Durchsetzungsinitiative: kein Luzerner Widerstand

Ärger über Drückeberger-Regierung

Weder Ja noch Nein: Die Luzerner Regierung will sich nicht festlegen (von links): Robert Küng, Marcel Schwerzmann, Reto Wyss, Guido Graf und Paul Winiker).

(Bild: PD/Montage jwy)

Die Opposition aus den Kantonen gegen die Durchsetzungsinitiative wächst – doch die Luzerner Regierung schweigt. Kein einziger Regierungsrat engagiert sich im Nein-Komitee, im Gegensatz zu den Luzerner Ständeräten. Das Unverständnis darüber ist gross – auch in den eigenen Parteien.

Luzern wäre in guter Gesellschaft: Einige grosse Schweizer Kantone sind gegen die Durchsetzungsinitiative (DSI), über die wir am 28. Februar abstimmen: Zürich, Basel-Stadt, Aargau, Bern und Solothurn. Ebenso der Nidwaldner Finanzdirektor Alfred Bossard, sein Urner Kollege Josef Dittli und der Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger. Sie sprechen sich alle öffentlich gegen die SVP-Initiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer» aus.

Auch die Luzerner Ständeräte Konrad Graber (CVP) und Damian Müller (FDP) tun es – wie auch 38 weitere Ständeräte. Und die kantonalen Regierungskonferenzen erst: 13 von 15, darunter die Justiz- und Polizeidirektoren, die Präsidenten und Generalsekretäre der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) und der Schweizerischen Staatsschreiberkonferenz, sind gegen die DSI. Kurzum: Es ist ein geballter Widerstand aus den Kantonen gegen das SVP-Begehren, wie es ihn in der Schweizer Demokratie noch selten gab.

DSI ist «generell potenziell gefährdend»

Der Luzerner Regierungsrat schreibt in seiner Antwort auf eine Anfrage von Kantonsrat Hans Stutz vom Mehraufwand, der auf den Kanton Luzern zukäme, bleibt aber bei Kosten und Stellen vage. Der Kanton rechnet mit 500 Ausschaffungen in Luzern mit DSI, mit dem Parlamentsvorschlag zur Ausschaffungsinitiative «nur» mit 190 – eine Differenz von 310 Personen. «Wir werden versuchen, den zu erwartenden Mehraufwand mit der Einführung von Einzelrichtern im Strafverfahren bei den erstinstanzlichen Gerichten aufzufangen», so die Antwort.

Am Ende des Textes lässt sich so etwas wie eine «generell potenzielle» Kritik an der DSI hineininterpretieren: Die Rechtsunsicherheiten seien «generell potenziell gefährdend für den Wirtschaftsstandort und entsprechend auch für den Standort Luzern. Insbesondere rückläufige Firmenansiedlungen ausländischer Unternehmen, Investitionsstau sowie Abwanderungspläne hiesiger Unternehmen könnten die negativen Folgen sein». Eine klare Haltung tönt anders.

Und was macht die Luzerner Regierung? Sie schweigt. Sie will sich partout nicht positionieren zur DSI. Natürlich handelt es sich um eine nationale Abstimmung – doch zur zweiten Gotthardröhre äussert sich die Luzerner Regierung sehr wohl (zentralplus berichtete).

«Unverständliches Schweigen»

Neben den Kantonen wehren sich auch regionale Komitees gegen die DSI, darunter seit Ende Januar ein Zentralschweizer Nein-Komitee. Darin findet man 14 Regierungsräte aus den Kantonen Zug, Obwalden, Nidwalden und Uri – nur Luzern und Schwyz fehlen. «Unverständliches Schweigen der Luzerner Regierung», kommentierte kürzlich die Meinungsplattform «lu-wahlen.ch».

Die Luzerner Regierung will sich bei der DSI also nicht festlegen – und das Unverständnis darüber wächst. Denn wenn die Initiative am 28. Februar angenommen würde, wären zuallererst die Kantone betroffen – die Vorschriften sind für viele Kantone inakzeptabel. Landesverweise würden künftig direkt von Staatsanwälten erlassen und die voraussehbaren Verfahren tangierten zuerst die kantonale Gerichte. Die Initiative würde sofort in Kraft treten – die Kantone könnten nicht planen und müssten quasi über Nacht neues Personal und Haftplätze herbeizaubern, wie Gegner behaupten.

«Es liegt am Volk, zu entscheiden»

Pikant: Die Luzerner Regierung hat sehr wohl eine Haltung zur DSI – nur macht sie ein Geheimnis draus. Auf eine dringliche Anfrage des grünen Kantonsrats Hans Stutz am 26. Januar, was die Konsequenzen für den Kanton Luzern wären, kam es im Kantonsrat zu einer hitzigen Diskussion und zur Forderung von links, dass die Regierung Stellung beziehe. In der Antwort der Regierung ist viel von Mehrkosten die Rede – sie bleibt aber vage, was die Auswirkungen für den Kanton Luzern wären (siehe Box).

«Die Regierung hat entschieden, eine passive Haltung einzunehmen.»

Staatskanzlei Luzern

SVP-Justizdirektor Paul Winiker sagte im Parlament: Die Regierung habe diskutiert, ob sie im Wahlkampf aktiv werden will, man verzichte aber auf eine öffentliche Stellungnahme. Es liege am Volk, zu entscheiden. Aber hat denn dieses Volk kein Anrecht drauf, zu wissen, was die Kantonsregierung denkt? So wie bei der zweiten Gotthardröhre?

Dass Paul Winiker (SVP) die Initiative befürwortet, ist kein Geheimnis. Doch auch in Kantonen wie Aargau und Zürich sitzt die SVP in der Regierung, sie sind trotzdem gegen die DSI, die SVPler tragen den Beschluss mit. Die Haltung der SVP und von der linken Opposition ist also klar. Interessant ist, was die kantonale FDP und CVP zum Schweigen «ihrer» Regierungsräte sagen. Müssten sie ihre Vertreter in die Pflicht nehmen?

CVP ist enttäuscht

Pirmin Jung, Parteipräsident der CVP Luzern, sitzt im Zentralschweizer Nein-Komitee. Auch er ist enttäuscht von der Zurückhaltung der Luzerner Regierung – nicht nur zur DSI, sondern allgemein bei Abstimmungsvorlagen: «Wir erwarten, dass sich die Regierung bei Abstimmungen mehr positioniert», sagt Jung. «Die Bevölkerung soll wissen, wie die Regierung denkt.» Seiner Meinung nach dürfte sich die Regierung mehr aus dem Fenster lehnen.

«Die Bevölkerung soll wissen, wie die Regierung denkt.»

Pirmin Jung, Präsident CVP Luzern

Unternimmt denn die CVP etwas, um ihre Regierungsräte – konkret Regierungspräsident Reto Wyss und Sozialdirektor Guido Graf – zu einer Stellungnahme zu bewegen? «Wir können da nicht dreinreden, Regierungsräte sind schliesslich vom Volk gewählt», sagt Jung. Das müsse das Kollegium unter sich entscheiden.

FDP: Volk wünscht klare Haltung

Auch der kantonale Präsident der FDP, Markus Zenklusen, ist klar gegen die DSI. FDP-Regierungsrat Robert Küng äussert sich aber nicht dazu – obwohl er sich öffentlich für die zweite Gotthard-Röhre einsetzt. Zenklusen sagt dazu: «Die Regierung ist ein Kollegium, wir haben da keinen Einfluss, das will ich auch nicht.»

Klar wünschten sich Volk und Parlament ein klare Haltung der Regierung, aber diese Trennung müsse man respektieren. «Wichtiger ist mir, was unsere Basis denkt», sagt Zenklusen – und diese war mit 170 zu 20 klar gegen die DSI.

«Zynisch und unhaltbar»

Peter Steiner ärgert sich über die Luzerner Regierung. Er ist Kampagnenleiter des Zentralschweizer Nein-Komitees: «Die Antwort von Paul Winiker, es liege am Volk, zu entscheiden, ist doch zynisch, dafür habe ich kein Verständnis», sagt er. Er findet es unhaltbar, dass die Regierung zwar eine Meinung habe, sie aber nicht bekannt geben wolle.

Steiner hat versucht, die Regierung oder einzelne Regierungsräte zu einer Stellungnahme zu bewegen, jedoch vergeblich. Steiner hat zwei Theorien für das Schweigen der Luzerner Regierung: Weil erstens Paul Winiker von der SVP im Jusitz- und Sicherheitsdepartement sitzt (und dafür die SP rausflog). Und zweitens, dass sich die Regierung der staatspolitischen Tragweite der DSI nicht bewusst ist.

«Ich finde es unhaltbar, dass die Regierung zwar eine Meinung hat, sie aber nicht bekannt gibt.»

Peter Steiner, Nein-Komitee

Steiner sagt: «Es ist eine grundsätzliche Frage, wie sich kantonale Regierungen bei nationalen Abstimmungen verhalten sollen.» Am 5. Juni kommt die Änderung des Asylgesetzes vors Volk, gegen das die SVP das Referendum ergriffen hat. Steiner: «Wie wird sich dann die Luzerner Regierung und SVP-Justizminister Paul Winiker positionieren?» Zeit bliebe noch für eine Stellungnahme der Regierung zur DSI – noch zweieinhalb Wochen. Steiner will die Zeit nutzen, um mit den Luzerner Ständeräten Graber und Müller nochmals das Gespräch zu suchen.

Konrad Graber wünscht sich Verhaltenskodex

Auch CVP-Ständerat Konrad Graber hat den Kontakt zur Luzerner Regierung gesucht, um sie zu einer Äusserung zu bewegen – vergeblich. «Ich würde es begrüssen, wenn sich alle Kantonsregierungen zur DSI äussern würden. Denn es kann keiner Regierung egal sein, wie das Volk darüber abstimmt», so Graber. Man müsse die Tragweite der Vorlage betrachten. Aber mehr tun könne auch er nicht: «Denn natürlich entscheidet die Luzerner Regierung autonom, sie muss sich das selbst überlegen», so Graber. Was er sich indes wünscht ist mehr Transparenz: einen Verhaltenskodex, wie und weshalb sich die Regierung zu nationalen Vorlagen äussert – oder eben nicht.

«Es kann keiner Regierung egal sein, wie das Volk abstimmt.»

Ständerat Konrad Graber

Es ist nicht absehbar, dass sich die Luzerner Regierung noch positioniert – auf Nachfragen von zentral+ antwortete die Staatskanzlei im Auftrag der Regierung: Die Folgen der Initiative für den Kanton Luzern seien im Rahmen der Anfrage A102 erläutert. Und auf die Frage, ob der Kanton die politische Tragweite unterschätzt habe: «Da der Kanton Luzern nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Kantone von der Durchsetzungsinitiative betroffen ist (im Gegensatz zur Sanierung des Gotthard-Strassentunnels), hat die Regierung entschieden, eine passive Haltung einzunehmen.»

Luzern: 500 statt 190 Ausweisungen

Am 28. Februar stimmt das Volk über die Initiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer» (kurz: Durchsetzungsinitiative) der SVP ab. Die Partei argumentiert, die Ausschaffungsinitiative von 2010 sei nur ungenügend umgesetzt worden – darum die neue Initiative. Bundesrat und Parlament sind gegen das Begehren. Das Parlament habe den Auftrag der Ausschaffungsinitiative erfüllt und die Gesetze verschärft, so der Bundesrat. Bei einem Ja zur Durchsetzungsinitiative würde diese sofort in Kraft treten. Sagt das Volk Nein, tritt die Umsetzung der 2010 angenommenen Ausschaffungsinitiative in Kraft. Das Parlament hat diese Gesetzesänderung bereits gutgeheissen.

Nach jetzigem Recht werden jährlich zwischen 400 und 500 Personen aus der Schweiz ausgeschafft – es sind Schätzungen, genaue Zahlen fehlen. Im Kanton Luzern schwankten die Zahlen in den letzten Jahren zwischen 24 und 54 Ausländern, die das Land verlassen mussten. Sei es, weil sie straffällig wurden, sei es aufgrund von Betreibungen oder Sozialmissbrauch.

Wie viele Ausländer nach dem neuen Gesetz ausgeschafft würden, kann man nur schätzen. Mit der Ausschaffungsinitiative, wie sie der Bundesrat umzusetzen plant, wären es laut Bundesamts für Statistik 2014 knapp 4000 Personen gewesen. Mit der Durchsetzungsinitiative markant mehr: rund 10’000 Personen jährlich.

Heruntergebrochen auf die Einwohnerzahl des Kantons Luzern – etwa ein Zwanzigstel der Schweiz – ergäbe das folgende Zahlen: rund 190 straffällige Ausländer, die das Land nach den Regeln der Ausschaffungsinitiative verlassen müssten, und etwa 500 mit der Durchsetzungsinitiative.

(Quelle: Am für Migration Luzern / Bundesamt für Statistik)

zentral+ hat bereits über die Durchsetzungsinitiative berichtet:

«Unsere Strafen sind doch zum Lachen»: Die Luzerner SVP lud am 18. Januar in Emmenbrücke zum Schlagabtausch: Felix Müri vs. Cédric Wermuth, rechts gegen links. Thema: die hochbrisante Durchsetzungsinitiative. Es kam viel Volk, die Debatte war hitzig – und der Abend endete ohne klaren Sieger.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von zombie1969
    zombie1969, 16.02.2016, 09:12 Uhr

    drücken die Ex-Gefängniswärterin Angela und ihr besonderer Hassan zusammen mit den Gegnern der Durchsetzungsinitiative fest die Daumen dass diese ja abgelehnt wird und Hassan bei einer Rückkehr in der CH bleiben darf. Dann steht für Angelas Hassan bei einer Rückkehr in die CH nichts mehr im Wege für ein erfolgreiches Sondersetting und Sozialhilfe.

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  • Profilfoto von Remos
    Remos, 11.02.2016, 08:27 Uhr

    Meine Stimme habt ihr in Zukunft auf sicher.

    Aber sicher nicht Konrad Graber und Damian Müller. Diese wollen uns offenbar mit Schwerkriminellen Ausländern beglücken!
    Nicht mit mir!!!

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  • Profilfoto von Werner Raymond Duss
    Werner Raymond Duss, 10.02.2016, 22:25 Uhr

    Gut zu wissen. Dieser Altherrenclub erhält in Zukunft keine einzige Stimme mehr von mir. Lieber lege ich leer ein.
    Einfach nur schwach!

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  • Profilfoto von Mistermarch
    Mistermarch, 10.02.2016, 18:36 Uhr

    In der Schweiz geben gemäss Statistik rund 65% aller über 15 jährigen Menschen entweder katholisch oder evangelisch als ihre Religion an. Würden dies am 28. Februar all jene Bürger zur Abstimmung gehen und das christliche Weltbild mitberücksichtigen, so wäre der Anteil der Gegner der Durchsetzungsinitiative bei mindestens diesem Prozentsatz. Kommt hinzu, dass die Durchsetzungsinitiative keine Verhältnismässigkeit mehr zulässt und die Gewaltentrennung unserer Schweizer Demokratie missachtet, was den Anteil der Neinstimmen zusätzlich in die Höhe treiben müsste. Schliesslich ist es just jene Gewaltenteilung, die in der Schweiz Stabilität, Wohlstand und Freiheit garantiert.

    Eigentlich dürfte eine so fundamentale Initiative wie es die Durchsetzungsinitiative in Wortlaut und Wirkung ist, in der Schweiz keine Chance auf Erfolg haben. Ich mache mir jedoch keine Illusionen, das Abstimmungsergebnis wird am Ende knapp ausfallen. Für Differenzierung bleibt in der aktuell hoch emotionalen Debatte praktisch kein Platz mehr. Wenn das Delikt eines Diebstahls plötzlich wie ein Gewaltverbrechen geahndet werden soll – zumindest wenn es um ausländische Mitbürger geht – bleiben Sachlichkeit und Verhältnismässigkeit auf der Strecke. Und was ist mit der Menschlichkeit, mit den christlichen Werten? Muss letztlich jeder selber beurteilen. Für mich aber ist klar, mit einem christlichen Weltbild ist die Durchsetzungsinitiative der SVP nicht vereinbar.

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