Luzerner CVP wechselt die Meinung

Regierung wirft Whistleblower-Stelle über Bord

Die Luzerner Regierung will «hauptsächlich aus finanziellen Gründen» auf eine Anlaufstelle für Whistleblower verzichten. (Bild: Symbolbild Fotolia)

Jetzt also doch nicht: Entgegen früheren Plänen will der Kanton Luzern «aus finanziellen Gründen» keine Anlaufstelle für Whistleblower schaffen. Der Kantonsrat hatte dies 2013 gefordert. Doch nun hat der politische Wind gedreht. Die CVP als Zünglein an der Waage hat ihre Meinung geändert.

Luzern im Sommer 2013. Die «Polizeiaffäre» hat das politische Geschehen fest im Griff: Mehrere Vorfälle werden bekannt, bei denen Luzerner Polizisten unrechtmässig gehandelt haben. So trat ein Polizist einem überwältigten Einbrecher mehrmals in den Kopf – gefilmt von einer Überwachungskamera. Ein externer Gutachter sagt gegenüber zentralplus, die Luzerner Polizei habe «ein Problem mit dem Umgang mit Gewalt». Polizeichef Beat Hensler muss gehen.

2013 sollte es schnell gehen

Im Nachgang der Affäre wird der Ruf nach Aufklärung laut. Heidi Frey-Neuenschwander (CVP) stellt im Namen der kantonsrätlichen Aufsichts- und Kontrollkommission (AKK) den Antrag, eine Beschwerdestelle für Whistleblowing zu schaffen. Bürgerinnen und Bürger sowie Kantonsangestellte sollen dort Missstände melden können, damit die unabhängige Stelle den Sachverhalt untersuchen kann. Der Kantonsrat beauftragt die Regierung, einen Gesetzesentwurf vorzubereiten.

Transparenz war das Wort der Stunde, es sollte schnell gehen: «Die nötigen finanziellen Mittel sind für das Budget 2014 einzustellen», heisst es im überwiesenen Vorstoss, die Regierung rechnet in der Antwort damit, dass die Whistleblower-Stelle «je nach Verlauf des Vernehmlassungsverfahrens und der parlamentarischen Beratungen im Verlaufe des Jahres 2014» starten könne.

Doch dann passiert lange nichts. Und nun, fast drei Jahre später, ist die einst geplante Neuerung so gut wie tot. Die Luzerner Regierung beantragt, die «Anlaufstelle für Verwaltungsangelegenheiten», so heisst sie im Verwaltungsjargon, nicht zu beschliessen. Wie kam es dazu?

«Hauptsächlich die finanzielle Situation ausschlaggebend»

Statt wie gefordert «die Vernehmlassungsbotschaft sehr rasch» zu erstellen, wie es im Ratsprotokoll von 2013 heisst, spielt die Regierung auf Zeit. Erst 2015 kam die Vorlage vor den Kantonsrat. Inzwischen hatte der Wind gedreht, der Ruf nach Transparenz war leiser geworden: FDP, SVP und CVP waren nicht zufrieden und schickten eine abgespeckte Vorlage zur Überarbeitung an den Absender zurück. Statt einer Anlaufstelle sollte sich ein externer Beauftragter für Whistleblowing um Missstände kümmern.

Und nun, ein weiteres Jahr später beantragt die Regierung, «ganz auf eine gesetzlich verankerte Anlaufstelle zu verzichten». Ausschlaggebend sei hauptsächlich die finanzielle Situation gewesen, begründet Gregor Zemp, stellvertretender Leiter Rechtsdienst im Justiz- und Sicherheitsdepartement. «Dazu gab es gewisse Vorbehalte, ob ein externer Beauftragter der rechtsstaatlich sensiblen Aufsichtstätigkeit überhaupt gerecht werden kann und akzeptiert wäre.»

«Der Kanton hat kein Geld für jegliche Innovationen mehr, selbst wenn sie nötig sind.»

Hans Stutz, Kantonsrat Grüne

CVP-Motionärin ist «enttäuscht» …

Whistleblower sollen gesetzlich geschützt werden

Politisch unbestritten ist jener Teil der Vorlage, der nichts kostet. Die Regierung will das Personalgesetz mit einer Schutzbestimmung für Whistleblower ergänzen: Als einzige verbliebene Massnahme sieht der Gesetzesentwurf vor, Angestellten des Kantons das Recht zu geben, einen strafrechtlich relevanten Missstand zur Anzeige zu bringen. Dafür müssen sie nicht ihrer Geheimhaltungspflicht entbunden werden und sie dürfen dafür auch nicht benachteiligt werden.

Diese Regelung sei für die CVP zentral, sagt etwa Fraktionschef Ludwig Peyer: «Wenn jemand einen wirklichen Missstand anprangert, soll er straffrei ausgehen.» Allerdings ist diese Straffreiheit eigentlich schon heute gegeben: Die Justiz kennt nämlich den Schutz höherwertiger Rechtsgüter. Whistleblower können damit im Einzelfall und, wenn die Meldestelle untätig bleibt, mit schweren Missständen sogar ungestraft an die Öffentlichkeit gelangen.

«Enttäuscht» vom Entscheid der Regierung ist Heidi Frey-Neuenschwander, jene CVP-Frau, die die Anlaufstelle 2013 aufs Tapet brachte. Sie begrüsse das nicht, meinte Frey, wollte sich auf Anfrage jedoch nicht weiter äussern, da sie nicht mehr Kantonsrätin sei. Nicht nur eine Anlaufstelle, sondern eine ausgebaute Ombudsstelle hatte der grüne Kantonsrat Hans Stutz gefordert. Dass die Regierung nun auch eine abgespeckte Anlaufstelle einsparen will, enttäuscht Stutz: «Das zeigt einfach, dass der Kanton Luzern kein Geld für jegliche Innovationen mehr hat, selbst wenn sie nötig sind.»

Man habe gewartet, bis das Thema aus den Agenden wieder verschwunden sei, findet Stutz: «Das ist typisch für solche Affären. Man kündigt an, sich dem Problem anzunehmen, verspricht eine umfassende Untersuchung und so weiter. Und nach zwei, drei Jahren lässt man es versanden.»

… ihre Partei aber zufrieden

Der Kantonsrat wird sich der Regierung aller Aussicht nach dennoch anschliessen und die Whistleblower-Stelle beerdigen. Denn neben der FDP und der SVP, die die Stelle letztens als unnötiges «nice to have» bezeichneten, wird auch die CVP dem Antrag der Regierung voraussichtlich zustimmen. «Der Vorschlag geht in die richtige Richtung», sagt Fraktionschef Ludwig Peyer. CVP, FDP und SVP haben im Kantonsrat eine komfortable Mehrheit.

«Das Anliegen einer Anlaufstelle ist berechtigt.»

CVP-Fraktionserklärung 2015

Damit vollzieht die CVP einen Seitenwechsel. Letztes Jahr wollte sie die Anlaufstelle noch realisieren. Im Namen seiner CVP-Fraktion sagte Kantonsrat Urs Marti im Rat: «Das Anliegen einer Anlaufstelle ist berechtigt und bereits mehrfach vorgebracht worden, auch von der CVP.»

«Wir waren immer schon skeptisch, ob es so eine Anlaufstelle überhaupt braucht.»

CVP-Fraktionschef Ludwig Peyer 2016

«Ohne Begeisterung» habe man das Geschäft damals behandelt, betont CVP-Fraktionschef Ludwig Peyer hingegen heute. «Wir waren immer schon skeptisch, ob es so eine Anlaufstelle überhaupt braucht.»

«Probleme innerhalb der Verwaltung lösen»

Probleme solle man innerhalb der Verwaltung lösen, findet Peyer heute: «Es gibt innerhalb der Verwaltung Schlichtungsstellen, wenn Konflikte auftreten.» Wenn man auf einen Missstand treffe, könne man sich an den Vorgesetzten wenden, sagt Peyer. Und wenn der Vorgesetzte involviert ist? «Dann kann man sich im Vertrauen an einen Regierungsrat wenden. Ob Vorgesetzter oder Anlaufstelle, wo das Ventil ist, spielt nicht so eine Rolle.»

«Whistleblower sollten anonym bleiben können und die Anlaufstelle muss unabhängig und neutral sein.»

Martin Hilti, Transparency International

Vorgesetzte «oft Teil des Missstandes»

Ein Kantonsangestellter könne sein Herz nicht in jedem Fall bei einem Regierungsrat ausschütten, findet hingegen der Grüne Hans Stutz. «Der Vorgesetzte ist häufig Teil des Missstandes. Erfahrungen zeigen, dass Whistleblower häufig probiert haben, zuerst Vorgesetzte zu informieren, und dabei nicht angehört wurden.» Die Möglichkeit, sich als Angestellter beim Vorgesetzten oder bei einem Regierungsrat über Missstände zu beschweren, genüge nicht, meint auch Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz. «Whistleblower sollten anonym bleiben können und die Anlaufstelle muss unabhängig und neutral sein.»

Whistleblower würden eine wichtige Rolle darin spielen, Missstände wie Korruption ans Tageslicht zu bringen, so Hilti: «Sie verdienen deshalb einen angemessenen Schutz.»

zentralplus hat bereits früher über die Bemühungen berichtet, bessere Bedingungen für Whistleblower zu schaffen: Lesen Sie hier, welche Erfahrungen man etwa im Kanton Zug mit einer Ombudsstelle gemacht hat.

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