Ist der Regierungsrat Retter oder Brandstifter?

Guido Graf: vom Hinterbänkler zum Asyl-Guru

Guido Graf teilt in den Medien immer wieder kräftig aus.

(Bild: Montage les)

Damit hat niemand gerechnet: Der Luzerner Regierungsrat Guido Graf hat es mit seinen Asylvorstössen innert Kürze zum Liebling der Deutschschweizer Medien gebracht. zentralplus zeichnet die ungewöhnliche Karriere nach und spricht mit Freund und Feind.

Der Luzerner Regierungsrat Guido Graf fordert einen «Paradigmenwechsel im Asylwesen». Dazu hat der Gesundheits- und Sozialdirektor ein achtseitiges Manifest verfasst, welches neun konkrete Forderungen enthält (siehe Box). Hauptaussage: Die Schweiz soll ein Kontigentsystem einführen und Obergrenzen für Asylsuchende festlegen.

Graf tut’s immer wieder

Deutliche Worte des Luzerner Regierungsrates. Die aktuellen Forderungen reihen sich ein in eine Reihe von Vorstössen im Asylbereich. Immer wieder schafft es Guido Graf mit seinen Äusserungen medial, aber auch politisch auf die nationale Bühne. Wir blicken auf seinen Aufstieg zum national bekanntesten Gesicht des sich wehrenden Kantonsvertreters zurück.

November 2014: Der Luzerner Regierungsrat schreibt einen Brief an Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Die Lage für die Kantone zur Unterbringung von Asylsuchenden werde immer ungemütlicher. Die Aufgabe sei für die Kantone kaum mehr lösbar. Ausser eines unverbindlichen Antwortschreibens gab es darauf keine Reaktion aus Bundesbern. Die Medien nahmen den Ball erstmals auf und auch Luzerner Kantonsräte wollten in einem Vorstoss Klarheit über das Vorgehen erlangen.

August 2015: Guido Graf schickt einen zweiten offenen Brief an Bundesrätin Sommaruga. Und dieser schlug hohe Wellen und sorgte für heftige Emotionen. Inhalt: Eritreer sollen keinen Flüchtlingsstatus mehr erhalten. Die Reaktionen reichten von Verständnis bis zu Kopfschütteln. Besonders kreativ waren die Jungen Grünen des Kantons Luzern, welche mittels Crowdfunding Guido Graf eine Eritreareise finanzierten. Dieser lehnte ab. Graf wurde plötzlich tagelang zum medial gefragten Mann. Auch Auftritte in nationalen Talksendungen, wie etwa bei «TeleZüri», zog die Aktion nach sich.

Mit diesem Flyer sammelten die Jungen Grünen damals Geld für eine Eritreareise von Guido Graf.

Mit diesem Flyer sammelten die Jungen Grünen damals Geld für eine Eritreareise von Guido Graf.

 

Januar 2016: Die Übergriffe von Asylbewerbern in der Silvesternacht in Köln veranlassten Graf, präventiv Benimmflyer zu drucken. Inbesondere aus Sorge über Probleme während der Luzerner Fasnacht. Und dies obwohl es in Luzern bisher kaum Zwischenfälle gab. Dies sei unnötige Panikmache, monierten Kritiker. Aber: Schweizweit und sogar international sorgte der Flyer für eine enorme Resonanz in den Medien.

Sehen Sie hierzu auch einen Beitrag in der SRF-Sendung «10vor10»:

Februar 2016: In einem grossen Interview mit der rechtsbürgerlichen «Basler Zeitung» greift Graf zum Zweihänder. «Wir sitzen sozialpolitisch auf einem Pulverfass», sagt er. Nachdem 2015 rund 40’000 Asylsuchende in die Schweiz kamen, scheinen für Graf im Jahr 2016 auch 60’000 als realistisch. Das Hauptproblem laut Graf ist, dass die Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden bei den Kantonen zu viele Kosten verursache. Die Schweizer Medien nahmen den Ball wiederum auf. In einem grossen Sonntagsblick-Interview sagte Graf kurz darauf: «Mit mehr Geld vom Bund löse ich die Asylprobleme.»

April 2016: Der Abstimmungskampf zur nationalen Asylgesetz-Revision läuft auf Hochtouren. Und Graf wird unfreiwillig hineingezogen. Die SVP verwendet Zitate Grafs ungefragt auf ihrem Nein-Abstimmungsflyer. Und das, obwohl Graf ein Befürworter der Revision ist. Dieser interveniert: Seine Kritik am Asylwesen hätte nichts mit der Asylgesetz-Revision zu tun (zentralplus berichtete). Die SVP ändert daraufhin den Flyer ab und verliert die Abstimmung. Graf gilt im Abstimmungskampf als kritischer Befürworter und ist ein medial gefragter Mann.

Der «Blick» machte publik, dass Guido Graf Sturm gegen eine irreführende SVP-Kampagne läuft.

Der «Blick» machte publik, dass Guido Graf Sturm gegen eine irreführende SVP-Kampagne läuft.

 

Juli 2016: Wie eingangs erwähnt, veröffentlicht Graf ein achtseitiges Dokument und plädiert für einen Paradigmenwechsel im Asylwesen. Er sagt etwa: «Wir müssen uns verabschieden von einer falschen Solidarität, offenen Grenzen und einer Willkommenskultur, die keine wirkliche Willkommenskultur ist.» Oder: «Die Schweiz als selbstbestimmtes Land legt die Anzahl der Flüchtlinge sowie deren Herkunftsländer selber fest.» Und: Das soziale Gleichgewicht gerät mit einer ungebremsten Zuwanderung aus den Fugen und gefährdet den sozialen Frieden.» Starker Tobak, den viele Zeitungen erneut aufgreifen.

Auf Twitter verbreitet Graf seine Forderungen:


 

Graf ist also definitiv ein Aktivposten in der Schweizer Asylpolitik. Doch sind die Zustände wirklich so schlimm, wie er sie darstellt, oder ist er ein Asyl-Polteri und Scharfmacher? zentralplus hat bei zwei Luzerner Nationalräten nachgefragt, wie Grafs Forderungen bei ihnen und in Bern ankommen.

Schelbert: «Graf betreibt Alarmismus»

Auch Nationalrat Louis Schelbert (Grüne) hat das neuste Dokument von Guido Graf erhalten und ihm eine ausführliche Antwortmail dazu geschickt, welche zentralpuls vorliegt. Er ist mit den Forderungen von Graf überhaupt nicht einverstanden. Zum Teil bezeichnet Schelbert Grafs Papier als unverständlich und zu wenig scharf in der Analyse. Die pauschale Kritik an der Entwicklungshilfe etwa sei «nicht gerechtfertigt, ja unprofessionell».

«In meiner Wahrnehmung ist er eine Stimme unter vielen.»

Louis Schelbert, Nationalrat Grüne

Schelbert kritisiert Grafs ständige Kritik heftig. «Ich finde sie verfehlt. Sie berücksichtigt die historischen Zusammenhänge nicht.» Was ihn aber besonders störe, sei der ihr innewohnende Alarmismus. «Grafs Kritik stellt eine lösbare Konstellation als unlösbar dar.» Und wie kommt Graf in Bern an? Schelbert: «In meiner Wahrnehmung ist er eine Stimme unter vielen. Es hat viele dabei, die falsch singen.»

Der Grüne Nationalrat Louis Schelbert (links) und SVP-Nationalrat Franz Grüter bewerten das Verhalten Grafs völlig unterschiedlich. (Bilder: parlament.ch)

Der Grüne Nationalrat Louis Schelbert (links) und SVP-Nationalrat Franz Grüter bewerten das Verhalten Grafs völlig unterschiedlich. (Bilder: parlament.ch)

Grüter: «Graf verdient Unterstützung»

Auf der anderen Seite des politisches Spektrums tönt es völlig anders. SVP-Nationalrat Franz Grüter sagt: «Guido Graf nimmt die grossen Missstände im Asylwesen ernst und versucht, Lösungen herbeizuführen. Seine Forderungen sind berechtigt und verdienen Unterstützung.» Grüter wünscht sich noch viel mehr Regierungsräte, die den Mut und die Kraft haben würden, die Mängel im Asylwesen scharf zu kritisieren. «Es gibt viel zu wenige Regierungsräte, die offensiv an das Problem herangehen.»

«Die Rufe verhallen, weil es nicht eine breite Front gegen die Asylmisere gibt.»

Franz Grüter, Nationalrat SVP

Im Gegensatz zu Schelbert meint Grüter, dass Grafs Forderungen sehr wohl wahrgenommen würden. Aber: «Die Rufe verhallen, weil es nicht eine breite Front gegen die Asylmisere gibt. Viele Regierungen nehmen die Missstände einfach hin, weil sie den Eindruck haben, dass sie nichts bewegen können, was so nicht stimmt.» Grüter meint, es müsse nun das Ziel von Guido Graf sein, dass er weitere Regierungsräte von anderen Kantonen dazu bewegt, ebenfalls klare Forderungen nach Bern zu richten.

Sucht Graf eine Opferrolle?

So weit die politische Ebene. Den Luzerner Politexperten Olivier Dolder von Interface Politstudien überraschen die unterschiedlichen Reaktionen auf Grafs Verhalten nicht. «Es kommt natürlich immer darauf an, wie sich die eigene politische Meinung mit den Forderungen Grafs deckt.» Auch Dolder ist aufgefallen, in welcher Häufigkeit und Schärfe Graf Missstände im Asylwesen anprangert. «Das ist schon speziell. Er ist der einzige Regierungsrat, der das macht. Und dies, obwohl er nicht Präsident der Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren (SODK) ist.»

Wo stecken die Gründe für dieses Vorgehen? Dolder vermutet: «Erstens kann sich Guido Graf damit profilieren. Die starke mediale Präsenz könnte ihm bei den nächsten Wahlen von Nutzen sein, wer weiss, vielleicht strebt er ein nationales Amt an.» Und zweitens sei er unter Druck. «Als Regierungsrat muss er Asylplätze schaffen und ist dabei auch auf den Goodwill der Gemeinden angewiesen. Da in die Rolle eines Opfers der Bundespolitik zu schlüpfen, ist durchaus eine Möglichkeit.» 

«Die SVP hat natürlich Freude an Graf.»

Olivier Dolder, Politexperte

Bestärkt wird Dolder in seinen Aussagen dadurch, dass Graf bewusst die Medien bedient. Aber: «Der Weg via die Öffentlichkeit bringt politisch meistens nicht das Erhoffte.» Wenn Graf wirklich an grossen Veränderungen im Asylbereich interessiert wäre, gäbe es andere Instrumente. «Er müsste gemeinsam mit anderen Regierungsräten via die Sozialdirektorenkonferenz direkt beim Bund seine Anliegen vorbringen.»

Die Forderungen erinnern teilweise an eine Migrationspolitik à la SVP. Setzt sich Graf nicht der Gefahr aus, einen «Populismus-Stempel» verpasst zu bekommen? Dolder sagt: «Die SVP hat mit dieser Strategie Erfolg, auch Graf will davon profitieren.» Dass er sich dabei bei linken Wählern ins Abseits begäbe, damit müsse er leben. Aber immerhin sei Graf der bestgewählte Regierungsrat. «Die SVP hat natürlich Freude an Graf. Als betroffener Regierungsrat kann er die Probleme glaubhaft wiedergeben und dies gibt seiner Stimme Gewicht.»

Allerdings relativiert Dolder, dass dies eigentlich nur für die Unterbringung von Asylsuchenden gelten würde. «Bei komplexen und globalen Themen wie der Entwicklungshilfe kann er sich nicht auf seine Erfahrungen als Luzerner Regierungsrat stützen.»

In Kürze folgt auf zentralplus auch das grosse Interview mit Regierungsrat Guido Graf zu seinem medialen Aufstieg.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Karl Hoppler
    Karl Hoppler, 11.07.2016, 12:00 Uhr

    Guido Graf macht uns Hoffnung, dass in unserem Asylwesen sich etwas bewegt. Seine Chancen sind schlecht, denn das Problem ist nicht nur die Attraktivität der Schweiz für die Asylanten, sondern vor allem die Attraktivität
    der Asylanten für die Heerscharen von Juristen, Sozialhelfer, Übersetzer, Securitas, Vermieter, Flüchtlingshilfe und voran die Caritas.

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