Fussgänger als Bauernopfer

Rote Ampel für Luzerner Fussgänger

Die Wartezeiten an Fussgängerstreifen in der Stadt Luzern sind lang, die Grünphasen kurz. Die Lichtsignalanlagen werden dem Verkehrsaufkommen entsprechend gesteuert und können von Bussen und Notfallfahrzeugen beeinflusst werden.

(Bild: mag)

Lange Wartezeiten, kurze Grünphasen, grosse Sicherheitsmängel. Die Fussgängerstreifen an Hauptverkehrsachsen der Stadt Luzern sind nicht benutzerfreundlich. Damit der motorisierte Verkehr auf den betroffenen Strassen reibungslos läuft, müssen Fussgänger und Velofahrer hinten anstehen. zentral+ hat die wilden Szenen auf den Fussgängerstreifen beobachtet und festgehalten.

Die Ampel ist bereits wieder orange, unmittelbar danach rot. Auf dem Fussgängerstreifen befinden sich noch immer Passanten. Einer springt quer zu den gelben Streifen über die Strasse, um den Linienbus noch zu erreichen: Alltag auf dem Luzerner Paulusplatz. «Dieses Ampelsystem ist ein Witz», sagt ein Anwohner. «Das Überqueren der Bundes- und Obergrundstrasse ist bei einer Grünphase nicht möglich. Deshalb laufe ich immer relativ schnell diagonal über die ganze Kreuzung. Lustigerweise reicht selbst das nicht, bevor die Ampel wieder auf Rot schaltet.» Drei bis vier Mal täglich überquert der junge Herr den Paulusplatz. Dabei beobachte er oft, dass viele Passanten das Rotlicht bei der Obergrundstrasse gar nicht mehr ernst nehmen würden und aufgrund der gegenwärtigen Verkehrssituation direkt loslaufen oder nicht.

Der Paulusplatz ist nur ein Luzerner Beispiel für die prekäre Situation bei Fussgängerstreifen an den Hauptverkehrsachsen. Am Schwanenplatz, beim Löwenplatz, an der Pilatusstrasse sowie bei der Bushaltestelle Eichhof betragen die Wartezeiten jeweils rund 70 Sekunden. An der Löwenstrasse und am Hirschengraben ist sie mit 65 respektive 60 Sekunden verhältnismässig kurz. Am Paulus- und am Pilatusplatz warten Passanten dagegen rund 80 respektive 90 Sekunden.

Der Grund für diese langen Wartezeiten ist der stetig zunehmende motorisierte Verkehr im Zentrum der Stadt. Weil ein Ausbau der stark befahrenen Hauptverkehrsachsen nicht möglich ist, wird der Verkehrsfluss mit anderen Massnahmen erhalten. Dazu zählt der Abbau von Hindernissen – als solche gelten auch Fussgängerstreifen.

Fussgänger als Bauernopfer

Die Fussgänger sind schon heute die Leidtragenden. Sie brauchen viel Geduld, um die Obergrund-, die Pilatus-, die Löwen-, die Zürich- und die Alpenstrasse sowie den Hirschengraben oder den Schweizerhofquai überqueren zu können. Die Wartezeiten zwischen 60 und 90 Sekunden an den Luzerner Hauptverkehrsachsen bezeichnet Stadtrat Adrian Borgula als «lang und nicht attraktiv».

Grünzeiten sind normiert

In der ganzen Schweiz wird die Mindestgrünzeit für Fussgängerinnen und Fussgänger in Abhängigkeit der Querungslänge definiert. Sie beträgt im Minimum aber vier Sekunden. Eine Standard-Grünzeit für eine Querung über zwei Fahrspuren ohne Mittelinsel beträgt bei einem zehn Meter breiten Fussgängerstreifen und einer Geschwindigkeit von 1,2 Metern pro Sekunde zum Beispiel neun Sekunden. Bei Fussgängerstreifen sind die Übergangssignale Gelb oder Grün blinkend. Es kann auch auf ein Übergangssignal verzichtet werden. (Quelle: Schweizer Norm SN 640837, Tiefbauamt Stadt Bern)

Ein Vergleich mit anderen Städten der Deutschschweiz zeigt: Luzern zählt für Fussgänger zu den unfreundlicheren Städten. In der Zürcher Innenstadt betragen die Wartezeiten für Fussgänger zum Beispiel lediglich 30 Sekunden. In den Aussengebieten seien es etwa 40 Sekunden, sagt Heiko Ciceri von der Dienstabteilung Verkehr der Stadt Zürich. In der Stadt Zug sind die Wartezeiten etwas länger. Gemäss Philipp Klingenbeck, Abteilungsleiter Tiefbauamt, betragen sie zwischen 45 und 90 Sekunden.

In der Stadt Bern sind viele Lichtsignalanlagen mit einer Umlaufzeit von 60 bis 90 Sekunden gesteuert. An den Luzerner Hauptverkehrsachsen betragen diese zwischen 90 und 110 Sekunden. Die Umlaufzeit entspricht in der Regel der maximalen Wartezeit plus die Grünzeit des Fussgängerübergangs.

Grünphasen auf dem zulässigen Minimum

In Luzern müssen Fussgänger im Vergleich nicht nur lange auf die Strassenüberquerung warten, sie bekommen dafür zudem nur wenig Zeit. Die Grünphasen entlang der Luzerner Hauptverkehrsachsen sind auf das Minimum von 8-12 Sekunden, abhängig von der Länge der Fussgängerstreifen, programmiert. Dies ist in Zürich nicht anders: «Die Gründauer bewegt sich bei uns auf dem zulässigen Minimum plus allenfalls einige Sekunden», sagt Heiko Ciceri. Auch in der Stadt Zug sind die Grünzeiten an Hauptverkehrsstrasse kurz. Sie variieren zwischen 7 und 15 Sekunden.

Die Bedingungen für die Fussgänger können in Luzern also kaum schlechter sein. Die Folgen sind an jedem der betroffenen gelben Streifen ohne Mühen beobachtbar. zentral+ hat einige Beispiele im Video festgehalten.

Bei der Mehrheit der Übergänge reicht die Grünphase nicht zur Überquerung aus. Dies muss gemäss der offiziellen Regelung auch nicht der Fall sein. Karl Vogel, Verkehrsingenieur der Stadt Luzern, erklärt, wie die Fussgängerampeln eingestellt werden. «Wir rechnen bei Fussgängern mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 1,2 Metern pro Sekunde. Damit müssen bei einer Grünphase zwei Drittel des Streifens überquert werden. Die Reststrecke wird dann bei Orange zurückgelegt. Bei 80 Prozent der Passanten reicht das», sagt Karl Vogel. Und die übrigen Fussgänger?

Oft laufen Passanten bereits bei Rot los, da die Lichtsignalanlage den motorisierten Verkehr im selben Moment stoppt. Weitere Probleme bereiten beispielsweise die leicht erhöhten Mittelinseln, vor allem für Personen mit Kinderwagen oder Rollatoren.

Am Paulusplatz kommt alles zusammen

Das Paradebeispiel ist der Paulusplatz. Passanten rennen bei Rot – manche quer – über den Fussgängerstreifen. Sie wollen zum Beispiel ihren Bus noch erreichen, der bereits an der Haltestelle wartet. Und wenn die Ampel einmal auf Grün schaltet, bleiben gerade einmal 12 Sekunden, um ihn zu überqueren. Besonders Senioren, die langsamer unterwegs sind, bekunden Mühe, den Fussgängerstreifen in der zur Verfügung stehenden Zeit zu passieren – trotz oder eben gerade wegen der Mittelinsel. Wer sich auf einen Rollator stützt, muss diesen an der erhöhten Stelle leicht anheben. Das kostet Zeit und Nerven. Einzelnen ist die Hast deutlich anzusehen.

Der Betreiber des Kiosks am Paulusplatz meint, Kunden beschwerten sich oft über die Situation. Auch gegenüber zentral+ äussern diverse Fussgänger ihre Bedenken. Die Zustände vor Ort seien besonders für ältere Menschen untragbar, meinen Sie. Die kurzen Grünzeiten «unverschämt». Ein weiteres Problem: Halten mehrere Busse der Verkehrsbetriebe Luzern (vbl) innerhalb kurzer Zeit an der Haltestelle Richtung Bahnhof, blockieren sie die gelben Streifen. Fussgänger müssen um den Bus herum laufen oder auf die nächste Grünphase warten.

Vereinzelt überqueren Fussgänger die Strassen während der Rotlichtphase. Die Luzerner Polizei büsst dies mit 20 Franken. Über Zahlen, wie oft entsprechende Ordnungsbussen verteilt werden, verfügt die Luzerner Polizei nicht.

Die Mindestrotzeit beträgt gemäss Schweizer Norm 2 Sekunden. (mag)

Die Mindestrotzeit beträgt gemäss Schweizer Norm 2 Sekunden. (mag)

(Bild: mag)

Spielraum bei Warte- und Grünzeiten ist ausgeschöpft

Die Stadt kennt das Problem. Simon Steffen, Projektleiter Verkehrsplanung bei der Stadt Luzern, sagt: «Die Grünphasen sind stellenweise nicht sehr fussverkehrsfreundlich.» Verkehrsingenieur Karl Vogel präzisiert: «Wir haben sehr lange Wartezeiten.» Die Stadt versuche zwar, den Passanten zur Strassenüberquerung mehr Zeit zu geben, sagt Steffen. Das sei aber besonders auf den Hauptverkehrsachsen im Moment nicht möglich. «Wir haben ein Kapazitätsproblem in den Hauptverkehrszeiten», bringt es Karl Vogel auf den Punkt.

Die Leistungsfähigkeit der Stadtluzerner Strassen stösst in den Hauptverkehrszeiten an seine Grenzen. Anpassungen an den Grünzeiten, besonders auf den Hauptverkehrsachsen, beeinflussen automatisch den Verkehrsablauf, sagt Simon Steffen. Das müsse die Stadt berücksichtigen. Neben dem grossen Verkehrsaufkommen ist auch die Busbevorzugung ein Grund dafür, dass sich die Grünphasen für den Fussverkehr auf den meistbefahrenen Strecken auf dem zulässigen Minimum befinden. Der Spielraum sei nun ausgeschöpft, konstatiert Verkehrsingenieur Vogel.

Reklamationen würden von Personen kommen, die langsam unterwegs sind. Die betroffenen Fussgängerstreifen liegen gemäss Information der Stadt auf den Hauptverkehrsachsen, der Obergrund- und der Pilatusstrasse sowie zwischen Bahnhof und Löwencenter. 

Grosse Sicherheitsmängel

Stadtrat Adrian Borgula denkt laut über Massnahmen zur Verbesserung der Situation für Fussgänger nach. Diese könnten je nach Art der Massnahme zu Lasten des motorisierten Verkehrs gehen. «Wir müssen uns überlegen, wie wir die Mobilitätsnachfrage eindämmen sollen.»

Die Situation für Fussgänger könne unter anderem mit durchgängigen Fusswegnetzen, mit verbesserten Sichtverhältnissen an Fussgängerstreifen, mit verkürzten Wartezeiten, mit flächendeckenden Tempo 30-Zonen abseits der Hauptverkehrsachsen oder mit der Aufwertung des öffentlichen Raums zum Beispiel im Hirschmattquartier oder an der Bahnhofstrasse erreicht werden.

In der Stadt Luzern gibt es über 700 Fussgängerstreifen. Aktuell wird ein Inventar erstellt. Die Überprüfung der Verkehrssicherheit auf dem Luzerner Strassennetz zeigte letzten Herbst, dass nur jeder vierte Fussgängerstreifen die Sicherheitsanforderungen erfüllt. Sogar bei einem Drittel der gelben Streifen bestanden grosse Sicherheitsmängel (zentral+ berichtete). Auf diese unbefriedigende Situation hat die Stadt inzwischen reagiert und in der Zwischenzeit rund ein Dutzend Fussgängerstreifen mit nicht behebbaren Sicherheitsdefiziten aufgehoben. Teilweise wurden alternative Querungshilfen geschafften. Auch andernorts wurden zum Teil bauliche Verbesserungen vorgenommen.

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