Trotz weniger Lärm: «Ziel nicht erreicht»

Luzerner Regierung kübelt Tempo-30-Versuch

Regierungsrat Robert Küng, im Hintergrund das beendete Pilotprojekt in Rothenburg. (Bild: Printscreen SRF/Montage zentralplus)

«Kein klares Resultat», sagt die Luzerner Regierung und lässt den Tempo-30-Test auf einer Kantonsstrasse in Rothenburg auslaufen. «Stimmt nicht», findet der VCS. Wieso gibt es trotz deutlich weniger Lärm kein Tempo 30? Ist die Idee damit tot? Regierungsrat Robert Küng nimmt Stellung.

Auf Kantonsstrassen gilt innerorts grundsätzlich eine Tempolimite von 50 Stundenkilometern. Weil verschiedene Gemeinden Tempo-30-Zonen wünschten, führte der Kanton Luzern in Rothenburg einen einjährigen Pilotversuch durch. Für den Test wurde der «Flecken» in der Gemeinde Rothenburg ausgewählt. Dies, weil das Gebiet dicht besiedelt sei, mit Bushaltestelle, Restaurant und Läden. Zudem habe die 175 Meter lange Strecke klar den Charakter eines Ortskerns. Täglich verkehren dort zwischen 11’000 und 14’500 Fahrzeuge.

Das war die Teststrecke in Rothenburg (Bild: Kanton Luzern).

Das war die Teststrecke in Rothenburg (Bild: Kanton Luzern).

Projekt wird nicht weitergeführt

Am Dienstag hat der Kanton Luzern jetzt die Resultate des Tests veröffentlicht. «Kein klares Resultat» habe die Umfrage ergeben, schreibt der Kanton in einer Mitteilung, im Bericht schreiben die kantonalen Verkehrsexperten, es sei «kein abschliessendes Urteil» über das Pilotprojekt möglich.

Obwohl der Lärmpegel deutlich gesenkt wurde, findet die Regierung, der Versuch vermöge «keinen überwiegenden Nutzen zugunsten einer Tempo-30-Zone durch Rothenburg aufzuzeigen, weshalb das Projekt nicht weiterverfolgt wird.» Ausserdem sei die Bevölkerung nicht eindeutig von der neuen Temporegelung überzeugt, das habe eine Befragung ergeben.

VCS: Bevölkerung soll entscheiden

Der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) kritisiert dies. Der Entscheid sei aufgrund einer nicht repräsentativen Umfrage bei der Bevölkerung gefallen, so der VCS. Eine Einführung von Tempo 30 im Dorfzentrum von Rothenburg müsse möglich sein, fordert der VCS, «falls Gemeinderat und Bevölkerung dies wünschen und in einem politischen Prozess beschliessen.»

Welche Auswirkungen hat das Ergebnis des Pilotversuchs aber auf den ganzen Kanton? Und wieso führt man das Projekt nicht weiter, obwohl der Lärm deutlich gesenkt wurde? Dazu nimmt der zuständige Regierungsrat Robert Küng (FDP) im Interview Stellung.

zentralplus: Sie wollen den Rothenburger Testversuch nicht weiterführen. «Zurzeit werden Tempo-30-Zonen auf Kantonsstrassen nicht mehr geprüft», heisst es im Bericht. Ist das Thema damit gestorben?

Baudirektor Robert Küng: Das ist zu überspitzt formuliert. Wir haben einen Pilotversuch gestartet, um Erfahrungen zu sammeln. Damit haben wir auch auf Vorstösse aus dem Parlament reagiert. Bezogen auf die Ziele hat der Pilotversuch kein schlüssiges Ergebnis geliefert. Darum haben wir beschlossen, Tempo 30 nicht dauerhaft einzuführen.

«Ich sehe zurzeit keine weiteren Tempo-30-Zonen auf Kantonsstrassen, welche dringend oder zielführend sind.»

zentralplus: Und wenn weitere Gesuche eingehen?

Küng: Dann werden wir die selbstverständlich prüfen. Die Gemeinden müssen aber auf uns zukommen. Das jetzige Nein ist kein generelles Nein für die nächsten zehn Jahre. Aber im Moment gibt es keine weiteren Gesuche, auch nicht aus der Stadt Luzern. Ich sehe zurzeit im Kanton keine weiteren Tempo-30-Zonen auf Kantonsstrassen, welche dringend oder zielführend sind.

zentralplus: Beim Testversuch hat man festgestellt, dass die Lärmbelastung tagsüber um 3 Dezibel abgenommen hat. Das ist mehr, als man vor dem Versuch erwartet hatte. 3 Dezibel entsprechen einer gefühlten Halbierung des Verkehrs. Wäre das nicht Grund genug, Tempo 30 in Rothenburg definitiv einzuführen?

Küng: Es gibt tatsächlich eine solche Lärmverminderung und das ist ein Fortschritt, ja. Aber eine solche Lärmverminderung wäre auch über einen speziell lärmarmen Strassenbelag zu erreichen. Wir prüfen in unserem Departement momentan solche Beläge auf ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis. Es bestehen gewisse Vorbehalte, was die Kosten anbelangt. Die Lebensdauer war in ersten Tests noch ungenügend.

«Wir wollen solche kontroversen Massnahmen nur durchsetzen, wenn sie von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert sind.»

zentralplus: Experten rechnen, ein lärmschonender Belag könne zirka 1 Dezibel Verbesserung bringen. Tempo 30 hat in Rothenburg 3 Dezibel gebracht. Das können Sie doch nicht vergleichen.

Küng: Es gibt inzwischen auch bessere Pneus, sodass weitere Lärmreduktionen möglich sein werden. Ausserdem muss man sehen: Das Pilotprojekt hat bei der Bevölkerung nicht genügend Zustimmung gefunden. Die Meinungen über Tempo 30 halten sich die Waage. Es gibt viele Bürgerinnen und Bürger in Rothenburg, die das keine gute Idee finden, das hat unsere Meinungsumfrage ergeben. Wir wollen solche kontroversen Massnahmen aber nur durchsetzen, wenn sie von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert sind.

zentralplus: Auch wenn sie Entlastung für lärmgeplagte Anwohner bringen?

Küng: Der Kantonsrat hat 2014 klar beschlossen, dass Tempo 30 auf Kantonsstrassen allein zur Lärmreduktion nicht weiterzuverfolgen sei. Der Verkehrsfluss und die Sicherheit sind weitere, wesentliche Aspekte zur Beurteilung. Weniger Lärm allein genügt als Grund jedoch nicht.

Nach Einführung von Tempo 30 ist die durchschnittlich gefahrene Geschwindigkeit auf der Teststrecke von zirka 45 auf 35 Stundenkilometer gesunken. Man hat also das Tempolimit um 20 Stundenkilometer gesenkt, aber die effektiv gefahrene Geschwindigkeit ist nur um 10 Stundenkilometer gesunken.

«Die Leute fahren bei Tempo 30 zu schnell. Das Pilotprojekt hat das Ziel nicht erreicht.»

zentralplus: Das ist aber immer noch mehr, als Ihre Experten im Vorfeld gedacht hatten. Die hatten damit gerechnet, dass trotz Tempo 30 durchschnittlich mindestens mit 37 Stundenkilometern gefahren wird.

Küng: Ob weniger oder mehr als gedacht: Die Leute fahren bei Tempo 30 zu schnell. Das Pilotprojekt hat das Ziel nicht erreicht. Darum wollen wir es nicht gegen den Willen aus der Bevölkerung weiterführen.

Bundesgericht: Anwohner können Tempo 30 einklagen

Tempo 30 bewegt die Region: Ein neues Bundesgerichtsurteil von einem Fall aus Zug gibt Anwohnerinnnen und Anwohnern das Recht, lärmsenkende Massnahmen gerichtlich einzuklagen, wenn sie an einer lauten Strasse wohnen (zentralplus berichtete). Neu kann ein Gericht einen Kanton zu Tempo 30 auf einer Kantonsstrasse verknurren, auch wenn sich dadurch nur eine geringe Lärmverminderung ergibt. Ob die gefahrene Geschwindigkeit abnimmt, spielt dann keine Rolle. Auf Anfrage sagt Robert Küng, im Kanton Luzern gebe es keinen Fall, in dem Anwohner eine entsprechende Klage vorantrieben.

zentralplus: Die Meinungsumfrage hat nicht eindeutig ergeben, dass die Anwohner dagegen sind. 44 Prozent der Befragten sind dafür, 52 Prozent dagegen. Und nur 11 Prozent der Befragten wohnen selber im Gebiet Flecken, wo der Test durchgeführt wurde.

Küng: Pro- und Kontra-Stimmen halten sich ungefähr die Waage. Das stimmt so. Es gibt aber für uns zu diesem Zeitpunkt zu wenig Rückhalt für das Projekt. Das haben auch die Stellungnahmen von weiteren beteiligten Akteuren ergeben.

zentralplus: Der VCS kritisiert, dass Sie sich beim Entscheid auf eine nicht repräsentative Umfrage stützen. Was sagen Sie dazu?

Küng: Wir haben über 450 Rückmeldungen von Bewohnerinnen und Bewohnern erhalten. Ich denke, das ist ein guter Rücklauf für ein solches Pilotprojekt

zentralplus: Wie sieht es eigentlich mit der Sicherheit aus von Tempo 30?

Küng: Das haben wir in diesem Versuch nicht bewerten können, das war von Anfang an klar. Ein einjähriger Testversuch ist ein zu kurzer Zeitraum, um darüber eine Aussage zu machen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von R.Freiermuth
    R.Freiermuth, 06.04.2016, 13:05 Uhr

    Bei einer solch kurzen Strecke wäre Tempo 30 sicherlich machbar, zumal sich der Lärm um 3 Dezibel reduziert hat.
    Interessant ist die Aussage, dass Tempo 30 bei der Bevölkerung weniger Rückhalt hat. Stellt sich die Frage, welche Bevölkerung. Wie ist das Votum der 11% (von 450) Anwohner, demnach die direktbetroffenen? Es ist nachvollziehbar, dass die Verkehrsteilnehmer und Nichtanwohner lieber mit 50 KmH durchfahren wollen, zumal das Tempo im Schnitt höher ist. Erfahrungsgemäss 55 KmH.

    Was für ein Nutzen wird denn erwartet ausser der Lärmreduktion und der Verminderung der Unfallgefahr?
    Herr Küng, Ihre Argumentation und die Studie überzeugt nicht. Da muss mehr Fleisch an den Knochen.
    Ich empfehle den Anwohnern Tempo 30 einzuklagen, wenn sie durch Lärmreduzierung weniger gesundheitliche Risiken eingehen müssten.

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