Luzerner erzürnt über Post-Schliessungen

«Die Stadt hat sich von der Post über den Tisch ziehen lassen»

Derzeit ist die Poststelle im Bruchquartier noch geöffnet, obwohl sie immer weniger Kunden zählt.

(Bild: giw)

Der Schock über die Schliessung von vier Luzerner Poststellen sitzt tief. Gelassen bleibt hingegen der Stadtrat, er befürwortet die Marschrichtung der Post grundsätzlich. Nun muss er sich die Kritik gefallen lassen, die Interessen der Bevölkerung nicht genügend ernst zu nehmen.

Letzte Woche sorgte eine Meldung der Post für Aufsehen. Bis 2020 sollen gleich drei Poststellen in Agenturen überführt werden und eine vierte verschwindet vollständig (zentralplus berichtete). Würzenbach, Reussbühl und die Lehrlingspoststelle am Hirschengraben werden in eine von Dritten geführte Agentur überführt, die Poststelle Schönbühl verschwindet vollständig. Nun zeigt sich: Der Luzerner Stadtrat wusste schon seit dem 1. Februar Bescheid und befürwortet die Schliessungen grundsätzlich.

Eine Schliessung auf Raten?

Zum Thema Poststellen wurden im letzten Herbst gleich zwei Vorstösse eingereicht: Einerseits ein Postulat von Rieska Domman namens der FDP-Fraktion «für eine gute Versorgung mit Postdienstleistungen in den Quartieren». Andererseits ein Vorstoss der SP mit dem Titel «Bedrohte Poststellen in der Stadt Luzern». Nun liegen die Antworten der Stadtregierung vor.

In der Antwort auf den bereits im September eingereichten SP-Vorstoss schreibt der Stadtrat: «Diese Strategie ist aus Sicht des Stadtrates nachvollzieh- und grundsätzlich vertretbar: Die Dienstleistungen können so weiterhin flächendeckend angeboten werden. Die Öffnungszeiten hingegen sind in Agenturen in der Regel länger.» Die Geschäftsform erscheint dem Stadtrat weniger relevant. Der Stadtrat nimmt den Entscheid der Post erstaunlich gelassen hin. Ausdrücklich begrüsst es der Stadtrat, «wenn die Post auf traditionelle und neue Kundenbedürfnisse eingeht».

«Bereits heute sind die Warteschlangen in den zentralen Poststellen eine Zumutung.»

Claudio Soldati, Präsident und Grossstadtrat SP Stadt Luzern

Doch gibt es tatsächlich keine Leistungseinbussen für die Stadtbevölkerung? Peter With, Präsident der städtischen SVP, befürchtet eine Negativspirale durch der Streichung der herkömmlichen Poststellen: «Die Postagenturen werden sicher weniger Dienstleistungen anbieten und weniger qualifiziertes Personal haben.»

Es dürfte mit den Agenturen wohl eine Schliessung auf Raten sein: Mit der Reduktion der Dienstleistungen sinke die Attraktivität, dadurch sinken die Kundenzahlen und schliesslich wird dann die eine oder andere Postagentur doch noch geschlossen.

Postagenturen und Poststellen im Vergleich, Quelle Syndicom – Gewerkschaft Medien und Kommunikation

«Quartier-Poststellen für ältere Personen wichtig»

Wie With sind auch die Sozialdemokraten überzeugt, dass die Postagenturen nicht die Qualität einer Poststelle haben: «Mit Postbüechli und Bargeld können auf Postagenturen keine Einzahlungen gemacht werden. Für viele ältere Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität ist eine Quartier-Poststelle deshalb von grosser Wichtigkeit», sagt Claudio Soldati, Präsident der SP Stadt Luzern und Grossstadtrat. Es gehe doch nicht an, dass ältere Menschen zukünftig nur für Mietzins- und Krankenkassen-Zahlungen ins Stadtzentrum gehen müssen. «Bereits heute sind die Warteschlangen in den zentralen Poststellen eine Zumutung», enerviert sich Soldati.

Für die CVP ist die Haltung des Stadtrates nachvollziehbar, aber mutlos. Grossstadtrat Albert Schwarzenbach verweist darauf, dass «die Post ein eigenständiges, gewinnorientiertes Unternehmen ist. Verbunden allerdings mit dem Auftrag, ein flächendeckendes Netz von Poststellen und Postagenturen zu betreiben. Und darauf hat die Stadt öffentlichkeitswirksam zu pochen».

FDP sieht Vorteile in der Agenturlösung

Beispielsweise sollte sie sich laut Schwarzenbach für eine Postagentur im Schönbühl-Quartier einsetzen, wenn die Poststelle nicht gerettet werden kann. Obwohl für Schwarzenbach die Postagenturen nicht die optimale Lösung sind, könnten sie durch die steigenden Umsätze die Existenz eines Unternehmens sichern. Das zeige sich am Beispiel der Bäckerei Merz in der Altstadt, die gleichzeitig Postdienstleistungen erbringt.

Bei der FDP ist man erfreut, dass der Stadtrat ihr Postulat entgegennimmt. «Daher sind wir natürlich mit der Haltung des Stadtrats einverstanden», sagt Sonja Döbeli Stirnemann, Fraktionschefin FDP Stadt Luzern. Der Stadtrat versichere in seiner Antwort, dass er sich für eine gute Abdeckung der Grundversorgung für die Stadt einsetzt. Ausserdem sieht die FDP auch Vorteile in der Agenturlösung – insbesondere was die längeren Öffnungszeiten betreffe.

Wenig Spielraum für den Stadtrat

Zu den Leistungseinbussen durch die Schliessung der posteigenen Filialen schreibt der Stadtrat: «Kritisch ist der Stadtrat zum einen mit Blick auf jene Bevölkerungsgruppen, die sich mit elektronischen und bargeldlosen Geschäften nicht auskennen oder keinen Zugang dazu haben. Der Stadtrat hat sich dafür ausgesprochen, herkömmliche Angebote zu erhalten.»

«Die Gemeinderäte der Landgemeinden engagieren sich für ihre Poststellen. Warum sich der Luzerner Stadtrat so zaghaft gibt, ist überhaupt nicht nachvollziehbar.»

Claudio Soldati, Präsident und Grossstadtrat SP Stadt Luzern

Der Stadt seien jedoch die Hände gebunden. Mit Blick auf die gesetzlichen Grundlagen ist fraglich, ob der Stadtrat die Schliessungen überhaupt verhindern könnte. Das Verfahren bei einer Schliessung oder Verlegung einer Poststelle oder Postagentur wird in der Postverordnung definiert: Die Post muss die Behörden der betroffenen Gemeinden im Voraus anhören und eine einvernehmliche Lösung anstreben. Gelingt das nicht, kann die Gemeinde die Postkommission (PostCom) anrufen. Diese prüft, ob die Post die Minimalanforderungen an den Grundauftrag erfüllt.

Das Poststellen- und Postagenturennetz muss gewährleisten, dass 90 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung zu Fuss oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Poststelle oder Postagentur innerhalb von 20 Minuten erreichen können. Bietet die Post einen Hausservice, wie er im Schönbühl-Quartier geplant ist, so gelten für die betroffenen Haushalte 30 Minuten.

«Offensichtlicher Dienstleistungsabbau»

Diese Minimalanforderung ist laut dem Stadtrat erfüllt. Am Schluss entscheidet aber sowieso die Post. Fakt ist also: Solange die Post ihren Grundauftrag erfüllt, kann sie Filialen auch ohne Unterstützung des Stadtrates schliessen. Das schreibt die Stadtregierung selbst: «Die rechtlichen Möglichkeiten der Gemeinden auf dem Verfahrensweg sind definiert. Sie sind nicht stark.»

«Der Stadtrat müsste die Anliegen und das Befinden der Bevölkerung, insbesondere der älteren und weniger mobilen Menschen, ernster nehmen.»

Peter Spichtig, Regionalsekretär der Syndicom

Claudio Soldati, der den Vorstoss zu den bedrohten Poststellen letzten September dem Stadtrat stellte, kritisiert die Haltung des Stadtrates zu den Poststellenschliessungen: «Sie ist enttäuschend und in dieser Form unverständlich. Kein kritisches Wort. Kein Hinterfragen.» Vielmehr übernehme man grösstenteils die beschönigenden Formulierungen der Post zu einem für den Normalkunden und auch für die Gewerbetreibenden offensichtlichen Dienstleistungsabbau der Post.

Der neue Stadtrat (von rechts): Martin Merki, Franziska Bitzi Staub, Beat Züsli, Manuela Jost und Adrian Borgula. Ganz links Stadtschreiber Toni Göpfert.

Der Stadtrat zeigt viel Verständnis für die Poststellen-Schliessungen (von rechts): Martin Merki, Franziska Bitzi Staub, Beat Züsli, Manuela Jost und Adrian Borgula. Ganz links Stadtschreiber Toni Göpfert.

(Bild: jal)

Für Soldati ist klar: «Der Stadtrat hat sich offenbar von der Post so richtig über den Tisch ziehen lassen.» Er verweist auf die Luzerner Landschaft, dort sei die Opposition der Regierungsvertreter gegen die Schliessung von Poststellen grösser: «Die Gemeinderäte der Landgemeinden engagieren sich für ihre Poststellen. Warum sich der Luzerner Stadtrat so zaghaft gibt, ist überhaupt nicht nachvollziehbar.»

Wehrt sich der Stadtrat nicht genügend vehement?

Die Vorwürfe von Soldati an die Adresse der Stadtregierung lassen sich nur schwerlich beurteilen. Denn wie die Gespräche mit den Vertretern der Post verliefen, ist vertraulich. Peter Spichtig, Regionalsekretär der Syndicom, der Gewerkschaft Medien und Kommunikation, ist der Meinung, dass «der Stadtrat die Anliegen und das Befinden der Bevölkerung, insbesondere der älteren und weniger mobilen Menschen, ernster nehmen müsste».

Spichtig nennt dabei das Beispiel der Poststelle Schönbühl. Hier mache die passive Position der Exekutive etwa im Hinblick auf die Verkehrspolitik wenig Sinn: «Angesichts der weiter wachsenden Quartiere Tribschen und Schönbühl und auch aus Sicht der vom Stadtrat propagierten Verkehrsentflechtungspolitik ist dessen Haltung nicht nachvollziehbar und mehr als fragwürdig.»

SP-Präsident und Grossstadtrat Claudio Soldati bringt die Idee von Gewerbeparkplätzen ins Spiel.

SP-Präsident und Grossstadtrat Claudio Soldati kann die passive Haltung der Stadtregierung bei den geplanten Poststellen-Schliessungen nicht nachvollziehen.

(Bild: Jakob Ineichen)

Syndicom greift Kantonsregierung an

Die Syndicom geht mit der Post und der Politik generell hart ins Gericht: «Ich denke, es liegt an der Politik, hier endlich schönen Worten auch konkrete Taten folgen zu lassen. Die Politik sollte der unverhältnismässigen Gewinnoptimierungspolitik dieses Service-Public-Betriebes kritischer gegenüberstehen.» Mit Blick über die Stadtgrenze hinaus kritisiert die Syndicom ausserdem die Kantonsregierung: «Der zuständige Regierungsrat Robert Küng hat zumindest in einem kürzlich erfolgten Interview nicht den Eindruck gegeben, dass die Luzerner Regierung sich mit Herzblut für diese für die Bevölkerung wichtige Frage einsetzen will», sagt Spichtig. «Mit Blick auf andere Gemeinden dürfte die Chance, eine Schliessung zu verhindern, sehr gering sein.»

Spichtig befürchtet in anderen Regionen des Kantons ebenfalls einen massiven Abbau an posteigenen Filialen: «Wie das die Bevölkerung empfindet, wenn in Regionen wie dem Entlebuch, dem Luzerner Hinterland oder dem Seetal – falls nicht Gegensteuer gegeben wird – noch eine oder wenn es gut kommt noch zwei echte Poststellen bestehen? Das sollte den Regierungsrat eigentlich nicht kalt lassen.»

SP plant parlamentarischen Vorstoss

Doch was kann die Luzerner Politik gegen die Pläne des Gelben Riesen unternehmen? Für Gewerkschafter Spichtig liege es nun an der Politik, diese Massnahmen zu definieren und eine breite Debatte darüber zu lancieren und, wo begründet, gegen diese von der Post beabsichtigten Schliessungen anzukämpfen. Dabei spielt die Luzerner Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle: «Es ist wichtig, dass sich auch die betroffenen Menschen und deren Quartiervereine engagieren und ihre Forderung bei der Politik platzieren.»

«Die Post muss in einem gewissen Mass auch auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen.»

Albert Schwarzenbach, CVP-Grossstadtrat

Bei der SP prüft man derweil einen weitergehenden parlamentarischen Vorstoss, sieht aber wie die Syndicom die betroffene Bevölkerung in der Pflicht: «In erster Linie ist nun aber eine klare Botschaft für den Erhalt der Poststellen von der betroffenen Quartierbevölkerung, den Quartiervereinen und Gewerbeorganisationen notwendig.» Deshalb hat sie die Petition «uns reichts» lanciert, die auch von den Grünen unterstützt wird, um den Stadtrat stärker unter Druck zu setzen. «Seit letzten Donnerstag sind online 450 Unterschriften zusammengekommen», sagt Soldati. Ausserdem werde man in den nächsten Wochen auch auf der Strasse sammeln, um insbesondere die besonders betroffenen älteren Stadtbewohner zu erreichen.

«Post muss auf öffentliche Meinung Rücksicht nehmen»

Für Grossstadtrat Schwarzenbach von der CVP ist klar: «Die Post muss in einem gewissen Mass auch auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen.» Es werde immer Bevölkerungsgruppen geben, die sich mit den neuen Techniken nicht auskennen. «Darum braucht es Poststellen und Postagenturen. Zu definieren ist, wie viele. Die Stadt und die Gemeinden müssen ihre Bedürfnisse gegenüber der Post proaktiv geltend machen», sagt Schwarzenbach.

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