Stolpert Einbürgerungsvorlage über Ständemehr?

Luzern könnte nationale Abstimmung entscheiden

Sollen sich Ausländer der dritten Generation erleichtert einbürgern lassen können? Der Kanton Luzern könnte den Ausschlag geben. (Bilder: zvg/Montage: zentralplus)

Sollen Ausländer der dritten Generation vereinfacht zum Schweizer Pass kommen? Obwohl die aktuellsten Umfragen von einem Ja an der Urne ausgehen, könnte die Vorlage am Ständemehr scheitern. Und da spielt Luzern eine besondere Rolle, glauben Experten.

Die Sache scheint gelaufen: 66 Prozent der Stimmbürger wollen, dass Enkel von Einwanderern erleichtert zum Schweizer Pass kommen. Das zeigt die SRG-Umfrage von diesem Mittwoch. So sprachen sich 48 Prozent der Befragten für ein klares Ja aus, 18 Prozent sind «eher dafür». Sicher oder eher Nein stimmen hingegen nur 31 Prozent. Etwas weniger klar ist die Ausgangslage gemäss der «Tamedia»-Umfrage (siehe Grafiken unten).

Doch die Vorlage könnte über eine andere Hürde stolpern: das Ständemehr. Da es sich um eine Verfassungsänderung handelt, muss auch die Hälfte der Kantone zustimmen. Und da könnte Luzern eines der Zünglein an der Waage sein. Denn: Luzern gilt als «Swing State». Was das heisst, erklärt Lukas Golder, Politologe beim Forschungsinstitut gfs Bern: «Wenn es knapp wird, könnten einige wenige Kantone darüber entscheiden, ob das nötige Ständemehr erreicht wird.» Dazu zählt Lukas Golder neben Luzern auch die Kantone Baselland, Graubünden, Solothurn oder Zug.

Blick zurück

Doch wieso gerade Luzern? Zu diesem Schluss gekommen ist das Forschungsinstitut gfs aufgrund einer Analyse ähnlicher Abstimmungen, allen voran jener von 2004. Auch damals stand nebst der erleichterten Einbürgerung für die zweite Generation jene von sogenannten Terzos – Ausländer dritter Generation – zur Debatte. Allerdings mit einem Automatismus: Grosskinder von Einwanderern, die in der Schweiz geboren sind, sollten automatisch den Pass erhalten. Doch die geplante Vereinfachung scheiterte – sowohl am Volks- als auch am Ständemehr. Auch Luzern stimmte dagegen – und lag mit seinem Ja-Stimmen-Anteil ziemlich in der Mitte aller Kantone.

«Falls es knapp wird, braucht es ein Ja aus den Kantonen mit einer durchmischten politischen Kultur.»

Lukas Golder, Politologe

Obwohl sich seither vieles verändert hat: «Das Muster in der Reihenfolge der Kantone bleibt meist gleich», sagt Lukas Golder. Sprich: Die urbanen und welschen Kantone stimmen den Vorlagen zu diesem Thema tendenziell stärker zu, die ländlichen Kantone eher weniger. «Gerade diese kleinen, ländlichen Kantone machen sehr schnell viele Standesstimmen aus», sagt Golder. Umso wichtiger werden eben jene «Kippkantone» in der Mitte.

Auch andere Experten, wie zum Beispiel der Berner Politikberater Mark Balsiger, zählen Luzern zu den «Swing States», wie er auf Twitter erklärt:


 

«Falls es knapp wird, braucht es ein Ja aus den Kantonen mit einer durchmischten politischen Kultur und heterogenen Einflüssen», sagt Golder. Und Luzern sei ein typisches Beispiel dafür: «Luzern hat eine nach links gerückte Stadt und eine offene, urbane Agglomeration, andererseits auf dem Land eine immer stärkere SVP sowie eine einflussreiche CVP.»

Keinen Extra-Wahlkampf der SVP

Das Volksmehr scheint also kaum mehr jemand anzuzweifeln. Gegner müssten demnach beim Ständemehr ansetzen. Rücken sie nun also Kantone wie Luzern in den Fokus? «Ich kann mir vorstellen, dass die Intensität des Abstimmungskampfes dort zugenommen hat», sagt Golder. «Aber selbst dann steht das Thema im Schatten der Debatte um die Unternehmenssteuerreform.»

In Luzern rund 1200 betroffen

Gemäss einer aktuellen Studie leben in der Schweiz 24’656 Personen der dritten Ausländergeneration, die nicht älter als 25 Jahre sind und mindestens fünf Jahre die Volksschule besucht haben – und damit die formalen Bedingungen für die erleichterte Einbürgerung erfüllen würden. Der allergrösste Teil davon stammt aus Europa, über 50 Prozent aus Italien.

Wie viele Menschen aus dem Kanton Luzern für die erleichterte Einbürgerung der dritten Ausländergeneration infrage kämen, dazu gibt es keine genauen Zahlen. Beim Kanton geht man erfahrungsgemäss davon aus, dass es rund fünf Prozent der gesamtschweizerischen Zahl ist – das wären zirka 1230 Personen. 

Franz Grüter, Präsident der Luzerner SVP, hält fest, dass die SVP bei beiden Vorlagen einen aktiven Abstimmungskampf betreibe. Im Vergleich mit anderen Kantonen würden aber keine besonderen oder weitergehenden Kampagnenmassnahmen getroffen. Sprich: Um die Luzerner Stimmen wird nicht intensiver gekämpft als um andere.

Schreckte Burka-Plakat Mitstreiter ab?

Auf Unterstützung jenseits der Parteigrenze kann die SVP kaum zählen. Obwohl besonders aus den Reihen der FDP und der CVP etliche Kritiker aus Luzern erklingen. So haben beispielsweise die beiden Ständeräte Konrad Graber (CVP) und Damian Müller (FDP) aus föderalistischen Gründen gegen die Vorlage votiert. Auch die Nationalräte Peter Schilliger und Albert Vitali äusserten sich gegen die erleichterte Einbürgerung.

Aber nicht, weil Ausländer den Schweizer Pass damit zu einfach bekämen – vielmehr stören sie sich daran, dass der Bund so mehr Kompetenzen erhält. Ein Argument, das auch bei den Wählern verfange, sagt Golder. «Die Werthaltung in der Innerschweiz ist typischerweise ziemlich konservativ, und das hängt eng zusammen mit diesem antizentralistischen Effekt.»

 

 

Trotzdem geben sich die genannten Vertreter von CVP und FDP nun auffällig zurückhaltend. Für SVP-Präsident Franz Grüter ist das unverständlich, er kritisiert das mangelnde Rückgrat. Lukas Golder ortet indes einen anderen Grund. Die SVP-Kampagne mit den Burka-Plakaten habe viele aufgeschreckt – und einige potenzielle Mitstreiter abgeschreckt. «Es ist gut möglich, dass sich mancher, der nicht das SVP-Gedankengut in sich trägt, schnell mal von der heftigen Kampagne distanzieren wollte.»

«Man kann die Burka-Plakate gut oder schlecht finden.»

SVP-Präsident Franz Grüter

Franz Grüter will dieses Argument nicht gelten lassen. «Man kann die Burka-Plakate gut oder schlecht finden», sagt er, fügt aber an: «Wenn jemand seine Meinung aufgrund eines Plakates ändert, so ist dies inkonsequent.»

Noch ist alles offen

Ob es tatsächlich so weit kommt, dass das Resultat in Luzern – oder anderen «Swing States» – entscheidend sein wird, ist offen. Zwischen der ersten und der zweiten SRG-Umfrage konnten die Gegner zulegen, aber sie sind mit 31 Prozent ziemlich in Rücklage. «Wir wissen nicht, ob sich der Trend zu einer kritischen Haltung so weiterentwickelt», sagt Golder.

Lukas Golder, Politologe am Forschungsinstitut gfs in Bern, bezeichnet Luzern als «Kipp-Kanton».

Lukas Golder, Politologe am Forschungsinstitut gfs in Bern, bezeichnet Luzern als «Kipp-Kanton».

(Bild: zvg)

Die Gegen-Kampagne habe bisher vor allem bei den SVP-Wählern eingeschlagen, die Basis der anderen bürgerlichen Parteien schwappte hingegen kaum zu einem Nein über. Und das Feld der Unentschlossenen ist bereits grossflächig abgegrast, nur noch 3 Prozent wissen gemäss SRG-Umfrage noch nicht, ob sie Ja oder Nein stimmen werden, gemäss Tamedia-Umfrage ist es gar nur 1 Prozent.

Für Lukas Golder ist darum klar: Wenn es so weitergeht, könnte die Zustimmung über 55 Prozent erreichen. Und dann wäre die Sache eh gegessen. «Bei einem solch deutlichen Ja ist das Ständemehr meist gegeben.» Wie entscheidend Luzern letztlich sei, könne man im Voraus nicht sagen. «Ich rate daher einfach allen, abstimmen zu gehen. In den letzten paar Jahren kam es ein paar Mal vor, dass gerade bei Ausländerfragen letztlich relativ wenige Stimmen entscheidend waren.»

 

 

 

 

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