Neustadt soll einen Tag im Monat gesperrt werden

Party und Picknick: Umstrittene Idee für autofreien Tag in Luzerner Quartier

Hie und da war ein SP-Ballon zu sehen.

(Bild: jal)

Ein Grillfest oder ein Openair-Kino auf der Strasse: Das soll im Hirschmattquartier bald möglich sein. Eine Partei will die Luzerner Neustadt testweise einmal monatlich für Autos sperren. Im Quartier hinterlässt die Idee aber Fragezeichen. Und andere vermuten gar einen vorgezogenen Aprilscherz.

Die Luzerner Neustadt soll einmal monatlich zur Flanierzone werden. Das schwebt der SP/Juso-Fraktion der Stadt Luzern vor. Sie hat ein Postulat eingereicht, in dem sie ein Pilotprojekt fordert. An einem Tag pro Monat – etwa an einem Wochenendtag oder nach Ende der Ladenöffnungszeiten – soll das Quartier autofrei werden.

«Wir wissen, dass es ein heikles Thema ist», sagt SP-Grossstadtrat Gianluca Pardini hinsichtlich der oft ideologisch geprägten Verkehrsdebatte in Luzern. «Wir sehen aber enormes Potenzial.» Das zeigen laut SP die Quartierfeste in der Neustadt, die meist gut besucht sind. In diesem Sinn soll die Strasse wieder zum Treffpunkt werden.

Dass eine temporär autofreie Zone funktionieren kann, habe die Vergangenheit bereits bewiesen. Während der Bauarbeiten zur Gesamterneuerung Hirschmatt war das Quartier teilweise grossflächig für den Verkehr gesperrt – und dadurch sei der Verkehr auf den umliegenden Strassen nicht erheblich gestört worden, so die SP.

Und: Die Autos sollen nicht vollkommen verbannt werden. Für Zulieferer, Gewerbetreibende und Anwohner sollen Ausnahmen gelten. «Wir fordern ja nicht eine autofreie Stadt Luzern», sagt Pardini.

Quartierverein hat Ideen – und Fragen

«Die Frage ist, was man in der autofreien Zeit mit den Strassen macht», sagt Markus Schulthess, Co-Präsident des Quartiervereins Hirschmatt-Neustadt. «Es braucht ein Format, eine geplante Aktivität, ansonsten macht ein autofreier Tag wenig Sinn.»

«Das Bedürfnis, den Platz zu nutzen, ist sicher vorhanden.»

Gianluca Pardini, SP-Grossstadtrat

An Ideen mangelt es dem Quartier indes nicht. Schulthess könnte sich einen offenen Grillabend vorstellen, ein Openair-Kino, ein Strassenkunstwerk oder ein Quartierfest. Der freie Raum sollte aber von einer konkreten Idee ausgehen und nicht politisch verordnet werden, findet er. «Ansonsten schürt es nur zementierte Vorstellungen aus der Polemik um die Verkehrsdebatte.» Insofern sei es womöglich konstruktiver, drei- oder viermal jährlich eine einzelne Strasse für einen grösseren Anlass zu sperren als monatlich das ganze Quartier.

Markus Schulthess, Fabian Reinhard, Judith Wyrsch (von links) sind nicht gleicher Meinung wie Gianluca Pardini (rechts).

Markus Schulthess, Fabian Reinhard, Judith Wyrsch (von links) sind nicht gleicher Meinung wie Gianluca Pardini (rechts).

(Bild: zvg)

Postulant Gianluca Pardini ist allerdings überzeugt, dass die Bevölkerung die Strasse von sich aus beleben würde. «Das Bedürfnis, den Platz zu nutzen, ist sicher vorhanden», glaubt der SP-Grossstadtrat. «Doch die Ideen dazu müssen aus der Zivilbevölkerung kommen.» Wie in der Stadt Bern, wo jährlich ein gross inszenierter autofreier Tag stattfindet (siehe Box), soll es in Luzern nicht werden. «Wir wollen diesen Tag nicht mit grossem Tamtam oder einem teuren Fest begleiten, sondern lieber regelmässig kleine Projekte ermöglichen.»

Wieso nur Autos?

Geht es um Autos – oder gegen Autos –, regt sich auch in der urbanen Neustadt rasch Widerstand (zentralplus berichtete). Das Quartier ist seit Jahren eines der hippsten der Stadt, auch dank der lebendigen Gastronomie und der Läden. Dass das Gewerbe wegen eines Tags pro Monat auf die Barrikaden geht, glaubt Pardini aber nicht. Eine attraktive Erschliessung für Velofahrer und Fussgängerinnen «kann auch für das Gewerbe und die Gastronomie gerade in den Sommermonaten viele Vorteile mit sich bringen». «Etliche Studien zeigen, dass autobefreite Quartiere als Wirtschaftsmotor dienen können. Ein solcher Tag zieht automatisch mehr Menschen an – und damit potenzielle Kunden.»

Das rot umrandete Gebiet kommt gemäss der SP für die autofreie Zone in Frage.

Das rot umrandete Gebiet kommt gemäss der SP für die autofreie Zone in Frage.

(Bild: zvg)

Markus Schulthess vom Quartierverein erachtet es hingegen als problematisch, wenn man gezielt Autos aussperrt. «Auch Velos oder Elektrobikes können ein Projekt auf der Strasse behindern, deshalb wäre es besser, man würde es ganz verkehrsfrei machen.»

Grundsätzlich begrüsst der Quartierverein aber Aktivitäten, um den «Raum zurückzuerobern». Einem Pilotprojekt, um das Bedürfnis der Bevölkerung zu testen, stehe man in der Neustadt sicher positiv gegenüber. Wenn dies nach Geschäftsschluss oder am Sonntag geschehe oder das Gewerbe miteinbezogen werde, so liessen sich solche Ideen und Anlässe sicher umsetzen, glaubt Schulthess.

Idee ist kaum mehrheitsfähig

Die Chancen der Forderung dürften im Grossen Stadtrat aber ohnehin gering sein. Denn für eine Mehrheit brauchen die Linken die Unterstützung der Grünliberalen. Und diese äussern sich auf Anfrage skeptisch. «Das Pilotprojekt Autofreie Neustadt unterstützen wir nicht und sehen wir auch für das Gewerbe als nicht angebracht oder gewinnbringend», sagt Vize-Fraktionschefin Judith Wyrsch.

Autofreie Tage und Zonen

Autofreie Tage kennen auch andere Städte. In Sursee beispielsweise ist die Altstadt in den Sommermonaten, von Mai bis September, am Wochenende für Autos gesperrt. Das Fahrverbot gilt jeweils vom frühen Samstagabend bis Montagfrüh.

In der Stadt Bern hingegen gibt es seit 2013 einmal pro Jahr einen autofreien Sonntag. Der Tag findet jährlich in einem anderen Quartier statt und wird richtiggehend zelebriert – mit einem grossen Fest und bis zu 15’000 Besuchern.

In Luzern wird bald die Bahnhofstrasse autofrei. Das hat die Bevölkerung vor fünf Jahren entschieden. Das Stadtparlament wird im Verlauf des Jahres über den Baukredit befinden, die Umgestaltung soll Ende 2019 starten.

Die Neustadt sei eben erst aufgewertet worden – einen zusätzlichen autofreien Tag zur Belebung erachtet die GLP als unnötig. Die Neustadt bilde seit Jahren einen «Hotspot der Ausgehszene» mit Restaurants, Parks, Läden und einem guten Mix zwischen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Leben. Wyrsch verweist zudem auf den überwiesenen Vorstoss ihrer Partei für Tempo 30 auf der Hirschmattstrasse (zentralplus berichtete). Dadurch werde diese Strasse «übergreifend entschleunigt und für alle Verkehrsteilnehmer beruhigt», so Judith Wyrsch.

Vorgezogener Aprilscherz?

Auch rechts der Grünliberalen rennt die SP kaum offene Türen ein. Bei der FDP, der grössten Fraktion auf bürgerlicher Seite, stösst die SP auf wenig Verständnis. «Ich habe mich ehrlich gefragt, ob das ein vorgezogener 1.-April-Scherz ist», sagt FDP-Präsident Fabian Reinhard. «Die Idee ist überhaupt nicht durchdacht und weit davon entfernt, praktikabel zu sein.» Nebst offenen Punkten zur Verkehrsführung setzt er auch ein Fragezeichen hinter den grundsätzlichen Ansatz.

«Natürlich kann man die Strasse für einen Anlass sperren», sagt Reinhard, der selber in der Neustadt wohnt. Er verweist als Beispiele auf das Luzerner Fest oder die Fasnacht, an denen die Sperrung der Strasse einwandfrei funktioniere. «Aber es ist kein Selbstzweck, die Strassen autofrei zu machen. Die Forderung ist von der falschen Seite her gedacht.»

«Das Auto ist böse, das Auto muss weg.»

Fabian Reinhard, FDP-Präsident

Reinhard vermutet vielmehr eine verkehrsideologische Motivation dahinter. «Das Auto ist böse, das Auto muss weg: Das ist einer dieser links-grünen Vorstösse, um das Auto aus der Stadt zu verbannen.» Dieses Verkehrsmittel gehöre aber genauso zum städtischen Leben wie alle anderen Mobilitätsformen, so Reinhard. «Wer das nicht wahrhaben will, hat die Essenz von Urbanität nicht verstanden.»

Doch Gianluca Pardini entgegnet: «Ich bin überhaupt kein Autofeind.» Der Vorschlag ziele bewusst nur auf einen einzigen Tag pro Monat, an dem versuchsweise eine autofreie Zone geschaffen werde, um Erfahrungen zu sammeln. Velos ebenfalls auszuschliessen, wie der Quartierverein anregt, findet er nicht nötig. «Das Velo kann man schieben, wenn viel los ist – in der Altstadt funktioniert das ja auch.»

Einig ist man sich zumindest in einem Punkt: Das Ziel ist ein lebenswertes Quartier. Doch wie Judith Wyrsch findet auch Reinhard: Die Neustadt ist das bereits – auch ohne autofreien Tag.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von kurt_heller bluewin.ch
    kurt_heller bluewin.ch, 31.03.2018, 16:22 Uhr

    Ideologie der Linken? Oder doch eher der Rechten?
    Fabian Reinhard von der FDP zementiert das Bild der Ideologie von Rechts, indem er einen harmlosen Vorstoss für verkehrsfreie Quartierfeste in einen ideologischen Vorstoss von Autofeinden ummünzt. Das Brett vor seinem Kopf spiegelt sich in seiner Replik. Kurt Heller

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