Luzerner Polizeigesetz: Bestätigung für Gegner

Kanton gehe «fahrlässig» mit Grundrechten um

Saubannerzug durch Luzern: Die demonstrierenden Personen am 9. Dezember 2016.

(Bild: Leserbild)

Das Bundesgericht doktert an Luzerns Gesetzgebung herum: Bereits zum dritten Mal wird das Polizeigesetz des Kantons gerichtlich zurechtgerückt. Die Praxis der Überwälzung von überbordenden Polizeikosten auf Einzelpersonen wurde von den Lausanner Richtern gekippt. Ein «Teilsieg» für die Kritiker, der vor allem Unsicherheit bringt.

Das Bundesgericht erklärte am Mittwochmorgen den Abschnitt zur Kostenüberwälzung auf «gewalttätige Demonstranten» aus dem Luzerner Polizeigesetz für verfassungswidrig (zentralplus berichtete). Kommt es bei einer Veranstaltung oder Kundgebung zu Gewalt oder Sachbeschädigung, konnte die Polizei auf der Basis dieses Artikels ihre zusätzlichen Einsatzkosten zu gleichen Teilen von den randalierenden Personen einfordern – pro Person bis zu 30’000 Franken.

Dies sei laut dem Lausanner Gericht unzulässig, weil sich mit diesem Abschnitt nicht abschätzen liesse, wer in welchem Masse für das Polizeiaufgebot verantwortlich sei. Denn: Einer Person, die ein Schaufenster einschlägt kann nicht die gleiche Summe aufgebürdet werden wie jemandem, der nur danebenstehe.

Die Überwälzung der Kosten wurde aber nicht gänzlich gestrichen. Bestehen bleibt die umstrittene Kostenbeteiligung der Veranstalter an überbordenden Polizeieinsätzen. Auch da kann ein Veranstalter mit bis zu 30’000 Franken zur Kasse gebeten werden. Die Demokratischen Juristinnen und Juristen Luzern (DJL), die SP und Grüne sowie  der Luzerner Gewerkschaftsbund und drei Einzelpersonen hatten 2015 Beschwerde gegen das Polizeigesetz eingereicht.

Die Beschwerdeführer dieser Gesetzesvorlage bemängelten, dass ein Betrag in dieser Höhe die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit beschneide. Durch eine Androhung der Kosten würden Bürger abgeschreckt, an Demonstrationen oder Kundgebungen teilzunehmen – da auch das Risiko von hohen Bussen nach dem «migegangen-mitgefangen»-Prinzip entstehen können. Ausserdem, so SP-Kantonsrat Marcel Budmiger vor zwei Jahren gegenüber zentralplus, sei neben der Gebühr noch eine Strafe und allenfalls Schadenersatz zu bezahlen. Alles zusammen ergäbe also eine sehr saftige Rechnung

«Um diese Vorlage wird nun seit sechs Jahren gestritten und die Luzerner Regierung hat noch immer nicht geschafft, ein verfassungskonformes Polizeigesetz zu verabschieden.»

Markus Husmann, Vorstand DJL

Erfahrungen laufen gegen den Bundesgerichtsentscheid

Markus Husmann vom Vorstand der Demokratischen Juristinnen und Juristen Luzern zeigt sich grundsätzlich zufrieden mit dem Urteil vom Mittwoch: «Man kann sagen, für uns ist es ein weiterer Erfolg. Um diese Vorlage wird nun seit sechs Jahren gestritten und die Luzerner Regierung hat noch immer nicht geschafft, ein verfassungskonformes Polizeigesetz zu verabschieden.»

Aber, so Husmann, durch die Streichung des vierten Abschnitts – und dadurch nicht des ganzen Artikels – werde vor allem Eines geschaffen: Unsicherheit. Fakt ist: Nach wie vor steht im Polizeigesetz, dass Kosten auf einzelne Personen abgewälzt werden dürfen. Gestrichen wurde nur die gleichmässige Aufteilung auf Einzelpersonen und die Begrenzung von 30’000 Franken.

«Theoretisch haben wir dadurch gar keine Obergrenze mehr. Das Bundesgericht wollte nicht festlegen, welche Verteilung und welche Begrenzungen grundrechtskonform wären», so Husmann. Aber: «Das Bundesgericht sagt mit dem Urteil, der Kanton Luzern hat dringenden Handlungs- und Klärungsbedarf im Polizeigesetz.» Dennoch sieht das Bundesgericht die Kostenabwälzung nicht grundsätzlich als verfassungswidrig an.

Das Polizeigesetz sagt: 200 Stunden Polizeiarbeit sind gratis

In Luzern regelt das neue Polizeigesetz, das auf Anfang 2016 in Kraft getreten ist, die Kosten bei Veranstaltungen. Gemäss Verordnung gehören 200 Einsatzstunden pro Veranstaltung zum Grundauftrag und sind somit unentgeltlich. Je Art des Anlasses werden zusätzliche Polizeistunden den Veranstaltern in Rechnung gestellt.

Dabei wird in verschiedene Kategorien in Abstufung von kommerziell bis ideell eingeteilt. Kommerzielle Anlässe, wie ein Fussballnati-Spiel, müssen für 100 Prozent der Polizeikosten aufkommen. Gleichermassen kommerziell wie ideell, zum Beispiel der Lucerne Marathon, muss die Hälfte der Polizeikosten tragen. Rein ideelle Veranstaltungen wie Kundgebungen, Schwingfeste oder die Fasnacht zahlen nichts.

«Unsere Erfahrungen laufen leider entgegen den Einschätzungen des Bundesgerichts. Durch die neuen Gesetzgebungen finden wichtige Veranstaltungen wie beispielsweise die Maidemonstration seit 2016 nicht mehr statt», sagt Husmann Dabei treffe der Abschreckungseffekt die Falschen: «Wer grosse Strafen in Kauf nimmt, und das tun Randalen, der nimmt auch grosse Kosten in Kauf. Aber Veranstalter von Demonstrationen werden aufgrund der hohen Kostenandrohung davon abgehalten, Kundgebungen zu organisieren.» Damit würden die Veranstalter in ihrem Grundrecht der Rede- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt, so Husmann.

«Man sollte das Gesetz grundsätzlich überdenken»

Marcel Budmiger sagt nach der öffentlichen Bundesgerichtsdebatte: «Es ist ein Teilsieg, der zeigt, wie fahrlässig in unserem Kanton mit Grundrechten umgegangen wird.» Nun sei die Kantonsregierung gefordert: «Durch die Streichung des Abschnitts herrscht vor allem eine rechtliche Unsicherheit. Die Regierung muss nun handeln und endlich ein vertretbares Polizeigesetz ausarbeiten.»

«Neben den grundrechtlichen Bedenken ist die Kostenüberwälzung auch schlicht nicht praxiskonform.»

Marcel Budmiger, SP-Kantonsrat

Seine Empfehlung sei, den Gesetzesabschnitt mit der Überwälzung von Kosten – für Veranstalter wie für Einzelpersonen – ganz aus dem Gesetz zu streichen. «Neben den grundrechtlichen Bedenken ist die Kostenüberwälzung auch schlicht nicht praxiskonform. Das hat man auch am Beispiel Blue Balls gesehen.» Dort legten die Veranstalter beim Kantonsgericht Beschwerde gegen die Rechnung für den Polizeieinsatz ein und bekamen Recht. Budmiger führt aus: «Wenn ein Gesetz dreimal von einem Gericht gerügt wird, sollte man es grundsätzlich überdenken.»

Paul Winiker ist zufrieden mit dem Entscheid

Regierungsrat Paul Winiker (SVP), Leiter des Justiz- und Sicherheitsdepartements, konnte auf Anfrage noch nicht sagen, in welcher Form künftig Randalen zur Kasse gebeten werden. Winiker sagt: «Aufgrund der Tatsache, dass Luzern der erste Kanton mit einer solchen Kostenersatzregelung bei Veranstaltungen ist, waren uns gewisse Bedenken bewusst.» Trotzdem hätte man einen parlamentarischen Vorstoss unter Wahrung der Grundrechte umsetzen müssen. Das Bundesgericht habe nun Rechtssicherheit geschaffen, so Winiker. «Wir sind zufrieden damit.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Daniel Huber
    Daniel Huber, 19.01.2017, 10:11 Uhr

    Ja, ja, und Paul Winiker als verantwortlicher Regierungsrat wäscht wie immer seine Hände in Unschuld. «Wir mussten einen parlamentarischen Vorstoss unter Wahrung der Grundrechte umsetzen». Dass genau dies nicht erfolgt ist und die Grundrechte von Luzern eben wiederum nicht eingehalten werden, kein Wort. Muss man denn immer an die Grenzen und darüber hinaus gehen und die Bundesrichter beschäftigen? Diese Aufwände könnten sich unsere Sparpolitiker auch sparen…

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