Iranischer Flüchtling will in Stadtregierung

Weltoffenes Luzern dank «Stadtrat Khajjamian»?

Sina Khajjamian in einem alten Herrenhaus in Teheran, welches seit Kurzem als Museum fungiert. (Bild: zvg)

Mit dem Jungen Grünen Sina Khajjamian ist das Kandidatenfeld für die Stadtratswahlen wohl komplett. Als studierender und veloliebender Flüchtling aus dem Iran will er zu einer weltoffenen Stadt Luzern beitragen, wenn er denn gewählt wird. Dass er überhaupt in der Schweiz ist, hat mit seiner Mutter zu tun. Und mit Damenunterwäsche.

Er kam vor fünfzehn Jahren als Flüchtling aus dem Iran in die Schweiz und hat hier seine zweite Heimat gefunden. Nun will er in den Luzerner Stadtrat: Sina Khajjamian. Die städtischen Jungen Grünen haben diesen Dienstag die Kandidatur des 24-Jährigen bekannt gegeben. zentral+ fragt nach, weshalb er in die Schweiz kam, was ihn für das Amt des Stadtrats qualifiziert und wieso er überhaupt bei den Grünen ist.

«Wahrscheinlich werde ich als zu jung und unerfahren abgestempelt. Aber ich würde gerne Verantwortung im Stadtrat übernehmen.»

zentral+: Sina Khajjamian, als junger Migrant wollen Sie die kulturelle Vielfalt und neue Perspektiven in die Politik bringen. Was heisst das konkret?

Sina Khajjamian: Luzern ist eine weltoffene und liberale Stadt. Mit mir im Stadtrat würde das auch nach aussen repräsentiert.

zentral+: Was befähigt Sie denn für das Amt des Stadtrates?

Khajjamian: Ich bringe grosse Lernfähigkeit mit. Als ich vor 15 Jahren in die Schweiz gekommen bin, waren Sprache und Kultur auch neu und es gelang mir, mich anzupassen. Wahrscheinlich werde ich als zu jung und unerfahren abgestempelt. Aber ich würde gerne Verantwortung im Stadtrat übernehmen.

zentral+: Es ist doch absurd, zu glauben, das Sie mit Ihren 24 Lenzen eine ganze Direktion führen können.

Khajjamian: Überhaupt nicht. Es braucht eine junge Stimme. Die Luzerner Bevölkerung besteht nicht nur aus über 40-Jährigen. Luzern ist eine junge Stadt, was sich etwa an der grossen Zahl der Studenten zeigt.

zentral+: Erklären Sie uns doch Ihren beruflichen Hintergrund.

Khajjamian: Nach der Sekundarschule ging ich an die Wirtschaftsmittelschule. Später absolvierte ich ein Praktikum an der HSLU und machte die Passerelle. Daneben hatte ich immer wieder Nebenjobs, etwa als Coach bei MidnightSports oder später als Verkäufer bei einem Detaillisten im Bahnhof. Nach der Matura reiste ich für neun Wochen nach San Francisco, um meine Englischkenntnisse zu verbessern. Anschliessend trat ich als Zivildienstleistender eine Stelle bei der Caritas im Asylheim Ebikon an. Heute studiere ich Wirtschaft an der HSLU.

zentral+: Und welchen politischen Rucksack tragen Sie mit sich?

Khajjamian: Seit meinem 16. Lebensjahr bin ich aktiv bei den Jungen Grünen. Ich setze mich für die kulturelle und demografische Integration ein, das heisst sowohl zwischen den verschiedenen Nationalitäten wie auch zwischen den Generationen. Seit 2013 bin ich zudem im Vorstand des Sentitreffs.

Der 24-jährige Sina Khajjamian traut sich das Exekutivamt zu.

Der 24-jährige Sina Khajjamian traut sich das Exekutivamt zu.

 

zentral+: Wenn es den Jungen Grünen aber wirklich ernst mit der Kandidatur wäre, hätten sie doch ihren bisherigen Grossstadtrat Laurin Murer nominiert. Weshalb nun Sie?

Khajjamian: Ich schätze Laurin als kompetenten Politiker. Er macht seine Arbeit sehr gut im Grossen Stadtrat. Aber wir Jungen Grünen wollen zusätzlich in den Stadtrat. Und diese Kandidatur ist mein voller Ernst.

zentral+: Sie sind als Flüchtling in die Schweiz gekommen. Können Sie uns Ihre Geschichte erzählen?

Junge Grüne drängen auch ins Stadtparlament

Auch für das Stadtluzerner Parlament haben die Jungen Grünen ihre Liste präsentiert. Insgesamt schlagen sie 30 Kandidaten vor, 13 Frauen und 17 Männer. Angeführt wird die Liste vom bisherigen Grossstadtrat Laurin Murer.

Khajjamian: Ich floh im Jahr 2000 gemeinsam mit meiner Mutter aus dem Iran. Die Repressionen gegen sie nahmen damals ein Ausmass an, das uns den Verbleib im Iran verunmöglichte – ihr drohte das Gefängnis. Als Journalistin setzte sie sich für Frauenrechte ein, ihr Ziel war es, den westlichen Lebensstandard in den Iran zu bringen. Wegen ihres politischen Engagements wurde sie Mitte der 80er-Jahre aus der Uni geworfen. Später erhielt sie ein Berufsverbot und durfte weder Bücher noch Zeitungen veröffentlichen, weshalb sie anfing, westliche Waren wie etwa Damenunterwäsche und Schminksachen zu verkaufen. Letztlich wurde auch das nicht mehr toleriert.

zentral+: Sie sprechen gut deutsch, haben eine gute Ausbildung und sind politisch interessiert. Sind Sie ein Vorzeige-Emigrant?

Khajjamian: Das müssen Sie beurteilen. Aber was bedeutet schon ein Vorzeige-Emigrant? Wir unterscheiden ja auch nicht zwischen Vorzeige-Schweizern und schlechten Schweizern. Viele Migranten wollen die Chancen, die sich hier in der Schweiz bieten, wahrnehmen. Es gibt viele andere Vorzeige-Emigranten.

zentral+: Glauben Sie, die Jungen Grünen wollen mit Ihrer Kandidatur – gerade wegen Ihres Migrationshintergrunds – auch ein Zeichen in der aktuellen Migrationsdebatte setzen?

Khajjamian: Das sicher auch. Aber in erster Linie waren meine Kompetenz und mein politisches Interesse ausschlaggebend. Mit meiner Kandidatur setzen wir Jungen Grünen auch unsere Politik um und öffnen Grenzen, statt dass wir sie verzäunen.

Auf Facebook stellt Sina Khajjamian seine Heimat Iran in einem Video vor:

Mittlerweile ist Luzern seit über 15 Jahren meine Heimat. Doch geboren wurde ich in Teheran (Iran) und aufgezogen. Mit…

Posted by Sina Khajjamian on Mittwoch, 17. Februar 2016

 

zentral+: Das Motto der Kampagnen der Jungen Grünen lautet «velo love». Was steckt dahinter? Wir haben noch gar nicht über Ihr ökologisches Engagement gesprochen.

Khajjamian: Ich liebe Velos, sammle privat übrigens auch alte Rennvelos. Eigentlich bin ich immer mit dem Velo unterwegs – besonders zu Stosszeiten. Das Velo ist aber nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern auch ein Lifestyle. Die Veloinfrastruktur in Luzern ist aber noch schlecht und gefährlich. Das wollen wir verbessern. Ich bin definitiv ein Grüner – auch wenn meine soziale Ader sehr stark ausgeprägt ist.

Spannende Ausgangslage

Mit der neuen Kandidatur kommt nochmals frischer Wind in den Stadtratswahlkampf. Bekanntlich tritt lediglich SP-Stadträtin Ursula Stämmer zurück, die SP will den Sitz mit Beat Züsli verteidigen (zentral+ berichtete). Auch die SVP hat zum Grossangriff geblasen und schickt ihren Präsidenten, Peter With, ins Rennen (zentral+ berichtete). Zittern muss vor allem GLP-Stadträtin Manuela Jost – denn die Minipartei GLP hat eigentlich keinen arithmetischen Anspruch auf einen Sitz in der Luzerner Stadtregierung.

Die Wiederwahl der Bisherigen, Martin Merki (FDP), Adrian Borgula (Grüne) und Stadtpräsident Stefan Roth, könnte schon im ersten Wahlgang erfolgen. Lediglich die Frage, ob Roth Stapi bleibt, steht zur Diskussion. Denn SP-Kandidat Züsli will ihm den Chefsessel wegschnappen. Weiter treten an: Juso-Jungspund Yannick Gauch (21), JCVP-Präsidentin Karin Stadelmann (30) und BDP-Präsident Denis Kläfiger (24). Ein Sitzgewinn eines Jungpolitikers oder der Jungpolitikerin wäre allerdings eine Riesensensation.

Grosser Aufwand, Nutzen fraglich

Genau aus diesem Grund verzichten etwa die Jungfreisinnigen auf eine Kandidatur, wie Präsidentin Yvonne Ruckli sagt. «Eine Stadtratskandidatur bringt herzlich wenig und ist sowieso chancenlos», so Ruckli. Auch von einer eigenen Liste bei den Grossstadtratswahlen sehen die Jungfreisinnigen dieses Mal ab. «Unsere ambitionierten Kandidaten treten direkt auf der FDP-Liste an und werden volle Unterstützung der Jungfreisinnigen erfahren», erklärt Ruckli.

Die Junge SVP verfügt in der Stadt Luzern über keine Ortssektion. «Einzelne unserer Mitglieder werden auf der Liste der SVP kandidieren», sagt der Präsident der Jungen SVP Luzern Christian Huber. Damit haben nun alle Parteien ihre Kandidaturen bekannt gegeben. Höchstens Parteilose könnten noch aufs Wahlkarussell aufsteigen. Die Frist zur Einreichung von Kandidaturen läuft bis zum 7. März.

Wird Khajjamian zu Borgulas Trumpf?

Läuft alles so wie erwartet, kommt es bei den Stadtratswahlen zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SVP-Präsident Peter With und GLP-Stadträtin Manuela Jost. Dass die SVP Josts Sitz im Blickfeld hat, ist aufgrund der parteipolitischen Ausgangslage klar. Noch viel lieber würde sie aber den Grünen Stadtrat Adrian Borgula rauskegeln. Und hier könnte Khajjamian eine wichtige Rolle spielen. Mit seiner Mithilfe könnte sich Borgula den nötigen Vorsprung herausholen.

Grüne Stadt Luzern nominieren 36 Kandidierende

An der Nominationsversammlung der Mutterpartei, der Grünen, wurden gestern 36 Kandidierende für den Grossstadtrat nominiert. Das Ziel der Grünen und Jungen Grünen für den 1. Mai 2016 ist, einen zusätzlichen Sitz zu holen, sodass die Fraktion auf acht Personen vergrössert werden kann, schreiben die Grünen in einer Mitteilung. Weiter wurden eine Listenverbindung mit der SP und die Wahlempfehlung für die Exekutive beschlossen.

Zusammenarbeit mit SP
Die Nominationsversammlung hat einer Listenverbindung der Grünen (inklusive Unterlistenverbindung Junge Grüne) mit der SP (inklusive Juso und Second@s) zugestimmt. Bei den Wahlen für die Exekutive hat die Mitgliederversammlung eine Liste beschlossen, auf welcher neben dem Grünen bisherigen Stadtrat Adrian Borgula auch Sina Khajjamian (Junge Grüne), Beat Züsli (SP) und Yannick Gauch (Juso) aufgeführt werden. Fürs Stadtpräsidium schlagen die Grünen Beat Züsli (SP) vor.

Die Kandidaten der Grünen Stadt Luzern für den Grossen Stadtrat.

Die Kandidaten der Grünen Stadt Luzern für den Grossen Stadtrat.

(Bild: zvg)

Die Kandidaten sind: Korintha Bärtsch (bisher), 31, Umweltnaturwissenschafterin ETH; Noelle Bucher (bisher), 30, wissenschaftliche Mitarbeiterin / Familienfrau; Ali R. Celik (bisher) 64, lic.phil. Soziologe / Sozialarbeiter FH; Urban Frye (bisher) 54, lic. phil. I / Executive MBA; Christian Hochstrasser (bisher) 34, Ökonom / Berufschullehrer; Katharina Hubacher (bisher) 61, Bereichsleiterin Sozialberatung; Martin Abele, 52, Fachstellenleiter (Schuldenberatung); Ruth Bollinger, 64, pensioniert; Rebekka Bolzern, 39, Gärtnereiangestellte / Buchhändlerin EFZ; Luzia Bolzern-Tönz, 50, Sekundarlehrerin; Zita Bucher, 27, Musik- und Bewegungspädagogin / freischaffende Musikerin; Christoph Bürgi, 48, Teamleiter Sozialversicherung / Oboist; Raphael Calzaferri, 49, wissenschaftlicher Mitarbeiter Hochschule für Soziale Arbeit FHNW; Julia Erazo, 27, Sozialpädagogin / Schulsozialarbeiterin; Maurus Frey, Dipl. Informatik Ingenieur FH; Esther Gasser, 50, dipl. Pflegefachfrau HF / Familienfrau; Marlon Heinrich, 61, Autor / Redaktor; Roger Kirchhofer, 45, Soziologe / wissenschaftlicher Mitarbeiter; Samuel Kneubühler, 28, Sozialarbeiter FH Bsc.; Mirjam Landwehr, 28, Architektin; Alex Messerli, 31, Primarlehrer; Marco Müller, 36, Geschäftsführer Spitex / Präsident Grüne Stadt Luzern; Nicole Näf, 45, dipl. Forstingenieurin ETH / Musikgrundschullehrerin; Heidi Rast, Dipl. Sozialarbeiterin FH / Koordinatorin Sentitreff; Mathias Raeber, Fundraiser; Heidi Rebsamen, 54, Zentralsekretärin garaNto; Erika Rogger, 44, wissenschaftliche Mitarbeiterin / Ethnologin; Christov Rolla, 38, Komponist / Lehrer; Björn Schaub, 40, lic. phil. / Geschäftsführer Netzwerk Raumplanung; Andreas Stäuble, 52, Kulturschaffender / Geschäftsführer Innerschweizer Heimatschutz IHS; Christa Stocker, 52, Bereichsleiterin Therapie und Pflege / Ergotherapeutin FH / Familienfrau; Dominik Taisch, 29, soziokultureller Animator FH i. A.; Fabian Takacs, 24, Betriebswirt / Projektmitarbeiter im Gesundheitswesen; Sandra Ulloni, 37, Künstlerin / Dozentin PH; Urs Wüest, 48, Sonderpädagoge;

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