So lebt es sich im Pförtnerhaus der Villette

Wer nur wohnt in diesem Chamer Hexenhaus?

Sie fahren häufig Zug? Dann ist Ihnen dieses Haus bestimmt schon aufgefallen. Nur, wer wohnt bloss da drin?

 

(Bild: wia)

«Oh, schöö…», und schon ist es vorbeigeflitzt, das Pförtnerhäuschen. Das schmucke Haus, das die Villette in Cham säumt, steht eingepfercht zwischen Veloweg und Bahnhauptachse Luzern – Zürich. Wer wohl da wohnt?, wundern wir uns. Und laden uns kurzum selbst zum Kaffee ein.

Ein Haus wie aus dem Bilderbuch säumt den Villette-Park in Cham. Es handelt sich um das bescheidene, doch schmucke Pförtnerhäuschen des Anwesens, das zwar der Stiftung Villette Cham gehört, doch, wie mir das Telefonbuch verrät, privat vermietet wird. Aus lauter Neugierde frage ich an, ob ich nicht einmal einen Blick in den hübschen Fachwerkbau werfen könnte.

Die Zusage kommt prompt und freudig, als hätte man darauf gewartet. Freitagnachmittag 15 Uhr, bevor ich an der Tür klingle, höre ich einige Orgelklänge, die dann abrupt verstummen. Die Tür geht auf. Der Empfang der Familie Kovarik ist herzlich, mir wird sogleich das Du angeboten, ebenso ein paar Filzfinken. Denn der Boden des geschichtsträchtigen Hauses ist kühl. Martin und Eva Kovarik zogen vor neun Jahren ins Chamer Haus, ein Jahr später wurde ihre Tochter Chiara geboren.

Ein Organist auf Stellensuche

Ob ich gern einen Kaffee hätte? Natürlich. Und wir machen es uns in der Stube im ersten Stock gemütlich. Hinter den weissen Sofas stehen Türme mit Hunderten von CDs. Martin Kovarik wirft derweil einen Blick auf die Wand und sagt lachend: «Wir sind wahrscheinlich die einzigen Menschen auf der Welt, die überhaupt noch CDs sammeln.»

Platz für ein Sofa gibt es im Erdgeschoss nicht. Dafür stehen da eine Orgel, ein Cello und ein Flügel.

Platz für ein Sofa gibt es im Erdgeschoss nicht. Dafür stehen da eine Orgel, ein Cello und ein Flügel.

(Bild: wia)

Es ist nicht schwer zu erraten, was die Profession dieser Familie ist. «Wir sind beide Musiker. Martin spielt Orgel und Klavier, ich Geige und Bratsche», erklärt Eva Kovarik, die bei der Zuger Sinfonietta und bei der Camerata Luzern spielt und daneben Musikunterricht gibt. Ihr Mann war bis vor Kurzem bei der Pfarrei in Wollishofen angestellt und sucht derzeit nach einer neuen Anstellung.

«In den Wochen vor einem Konzert übe ich acht Stunden pro Tag. Und das tue ich am liebsten nach Mitternacht.»

Martin Kovarik, Organist

Die Musikalität schien auch an der Tochter nicht spurlos vorbeigegangen zu sein. Beim Blick ins ursprüngliche Esszimmer, das die Kovariks zu einem Musikzimmer umgestaltet haben, ist mir ein kleines Cello aufgefallen. Sie übt eine halbe Stunde pro Tag, sagt die Achtjährige. Und das nicht immer gern. Ganz im Gegenteil zu ihren Eltern. Martin Kovarik sagt: «In den Wochen vor einem Konzert übe ich acht Stunden pro Tag – auch mal ohne Pause. Und das tue ich am liebsten nach Mitternacht.» Man solle sich also nicht wundern, wenn man nachts auf dem Veloweg am Haus vorbeifahre und Orgelklänge vernehme. «Wir haben zum Glück keine Nachbarn», ergänzt er.

 

Das Ehepaar Eva und Martin Kovarik mit ihrer Tochter Chiara.

Das Ehepaar Eva und Martin Kovarik mit ihrer Tochter Chiara.

(Bild: wia)

Aber das Kind muss doch schlafen? «Das ist überhaupt kein Problem», erklären Eltern und Tochter im Akkord. Sie sei damit aufgewachsen. Martin Kovarik erzählt: «Bis vor fünf Jahren war ich bei der Pfarrei St. Martin in Baar angestellt. Einmal, als ich nachts in der Kirche übte, habe ich aus Versehen die Türe hinter mir nicht abgeschlossen und plötzlich standen da zwei Polizisten neben mir, die sich über die Musik gewundert haben. Ich bin fast zu Tode erschrocken.»

Das Ehepaar Kovarik spielt häufig zu zweit und tritt regelmässig als Duo auf. Das nächste Konzert findet sogar ganz in der Nähe statt. «Am 31. März haben wir gemeinsam ein Konzert in der Villette», sagt die Violinistin.

«Doch, doch, das Haus wurde zehn Jahre nach Schumanns und zwanzig Jahre vor Liszt’ Tod gebaut.»

Martin Kovarik, Organist

So, der Kaffee ist ausgetrunken, wir machen uns auf eine Tour durchs Haus, angefangen im ersten Stock. Spazieren vorbei an Chiaras Zimmer, das mit bunten Papiergirlanden verhängt ist, vorbei auch am winzigen Badezimmer. «Das wurde wohl nachträglich eingebaut», vermutet Martin Kovarik. Und ins Schlafzimmer der Eltern. Alles ist ziemlich kompakt. Die Wände sind abgeschrägt, furchtbar unpraktisch finde ich, auch wirkt alles dadurch kleiner. Dafür ist es gemütlich und stimmig. Wann das Haus gebaut worden war, will ich wissen. Und Martin Kovarik sagt: «1866.» Und rechnet dann sicherheitshalber noch einmal mit einer ganz eigenwilligen Methode nach: «Doch, doch, das Haus wurde zehn Jahre nach Schumanns und zwanzig Jahre vor Liszt’ Tod gebaut.»

Und plötzlich erzittert das Haus

Ein Zug kommt, das ganze Haus erzittert. Auch das sei kein Problem, versichert man mir, als wir die gewundene Treppe ins Erdgeschoss hinabsteigen. Hier unten gibt es zwei weitere, kleine Badezimmer, eines davon sogar mit Badewanne. Und dazwischen eingepfercht eine Mikroküche. Schön hell, mit ungewöhnlicher Aussicht auf die Bahngeleise, sogar eine Spülmaschine hat die Familie nachträglich eingebaut.

Ein Erkerfenster im Esszimmer. Was will man mehr?

Ein Erkerfenster im Esszimmer. Was will man mehr?

(Bild: wia)

Für grosse Bankette wird hier jedenfalls nicht gekocht. Dazu fehlt im Übrigen auch der Banketttisch. Im Erker des Ess- und Musikzimmers steht ein kleiner, ovaler Holztisch, gerade gross genug für drei. Essen scheint hier eine Nebensache zu sein, viel prominenter sind die Musikinstrumente im Raum. Ein schwarzer Flügel steht auf dem alten Holzboden, gleich dahinter eine hölzerne, elektrische Orgel mit drei Klaviaturen. Daneben im Regal Hunderte von Musiknoten.

Während mir Eva Kovarik das Haus zeigt, erzählt sie mir, wie es das Ehepaar – sie ist Slowakin, er Tscheche – in die Schweiz verschlagen hat. «Martin ist seit über 20 Jahren hier in der Schweiz. Dies, nachdem ihn andere Musiker, die er bei Meisterkursen kennengelernt hat, dazu motiviert hatten.» Und sie selber? «Ich habe Martin am Konservatorium in Bratislava kennengelernt. Damals hat er bereits in der Schweiz gewohnt.» 2004 ist sie ebenfalls hergekommen, zwei Jahre später hat das Paar geheiratet.

Der Töggelikasten wartet auf warmes Wetter

Die Geschichte des «Pförtnerhüsli»Das Pförtnerhaus entstand zwar zeitgleich zur Villa Villette und markierte anfänglich den Zugang zum Villettepark. Das Riegelgebäude wurde zwar von Leonhard Zeugherr, dem Architekten der Villa, entworfen, unterscheidet sich mit seiner Chalet-Ähnlichkeit jedoch stark im Baustil. Das Haus gehört der Stiftung Villette Cham und wurde früher als Wohnhaus für die Mitarbeiter des Restaurationsbetriebes der Villa genutzt. In einer Broschüre der Raiffeisenbank ist folgender Absatz zum Haus zu lesen: «Die Engländer hatten einst begeistert Schweizer Chalets in Laubsägearchitektur zur ‹Möblierung› ihrer Parks verwendet. So erscheint das Pförtnerhaus eigentlich als ‹britannischer› Rücktransport.»
Nun geht’s noch eine Etage tiefer runter und ich bin plötzlich froh um meine Filzpantoffeln. Denn im Keller ist es etwas feucht und kalt. Es gibt hier drei grössere Räume, die – jedenfalls in der kalten Jahreszeit – kaum nutzbar sind. Entsprechend karg sind zwei der Räume eingerichtet. Ein Töggelikasten wartet in einem der Räume auf den nächsten Match, in einem anderen steht eine Waschmaschine.

Und dann gibt es da unten noch ein ganz besonderes Bijou. Eine ehemalige Kutschengarage. Sie ist klein, doch unerwartet hoch. Und weil Kutschen mittlerweile etwas aus der Mode gekommen ist, dient sie heute als Gerümpelkammer. Ein Pingpongtisch steht zusammengeklappt an der Wand, Velos werden hier untergestellt.

Wie kommt man zu einem solch schmucken Haus, wundere ich mich? «Chiaras Cellolehrerin war unsere Vormieterin. Und als sie auszog, hat sie die Anzeige per E-Mail ein paar Musikern geschickt.» Die Kovariks scheinen auch neun Jahre nach ihrem Einzug noch ganz glücklich zu sein. Der Organist erklärt: «Wir mögen alte Dinge wie Antiquitäten oder Kirchen. Deshalb fühlen wir uns hier sehr wohl. Ach ja, und falls Sie sich wundern, ob es in diesem Haus spukt. Das tut es nicht. Das Gebäude ist leider völlig ungeisterhaft.»

Weitere Fotos vom Pförtnerhäuschen finden Sie in der Bildgalerie:

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1 Kommentar
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 16.02.2017, 12:08 Uhr

    Das ist Journalismus pur!

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