Prämienverbilligung: Das sagen Luzerner Betroffene

«Ich kann doch nicht aufs Sozialamt»

Der Kanton gibt für die Prämienverbilligung immer weniger Geld aus. Darunter leiden die Bezüger.

(Bild: fotolia.com)

Dass die Vergünstigungen der Krankenkassenprämien vorerst ausbleiben, bringt viele Luzerner in Bedrängnis. Für eine Bevölkerungsgruppe könnte es sogar weitreichende Folgen haben. zentralplus fragt bei Betroffenen nach und zeigt, wen es am härtesten trifft.

Viel wurde in letzter Zeit über die Vergünstigung von Krankenkassenprämien gesprochen, es gab viel politisches Geplänkel zwischen Gemeinden und Kanton. Doch über die Betroffenen selber wurde kaum berichtet. Was sind das für Leute, die vom Ausbleiben der Verbilligung betroffen sind – und was bedeutet das für deren Portemonnaie?

Klar ist: Durch das Referendum der SVP gegen den Steuerfuss hat der Kanton Luzern kein rechtskräftiges Budget bis mindestens Juni. Das heisst, die individuelle Prämienverbilligung (IPV) wird nur an Bezüger von wirtschaftlicher Sozialhilfe (WSH) und Ergänzungsleistungen (EL) ausbezahlt. Der ganze Rest – rund 77’000 Personen – muss bis auf Weiteres die volle Prämie bezahlen (zentralplus berichtete). Das geht ins Geld – und das gerade bei denen, die kaum welches haben.

Geld reicht trotz Stipendien nicht aus

Philipp Mulle hat Bäcker-Konditor gelernt und zweieinhalb Jahre auf dem Beruf gearbeitet. Seit letztem Sommer holt Mulle die Berufsmatura nach und bekommt für die einjährige Ausbildung ein Stipendium in Höhe von rund 2000 Franken. «Dieses Stipendium wird berechnet mit allen Ausgaben. Aber bei dieser Rechnung war die Prämienverbilligung miteinkalkuliert.» Der 23-Jährige wohnt noch zu Hause, trotzdem reicht ihm das Geld nicht, um die Prämien selber zu zahlen.

Ein Gang aufs Sozialamt, wie vom Kanton vorgeschlagen, kommt für Mulle nicht in Frage. «Bei mir übernehmen wohl die Eltern die Rechnung bis im Sommer.» Aber auch für diese sei es kein unbedeutender Betrag – denn die Rechnungen, bis die Prämien voraussichtlich ausbezahlt werden, betragen insgesamt rund 2100 Franken. «Ich habe ja selber gearbeitet und meine Prämien immer selber bezahlt. Die Vorstellung, dass ich mit den Rechnungen wieder zu meinen Eltern gehe, ist nicht besonders prickelnd.»

«Eigentlich könnte ich am Ende des Monats ja den Kanton betreiben.»

Betroffener, Freischaffender (47)

Dem Kanton droht «Gesichtsverlust»

Ein Betroffener, der nicht namentlich genannt werden möchte, sagt, er habe als Freischaffender mehrere Jobs und hätte bisher auf monatlich 130 Franken Vergünstigung bei den Krankenkassenprämien zählen können. «Ich werde deswegen nicht verhungern», sagt der 47-Jährige, «aber ich habe dadurch sehr wenig Geld zur Verfügung.»

Die Situation ist für ihn schwer zu akzeptieren: «Damit kommen sie nicht durch! Das ist illegal: Das Kantonsgesetz kann nicht über das Bundesgesetz gestellt werden.» Er ist sich sicher: «Kann der Kanton diese Situation nicht regeln, so kommt das einem Gesichtsverlust gleich.» Trotzdem sieht er die Situation mit einem lachenden Auge: «Eigentlich könnte ich am Ende des Monats ja den Kanton betreiben.»

Studenten und Praktikanten in der Bredouille

«Auch wenn ich im Sommer rückwirkend einen gewissen Betrag erhalte, so weiss ich nicht, wie ich die Prämien bis dahin zahlen soll», sagt eine weitere Betroffene, die anonym bleiben möchte. Sie wisse nicht, wie es weitergehen soll, viele Freunde und Bekannte – hauptsächlich Studierende und Praktikanten – würden sich auch Sorgen machen.

Die konkreten Zahlen klingen bedenklich: Bisher sei sie als Praktikantin und mit Nebenjobs auf rund 1800 Franken Bruttoeinkommen pro Monat gekommen. Ausgehend von der letztjährigen Verbilligung zahle sie nun 370 statt 160 Franken – also rund 210 Franken mehr. Das wären in einem halben Jahr 1260 Franken: Für jemanden, der Ende Monat kaum Reserven hat, sehr viel Geld.

«Der Bezug von wirtschaftlicher Sozialhilfe kann sich negativ auf das Verfahren zur Erhaltung einer dauerhaften Niederlassungsbewilligung auswirken.»

Stefan Liembd, Abteilungsleiter Soziale Dienste Stadt Luzern

Ein Student, 25-jährig, sagt: «Ich arbeite, studiere und werde zusätzlich von meinen Eltern unterstützt. Trotzdem reicht das Geld nicht für die Krankenkassenprämie.» Vom Vorschlag der Regierung hält er nichts: «Ich kann doch nicht auf das Sozialamt – da gibt es Menschen, die es noch viel nötiger haben als ich.»

Die Situation ist für ihn unbefriedigend: «Das Studium ist meine Zweitausbildung, ich kann nicht noch mehr von meinen Eltern verlangen.» Gleichzeitig leide das Studium, denn: Müsse er durch die zusätzlichen Rechnungen mehr arbeiten, könne er weniger Kurse belegen – oder weniger Zeit auf das Studium verwenden. Die einzige Lösung: «Ich muss die fehlenden 200 Franken irgendwo sonst einsparen.»

Kennt alle Zahlen: Stefan Liembd, Leiter der Sozialen Dienste der Stadt Luzern.  (Bild: jwy)

Kennt alle Zahlen: Stefan Liembd, Leiter der Sozialen Dienste der Stadt Luzern.  (Bild: jwy)

Die Wahl zwischen Aufenthaltsbewilligung und Schulden

Besonders für ausländische Personen mit befristetem Aufenthaltsstatus könnten die ausbleibenden Vergünstigungen schwerwiegende Folgen haben. Stefan Liembd, Abteilungsleiter Soziale Dienste der Stadt Luzern, erklärt: «Der Bezug von wirtschaftlicher Sozialhilfe kann sich negativ auf das Verfahren zur Erhaltung einer dauerhaften Niederlassungsbewilligung auswirken. Darauf machen wir die Leute natürlich aufmerksam.»

Doch was heisst das konkret für die Leute? Müssen sie sich entscheiden, ob sie lieber ihre Niederlassungsbewilligung riskieren, indem sie Sozialhilfe beziehen, Schulden machen oder betrieben werden – und damit riskieren, auf die Liste säumiger Prämienzahler gesetzt zu werden? Bisher gäbe es laut Liembd für diese Personen nur die Möglichkeit, sich das Geld zu borgen oder auf Ersparnisse zurückzugreifen – wenn denn welche da sind –, um den Fall in die Sozialhilfe oder die Schulden zu verhindern.

«Wir wiesen die Gemeinden an, sicher keine Bevorschussung und Berechnungen vorzunehmen.»

Oskar Mathis, Verband Luzerner Gemeinden (VLG)

«Sollte man die Rechnung nicht zahlen, ist bei der Krankenkasse nachzufragen, ob ein Mahnstopp möglich wäre», führt Liembd aus. Dabei gäbe es durchaus Kassen, welche ein grösseres Mass an Kulanz an den Tag legen – aber das gelte längst nicht für alle.

Das Vorgehen der Stadt kann Liembd nicht kommentieren. Aber: «Die Stadt bereitet sich seit Dezember auf die Situation vor und hat verschiedene Massnahmen dazu entwickelt, die vom Stadtrat verabschiedet werden müssen.» Konkreter könne man wegen einer hängigen Interpellation der Grünen leider nicht werden.

Der VLG geht von einer Lösung aus

Oskar Mathis, Sozialvorsteher von Horw und Bereichsleiter Gesundheit und Soziales beim Verband der Luzerner Gemeinden (VLG), sagt, noch gäbe es keinen Grund zur Beunruhigung: «Ich gehe davon aus, dass eine Lösung gefunden wird, dieses halbe Jahr zu überbrücken.»

Der Verband Luzerner Gemeinden traf sich letzten Freitag zur Besprechung – Neues gäbe es aber wenig: «Wir wiesen die Gemeinden an, sicher keine Bevorschussung und Berechnungen vorzunehmen.» Man wolle zuerst die Entscheidung des Kantonsrats zur eingereichten Motion von Jörg Meyer und Charly Freitag abwarten (siehe Box).

Die Haltung der Regierung bleibt umstritten

Jörg Meyer (SP) und Charly Freitag (FDP) haben am 10. Januar per Motion vom Regierungsrat gefordert, «alle rechtlichen, kredit- oder notrechtlichen und alle Ermessens- oder Interpretationsspielräume sowie Sondermassnahmen auszuschöpfen», um die Prämienverbilligungen im ersten Halbjahr 2017 so bald wie möglich auszahlen zu können. Unterschrieben wurde die Motion von Politikern aller im Parlament vertretenen Parteien.

Paul Richli, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, sagte kürzlich gegenüber der «Luzerner Zeitung», die Luzerner Regierung hätte durchaus Spielraum bei der Auszahlung von Prämienverbilligungen. Dabei stützt er sich auf das Prämienverbilligungsgesetz und Bundesgerichtsentscheide. Da die Verbilligungen existenzsichernde Funktion hätten, seien sie im Grundsatz «gebundene Ausgaben» für den Kanton.

Die nächste Kantonsratssession findet am 30. und 31. Januar statt. Dort wird sich zeigen, ob die Regierung auf die Aufforderung eingeht. Bisher vertrat man die Haltung: Bei der momentanen Rechtslage sei eine Auszahlung der Prämienverbilligungen nicht möglich.

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