In der Stadt Zug gelten fragliche Regelungen

Günstiger Wohnraum für Gutbetuchte

74 Prozent der Stadtzuger Bevölkerung sind – natürlich rein theoretisch – berechtigt, eine preisgünstige Wohnung zu mieten, schreibt der Stadtrat. Äh, wie bitte? (Bild: Christian H. Hildebrand)

Der Zuger Stadtrat erarbeitet derzeit eine neue Strategie zum preisgünstigen Wohnraum. – Dies, nachdem es massive Kritik seitens des Grossen Gemeinderates hagelte. Und das ist auch gut so. Die Regelungen, die derzeit gelten, sind teils absonderlich.

288 städtische Wohnungen für finanziell Benachteiligte, das klingt super. Vielversprechend klang auch die Ankündigung des Zuger Stadtrates, man wolle sich der Thematik des preisgünstigen Wohnraums stärker annehmen und ein neues Konzept dazu erstellen. Dies insbesondere nach der Abstimmung 2012, bei der das Stadtvolk klar befand, Zug müsse mehr Wohnraum für untere Einkommensklassen bereitstellen.

Soweit so gut. Neue Richtlinien wurden also geschaffen und Ende des letzten Jahres grob vorgestellt. So nicht, befand jedoch der SVP-Gemeinderat Beat Bühlmann kurz darauf und reichte die Interpellation «Vergünstigste Stadtwohnungen für Topverdiener und ohne GGR-Mitspracherecht» ein. Die Hürden, um vom günstigen Wohnraum profitieren zu können, seien viel zu tief, ausserdem habe der Gemeinderat nichts zu sagen gehabt bei der Erarbeitung der besagten Strategie.

Strategiewechsel nach massiver Kritik

Der Stadtrat reagierte – noch bevor er den Vorstoss überhaupt beantwortet hatte – im Januar mit einem Strategiewechsel (zentralplus berichtete). Dies insbesondere deshalb, weil die Einkommensobergrenze, mit der man künftig in den Genuss einer preisgünstigen Wohnung kommen soll, bei städtischen Politikern von links bis rechts als viel zu hoch erachtet wurde. Konkret wollte der Stadtrat mit dem Faktor sechs rechnen. Jemand, der also 6000 Franken verdient, hätte sich also eine preisgünstige Wohnung nehmen können, die 1000 Franken kostet.

Darum also eine angepasste Strategie, an welcher der Stadtrat bis spätestens Ende Jahr feilt. Nun folgte die Beantwortung der Interpellation von SVP-Mann Bühlmann, und diese bringt doch einiges Erstaunliches zutage.

74 Prozent der Zuger dürfen theoretisch günstigen Wohnraum beziehen

Auf die Frage Bühlmanns, wie gross der prozentuale Anteil der Stadtzuger sei, die gemäss derzeit geltendem Reglement für eine preisgünstige Wohnung infrage kämen, antwortet der Stadtrat sage und schreibe mit: «74 Prozent.» Wie bitte? Dreiviertel der Zuger gelten als berechtigt für preisgünstigen Wohnraum?

«Theoretisch stimmt das so», gibt der Zuger Finanzchef Karl Kobelt zu. Er relativiert aber sogleich: «Diese Angabe ist jedoch irreführend, sind es doch meist mehrere Personen, die in einem Haushalt wohnen. Und deren Einkommen müssten zusammengezählt unter der Einkommenslimite liegen, damit die Bewohner für günstigen Wohnraum berechtigt wären.»

Zu den 74 Prozent sagt Bühlmann: «Von gesundem Menschenverstand ist diese Zahl natürlich deutlich entfernt. Bedenken Sie, dass Zug die Stadt mit den schweizweit tiefsten Steuern ist. Das kann doch nicht sein, dass jemand 20’000 Franken verdient und nach allen Abzügen in die finanzielle Kategorie kommt, in der er für günstigen Wohnraum berechtigt ist.» Vielmehr müssten diese Wohnungen Leuten vorbehalten werden, die sie wirklich brauchen, etwa infolge Schicksalsschläge, weil es Familien mit limitiertem Einkommen sind, oder weil sie sich wegen einer tiefen Pension eine Wohnung in Zug sonst nicht mehr leisten könnten.

16’000 Franken Lohn – eine Wohnung für 2’000 Franken?

Bühlmann kritisiert in seiner Interpellation, dass Leute mit einem jährlichen Brutto-Haushaltseinkommen von bis zu 210’000 Franken in einer 4.5- bis 5.5-Zimmer-Wohnung leben dürfen, die 2’000 Franken kostet.

Der Stadtrat argumentiert in seiner Antwort damit, dass in solchen Fällen eine Mindestbelegung von drei beziehungsweise vier Personen vorliegen müsse und dass sich die Einkommenslimite auf das Gesamteinkommen aller Bewohnerinnen und Bewohner einer Wohnung beziehe. Heisst?

Ein Mann, der monatlich 16’000 Franken verdient und eine nicht arbeitstätige Frau sowie ein Kleinkind hat, darf also nach der aktuellen Regelung in einer als preisgünstig deklarierten Wohnung leben. Die Rechnung wird auch nicht nachvollziehbarer, wenn man das Einkommen aufteilt. Wenn sie etwa 11’000 Franken verdient und er 5’000.

Wie kann das sein? Die Begründung: «Mit der Festlegung einer relativ hohen Einkommenslimite wird sichergestellt, dass eine Familie, die beispielsweise in einem Quartier aufgewachsen ist und verwurzelt ist, bis zum Abschluss der Erstausbildung des Kindes/der Kinder dort wohnen bleiben kann.» Ein Topverdiener ohne Familie habe bei einem Einkommen von 210’000 Franken gemäss den Richtlinien jedoch keinen Anspruch auf eine städtische preisgünstige Wohnung.

«Die Einkommensverteilung der aktuellen Mieterinnen und Mieter ist noch nicht bekannt.»

Antwort des Zuger Stadtrates

Weiter schreibt der Stadtrat auf die Frage, wie die Einkommensverteilung der aktuellen Mieter denn aussehe, dass er es nicht wisse. «Die Einkommensverteilung der aktuellen Mieterinnen und Mieter ist noch nicht bekannt, da in den aktuellen Mietverträgen noch keine Deklarationspflicht vorgesehen ist.»

Stellt sich die Frage: Was nützt denn der preisgünstige Wohnraum bis jetzt überhaupt, wenn es sogar, rein hypothetisch gesehen, möglich wäre, dass beispielsweise Kaspar Villiger dort drin wohnt? «Das wäre bis jetzt tatsächlich möglich gewesen, weil die Stadt Zug bis jetzt keine Deklarationspflicht hat», so Kobelt. Er ergänzt: «Aber auch bisher galt es immer schon, mit einem gewissen Augenmass abzuwägen, wer eine Wohnung bekommt und wer nicht.»

Warten auf die Einladung zur Arbeitsgruppe

Interpellant Beat Bühlmann ist grundsätzlich zufrieden mit der Antwort des Stadtrates: «Obwohl er bis dato nicht alle Fragen beantworten konnte. So insbesondere jene zu den aktuellen Einkommenssituation der Mieter.» Diese Antwort habe ihm Karl Kobelt jedoch noch nachzuliefern versprochen.

Ausserdem sei Bühlmann dankbar dafür, dass Kobelt die Interpellation schneller beantwortet habe, als es Pflicht sei. «Das bringt eine gewisse Klarheit.»

Und wie geht es nun weiter? Bühlmann erklärt: «Wir erwarten nun vom Stadtrat die Einladung zur Arbeitsgruppe. Es wurde uns versprochen, dass Mitglieder aller Parteien im Gemeinderat bei der weiteren Umsetzung der Wohn-Strategie mitreden können.» Dies war im Übrigen ein weiterer Punkt, den Bühlmann in der ganzen Prozedur bemängelt hatte: «Bis jetzt war es so, dass fünf Stadträte das alleinige Sagen hatten darüber, was mit den 288 günstigen Wohnungen passiert.»

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