaligen Freiheitspartei und der SVP: «Sollte in dieser Sache nichts passieren, werden wir uns nicht scheuen, die drei Besitzer des Hauses Schönegg öffentlich anzuprangern in Inseraten und Flugblättern», so Anti-Feminist René Kuhn, damaliger Präsident der Freiheitspartei, in einem Brief an die Besitzer.

Innovative Brüder erwerben das Schloss

Dazu kam es aber nie. 1998 treten die Gebrüder Muff auf den Plan: Das von den beiden Luzerner zehn Jahre zuvor gegründete Unternehmen «Endoxon» expandiert schnell und suchte nach neuen Büroräumlichkeiten. Nach dem Kauf der Liegenschaft verhandeln die beiden persönlich mit den Besetzern – mit Erfolg. Die Besetzer räumen im Januar 1998 freiwillig das Feld.

Das Schloss war einst ein Hotelbetrieb, inzwischen ist es der Hauptsitz eines internationalen IT-Unternehmens.

Das Schloss war einst ein Hotelbetrieb, inzwischen ist es der Hauptsitz eines internationalen IT-Unternehmens.

(Bild: gwi)

«Wir haben lange gebraucht, um das gesamte Gebäude von Abfall und Mobiliar zu räumen», erinnert sich De Simone. Ganze Wochenenden hat das damals relativ kleine Team Mulde um Mulde gefüllt. Stefan und Bruno Muff sanierten die baufällige Schlossanlage minutiös in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz.

Parallel zur Erneuerung des Baus geht es auch mit der Firma aufwärts: 2006 konnten die Muffs einen Teil ihrer Dienstleistungen an Google verkaufen. Gleich wie Google stellt die Endoxon digitale Landkarten fürs Internet her, war Google damals jedoch deutlich voraus. Dank Endoxon wird Zürich zum Geodata-Zentrum des Weltkonzerns, schreibt «Cashdaily». Der Name Endoxon verschwindet. Seither firmiert die Unternehmung mit neuer Ausrichtung als «Axon Active Holding AG» auf dem Schlössli.

Die Dachterrasse bietet einen atemberaubenden Ausblick auf die Sonnenseite der Luzerner Innenstadt.

Die Dachterrasse bietet einen atemberaubenden Ausblick auf die Sonnenseite der Luzerner Innenstadt.

(Bild: gwi)

Ein globales IT-Unternehmen entsteht

Die IT-Firma hat heute mehr als 700 Mitarbeiter rund um den Globus, etwa in Vietnam, aber auch in den USA. Am Hauptsitz in Luzern sind es 40. Das Unternehmen arbeitet heute beispielsweise an komplexen Big-Data-Lösungen für weltweit operierende Unternehmen.

Wie zu alten Zeiten dient das Schloss als eindrucksvolles Werbemittel: «Stellt euch mal vor, als zum Beispiel die Google-Leute direkt aus Kalifornien kamen, weil sie Interesse an Endoxon AG bekundeten, da wähnten sie sich fast in Disneyland. Für die war unser Schlössli völlig der Hammer», sagte Bruno Muff im Interview mit den zwei damaligen Kanti-Schülern.

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