Was stimmt nun beim Bauprojekt Unterfeld?

Faktencheck zu Zugs «kleiner Bronx»

Ein grosser Park inklusive Wasserfläche soll das Herzstück der Überbauung Unterfeld Schleife bilden. Seitens der Zuger Bevölkerung stösst das Bauprojekt aber auf wenig Gegenliebe.

(Bild: zvg)

«Zumutung», «Trabantenstadt», «Banlieue», «Klein-New-York», «kleine Bronx» – das Riesenbauprojekt Unterfeld zwischen Zug und Baar hat schon viele grelle Etiketten verpasst bekommen. Zeit, im zentralplus-Faktencheck mal genauer hinzusehen, was wahr ist und was nicht.

Stell dir vor, es ist Abstimmung und niemanden interessiert es. So scheint es momentan in Baar und Zug. Zwischen den beiden Orten soll bald ein ganzes Quartier aus dem Boden gestampft werden, doch die öffentliche Diskussion wird ausschliesslich von Politikern dominiert – vor allem von denen aus der Stadt Zug.

Obwohl am 12. Februar in Zug und Baar zeitgleich über die Bebaungspläne Unterfeld Schleife und Unterfeld Baar abgestimmt wird, haben wir bei unserer intensiven Archivrecherche nur drei Leserbriefe von Normalbürgern zum Thema gefunden. Schauen wir mal, wie stichhaltig ihre Aussagen sind.

 

 

 «Bei den geplanten Wohnhäusern mit 25 Metern Höhe und sechs bis 60 Meter hohen Wohntürmen wird es sich meist um Bauten im Bürogebäude-Stil mit Akzent auf 08-15 handeln.»

Werner Giger, Zug

Dieser Leserbrief wurde schon 2013 geschrieben, und der Schreiber dachte kaum an die farbenfrohen Visualisierungen von reizvollen Bauten in einem wildromantischen Park, mit denen die Bauherren für das Projekt werben. Dank der gefälligen Illustrationen hört man mittlerweile oft ein «Sieht doch ganz hübsch aus», wenn sich das Gespräch ums Unterfeld dreht.

Aber Achtung: Abgestimmt wird nur über die technischen Details des Bebauungsplans und nicht über die adretten Türme, die man auf den Bildern sieht. Das schreiben sogar die Projektentwickler: «Die Fassaden auf unseren heutigen Illustrationen sind lediglich Platzhalter, welche noch nichts über die konkrete Architektur aussagen. Diese Visualisierungen dienen lediglich der Illustration des Bebauungsplanes und zeigen in erster Linie die Ausmasse der zulässigen Gebäude und die Anlage und Gestaltung des Parks in der Mitte der Überbauung.» Also: Man weiss noch nicht, ob uns im Unterfeld eintönige oder spannende Architektur erwartet. Wertung: unentschieden.

 

«Weil es in urbanen Gebieten an zusätzlichem Strassenraum fehlt, muss die Mobilität auch verdichtet werden. (…) Im vorliegenden Grossprojekt wird auf diese harten Herausforderungen nur ungenügend eingegangen.»

Franz Akermann, Zug

Damit stimmt Akermann in den Chor jener ein, die durch den Verkehr aus und in das neue Grossquartier eine Überlastung der Nordzufahrt befürchten. Klar sorgt eine neue Siedlung für Mehrverkehr. Aber die Planer haben sich alle Mühe gegeben, diesen so weit wie möglich zu drosseln. Fakt ist, dass 900 unterirdische Parkplätze für 1300 Bewohner und 1000 bis 1500 Werktätige geschaffen werden sollen – und nur wenige Dutzend Besucherparkplätze. Das bedeutet, dass nicht jeder Familie, die auf dem Unterfeld wohnt, ein Parkplatz zur Verfügung steht und längst nicht für alle Arbeitskräfte, die dort arbeiten. Und dass die Verwandtschaft der Unterfelder mit Vorteil per Bus oder S-Bahn zur Familienfeier im neuen Quartier anreist und die Karosse daheim lässt.

Eine Verdichtung der Mobilität ist durchaus gegeben – und ist der Grund dafür, dass man dort verdichtet bauen will. Neben der Nordzufahrt existiert ein S-Bahnhof mit guten Verbindungen. Es gibt zwei Velowege, einen Fussweg und auch eine neue Buslinie soll das Quartier erschliessen. Klar, man könnte den Individualverkehr noch stärker zurückbinden. Aber würden das auch die künftigen Mieter und die Stimmbürger hinnehmen? Das Unterfeld liegt nicht mitten in der Zürcher City, sondern am Rande von Baar und Zug. Und dort ist nicht nur die Umgebung ländlich, sondern auch die Denkweise der Leute eher autoorientiert. Übrigens: Auch Einsprecher aus dem Nachbarquartier kritisierten, dass zu wenige Besucherparkplätze vorgesehen seien – die sind auch bei ihnen jenseits der Gleise Mangelware. Unser Urteil lautet demnach: falsch.

Ein solch massives Bauvolumen in der grünen Wiese, das wie eine Insel ins Grenzgebiet zu stehen kommt, ist für das Stadtbild und die benachbarten Wohngebiete eine Zumutung.

Peter Bolinger, Zug

Für die Bewohner des Eschenrings, vis-à-vis der Gleise, ist das Projekt tatsächlich eine Zumutung, denn die geplanten Gebäude rauben ihnen die Sicht und spenden zu gewissen Zeiten auch noch Schatten. Kein Wunder, gab’s von dort Einwendungen gegen das Projekt.

Doch was ist mit dem Stadtbild, das sich nicht wehren kann? Erstmal: Das Projekt steht grundsätzlich im Einklang mit den Absichten der Raumplanung. Der Richtplan sieht vor, dass der Raum zwischen Zug und Baar überbaut wird. Auch liegt dieses Gebiet in der Hochhauszone und es wird eine verdichtete Überbauung angestrebt – weil das Gebiet verkehrsmässig überdurchschnittlich gut erschlossen ist.

Die Frage ist nur: Wie stark verdichtet soll’s denn sein? Die aktuelle Version des Richtplans würde sogar eine noch höhere Ausnutzung erlauben. Andererseits: Würde das Projekt sich nach den gültigen Quartierbebauungsplänen richten und die Vorschriften des Zonenplans und der Bauordnung einhalten, bräuchte es keine Abstimmung.

Die Bauherren – und die Exekutiven von Zug und Baar – legen hier aber ein Megaprojekt vor, das selbst der Bau- und Planungskommission des Grossen Gemeinderats der Stadt Zug zu mächtig war. Sehr sorgfältig geplant – aber einfach am falschen Ort, war dort der Tenor. In der Tat ist schwer zu verstehen, warum gerade am Siedlungsrand derart verdichtet gebaut werden soll. Dies würde man eher in zentraler Lage erwarten. Auch wenn dereinst die Baulücke zu Baar geschlossen wird, liegt das Unterfeld immer noch am Rand des Siedlungsgebiets und an einer Wiese. Es ist nachvollziehbar, dass das Vorhaben wie eine Zumutung wirkt – was freilich nicht ausschliesst, dass man dafür stimmt. Aussage zutreffend.

So sieht die geplante Überbauung Unterfeld aus. Das Projekt soll Zug (vorne im Bild) und Baar (hinten) verbinden und einen neuen Stadtteil hervorbringen.

So sieht die geplante Überbauung Unterfeld aus. Das Projekt soll Zug (vorne im Bild) und Baar (hinten) verbinden und einen neuen Stadtteil hervorbringen.

(Bild: PD)

Da der Abstimmungskampf noch nicht recht angelaufen ist und Otto sowie Ottilie Normalbürger sich öffentlich kaum geäussert haben, klopfen wir mal den politischen Diskurs auf die wichtigsten Argumente ab.

Wohnungsbau: Dieser Trumpf sticht

Das überzeugendste Argument der Promotoren und Befürworter – neben den schönen Bildli in den Prospekten – sind die 700 Wohnungen, die im Unterfeld entstehen sollen: 440 davon mit speziell günstigem Mietpreis. Im ganzen Kanton Zug gibt’s einen hohen Siedlungsdruck – nicht genug Wohnraum, insbesondere bezahlbaren. Logisch, finden diese Seite des Projekts alle Politiker gut … Alle? Nein:

 «Gerade günstige Wohnungen sollten nicht in überdimensionierten Wohnklötzen untergebracht werden.»

Barbara Müller Hoteit, CSP, Zug

Warum denn nicht? Warum sollte es in Wohnklötzen nur teure Apartments geben? Die beiden Baugenossenschaften, die im Unterfeld preisgünstigen Wohnraum erstellen, brauchen entweder niedrige Landpreise oder müssen hoch bauen. Anders ist günstiger, neu zu erstellender Wohnraum durch private Bauträger nicht zu finanzieren. Weil das Land aber teuer ist, muss die Ausnützung hoch sein. Diagnose: falsch.

«Das Bauprojekt ist nicht familienfreundlich.»

 

Diesen Vorwurf hört man – unverbindlicher formuliert und in Frageform – von einzelnen linken Politikern wie Susanne Giger (parteilos) oder Urs Bertschi (SP). Aber stimmt er auch? Erstmal: Günstige Mieten sind per se schon familienfreundlich. Ausserdem: Die Wohnbauten sind mehrheitlich an der Nordzufahrt geplant – also mit Aussicht ins Grüne und ohne den Elektrosmog durch beschleunigende Lokomotiven auf dem Bahntrasse. Weiter gibt es einen zentralen Park und Sportmöglichkeiten in der Nähe. Die Häuser mögen hoch geplant sein, aber vom Landschaftsbild her ist die Umgebung nicht so schlecht für Kinder. Auch der geplante Kindergarten und die Kindertagesstätte sind ein Pluspunkt in Sachen Familienfreundlichkeit.

Ein grosser Schwachpunkt ist freilich der weite Schulweg ins Herti, den auch die Kinder auf Baarer Boden auf sich nehmen müssen. Klar: Auch andernorts in Zug und Baar haben Primarschüler vergleichbar lange Schulwege, aber eigentlich sollte man einen derartigen Makel nicht von vorneherein einplanen.

Bleibt die Frage, ob die gemischte Nutzung des Quartiers familienfreundlich ist. Ist es cool für eine Familie, wenn ein Gewerbebetrieb in der Nachbarschaft irgendetwas zusammenschweisst oder ein Lastwagenfahrer in der Früh rumpelnd Ware ablädt? Wohl kaum. Andererseits will man die Gewerbenutzung publikumsfreundlich gestalten und angesichts der fehlenden Parkplätze entstehen wohl eh fast nur Büros. Deshalb Verdikt: eher falsch, aber geben wir ein Unentschieden.

«Der Anteil an Gewerbeflächen ist zu hoch.»

Dieser Einwand betrifft vorab die Baarer Planung und wird von der Alternative – die Grünen in Baar vorgebracht. Tatsächlich hätte Implenia gern mehr Wohnungen projektiert, wurde aber vom Baarer Gemeinderat und vom Kanton daran gehindert.

Es wird für die Bauherren um einiges schwieriger werden, die Gewerbeflächen sinnvoll zu vermieten als die Wohnungen. Denn diese gehen mit Sicherheit weg wie warme Weggli. Weiter erzeugt das Gewerbe mehr Verkehr als die Anwohner. Und mit weniger Gewerbefläche hätte man wahlweise mehr Wohnungen bauen oder die Gebäudehöhe reduzieren können. Unser Verdikt lautet deshalb: stichhaltig.
 

«Die Wahrscheinlichkeit, dass das Unterfeld zu einer toten Siedlung, einer Trabantenstadt wird, ist gross. Statt ein Hot Spot wird das ein Hot Flop.»

David Meyer, GLP, Zug

 

Viele Grünliberale sind fürs Unterfeld, aber David Meyer nicht – vom Stadtzuger Gemeinderat stammt sogar das stärkste Schimpfwort fürs Bauvorhaben: «kleine Bronx». Ausserdem vergleicht er das geplante Projekt mit den Pariser Banlieues, welche einst als moderne Quartiere gebaut wurden, sich heute aber zu Orten des sozialen Abstiegs entwickelt hätten. Er ist damit nicht allein. Die oben zitierte Christlichsoziale Barbara Müller Hoteit legt in einem Leserbrief nach: Die Nordstrasse ähnele schon heute einer solchen «Bannmeile». «Entlang der Geschäfte im Feldpark sieht man nie irgendwelche Passanten. Die Immobiliengeschäfte, Schönheitssalons und Fitnesscenter laden kaum zum Spazieren und Einkaufen ein.»

Aber sind diese Befürchtungen, man schaffe eine Banlieue, nicht übertrieben? Denn Zug ist nicht Paris und hat auch zusammen mit Baar nur 55’000 Einwohner. Eine vergleichbare Urbanität gibt es nicht.

Ausserdem: In der Vergangenheit hat man das Problem fehlender sozialer Durchmischung schon im Guthirt-Quartier erkannt und ist einigermassen erfolgreich dagegen vorgegangen.

Auf der anderen Seite existieren mehrere Quartiere mit Banlieue-Potenzial, Wohn-Monokulturen wie etwa Herti 6. Diese sind zwar im Moment noch neu und werden von den Bewohnern geschätzt. Aber was ist in dreissig Jahren, falls sie von ihren Besitzern nicht gut unterhalten werden und verlottern? Wir wissen es nicht. Im Moment jedenfalls sieht es nicht danach aus, dass Problemviertel entstehen: Zug ist eine aufstrebende Agglomeration, die Kooperation Zug und die Baugenossenschaften sind nicht als schlechte Vermieter bekannt, und es gibt in der ganzen Lorzenebene nur sehr wenige Häuser, die einen heruntergekommenen Eindruck machen. Unentschieden, eher nicht.

Die Bronx in New York als abschreckendes städtebauliches Beispiel.

Die Bronx in New York als abschreckendes städtebauliches Beispiel.

(Bild: flickr/Jules Antonio)

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Barbara Mueller Hoteit
    Barbara Mueller Hoteit, 14.01.2017, 21:05 Uhr

    Lieber Herr Mathis, Ihr Faktencheck beruht auf einer persönlichen Sichtweise. Gerne öffne ich Ihr Blickfeld um folgende zwei Fakten: 1. Menschen mit einem kleinen Budget haben eine Würde. Sie wünschen sich wie wohlhabende Menschen eine freundliche Wohnumgebung. Es gibt Bauherren, denen es gelingt – selbst auf teurem Land – günstig und dennoch lebensfreundlich zu bauen. 2. Ein familienfreundliches Quartier zeichnet sich dadurch aus, dass es über frei zugängliche, sichere Spiel- und Erlebnisorte verfügt. Nur wenn sich Kinder ohne Begleitung von Erwachsenen bereits im Vorschulalter bewegen können, ist ein Quartier wirklich Familien freundlich. Ob es einen Kindergarten, eine Kinderkrippe oder eine Schule in nächster Nähe hat, ist nur aus Sicht der Erwachsenen relevant.
    Das ‹Fuchsloch› in Oberwil oder die ‹Kalkbreite› in Zürich sind zwei Quartiere, welche günstigen Wohnraum und Familienfreundlichkeit hervorragend verbinden. Zudem zeichnet sich die sechsstöckige ‹Kalkbreite› mit einer sehr hohen Dichte aus und verbindet Wohnen und Arbeiten auf vorbildliche Art und Weise. Weise Bauherren – wie es die Korporation und Baugenossenschaften sein sollten – setzen nicht auf Gewinn, sondern auf Ausgewogenheit. Das aktuelle Bauprojekt im Unterfeld weist leider zu viele Mängel auf.

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