Baar will mehr Demokratie – aber doch nicht zuviel

«Irgendwann kommt man an einem Parlament nicht mehr vorbei»

Nur 1,5 Prozent aller Baarer Stimmberechtigten kommen im Schnitt zu den Gemeindeversammlungen. Eine Gemeindeparlament wird deswegen nicht eingeführt.

(Bild: woz)

Millionenüberschüsse, drei Bauvorhaben und eine fast fundamentale Demokratie-Diskussion – an der Baarer Gemeindeversammlung gab es im Prinzip eine Menge Gesprächsbedarf. Zwar will man mehr Demokratie, doch kein Parlament – die Baarer Erfolgsformel sei eine ganz andere.

Fliessen in Baar Milch und Honig? Man könnte es fast meinen. Denn Gemeindepräsident Andreas Hotz zeigte sich am Mittwochabend an der Gemeindeversammlung absolut begeistert über die 19,5 Millionen Franken, die Baar als Ertragsüberschuss in der Jahresrechnung 2017 verbuchen konnte. Im Budget waren es ja lediglich 2,8 Millionen Franken plus gewesen, auf die man sich Hoffnung gemacht hatte.

Sämtliche Parteien würdigten denn auch diese wunderbare Vermehrung der finanziellen Mittel der Gemeinde. Diese sind vor allem auf die gute Konjunktur und rund 10 Millionen Franken Steuereinnahmen bei den juristischen Personen zurückzuführen.

Einstimmig abgesegnet: Jahresrechnung 2017

Mit diesem Reibach will die Gemeinde Baar nun zwei Schulprojekte vorfinanzieren: die Neubauten der beiden Schulhäuser Wiesental sowie Sternmatt I für insgesamt 14 Millionen Franken. Zudem soll eine zusätzliche Abschreibung des Verwaltungsvermögens in Höhe von fünf Millionen Franken erfolgen. Rund 450’000 Franken gehen in die Freie Reserve.

Sowohl das dicke Plus in der Jahresrechnung 2017 als auch besagte Verbuchung des Ertragsüberschusses wurden einstimmig von den 294 Stimmberechtigten abgesegnet.

«Wir haben sicher zu unrealistisch budgetiert – aber es verlieren eben auch immer mehr Unqualifzierte ihre Job.»

Berty Zeiter, Sozialversteherin Alternative-die Grünen Baar

Und doch ist eben Baar noch weit davon entfernt, biblisch-paradiesische Zustände realpolitisch zu erschaffen. Denn sowohl Karl Bürgler von der FDP als auch Anna Lustenberger von der linken Alternative-die Grünen Baar legten die Finger in die Wunde des Baarer Finanzsegens.

Recht klotzig: So soll die neue Überbauung im Dorfzentrum Inwil neben dem Riegelhaus aussehen.

Recht klotzig: So soll die neue Überbauung im Dorfzentrum Inwil neben dem Riegelhaus aussehen.

(Bild: zvg)

Bürgler wollte wissen, warum denn die Sozialhilfekosten 2017 so drastisch um knapp 40 Prozent auf 1,7 Millionen Franken angestiegen seien. Sozialvorsteherin Berty Zeiter von der Alternative-die Grünen erklärte diesen Anstieg unter anderem damit, dass es trotz der boomenden Wirtschaft schwierig sei, Sozialhilfekosten vorauszusagen. «Wir haben sicher zu unrealistisch budgetiert – aber es verlieren eben auch immer mehr Unqualifzierte ihren Job.»

Die Linke Anna Lustenberger versuchte klar zu machen, dass dieses ständige Wachstum in Baar auch eine gefährliche Spirale sei: Weil immer mehr Firmen und gut Verdienende angelockt würden und die Mieten dadurch immer weiter ansteigen würden. «Das Leben wird teurer», lautete ihre Botschaft. Sagte es und hofft nun darauf, dass der Gemeinderat Möglichkeiten findet, den Mittelstand effektiv zu fördern.

Bürgerliche Motion für mehr Demokratie in Baar wurde für erheblich erklärt

Baar hat offenbar Geld im Überfluss, dagegen hapert es anscheinend in Sachen Demokratie.

Mit nur zwei Gegenstimmen erklärte die Gemeindeversammlung nämlich grossmehrheitlich eine Motion der Freisinnigen und der SVP für erheblich. Diese fordern «mehr Demokratie in der Gemeinde», weil sie den bescheidenen Besuch von im Schnitt nur 1,5 Prozent der Stimmberechtigten bei den Gemeindeversammlungen in den letzten Jahren bemängeln.

Die Bürgerlichen verlangen aber nicht ein Gemeindeparlament – wie es einsame Rufer in den vergangenen Jahren immer wieder getan haben. Und wie es im schweizerischen Vergleich für die 24’000-Einwohnergemeinde mit über 10’000 Stimmberechtigten durchaus angemessen und sinnvoll erscheinen würde.

«Das Baarer Erfolgsmodell ist viel agiler, schneller und kostengünstiger als ein Parlament.»

Oliver Wandfluh, SVP-Präsident Baar

Doch einen GGR wie in der Stadt Zug wäre der SVP und FDP in Baar natürlich ein Graus. «Das Baarer Erfolgsmodell ist viel agiler, schneller und kostengünstiger als ein Parlament», proklamierte SVP-Präsident Oliver Wandfluh. Gleichwohl sieht er, dass der 40-köpfige Gemeinderat in Zug direkt vom Volk gewählt wird und deshalb demokratisch legitimiert ist.

Riesig: Auf diesem Areal plant die Gemeinde Baar das neue Gewerbegebiet Unterfeld-Nord. Im Hintergrund ist die Zuger Überbauung Feldhof zu sehen, ganz rechts, vor dem WWZ-Stromwerk, verläuft die Nordzufahrt auf die Autobahn.

Riesig: Auf diesem Areal plant die Gemeinde Baar das neue Gewerbegebiet Unterfeld-Nord. Im Hintergrund ist die Zuger Überbauung Feldhof zu sehen, ganz rechts, vor dem WWZ-Stromwerk, verläuft die Nordzufahrt auf die Autobahn.

(Bild: woz)

Die Baarer «Mehr Demokratie in der Gemeinde»-Kompromissformel lautet deshalb: Die FDP und die SVP wollen angesichts der geltenden Majorzwahlen künftig die Kommissionen stärken – unter Berücksichtigung der tatsächlichen Wähleranteile der Parteien in der Gemeinde und im Kanton. Dadurch erhofft man sich eine bessere Verteilung der Kommissionssitze.

«Der politische Prozess wäre damit abgestützter und repräsentativer», so Wandfluh. Der Baarer Gemeinderat soll deshalb auf die nächste Legislatur hin eine wirksame Vorlage vorbereiten und der Gemeindeversammlung zur Abstimmung vorlegen.

«Irgendwann kommt man an einem Parlament nicht mehr vorbei.»

Zari Dzaferi, SP Baar

Zari Dzaferi, SP-Gemeinderatskandidat für die Wahlen im am 7. Okober, signalisierte, dass die SP diese Motion selbstverständlich unterstütze – obwohl die Sozialdemokraten eine gleiche Motion schon vor Jahren eingereicht haben. Ohne Erfolg.

Gleichzeitig machte er klar, dass man langfristig in Baar die Demokratie und die Legislative nur wirklich auf eine Art und Weise stärken könne: «Irgendwann kommt man an einem Parlament nicht mehr vorbei.» Die politischen Prozesse würden schliesslich immer komplexer. «Und man muss dem Gemeinderat auf die Finger schauen.»

Wieviel Demokratie will und braucht die Gemeinde? Zur Zeit kann auf jeden Fall nicht nur das Stimmvolk das Lego-Modell des barocken Baarer Rathauses anno 1674 im Gemeindezentrum bestaunen.

Wieviel Demokratie will und braucht die Gemeinde? Zur Zeit kann auf jeden Fall nicht nur das Stimmvolk das Lego-Modell des barocken Baarer Rathauses anno 1674 im Gemeindezentrum bestaunen.

(Bild: woz)

Für eine gewisse Erheiterung sorgte Dzaferi mit der Bemerkung, dass man im Dorf darüber rede, dass die Baarer Politik ja nur am Stammtisch gemacht werde. Sagte es und hatte die Sympathien der Gemeindeversammlung auf seiner Seite.

Eine Äusserung, die Gemeindepräsident Andreas Hotz zuerst demonstrativ in den falschen Hals kriegte. Dann konterte er: «Mein Vater erzählte mir früher immer, dass erst bei den Jassrunden nach dem Kantonsrat richtig politisiert worden sei.» Sagte es und hatte die Lacher nun auf seiner Seite.

Weiter wurde an der Baarer Gemeineversammlung beschlossen

Dem Bebauungsplan Inwil Dorf sowie der Teilrevision des Zonenplans GS Nr. 711 wurde in Kenntnis der Einwendungen einstimmig zugestimmt. Das Gebiet Baarermatt Ost, über welches 2013 ein Quartiergestaltungsplan festgesetzt wurde, stellt einen Entwicklungsschwerpunkt in der Gemeinde Baar dar.

In einer ersten Etappe sollen im Ortskern – und zwar direkt neben dem Riegelhaus im Dorf – neun neue Gebäude errichtet werden. Beim Riegelhaus handelt es sich um ein Gebäude, welches als schützenswert erachtet wird und im kantonalen Inventar enthalten ist. Die Überbauung hat Flach- und Schrägdächer, wirkt mit bis zu rund 16 Metern hohen Mehrfamilienhäusern stark verdichtet und etwas klotzig.

Der Teilrevision des Zonenplanes Gebiet Unterfeld Nord sowie der Ergänzung und Anpassung der Bauordnung wurde in Kenntnis der Einwendungen grossmehrheitlich zugestimmt. Das Gebiet Unterfeld Nord wird als kantonales «Filetstück» einer künftigen Arbeitszone bezeichnet. Das Gebiet wird stark verdichtet, und es gibt dort maximal 500 neue Parkplätze.

Andreas Lustenberger von der ALG warnte vor einem Verkehrskollaps auf der jetzt schon Stau geplagten Zuger Nordzufahrt. Man müsse Unterfeld-Nord «zusammen mit dem künftigen Unterfeld-Süd anschauen», das ja im Februar 2017 von der Bevölkerung abgelehnt wurde und nun neu konzipiert wird. Lustenbergers Befürchtungen ebenso wie entsprechende Anträge des VCS wurden von der Gemeindeversammlung aber nicht geteilt.

Die Teilrevision des Bebauungsplanes Winzrüti in Allenwinden wurde einstimmig abgesegnet. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, dass auf dem heutigen Werkhofareal eine Wohnüberbauung realisiert werden kann, wie dies im Zonenplan vorgesehen ist.

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