Offener Brief eines vom Lärm geplagten Städters

Verzieh dich, du Neustadtplage!

(Bild: zVg)

Leben im Stadtzentrum ist cool. Da nimmt man auch Verkehrslärm, feiernde Nachbarn oder mitternächtlichen Bar-Sound sportlich. Doch alles hat Grenzen. Unser Autor und Neustadtbewohner enerviert sich über einen bescheuerten Trend: mit der getunten Protzkarre möglichst viel Lärm verursachen.

Liebe unbekannte Neustadtplage

Ich habe Verständnis für dich. Du magst dicke Autos, so wie ich, als ich noch ein Bub war. Du fühlst dich richtig stark in deinem fetten Karren, der rüüdig schnell fahren kann und ganz laut «brumm-brumm» macht, wenn du aufs Pedal drückst. Das krault dir nicht nur die Eier, sondern sorgt auch für Aufmerksamkeit.

«Wow, hat der aber einen geilen Schlitten, der geile Autofahrer», denken die Bräute dann, wenn sie dich durch die Stadt flitzen sehen. Die neidischen Blicke hast du auf sicher, wenn du mit deiner Sonnenbrille bei runtergelassenem Fenster und cooler Mine den getunten Motor aufbrüllen lässt. Alle wissen dann: Wer so viel Krach machen kann, der muss ein harter Hund sein. Und intelligent und gutaussehend und ein richtiger Kracher im Bett. Gell.

Aber, liebe unbekannte Neustadtplage, so einfach ist das nicht. Denn eine Mehrheit hält dich für das, was du bist – einen Vollidioten. Ein Vollidiot, der mit seinem lächerlichen motorisierten Kraftprotzgehabe nervt, und zwar gewaltig. Mit der geleasten Penisverlängerung wie ein Idiot röhrend durch die Stadt Luzern zu fahren, ist nicht cool, sondern bescheuert.

Ich bin da freilich vorbelastet, denn ich wohne in der Neustadt. Hier gurken du und andere um Aufmerksamkeit winselnde Automacker ständig durch die Quartierstrassen. Abbremsen, Gas geben, abbremsen, Gas geben. Nur um auf die dümmste aller Arten möglichst viel Lärm zu machen. Das kannst du ganz prima, muss ich zugeben. Aber ich bitte dich: Lass es sein. Geh weg, weg aus der Stadt, hinaus aufs Land oder in die Agglo oder in den Kanton Aargau, wo du herkommst.

Weil du es mit Worten vielleicht nicht so hast, versuche ich dich mit schön-bunten Grafiken vom Unsinn deiner Stadtrasereien zu überzeugen. Ich hab sogar extra ein paar Kuchendiagramme gebacken, nur für dich.

1. Du nervst ausgerechnet dort, wo am meisten Leute wohnen

Die Neustadt ist das kantonsweit am dichtbesiedeltste Quartier. Dort wohnen auch am meisten Leute – über 6200, mehr als in jedem anderen Stadtquartier, mehr auch als etwa in Adligenswil oder Buchrain und fast halb so viele wie in Ebikon. Dein «Brumm-Brumm» nervt also mehr Leute aufs Mal als irgendwo sonst. Versuchs doch mal im Littauerberg, wenn du unbedingt auf Stadtboden angeben willst. Oder dort, wo du her kommst, du Depp.

2. Du röchelst ausgerechnet auf dem kleinsten Territorium rum

Der Kanton Luzern ist fast 1500 Quadratkilometer gross. Die Stadt Luzern macht davon nur 2 Prozent aus. Wieso musst du mit deiner Karre ausgerechnet bei uns aufkreuzen, Alter? Versuchs doch mal mit der Agglo (9 Prozent), oder, was am logischsten wäre, mit dem ganzen Rest des Kantons (81 Prozent!). Dort, auf dem Land, wo du wohl herkommst, müsstest du auch nicht alle 200 Meter wegen dieser vielen unnötigen Fussgängerstreifen anhalten, die es in der Stadt zuhauf gibt. Schwöre!

3. Du suchst dir ausgerechnet die kleinste Strassenfläche aus

Lieber Raser und Krachmacher, jetzt gut aufpassen, das ist wichtig: Es gibt in der mickrigen Stadt Luzern bloss popelige 238 Quadratkilometer Strassen. Das lohnt sich doch nicht für eine geile Ausfahrt! Geh aufs Land, Bruder, dort kannst du auf 4200 Quadratmetern Strasse so richtig die Sau rauslassen. Oder hau wenigstens ab in die Agglo, 530 Quadratmeter schön asphaltierte Rennstrecke warten dort auf dich. Aber bleib! raus! aus! der! Stadt!

4. Du gehst ausgerechnet dort auf den Sack, wo am meisten Leute ohne Auto wohnen

In der Stadt Luzern haben über 42 Prozent aller Haushalte kein Auto. Auf dem Land sind es bloss 8 Prozent. Das hat Gründe, liebe unbekannte Neustadtplage: In der Stadt kommt man recht gut ohne eigenes Auto aus. Zudem ist die Parkplatzsuche nervtötend. Deshalb ist unsere Autogeilheit weit weniger stark ausgeprägt als jene von Menschen ausserhalb der Stadt. Und weil vor unserer Haustür auch ohne Leute von deinem Schlag schon täglich ein paar Zehntausend Autos, Busse und Töffs vorbeifahren, sind wir an deinen spontanen Bsüechlis kein bitzli interessiert. Wirklich nicht.

5. Du rast ausgerechnet dort umher, wo eh schon die meisten Unfälle passieren

In der Stadt Luzern, wo du gerne, etwa auf der Hirschmattstrasse, auf die Tube drückst, geschehen am meisten Verkehrsunfälle im ganzen Kanton. Von 1000 Einwohnern sind pro Jahr im Schnitt acht in einen Unfall involviert. Auf dem Land ist es weniger als die Hälfte. Du tust also nicht nur mir einen Gefallen, wenn du künftig in Mehlsecken, Doppleschwand oder Schlierbach mit deinem Schlitten rumfuchtelst. Sondern allen Städtern.

So, liebe unbekannte Neustadtplage, ich hoffe das war nicht zu schwierig für dich. Du kannst diesen Text sonst auch ausdrucken und in Etappen lesen. Oder ihn dir vorlesen lassen. Ganz egal, Hauptsache wir sind doch los.

Mit krassem Gruss,

Luca Wolf

Problem nimmt zu – faule Eier und Wasserbomben als Lösung?

Das Problem mit getunten, zu viel Lärm verursachenden Autos hat in Luzern in den letzten Jahren «spürbar zugenommen». Das sagt Peter Kiser, Leiter Luzerner Strassenverkehrsamt. Dort werden die von der Polizei eingezogenen Fahrzeuge geprüft. In Zahlen: Letztes Jahr erstellte das Strassenverkehrsamt für knapp 90 illegal getunte Autos und Töffs eine Expertise. In diesem Jahr sind es nur schon in den ersten vier Monaten etwa 45. Geht’s in diesem Ausmass weiter, könnten es Ende Jahr also gegen 130 beanstandete Autos und Töffs geben.

1220 Franken Busse plus neue Ersatzteile

Dieses Prozedere kann ins Geld gehen. So demontiert und verschrottet das Strassenverkehrsamt alle illegal montierten Teile kurzerhand. Zudem gibt’s von der Staatsanwaltschaft eine Busse. Deren Sprecher Simon Kopp erinnert sich: «Erst kürzlich wurde ein 22-jähriger Schweizer bestraft, unter anderem weil er mit seinem Motorrad in der Stadt Lärm verursacht hat.» Busse plus Untersuchungskosten: 1220 Franken.

Quartierverein ist genervt

Das Problem von Rasern, speziell in der Luzerner Neustadt, ist auch dem Quartierverein Neustadt/Hirschmatt bestens bekannt, wie Co-Präsident Markus Schulthess sagt: «Es nervt diverse Quartierbewohner, mich eingeschlossen.» Man habe deswegen auch schon mit der Polizei gesprochen. Diese rate einfach, die Raser umgehend telefonisch zu melden. «Guter Rat und vor allem eine Lösung wäre uns was wert», sagt Schulthess.

Eine Lösung ist aber nicht einfach hinzukriegen. Gehen bei der Polizei Beschwerden wegen Rasern ein, schickt sie zwar eine Patrouille vorbei – falls sie die Ressourcen hat. Bis dann sind die Krachmacher jedoch oft schon wieder weg. «Wir machen zudem regelmässig Kontrollen», sagt Kopp.

Wasserballons, Eier, Farbpatronen?

Geplagte Anwohner denken bereits mehr oder weniger ernsthaft über Selbstjustiz nach: Wasserballons schmeissen, mit Farbpatronen schiessen oder faule Eier werfen sind laut Simon Kopp aber keine schlaue Gegenreaktion: «Die geschilderte Selbstjustiz ist zu unterlassen, da sie kontraproduktiv, ja allenfalls sogar gefährlich und strafbar ist.» Nicht möglich sei es auch, mit eigenen Geräten den Lärm zu messen und den Fahrern nachzuweisen. Einen mobilen «Lärm-Radar» gibt es bis anhin nicht.

Hinweis: Raser sind nicht das einzige Übel, dem man als Stadtbewohner ausgesetzt ist. Die andere Sauerei sind Tauben. Deshalb: «Lasst uns Tauben vergiften in der Stadt!»

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2 Kommentare
  • Profilfoto von zabatta
    zabatta, 18.07.2016, 21:12 Uhr

    Danke dass das mal endlich jemand laut schreibt!

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  • Profilfoto von Liberal
    Liberal, 18.07.2016, 15:27 Uhr

    Stimmt! Schade, dass die städtischen Ordnungshüter nie Geschwindigkeitskontrollen zb in der HirschmattStr durchführen, das hätte schon vielen den Ausweis gekostet…

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