Anwohner diskutieren umstrittenes Autobahnprojekt

Neue IG rüstet Hausbesitzer für Kampf gegen Spange Nord

Urban Frye (links), Urs Manser (stehend) und Ruedi Schmidig beantworten Fragen.

(Bild: jal)

Gegner der Spange Nord haben am Donnerstag Hauseigentümer der betroffenen Quartiere zusammengetrommelt. Experten zeigten, wie ihre Liegenschaften wegen des geplanten Autobahnzubringers an Wert verlieren werden und was sie dagegen unternehmen können. Als Anstifter zum koordinierten Widerstand sieht sich die neugegründete IG aber nicht.

Die Spange Nord bewegt, selbst wenn der April Schnee rieseln lässt. Rund 100 Anwohner des geplanten Autobahnzubringers haben sich am Donnerstag im Pfarreiheim St. Karl in Luzern eingefunden, um mehr über das Projekt zu erfahren. Eingeladen hatte dieses Mal nicht eine offizielle Stelle, sondern eine neu gegründete Interessengemeinschaft.

«Von Seiten der Behörden ist in Sachen Kommunikation bislang kaum etwas geschehen», sagt Ruedi Schmidig. «Also müssen wir hier ansetzen.» Schmidig wohnt selber im St.-Karli-Quartier und ist ehemaliger Grossstadtrat der Grünen. Er hat die «IG Hauseigentümer gegen die Spange Nord» gegründet, zusammen mit Kantonsrat Urban Frye und Marius Fischer, Anwohner und Präsident der Gegenbewegung zur Spange Nord. Letztere beide haben sich bereits in der Vergangenheit gegen die neue Strasse zwischen Schlossberg und Fluhmühle engagiert.

Gegner: ja – Aufwiegler: nein

Wie die neue IG tickt, wird denn auch schnell klar: «Wir sind der Meinung, dass ein weiterer Pflock gegen die Spange Nord eingeschlagen werden sollte», sagt Schmidig gleich zu Beginn. «Und zwar von jenen, die am meisten betroffen sind und nicht einfach wegziehen können.»

Geht es der IG vor allem darum, den Widerstand auf einer weiteren Schiene aufzugleisen? Nein, man wolle die Anwohner nicht gegen das Projekt aufwiegeln oder sie zum Widerstand verpflichten, versichert Ruedi Schmidig. «Wir wollen die Kräfte bündeln und koordinieren, falls das Projekt trotz des Widerstands der Bevölkerung kommt.» Denn die Betroffenen müssten dereinst relativ kurze Fristen einhalten, um Einsprache zu erheben. «Deshalb müssen die Eigentümer bereits frühzeitig informiert sein.»

«Auf der Achse der geplanten Spange Nord haben viele Existenzängste.»

Marius Fischer, IG Hausbesitzer gegen Spange Nord

Die IG Hauseigentümer gegen Spange Nord sieht sich deshalb als überparteiliche Plattform, um die Betroffenen zu informieren und zu unterstützen. Gerade die Hauseigentümer seien tendenziell eher bürgerlich geprägt und identifizierten sich nicht mit linken Parteien oder sehen sich als «Autofeinde», ergänzt Marius Fischer. «Aber auf der Achse der geplanten Spange Nord haben viele Existenzängste», sagt er. «Es geht darum, sich mit ihnen zu solidarisieren und ihnen ihre rechtlichen Möglichkeiten aufzuzeigen.»

Wie der Wert der Häuser sinkt

150 Liegenschaften werden von der Spange Nord betroffen sein, schätzt Architekt Renzo Testorelli, der die Anwesenden am Donnerstag über die Folgen des Megaprojekts auf den Immobilienmarkt aufklärte. «Wenn das Projekt käme, würden die Liegenschaften massiv an Wert verlieren.» Mehr Verkehr vor der Haustüre, mehr Lärm, mehr Feinstaub, verbaute Aussicht: All das geht laut dem Experten keineswegs spurlos an den Liegenschaften vorbei.

«Wenn die Kuh weniger Milch gibt, ist sie natürlich weniger wert.»

Renzo Testorelli, Architekt

Oder in seinen Worten: «Wenn die Kuh weniger Milch gibt, ist sie natürlich weniger wert.» Testorelli geht nämlich davon aus, dass auch die Mietpreise entlang der Spange Nord sinken werden, zum Beispiel beim Schlossberg.

Architekt Renzo Testorelli hat berechnet, welche Folgen die Spange Nord für den Wert der angrenzenden Häuser hat.

Architekt Renzo Testorelli hat berechnet, welche Folgen die Spange Nord für den Wert der angrenzenden Häuser hat.

(Bild: jal)

Gemäss Testorellis Berechnungen liegen die «Schäden» der Spange Nord für die Häuser insgesamt bei 30 bis 40 Millionen Franken. Im Durchschnitt macht das rund 200’000 Franken pro Liegenschaft aus, wobei der Betrag im Einzelfall bei besonders exponierten Häusern bis auf eine halbe Million ansteigen könne. Testorelli machte vor dem Publikum aus seinem persönlichen Missfallen über das «Projekt aus den 60er-Jahren» keinen Hehl. Er hielt aber auch fest: «Der Wert der Häuser läge aufgrund der Spange Nord nicht bei 0, wir sind ja immer noch in der Stadt Luzern, aber er wird fallen.»

Die Spange Nord

Als Spange Nord wird eine neue Strasse zwischen Schlossberg und Fluhmühle bezeichnet. Sie soll die Autos vom Osten der Stadt her schnell auf die Autobahn lenken. Dies als Ergänzung zum «Bypass Luzern», einem neuen Autobahntunnel zwischen Ibach und dem Gebiet Grosshof in Kriens (siehe Grafik). Das Megaprojekt soll das Luzerner Stadtzentrum vom Verkehr entlasten. Die Gesamtkosten werden auf 1,9 Milliarden Franken geschätzt.

Gegen die Spange Nord regt sich allerdings breiter Widerstand. Vor einem Jahr hat sich eine Gegenbewegung formiert, die im Mai eine Demonstration durchführen wird. Zudem sammelt die städtische SP derzeit Unterschriften für eine Initiative gegen das Projekt. Der Kanton lässt aktuell mehrere Varianten der Spange Nord prüfen.

Viele Fragen, sachliche Antworten

Doch was ist zu tun? Darauf ging im nächsten Teil Urs Manser ein. Der Rechtsanwalt und Baurechtsexperte erklärte den Anwesenden, wie und wann sie Einsprachen machen können. Das sei zum einen bei der Planauflage möglich, zum anderen beim späteren Strassenprojekt, was man jeweils bis vor Bundesgericht ziehen könne. Manser machte aber auch klar, dass rein emotionale Gründe kaum Aussicht auf Erfolg versprechen.

Gleich nach seinen kurzen, sachlich gehaltenen Ausführungen, hagelte es Fragen aus dem Publikum. Kann man eine Sammeleinsprache machen? Wer ist überhaupt dazu berechtigt? Was kostet der Rechtsweg? Wie viel Entschädigung gibt es im Falle einer Enteignung? Und: Kann ich mit meiner Einsprache das Projekt tatsächlich bodigen – oder bin ich damit nur Juristenfutter?

Die vielen Fragen illustrierten zum einen die Verunsicherung in den betroffenen Quartieren, zum anderen die durchwegs kritische Haltung zum Projekt. Den meisten stösst dabei nicht in erster Linie der finanzielle Schaden sauer auf. Vielmehr sorgen sie sich um ihre Lebensqualität. Befürworter der Spange Nord suchte man an diesem Abend vergebens.

Die Spange Nord in der Übersicht.

Die Spange Nord in der Übersicht.

(Bild: Kanton Luzern)

Obwohl Rechtsexperte Manser mit seinem Fachwissen für einige Klarheit sorgten konnte, blieben manche Fragen offen. Das hatte vor allem damit zu tun, dass es Fragen waren, die der Kanton beantworten müsste oder dereinst beantworten muss. Etwa betreffend Lärmschutzwänden, Verkehrsmodellen, aber auch grundsätzlich zur Notwendigkeit des neuen Autobahnprojekts. Der Kanton plant allerdings erst eine Mitwirkung der Bevölkerung, wenn im Herbst die Resultate einer derzeit laufenden Studie vorliegen (siehe Box). Das sorgte in der Stadt für Kritik (zentralplus berichtete).

Grosse Betroffenheit – und Entspannte

Einen regen Austausch wünschten sich auch viele Besucher des Anlasses diesen Donnerstagabend. «Es ist eine grosse Betroffenheit vorhanden», sagt ein Anwohner zu zentralplus. Er fände es wichtig, transparent und breit zu informieren. «Denn der Bürger ist mündig, wenn er abgeholt wird – wenn nicht, ist er verdrossen.»

«Es regt mich auf, dass wir so ein Retro-Projekt bekämpfen müssen.»

Anwohner der Spange Nord

«Es geht hier nicht wie bei der Gegenbewegung in erster Linie um Emotionen, sondern um eine fundierte Auseinandersetzung», lobt ein anderer das Engagement der IG. Er ist sich allerdings sicher, dass die Spange Nord nicht realisiert wird. «Da habe ich gar keine Bedenken, ich bin tiefenentspannt.»

Doch das trifft nicht auf alle zu. Viele erkundigen sich nach Möglichkeiten, sich zu wehren. «Es regt mich auf, dass wir so ein Retro-Projekt bekämpfen müssen», sagt ein weiterer Anwohner. «Wir würden diese Energie viel besser in innovative, zukunftsgerichtete Projekte investieren.»

Das Interesse an Informationen zur Spange Nord ist gross.

Das Interesse an Informationen zur Spange Nord ist gross.

(Bild: jal)

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon