Neuausrichtung der Zuger Informatik

Ein spätes Nachbeben im Zuger IT-Debakel

Ist die Neuausrichtung die letzte Erschütterung in der krisengeplagten Zuger Informatikabteilung?

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Es löste ein politisches Erdbeben aus, als 2013 bekannt wurde, dass der Zuger Regierungsrat 3,5 Millionen Franken in ein Software-Projekt verlocht hatte. Eines, aus dem dann nichts wurde. Damals wurden Köpfe gefordert. Die sind erst jetzt gerollt. Die Parteien freut’s.

Es glich einem Erdbeben, als 2013 bekannt wurde, wie gross das finanzielle Loch war, das die gescheiterte Software-Lösung der Zuger Einwohnerkontrolle hinterliess. Im Epizentrum: das Amt für Informatik und Organisation (AIO), welches massiv Kritik einstecken musste. Auf den ersten Schock über die verlorenen dreieinhalb Millionen Franken folgten Forderungen: Man wollte Schuldige an den Pranger stellen und Köpfe rollen lassen.

Jetzt tut sich was

Jetzt, drei Jahre später, sind diese personellen Veränderungen Tatsache geworden: Mit dem plötzlichen Abgang des Leiters des AIO, René Loepfe (zentralplus berichtete), hat die vom IT-Debakel ausgelöste seismische Welle eine zentrale Figur zu Fall gebracht.

Diese Woche nun will der Kanton auch die strukturellen Veränderungen der Informatik im Kanton Zug bekannt geben (zentralplus berichtet darüber am Freitagmorgen von der Medienkonferenz). Wir wollten von den Zuger Parteien wissen, ob sie jetzt – nach dem Abgang des ehemaligen Amtsleiters – zufrieden seien und welche Erwartungen sie nun für die Zukunft ans AIO stellen.

SP, SVP und ALG schöpfen wieder Hoffnung

Albert Gössi, Mitglied der Zuger SP-Fraktion, sass selber in der Kommission, die das Debakel genauer untersuchte. Diese kam zum Schluss: Das AIO brachte sein Know-how zu wenig ein und nahm seine Verantwortung nicht wahr. Heute sagt er: «Wir begrüssen es, wenn der Leiter AIO nun zurücktritt, da er die gewünschte Neuausrichtung der Informatik im Kanton Zug nicht mittragen kann.» Alles andere hätte in diesem Fall nichts gebracht. «Die Erwartung an den neuen Leiter AIO ist nun, dass er die gewünschte Neuausrichtung des AIO innert angemessener Frist umsetzen kann», erklärt Gössi.

Nebst der SP wollte auch die SVP René Loepfe seines Amtes enthoben sehen. Philip C. Brunner, SVP-Kantonsrat, sagte damals in einer Kantonsratssitzung, dass der Leiter des AIO abgelöst werden müsse, wenn man ähnliche Projekte in Zukunft erfolgreich abschliessen wolle. Dementsprechend ist Brunner froh, dass es nun zu diesem personellen Wechsel im AIO kommt und sich Herr Loepfe von seinem Amt getrennt hat.

Wichtig sei jetzt, dass es zu einer vorurteilslosen Auslegeordnung komme und dass jegliche Doppelspurigkeiten zwischen Gemeinden und Kanton verhindert würden. «Das können wir uns in der momentan finanziell angespannten Lage sowieso nicht erlauben», so Brunner. Er lobt Heinz Tännler, den SVP-Regierungsrat, unter dessen Fittichen das AIO nun ist: «Ich bin beeindruckt, dass der Gesamtregierungsrat die Schlüsse, die wir in der damaligen Ad-hoc-Kommission gezogen haben, nach so kurzer Zeit im Amt nun auch gezogen hat und die IT im Kanton Zug weiterentwickeln will», sagt Brunner.

«Mit dem zurückgetretenen Leiter wäre eine Verbesserung der Situation nicht zu erreichen gewesen.»
Andreas Hürlimann, Kantonsrat der Alternative – die Grünen

Die Kommission habe Vorschläge gemacht, wie es weitergehen soll, sagt Brunner. «Nun hoffe ich, dass es mit unserer Informatik in diese Richtung gehen wird», sagt Brunner. Kurz: Er hoffe, dass die Zusammenarbeit zwischen Kanton und Gemeinden intensiviert werde.

Andreas Hürlimann war der Vertreter der Alternative – die Grünen (ALG) in der kantonsrätlichen Kommission, welche zur Aufklärung der Hintergründe des Scheiterns eingesetzt wurde. Auf Anfrage zeigt auch er sich positiv gestimmt: «Die Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission zeigten in glasklaren Punkten auf, dass das AIO mehr Verantwortung übernehmen müsste.» Mit dem zurückgetretenen Leiter wäre eine Verbesserung der Situation nicht zu erreichen gewesen. «Daher ist eine Neubesetzung der Stelle zu begrüssen. Die Chance für eine Verbesserung der Situation und Neuausrichtung muss jetzt genutzt werden», sagt Hürlimann.

Die FDP war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Hegglin, die schützende Hand über Loepfe?

Das Journal inside-IT schreibt, dass Loepfe seine schützende Hand verloren habe, als der damalige Regierungsrat Peter Hegglin in den Ständerat wechselte und im Februar Heinz Tännler an seine Stelle als Finanzdirektor rückte. Bei der CVP wollte man zu dem Vorwurf, Hegglin habe Loepfe geschützt, nichts sagen.

«Ich kann Ihnen zu diesem Thema keine Auskunft geben. Ich kenne weder das AIO im Detail noch Herrn Loepfe persönlich», sagt Pirmin Frei, CVP-Parteipräsident, auf Anfrage. Wie sich die Zusammenarbeit zwischen dem früheren Finanzdirektor Peter Hegglin und Herrn Loepfe gestaltete, sei ihm ebenso gänzlich unbekannt wie die Hintergründe der Kündigung. Und Spekulationen aus «IT-Kreisen» kommentiere er nicht. 

Am Freitagmorgen will der Kanton über die künftige Organisation der Informatik im Kanton Zug informieren. zentralplus wird darüber berichten.

Was bisher geschah …

Die Ausgangslage

Im Kanton Zug liefen bis im Jahr 2014 die Einwohnerkontrolle, die Steuer- und die Grundbuchverwaltung mit Softwareapplikationen des Anbieters IBM. Aufgrund von Anforderungen und gesetzlichen Vorschriften des Bundes waren zwingend Anpassungen in allen drei sogenannten ISOV-Programmapplikationen des Kantons Zug notwendig.

Steuer-Applikation

Die ISOV-Programmapplikation ist seit 1995 im Einsatz. Der Kanton verlängerte die Zusammenarbeit mit Lieferantin IBM im Jahr 2010 um 10 Jahre bis im Jahr 2020. Bereits jetzt ist man daran, eine neue Lösung aufzugleisen. zentralplus berichtete über die Probleme mit der aktuellen Software.

Grundbuch-Applikation

Die Anpassungen im Bereich des Grundbuches wurden zusammen mit anderen Kantonen bereits im Jahr 2005 in Angriff genommen. Man wollte eine neue Lösung durch die Lieferantin IBM bis im Jahr 2008. Die Frist verstrich aber, das Projekt geriet ins Stocken.

Daraufhin wurde die Lieferfrist bis ins Jahr 2010 verlängert. Doch die im November 2010 eingesetzte Testversion war sehr fehlerhaft und deswegen unbrauchbar. Der Kanton Zug reichte Beschwerde ein und drohte mit Vertragsrücktritt.

Als die Firma im Jahr 2011 immer noch keine funktionierende Lösung präsentieren konnte, teilte der Kanton der Firma mit, dass er mit sofortiger Wirkung von allen abgeschlossenen Verträgen und Vereinbarungen zur Grundbuchlösung zurücktrete. Schon der Abbruch dieses Projekts hat den Kanton 850’000 Franken gekostet. Doch damit nicht genug.

Im Jahr 2014 vergab der Kanton Zug den Auftrag, eine neue Grundbuch-Applikation zu liefern, an einen Berner IT-Dienstleister. Und dies offenbar, ohne den Auftrag vorgängig ausgeschrieben zu haben. Kurz darauf reichte nämlich das Thurgauer Amt für Informatik, das eine Alternative zu dieser Software vertreibt, beim Zuger Verwaltungsgericht Beschwerde gegen den Entscheid ein. Später dann zog das Thurgauer Amt die Beschwerde im Einvernehmen mit Zug zurück (zentralplus berichtete).

Einwohnerkontrolle-Applikation

Diese Applikation ist das eigentliche Sorgenkind und Auslöser des Debakels.

Im Jahr 2006 beschliesst der Bund die Harmonisierung der Einwohnerkontrolle. Dies macht eine Anpassung der Einwohnerkontrolle-Lösung in diversen Kantonen nötig. Seit 2010 strebte der Kanton Zug (zusammen mit anderen Kantonen) danach, die dafür passende Standardlösung der Firma IBM einzusetzen – also die neuere Version des bisherigen Systems. Doch auch dieses Unterfangen stellte sich als nicht ganz so einfach heraus.

Im Jahr 2011 wurde der Start der neuen Software für die Einwohnerkontrollen weiter nach hinten verschoben, und noch immer war die alte Programmversion im Einsatz. Grund: Die Software hatte zu diesem Zeitpunkt zu viele gravierende Mängel.

Der Bruch, die Entrüstung

Im Jahr 2013 dann verkündet die Regierung, dass ein Partner der beauftragten Software-Firma aus dem Projekt ausgestiegen sei. Abklärungen hätten ergeben, dass die vorgesehene Software keine Standardlösung mehr und deshalb für den Kanton Zug nicht tragbar sei. Fazit: Übung abgebrochen. Bis dahin kostete das Projekt den Kanton satte 3,5 Millionen Franken. Die Entrüstung war gross.

Köpfe müssen rollen!

Eine Ad-hoc-Kommission sollte Licht ins Dunkel der Affäre bringen: Ursachen, Verantwortlichkeiten und Tauglichkeit der Projektorganisation sollten geprüft und zukünftige Leitlinien erschaffen werden. Die Arbeit der Kommission war sehr umfassend und kritisierte zu weiten Teilen die Arbeit des AIO. In einer Motion verlangte der Zuger Kantonsrat daraufhin fast einstimmig eine neue IT-Strategie für Zug, basierend auf den Arbeiten der Kommission. Kernpunkt: Dem AIO, welches zum Finanzdepartement gehört, soll mehr Verantwortung übertragen werden.

Es geht bergauf

Im März 2015 dann wurde mit der Auftragsvergabe für das Projekt «Neues Einwohnerregister Zug» (NERZ) einer Zürcher IT-Firma ein neues (funktionierendes) Kapitel aufgeschlagen. Gleichzeitig schufen alle elf Zuger Gemeinden gemeinsam eine Stelle, welche Informatikprojekte künftig leiten soll. Die Interessengemeinschaft Gemeindeinformatik Zug (IGI) will bei Software-Beschaffungen in Zukunft nicht nur finanziell beteiligt sein, sondern auch fachlich mitreden können.

Anfang 2016 präsentierte die Regierung dem Kantonsrat Empfehlungen für Informatikprojekte der Zukunft, basierend auf der Motion von 2014. Doch damit war der Kantonsrat nicht zufrieden: Die Massnahmen gingen ihm zu wenig weit. Der Regierungsrat muss nochmals über die Bücher (zentralplus berichtete).

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