50 Fragen an Luzerner Stadträtin Ursula Stämmer

«Ja, die Stämmerin. Das ist wieder typisch!»

Die erste und bisher einzige SP-Frau im Luzerner Stadtrat: Ursula Stämmer.

(Bild: Christine Weber)

Nach 16 Jahren tritt Stadträtin und Bildungsdirektorin Ursula Stämmer in den Ruhestand. Jedenfalls politisch. Die SP-Politikerin verrät in unseren 50 Fragen, wer ihr den Rücken frei gehalten hat, wie ein barocker Flaschengeist die Salle Modulable noch retten könnte und warum sie notfalls sogar René Kuhn verteidigen würde.

zentralplus: 1. Sie sind ursprünglich Krankenschwester. War das Ihr Mädchentraum?
Ich wollte Lehrerin werden. Als Krankenschwester konnte ich das Bedürfnis, Menschen zu helfen, dann auch ausleben. Dem sagt man wohl Helfersyndrom.

2. Sind Sie deswegen Politikerin geworden?
(lacht) Nein. In den 70er-Jahren interessierten mich Frauenthemen, und als Krankenschwester wurde ich Gewerkschafterin im VPOD. So wurde ich politisiert, und das hat sich dann weiterentwickelt.

3. Nach 16 Jahren im Stadtrat: Sind Sie zufrieden mit der Arbeit, die Sie gemacht haben?
Gewisse Sachen sind gelungen, andere nicht so gut. Für mich persönlich war es eine erfüllte und befriedigende Zeit.

4. Konnten Sie sich im Spiegel immer in die Augen schauen?
Ja. Auch wenn es manchmal sehr schwierige Situationen gegeben hat.

5. Zum Beispiel?
Etwa wenn man sich von Mitarbeitenden trennen musste. Schwierig fand ich auch Diskussionen, bei denen die öffentliche Meinung sehr schnell gemacht war: «Heyeiei und pfui, pfui, pfui! Was machen die jetzt in der Regierung wieder!?» Manche Themen lassen sich leicht skandalisieren, etwa Littering oder Sicherheit. Dann tönte es: «Ja, die Stämmerin. Das ist wieder typisch!» Andererseits konnte man mich einschätzen und wusste, wie ich ticke. Beides war nicht immer einfach.

«Mein Grossvater war Stadtpolizist und mein Vater Chef der Feuerwehr – alles rund um die Feuerwehr habe ich sozusagen mit der Muttermilch eingesogen.»

6. Sie sind als 42-jährige SP-Politikerin Sicherheitsdirektorin geworden. Wie haben Sie sich mit den Dossiers vertraut gemacht?
Ich bin aus dem Sozialen gekommen und war ja keine Fachfrau für diese Themen. Aber ich habe mich extrem gerne in die Materie rund um Polizei und Sicherheit eingearbeitet. Das war wie ein Studium, ich konnte unglaublich viel lernen. Übrigens: Mein Grossvater war Stadtpolizist und mein Vater der erste voll angestellte administrative Chef der Feuerwehr – alles rund um die Feuerwehr habe ich sozusagen mit der Muttermilch eingesogen (lacht).

Goodwill verloren bei der Aktion im Vögeligärtli

7. Die ersten 12 Jahre waren Sie Sicherheitsdirektorin. Was war schwierig?
Etwa die Demo 2007 im Vögeligärtli, bei der 250 Leute verhaftet wurden. Meine Leute – aus der SP und dem linken Umfeld – fanden das teils furchtbar; andererseits gab es Applaus aus dem bürgerlichen Lager. Da fragte ich mich natürlich schon: Will ich jetzt diesen Applaus?

8. Und: Wollten Sie den Applaus der bürgerlichen Seite?
Man muss sich auch etwas vom Links-Bürgerlich-Schema lösen. In der Exekutive hat man nicht einfach sein Parteibüchlein, sondern ist – anders als im Parlament – am Schluss verantwortlich für das, was man macht. Klar ist jedoch: Ich war, bin und bleibe eine SP–Politikerin.

9. Bei der Aktion im Vögeligärtli haben Sie viel Goodwill von links verloren. Hat Sie das getroffen?
Mich hat das lange beschäftigt, und ich fand die Reaktionen von «links» auch etwas ungerecht: Ich versuchte im Voraus mit den Organisatoren zu reden, aber sie haben sich verweigert. In den letzten Jahren ist aber auch da Gras drüber gewachsen.

10. Was ist Ihnen in Ihrer Amtszeit besonders gut gelungen?
Ich habe immer mit allen Menschen den Draht gefunden, ganz egal mit welchem Hintergrund. Ich knüpfte Kontakte mit allen gesellschaftlichen Bereichen bis hin zu Politikern aus anderen Kantonen. Dadurch habe ich mir ein grosses Netzwerk geschaffen. Das liegt mir, das mache ich gerne, und das ist mir auch gut gelungen.

«Aufgrund meiner Aufgaben als Stadträtin habe ich mir parteiintern nicht nur Freundinnen und Freunde gemacht.»

11. Wo hätten Sie gerne mehr bewirkt?
Der sogenannte Stadt-Land-Graben ist immer noch ein Sorgenkind und wird teils auch gehätschelt. Da hätte ich gerne noch mehr gemacht, damit sie sich annähern und gegenseitig die Sorgen und Herausforderungen verstehen.

12. Gerade auf dem Land ist Ihre Partei jedoch nicht so präsent.
Nach wie vor ist die SP eine Agglomerations-Partei. Zwar ist sie in manchen Gemeinden gut vertreten.  Aber auf einer «roten» Landkarte würde sich klar zeigen, dass die SP im urbanen Raum stark ist.

13. Sind Sie in Ihrer eigenen Partei beliebt?
Nicht nur. Aber das ist ja auch nicht das Ziel. Aufgrund meiner Aufgaben als Stadträtin habe ich mir in diesen Jahren parteiintern nicht nur Freunde gemacht.

14. Was geben Sie Ihrem Nachfolger, Beat Züsli, mit auf den Weg?
Der wichtigste Erfolgsfaktor sind die Leute, die man um sich hat: die Mitarbeitenden.

15. Nach 12 Jahren als Sicherheitsdirektorin wechselten Sie 2012 zur Bildungsdirektion. Wo hat es Ihnen besser gefallen?
Das kann ich nicht sagen. Gewechselt habe ich, weil plötzlich so viel an meinem Namen hing und personifiziert wurde. Mit dem Wechsel wollte ich diese Dynamik brechen. 

«Ich selber habe ein Sendungsbewusstsein und gebe zu: Ich will den Leuten sagen, wie es richtig läuft.»

16. Was fasziniert Sie am Politbetrieb?
Man ist vom ersten Augenblick an dabei, wenn eine Idee entsteht, und ist bei der Weiterentwicklung sehr nahe am Prozess. Auch der Diskurs mit den Kolleginnen und Kollegen ist spannend.

17. Welche Eigenschaften sind als Exekutiv-Politikerin von Vorteil?
Geduld, Langmut und ein breiter Rücken. Und es braucht Freude. Etwas Narzissmus ist gut, aber nicht zu viel. Ich selber habe ein Sendungsbewusstsein und gebe zu: Ich will den Leuten sagen, wie es richtig läuft.

«René Kuhn war zum Beispiel ein Lieblingsfeind von mir. Wir waren wie Öl und Wasser.»

18. Auch andere Politiker haben ein gesundes Sendungsbewusstsein. Das kann sich ja auch in die Quere kommen: Wer nervte Sie am meisten?
Destruktive Politiker. Leider sind die tatsächlich fast immer in der SVP, früher noch in der Autopartei. René Kuhn war zum Beispiel ein Lieblingsfeind von mir. Wir waren wie Öl und Wasser.

19. Womit kann man Sie richtig ärgern?
Mit Verallgemeinerungen, Pauschalisierungen und Ungerechtigkeiten. Dann kann ich auch aufstehen und jemanden verteidigen. Ich bin eine Gerechtigkeitsfanatikerin in allen Belangen.

20. Würden Sie denn auch René Kuhn verteidigen?
Ja, sogar den würde ich verteidigen, wenn er ungerecht behandelt wird.

Amtsältestes Stadtratsmitglied

Die SP-Politikerin Ursula Stämmer (1958) ist das amtsälteste Mitglied des Luzerner Stadtrats. Die ausgebildete Krankenschwester war mehrere Jahre Parteisekretärin der SP Kanton Luzern und Luzerner Grossrätin. 2000 wurde sie für die SP in die Exekutive gewählt. Dort war sie die ersten 12 Jahre Sicherheitsdirektorin, 2012 wechselte sie in die Bildungsdirektion. Nach 16 Jahren tritt Ursula Stämmer per Ende August zurück, ihr Nachfolger als Bildungsdirektor (und Stadtpräsident) wird der SP-Mann Beat Züsli.

21. Sind Sie ein nachtragender Mensch?
Nein. Ich suche immer nach einem guten Faden an der Sache. Es macht mich unglücklich, wenn ich über etwas wütend sein muss.

Support von Frauen aus allen Lagern

22. Welches sind Ihre politischen Vorbilder?
Die erste Ständeratspräsidentin Josy Meier, die SP–Politikerin Ursula Koch, die frühen CVP-Frauen im Allgemeinen, Indira Gandhi. Ich mag gescheite Leute, die gut mit Worten umgehen können und höre ihnen gerne zu.

23. Welche Lobby war für Sie als Unterstützung wichtig?
Frauen waren für mich sehr wichtig. Ich war zehn Jahre lang die einzige Frau im Stadtrat und habe von ihnen immer grossen Support bekommen – ganz egal, aus welcher Partei oder welchem Verein.

24. Apropos Frauen: Yvonne Schärli weg, Ursula Stämmer weg. Wo bleiben die neuen SP-Frauen?
Das frage ich mich auch! Wir haben da tatsächlich eine Lücke – das hat nicht nur mit der SP zu tun; die Frauen müssten auch konsequenter sagen: Klar, das wollen wir und das machen wir! Bei genauem Hinschauen gibt es noch sehr viel zu tun für die Frauen. Wir können nicht warten, bis wir geholt werden, sondern müssen selber einsteigen.

25. Sie sind durch Ihr Amt exponiert: Ist es Ihnen wichtig, was andere über Sie denken?
Natürlich. Ich möchte, dass die Leute mich als gescheite Frau wahrnehmen, die ihre Sache gut macht.

26. Wie würden Sie die Luzernerinnen und Luzerner charakterisieren?
Städtisch und doch etwas ländlich. Etwas stolz und kritisch, etwas barock. Als erste grössere Stadt nach dem Gotthard haben wir noch immer eine gewisse Italianità.

«Der Umgang mit dem Engelhorn-Geschenk ist schon etwas bünzlig.»

27. Welches Wunder muss passieren, dass die Salle Modulabe gebaut wird?
Da müsste über Nacht ein barocker Flaschengeist über die Stadt kommen mit der Botschaft: Da habt ihr eine riesige Chance, greift zu! 

28. Sagen Sie das auch dann noch, wenn Sie nicht mehr in der Rolle als Stadträtin sind?
Ja. Ich sehe zwar die Problematik, etwa mit der Standortfrage und dem aufgedrückten Zeitplan. Andererseits: Stellen Sie sich vor, man wollte heute die Jesuitenkirche bauen und dort steht ein Garten … wäre das ein Hindernis gewesen? Der Umgang mit dem Engelhorn-Geschenk ist schon etwas bünzlig.

29. Welches Wochenpensum haben Sie als Stadträtin?
Die Trennung zwischen Arbeit und privat ist kaum möglich. Ich habe das nie wirklich ausgerechnet, und es interessiert mich auch nicht – unterwegs bin ich jedenfalls von früh bis spät.

30. Wann stehen Sie morgens auf?
Um 5.30 Uhr, auch sonntags. Frühmorgens schreibe ich gerne meine  Reden. Das mache ich immer selber, und zwar extrem gerne: Ich will nicht nur reden, sondern auch etwas sagen.          

«Da war ich privilegiert: Mein Mann hat mir den Rücken frei gehalten und zu Hause alles geschmissen.»

31. Sie sind verheiratet und haben zwei erwachsene Töchter. Haben Sie Familien- und Berufsleben gut unter einen Hut gebracht?
Einfach war das nicht immer. Anfangs haben meine Töchter auch gelitten, weil sie teils angezündet wurden. Später gab es hitzige Diskussionen mit der einen Tochter, die ganz links-aussen politisiert.

32. Und wie haben Sie das mit Haushalt und Beruf auf die Reihe gekriegt?
Da war ich unglaublich privilegiert: Mein Mann hat mir den Rücken frei gehalten und zu Hause alles geschmissen. Von der Kinderbetreuung übers Kochen bis zum Knopfannähen, Bügeln und Waschen.

33. Das tönt traumhaft. Wird das auch nach Ihrer Pensionierung so bleiben?
Da kommen wir uns sicher etwas ins Gehege (lacht). Es ist natürlich eine Umstellung, aber wir werden uns finden. Aber ich weiss auch, dass ich mich nicht einfach so in sein «Revier» einmischen kann … das hat er mir klar durchgegeben.

34. Haben Sie sich persönlich verändert in diesen Jahren als Stadträtin?
In den 16 Jahren habe ich mich nicht nur positiv entwickelt. Ich gebe zu, dass ich auch herrisch geworden bin. Je nachdem kann ich ziemlich laut werden …

35. Fallen Sie nach Ihrem Rücktritt in ein Loch, so ohne Verantwortung und Pflichten?
Kaum. Ab September übernehme ich das Präsidium der reformierten Kirche Luzern, das ist etwa ein 50– bis 60–Prozent–Pensum, und ich werde auch in Vereinen aktiv sein beziehungsweise bleiben.

36. Dank der Pensionskasse Luzern werden Sie ein dickes Polster haben (zentralplus berichtete). Trifft das zu?
Diese Frage nervt mich unglaublich! Bei Ruedi Meier oder Kurt Bieder hat sich kein Mensch darum geschert, wie viel Pension sie bekommen, und bei mir wird ein Riesenwirbel gemacht. Ich habe mich damals in die PK eingekauft und während meiner Arbeit die Leistung dafür gebracht. Punkt.

37. Dann machen wir etwas Lustigeres. Haben Sie spontan einen Witz auf Lager?

38. Was hat Sie in Ihrer Kindheit und Jugend geprägt?
Meine Eltern. Meine Mutter war übrigens keine gute Hausfrau. Dafür wusste sie sonst alles, sie war sehr belesen.

Leben als Aussteigerin und Stör-Servierfrau

39. Sie sind sehr verbunden mit Luzern. Lebten Sie auch schon eine Zeitlang anderswo?
Wir lebten in den 80ern ein paar Jahre als Selbstversorger auf einem total abgelegenen Hof im Toggenburg – «Sack» war die Adresse. In der Stube der Bäuerin liefen winters Hühner herum. Wir hatten Schafe und Hasen, metzgeten selbst und lebten wirklich als Aussteiger und Selbstversorger.

40. Sie sprechen Neugriechisch. Woher die Affinität zu Griechenland?
Eine Freundin hat einen Griechen geheiratet, und ich bin dann mal mit dorthin und gleich hängen geblieben. Ich bin generell ein Reisefüdli, aber bis heute ist Griechenland meine Lieblingsdestination.

41. Sie sind eine leidenschaftliche Fliegenfischerin. Haben Sie genügend Geduld für dieses Hobby?
Gerade wenn man ein «Gnusch» hat, ist Fischen sehr gut zum Nachdenken. Es ist extrem beruhigend und total schön, den ganzen Tag ruhig im Wasser zu stehen.

42. Was machen Sie sonst noch in Ihrer Freizeit?
Lesen, kochen, laufen. Manchmal stricken oder was anderes. Das ist phasenweise sehr unterschiedlich. Nur Fischen, das mache ich seit Jahren immer.

43. Könnten Sie Ihr Lieblingstier für zentralplus zeichnen?
Da hätte ich jetzt besser Fisch gesagt, statt Murmeli … Ich probiere es trotzdem.

44. Sie sind eine Fasnächtlerin. Welches war Ihre lustigste Verkleidung?
Uff. Das weiss ich nicht mehr. Ich habe jedes Jahr ein neues Kostüm und einen grossen Fundus daheim.

45. In welchem Lokal in Luzern trifft man Sie an?
Gerade war ich in der Freien Schweiz, weil sie jetzt zumacht. 16 Jahre fuhr ich auf dem Velo jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit daran vorbei. Grundsätzlich bin ich als Gast nicht oft in Beizen unterwegs.

46. Apropos: Ihre Schwester führt eine Beiz im Wallis, in der Buvette stehen Sie manchmal hinter der Theke. Wäre das eine berufliche Alternative gewesen?
Tatsächlich war ich eine beliebte Stör-Serviertochter und auch Köchin. Auf die Dauer möchte ich das aber nicht machen, es ist extrem streng.

47. Strenger als die Arbeit als Stadträtin?
Ja. Auf jeden Fall. Auch im Spital war die Arbeit strenger.

48. Beatles oder Stones oder etwas ganz anderes?
Ich höre gerne Klassik und Barock, aber auch Symphonien und mal einen Jutz. Alles rund um Canzoni mag ich extrem gut!  

49. Welches Buch liegt auf Ihrem Lesetisch?
Da liegt ein ganzer Stapel … zum Beispiel «In Europa» von Gerd Maak, «Der Hase mit den Bernsteinaugen» und ein Buch über Mythen im evangelischen Glauben. Ich lese viel und manche Bücher auch mehrmals.

50. Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie die Tür des Stadthauses definitiv hinter sich zumachen?
Dass meine Agenda nicht mehr fremdbestimmt ist und ich meine Zeit und Termine wieder selber verwalten kann.

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