Zuger als Gemeindepräsident in der Surselva

«Sie nennen mich den New Highlander»

Im Zuger Café Speck getroffen: Beat Roeschlin ist seit März 2015 Gemeindepräsident der Bündner Gemeinde Tujetsch. Vorher war er CEO der Publicitas. (Bild: mbe.)

Der Walchwiler Beat Roeschlin wurde vor einem knappen Jahr zum Gemeindepräsidenten eines Bündner Ortes gewählt. Und hat sich in seiner neuen Heimat nicht nur Freunde gemacht. Stattdessen sorgte er als Erstes gleich für einen Riesenwirbel. «Ich würde es wieder genau gleich machen», blickt der ehemalige Manager zurück.

Mit seinem Bündner Nummernschild am Auto fällt er auf, wenn er in Zug herumfährt. «Dort oben bin ich ein Zuger, hier unten bin ich ein Bündner», sagt Roeschlin und lacht. zentral+ wollte wissen, wie es ihm nach knapp einem Jahr in der Surselva ergangen ist, und traf ihn in einem Zuger Café.

Zur Erinnerung: Die politische Gemeinde Tujetsch, die aus Sedrun und vielen kleinen Weilern besteht, suchte lange ein Gemeindeoberhaupt (zentral+ berichtete). Der letzte Gemeindepräsident, Pancrazi Berther, wurde nach neun Jahren 2014 abgewählt. Der Posten war lange vakant, niemand meldete sich. Eine externe Headhunter-Firma aus Zürich wurde schliesslich beauftragt, Bewerber zu suchen für das 50-Prozent-Amt.

Einziger Kandidat

«Aus sechzehn Interessenten wurden neun. Dann zwei, schliesslich blieb nur noch einer übrig», erzählt Roeschlin. Und das war er. Die Sedruner hatten also gar keine Wahl. Er war der einzige Kandidat und wurde am 16. März 2015 mit einem an Ostblock-Wahlen erinnernden Glanzresultat von 98 Prozent Ja-Stimmen gewählt. Die Stimmbeteiligung betrug satte 60 Prozent.

«Die Leute fragen mich immer, ob ich überlebt habe», sagt Beat Roeschlin. «Ich überlebe bestens. Sie müssen die Bündner fragen, ob die überleben, um mich herum!»
Wir merken, der Mann hat einen gewissen Humor, ist selbstironisch, nimmt aber auch kein Blatt vor den Mund.

«Sie müssen die Bündner fragen, ob sie um mich herum überleben.»
Beat Roeschlin, Gemeindepräsident Tujetsch

Ein Mann der Wirtschaft

Eine mögliche Erklärung: Er hat lange im Ausland gelebt, in Paris, Südkorea und den USA, kommt aus der Wirtschaftswelt, war Manager bei amerikanischen und schweizerischen Konzernen (zuletzt als CEO der Publicitas). Roeschlin jettete das halbe Leben in der Welt umher. «Ich habe leider einen Gehörschaden davongetragen.»
Nun also dieser abrupte Wechsel im letzten Jahr, in die Kommunalpolitik einer abgelegenen Bündner Talschaft. Die Herausforderung, vor der Tujetsch stehe, habe ihn gereizt, sagt Roeschlin. Tujetsch brauche eine neue Vision.

Wie war der Einstieg 2015? «Als ich gewählt wurde, hatte ich von Tuten und Blasen keine Ahnung», gibt er freimütig zu. Er habe als Erstes die politischen Entscheidungsprozesse lernen müssen, die ganz anders seien als in der Wirtschaft. Konsultativ, breit abgestützt, langsamer. Zudem sei er als neuer «Gemeindevater» mit Geschichten und Schicksalen konfrontiert worden, von denen er vorher keine Ahnung gehabt hatte. «Ich erlebe heute alles um mich herum viel bewusster», stellt er fest.

Riesenwirbel ausgelöst

Auch als «President communal» (so heisst der Gemeindepräsident auf Rätoromanisch) kann er nichts allein bewirken, lernte Roeschlin als Erstes. Dennoch fällte der Walchwiler gleich am Anfang seiner Amtszeit einen Entscheid, der einen Riesenwirbel im Tal auslöste. Er beschloss, dass Tujetsch aus der gemeinsamen Tourismusorganisation von Sedrun mit Disentis aussteigen sollte. «Ich erkannte keine Strategie. Mit meiner amerikanischen Art habe ich deshalb beschlossen, den Vertrag zu kündigen und wieder bei Null anzufangen.»

Im Winter prägen verschneite Dächer das Ortsbild (Bild: tujetsch.ch).

Im Winter prägen verschneite Dächer das Ortsbild (Bild: tujetsch.ch).

 

Er wollte neu mit dem entstehenden Skigebiet Sedrun-Andermatt und dem Kanton Uri zusammenarbeiten. Auch die Finanzen waren ein Grund: Jedes Jahr gebe Tujetsch zudem einen Beitrag von 840’000 Franken frei – ohne Erläuterungen zur Verwendung zu bekommen, so Roeschlins Vorwurf. «Ich musste danach bei der Kantonsregierung in Chur antraben.» Trotzdem würde er es wieder gleich machen, sagt der Zuger heute. Die Kündigung von Tujetsch in der gemeinsamen Tourismusorganisation wurde zwar inzwischen zurückgezogen. Doch die Scherben sind bis heute nicht gekittet.

«Auf dem besten Weg zum Politiker»

Doch Roeschlin lernte auch dazu. «Ich habe 2015 der NLZ gesagt, dass ich nie ein Politiker sein werde. Jetzt bin ich auf dem besten Weg dazu», fügt der Tujetscher Gemeindepräsident hinzu. Trotzdem hat er damals einen Ruf als «Hardliner» bekommen, der ihm seither anhaftet. Zu seiner politischen Ausrichtung: Roeschlin war einst FDP-Präsident einer Sektion im Zürcher Unterland. Er und ein weiterer externer Gemeindepräsident in der Surselva tragen auch bereits einen Übernamen. «Man nennt uns die New Highlander.»

Kann immer noch nicht Rätoromanisch

Rätoromanisch gelernt hat er immer noch nicht. «Ich fand noch keine Zeit dafür. Im Sommer musste ich die Gemeinde hüten», sagt er. Er versteht die vierte Landessprache aber passiv immer besser. Von Vorteil ist: Die offizielle Amtssprache von Tujetsch ist zwar Rätoromanisch, doch die Dokumente des Kantons Graubünden sind zweisprachig abgefasst. Zudem sei Deutsch als Zweitsprache im bekannten Ferienort verbreitet, und es klinge sehr schön. «Ich lerne Rätoromanisch. Alle wollen es mir beibringen.» Die Schulkinder begrüssten ihn jeweils mit «Bien di, Beat» (Guten Tag). Der Nachname werde nicht verwendet.

«Alle wollen mir Rätoromanisch beibringen, und die Kinder begrüssen mich mit: Bien di, Beat»

Und wie funktioniert das an den Sitzungen der Behörden? Die Sitzungen im Gemeindevorstand fänden auf Deutsch statt. Diskutieren könnten die anderen auf Rätoromanisch. An politischen Versammlungen sprächen die Leute Rätoromanisch, man übersetze es ihm und er antworte auf Deutsch.

Wohnung in Sedrun bezogen

Seine Schriften verlegte der Zuger wie verlangt nach Sedrun. Er habe jetzt eine schöne Wohnung dort, erklärt er. Und er pendelt zwischen Zug und Sedrun hin und her. Denn seine Frau, Rita Roeschlin, wohnt weiterhin in Walchwil, wo sie die Fünft- und Sechstklässler unterrichtet. Im Sommer legt er die Strecke mit dem Auto in eineinhalb Stunden zurück, im Winter geht es länger, weil er über Chur fahren muss.

Beat Roeschlin ist auch fast jedes Wochenende in seiner neuen zweiten Heimat anzutreffen. Dem letzten abgewählten Gemeindepräsidenten wurde vorgeworfen, zu wenig volksnah zu sein. Roeschlin besucht praktisch jedes Konzert, zeigt sich an Stammtischen. «Ich finde den Kontakt mit der Bevölkerung wichtig. Es ist an mir, diesen aufzubauen, und nicht umgekehrt.» Wenn er in Walchwil sei, lese er viel, bilde er sich weiter für sein Amt. Und in Sedrun kämen ihn seine Frau und seine Kinder auch besuchen. «Man hat meine Kinder auch schon auf die Jagd eingeladen. Nur mich wollten sie nicht dabei.»

Der Tourismus ist für die Gemeinde Tujetsch von grosser Bedeutung (Bild: tujetsch.ch).

Der Tourismus ist für die Gemeinde Tujetsch von grosser Bedeutung (Bild: tujetsch.ch).

Tourismus für Bergkantone zentral

Roeschlin bereut seinen neuen Teilzeitjob nicht, er bereitet ihm Freude. Er schwärmt von den Bergen, dem Wald, dem Rhein in seiner flächenmässig grossen Gemeinde. Und er habe jetzt auch viel mehr Verständnis für die Anliegen der Bergkantone gewonnen. Roeschlin findet es wichtig, die Hotellerie und Gastronomie im Tal weiterzuentwickeln. Es brauche höherklassige Betriebe. «Mein Vorbild ist das Tirol.» Und mehr Freizeitangebote für Touristen und Zweitwohnungsbesitzer (von 1700 Wohnungen in Tujetsch sind rund 1200 Zweitwohnungen) zu schaffen. Tourismus ist die wichtigste Einnahmequelle in der Surselva. Die Neat-Baustelle im Tal, welche die letzten Jahre Arbeit bot, ist weg.

Ein neuer Tunnel zwischen Göschenen und Sedrun würde alles erleichtern. Am Anfang hatte er den Tunnel ebenfalls lautstark gefordert. Doch auch diesen Traum, der Milliarden kostet, hat Roeschlin inzwischen beiseitegelegt.
Geändert hat sich inzwischen auch seine Meinung zu Zug und Walchwil. Er hatte vor einem Jahr im Gespräch mit zentral+ kritisiert, die Politik hier sei ihm zu wenig nachhaltig, deshalb habe er sich nie engagiert. «Was in Zug läuft, interessiert mich heute viel mehr», sagt er heute, «ich habe die Gemeinderechnung Walchwils noch nie so genau studiert und auch den Gemeindepräsidenten Tobias Hürlimann kennen gelernt». Er ist jetzt quasi ein Amtskollege.

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