Duell zur Durchsetzungsinitiative

«Unsere Strafen sind doch zum Lachen»

SVP-Nationalrat Felix Müri hatte ein Heimspiel in Emmen. (Bild: jwy)

Die Luzerner SVP lud in Emmenbrücke zum Schlagabtausch: Felix Müri vs. Cédric Wermuth, rechts gegen links. Thema: die hochbrisante Durchsetzungsinitiative. Es kam viel Volk, die Debatte war hitzig – und der Abend endete ohne klaren Sieger.

Die Schweiz ist im Banne der Durchsetzungsinitiative, über die wir am 28. Februar abstimmen: Die SVP befeuert die politische Debatte, Professoren halten mit einem Manifest dagegen, die Komitees mobilisieren, was das Zeug hält – und die umstrittenen Schäfchenplakate feiern eine Wiedergeburt.

Diesen Montagabend wurde die Debatte auf eine Bühne getragen: Die SVP Luzern lud zum öffentlichen Duell, zum «Schlagabtausch» zwischen dem Luzerner SVP-Nationalrat Felix Müri und dem Aargauer SP-Nationalrat Cédric Wermuth. Dieser wohnt inzwischen in Zofingen und ist in Luzern öfters zu sehen.

Nimmt man den Publikumsaufmarsch im Zentrum Gersag in Emmenbrücke zum Massstab, darf man eine hohe Wahlbeteiligung erwarten – die  Durchsetzungsinitiative zieht, der Saal war voll, es kamen um die 100 Besucher. Und es war augenscheinlich: Es war auch linke Gefolgschaft zugegen.

«In dieser Angsthasengesellschaft möchte ich nicht leben.»

Cédric Wermuth

Stimmung: Gesittet und entspannt

Es war mutig von Wermuth, hier zu erscheinen – zum Glück blieb es aber bei verbalen Ausrutschern, die Stimmung war – zumindest am Anfang – gesittet und entspannt. Was nicht selbstverständlich ist – schrieb doch einer im Vorfeld auf Facebook zur Veranstaltung: «Kann nicht kommen, wenn dieser Schwermuth an mir vorbeilaufen würde, bekäme der einen Chlapf an den Ballon …»

Moderator Kari Kälin von der Neuen Luzerner Zeitung postierte sich zwischen den Kontrahenten, es konnte losgehen.

Die Durchsetzungsinitiative

Am 28. Februar stimmt das Volk über die Initiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer» (kurz: Durchsetzungsinitiative) der SVP ab. Die Partei argumentiert, die Ausschaffungsinitiative von 2010 sei nur ungenügend umgesetzt worden – darum die neue Initiative. Bundesrat und Parlament sind gegen das Begehren. Das Parlament habe den Auftrag der Ausschaffungsinitiative erfüllt und die Gesetze verschärft, so der Bundesrat.

Bei einem Ja zur Durchsetzungsinitiative würde diese sofort in Kraft treten. Sagt das Volk Nein, tritt die Umsetzung der 2010 angenommenen Ausschaffungsinitiative in Kraft. Das Parlament hat diese Gesetzesänderung bereits gutgeheissen.

Felix Müri erklärte, wie es zur Initiative kam, dass die SVP sie bringen musste. Nämlich weil Bundesrat und Parlament den Volkswillen missachtet hätten, indem sie die Ausschaffungsinitiative nicht so umgesetzt hätten, wie es die Mehrheit des Volkes 2010 wollte. 

Wermuth entgegnete, die Durchsetzungsinitiative gehe deutlich weiter als die Ausschaffungsinitiative und verstosse gegen die Idee des Strafrechts, indem sie Schweizer und Ausländer nicht gleich behandle. «Das ist eine Angsthasengesellschaft, in dieser Gesellschaft möchte ich nicht leben.» Und er hatte damit den ersten Applaus des Abends auf seiner Seite.

Gelb, rot, dann raus

Felix Müri ging am Abend immer wieder auf den Sicherheitsaspekt ein, dass man die Gewaltopfer endlich ernst nehmen müsse und dass harte Strafen präventiv wirkten: «Nur harte Ausschaffung führt zu weniger Gewalt. Wir reden von Kriminaltätern, nicht von Bürschchen, die Kaugummis klauen. Kriminelle verstehen nur eine Sprache: zuerst die gelbe Karte, dann die rote, und dann raus!»

«Wir reden von Kriminaltätern, nicht von Bürschchen, die Kaugummis klauen.»

Felix Müri

Die Diskussion lief entlang der Argumente, die man in den letzten Wochen oft hörte: Es ging um Verhältnismässigkeit, um die Härtefallklausel, die Rolle der Justiz, um den Umgang mit Secondos, demokratische Grundrechte und das Volk als oberstes Gremium. Und es zeigte auch, auf welch komplexen Argumenten sich die Diskussion bewegt.

«Niemand ist für Straftäter»

Die Argumente sassen, die Kontrahenten wirkten locker, aber sehr sicher in der Sache. Es ist wohl niemand dagegen, Vergewaltiger härter anzufassen – diese Karte spielte Müri gekonnt. «Da lacht doch jeder bei den Strafen, die wir haben.» Wer nicht kriminell werde, habe nichts zu befürchten, «aber ich habe die Schnauze voll von den zehn Prozent problematischen Ausländern».

«Das ist gegen die Grundwerte dieses Landes, gegen die Demokratie.»

Cédric Wermuth

Cédric Wermuth hielt engagiert dagegen, argumentierte rhetorisch brillant und abgeklärt – und brachte Teiles des Publikums zu verständnislosem Kopfschütteln. Sein Hauptargument: Man dürfe keine Zweiklassengesellschaft aufbauen. Er appellierte an urschweizerische Grundwerte, die es zu respektieren gelte. «Niemand ist für Straftäter, aber wir bauen ein Zweiklassensystem auf, das ist gegen die Grundwerte dieses Landes, gegen die Demokratie.»

Müri liess das nicht gelten: Niemand werde in ein Land mit Krieg ausgewiesen. «Aber das Volk fragt sich, was das soll, wenn jemand zehn Mal bestraft wird, aber immer noch nicht ausgeschafft wird. Ihr verharmlost Straftäter, das will das Volk nicht.» Wermuth: «Wir fangen an, Leute, die hier leben, anders zu beurteilen – wir müssen unterscheiden zwischen Bagatellen und Vergewaltigern.» Letztere könne man schon heute ausschaffen. «Die SVP will neue Konfliktlinien aufbauen, eine neue Bürokratie, die Initiative ist Arbeitsplatzbeschaffung für Anwälte.»

«Kein richtiger Schweizer …»

Es gab durchaus auch komische Momente, etwa als der Moderator die Problematik ansprach, dass Secondos in Länder abgeschoben würden, in denen sie noch nie gelebt haben. Müri: «Sie können sich ja hier einbürgern lassen.» Darauf Wermuth: «Kann ich das schriftlich haben? Bis jetzt hörte ich von dieser Partei nur das Gegenteil.»

«Sie dürfen die Delikte jederzeit erweitern, aber erst müssen wir die Initiative annehmen.»

Felix Müri

Oder als Wermuth fragte, wieso Steuerbetrüger nichts zu befürchten hätten – dieses Delikt ist nicht in der Durchsetzungsinitiative. Müri antwortete schlagfertig einer Einladung: «Sie dürfen die Delikte jederzeit erweitern, aber erst müssen wir die Initiative annehmen.»

Man merkte: «Der Wermuth» war für viele ein rotes Tuch im Saal. «Respektlos», «arrogant», «kein richtiger Schweizer» hörte man die Leute nach der einstündigen Debatte tuscheln. Aber Cédric Wermuth, ein gekonnter Provokateur, schien es in seiner Rolle recht wohl zu sein.

Müri und Wermuth haben sattelfest ihre Klientel bedient. Ob sie aber jemanden umstimmen konnten mit ihren Argumenten, bleibt zu bezweifeln. Zumindest nicht in diesem Saal im Gersag. Da waren die Meinungen schon im Vorfeld gemacht.

Luzern: 500 statt 190 Ausweisungen

Nach jetzigem Recht werden jährlich zwischen 400 und 500 Personen aus der Schweiz ausgeschafft – es sind Schätzungen, genaue Zahlen fehlen. Im Kanton Luzern schwankten die Zahlen in den letzten Jahren zwischen 24 und 54 Ausländern, die das Land verlassen mussten. Sei es, weil sie straffällig wurden, sei es aufgrund von Betreibungen oder Sozialmissbrauch.

Wie viele Ausländer nach dem neuen Gesetz ausgeschafft würden, kann man nur schätzen. Mit der Ausschaffungsinitiative, wie sie der Bundesrat umzusetzen plant, wären es laut Bundesamts für Statistik 2014 knapp 4000 Personen gewesen. Mit der Durchsetzungsinitiative markant mehr: rund 10’000 Personen jährlich.

Heruntergebrochen auf die Einwohnerzahl des Kantons Luzern – etwa ein Zwanzigstel der Schweiz – ergäbe das folgende Zahlen: rund 190 straffällige Ausländer, die das Land nach den Regeln der Ausschaffungsinitiative verlassen müssten, und etwa 500 mit der Durchsetzungsinitiative.

(Quelle: Am für Migration Luzern / Bundesamt für Statistik)

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Zarzis
    Zarzis, 22.01.2016, 12:52 Uhr

    Aber was nützt es wenn man eigendlich sich nicht mal mehr auf die Grundfakten einigen kann?
    Es errinert mich an die MEI Abstimmung, alle Gegner sagten dass es Billateralen betrifft. Nur die SVP wiedersparch und wiedersparch, bis 2 Wochen nach der Annahme, da sagte Lucas Reimann: Natürlich war es das ziel die Bilateralen zu versenken!
    Also einfach gesagt, alle die uns Glaubten, sind selber schuld, wenn sie uns Glaubten!

    Und jetzt wieder die selben Geschichten, kein Angriff auf den Rechtstaat, keine Verletzung der Menschenrechte! Keine Automatismen!
    Und nach der Annahme heisst es dann: Natürlich wird damit der Rechtstaat abgeschaft, die Menschenrechte brauchts eh nicht und Richter sind eh nur fähig Kuschel Urteile zu fällen!
    Ausser es betrifft einen SVP’ler, dann ist es Politisch Motiviert und eine Verurteilung komplett falsch!

    Häufig frag ich mich was die Initianten an diesem Land so lieben?
    Sie bekämpfen alles was dieses Land ausmacht!
    Noch viel schlimmer, wer die Aussagen von Müri, Esterman und Blocher liest, muss denken wir leben in einem Gescheiterten Staat!
    Am Flughafen wird man dauernd Ausgeraubt, im Zug wollen einem alle nur Beklauen, in jede Wohnung wurde mindestens einmal Eingebrochen. Auf den Strassen herrscht das nackte Chaos, überall Raubende und Plündernde Horden.
    Die Polizei scheint für gar nichts mehr brauchbar zu sein!
    Vergewaltigte Frauen werden nach Blocher ja systematisch abgewissen!

    Sorry, wenn Cedric Wermuth solche Räuberheschichten erzählt hätte, man würde ihn zurecht als Landesverräter, Lügner und Nestbeschmutzer Verspotten!

    Aber die, die bald per DI Initiative, jeden nicht Schweizer, faktisch als Verbrecher betrachten, können so über die Geliebte Heimat reden und keiner regt sich auf!

    Was bei der DI zur Ausschaffung führt, hat bei den Leuten die ich Kenne, nur eine Frau geschafft, nicht Ausgeschafft zu werden. Diese Frau lebt aber wie eine Nonne.
    Für Ausländer in der Schweiz würde nach der Annahme der DI gelten, Keinen Alkohol, keinen Tabak, kein Auto oder Motorrad, keinen Ausgang und mit sich mit einem Lächeln Verprügeln lassen!
    Nur so kann man Garantieren das nichts passiert.
    Und die Schweizer, die diese DI am Lautesten Beführworten, haben alle genug auf dem Kerbholz, dass sie als Ausländer Ausgeschafft würde!

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  • Profilfoto von Pirelli
    Pirelli, 19.01.2016, 16:34 Uhr

    NR Müri ist offenbar der Ansicht, dass Gesetze nun neu ohne Einflussmöglichkeit der genau dafür gewählten Legislative direkt in die Verfassung geschrieben und sofort nach Annahme rechtswirksam werden sollen. Stellt sich die Frage: Warum hat er sich dann überhaupt wählen lassen? Soll man nun – wie Blocher in seinem neuesten Wahn – unterstellen, es ginge ihm nur um das Geld?


    [Korrektur: Im ersten Kommentar, drei Zeilen vor Schluss, muss er natürlich heissen: «DASS Müri». Pardon.]

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  • Profilfoto von Pirelli
    Pirelli, 19.01.2016, 09:06 Uhr

    . Die SVP plant, unsere Demokratie auszuhebeln. Blocher bezeichnete die Knochenarbeit in den Parlamentskommissionen als Zeitverschwendung; er will jetzt als Versuchsballon zum ersten Mal ein ausformuliertes Gesetz direkt in die Verfassung schreiben lassen, das sofort nach Annahme rechtswirksam würde. Das war schon lange vor der Ausschaffungsinitiative (AI) so geplant, ein Drei-Stufen-Plan: AI zum Vorwärmen mit extralanger Frist (5 Jahre) – sofort mit der Polemik rauffahren und schon anderthalb Jahre nach Annahme die Durchsetzungsinitiative (DSI) lancieren; wie erwartet stellt das Bundesgericht fest, dass der Automatismus so keinen Bestand haben kann, also wird die Propaganda noch schriller – und schlussendlich Initiative zur Abschaffung der Menschenrechte, für die man wieder schrill polemisieren wird; und das mit Leichtigkeit, denn inzwischen werden sich die Beschwerden beim EGMR häufen.
    Die SVP geht dabei mit gnadenloser Skrupellosigkeit vor und verfügt über unbegrenzte Geldmittel. Zwei Sachen ängstigen hier besonders:
    – Das Dauerfeuer der radikalen SVP-Propaganda zeigt mittlerweile bis weit in die Mitte Wirkung – oder glaubt jemand tatsächlich, vor zehn Jahren hätte eine DSI vor dem Parlament auch nur den Hauch einer Chance gehabt? Die SVP ist deutlich weiter rechts als der Front National (denn der steht für einen starken Sozialstaat ein); wird in der Schweiz aber immer noch als bürgerlich bezeichnet – und nicht als rechtsextrem wie der FN.
    – Die Stimmbürger sind bis weit in die Mitte hinein furchtbar desinformiert; die SVP kommt mit ihrem Märchen durch, ohne DSI gäbe es keine Ausschaffungen – obgleich das Gesetz zur AI seit März verabschiedet ist und (wie geplant) durch die DSI blockiert wird. Wenn man die Leute auf der Strasse fragt, reden alle nur von Schwerkriminellen; dass die DSI bereits bei Bagatelldelikten zur Ausschaffung führt, und zwar auch bei völlig integrierten Secondos, ging dank Propaganda-Flächenbombardement einfach unter.

    Ferner: Die SVP bemüht sich gar nicht mehr, ihre Geringschätzung für unsere demokratischen Institutionen zu verbergen:
    – Das Parlament ist Zeitverschwendung. Folgerichtig hat sich kein einziger amtierender SR/NR gegen die DSI gestellt. Man lässt sich also wählen – unterstützt dann aber die DSI, welche die Legislative komplett aushebelt. Tja. Warum wollte man dann ins Parlament, wenn man findet, Gesetze sollen direkt in die Verfassung?
    – Wie die SVP über den Bundesrat denkt, ist seit Langem bekannt – die jahrelangen Hetzkampagnen insbesondere gegen EWS und Sommaruga zeugen in aller Hässlichkeit davon. Folgerichtig hat sie auch nur Drittligisten aufgestellt und allen valablen Kandidaten schriftlich den Verzicht aufgezwungen. Und das Parlament hat einmal mehr gekuscht.
    – Blocher warnt nicht mehr nur vor den «fremden Richtern» – sondern jetzt auch vor den eigenen; und die DSI schreibt ihnen die Urteile vor (und, das wissen die wenigsten: verbietet Ausländern den Gang vors Bundesgericht).

    Somit greift die SVP alle drei Gewalten frontal an – wohlwissend, dass «das Volk» derart uninformiert und durch die Dauerpropaganda in seinem Urteil schon so beeinträchtigt ist, dass man mit genügend Geld und vor allem maximaler Skrupellosigkeit beim Lügen immer extremere Vorlagen durchbringt (Aufwand für die MEI: seit 2011 etwa 25 Millionen). Und was tun die tatsächlich bürgerlichen Parteien? Sie überbieten sich gegenseitig mit dämlichen Rechtsextrempositionen – und wollen nun tatsächlich die Rechtsaussen Wasserfallen und Pfister zu Präsidenten machen.

    Fazit: Die Gesetzesänderungen zur AI wurden bereits im März 15 verabschiedet, sie sind durch die DSI blockiert. Das Müri, immerhin Nationalrat, die SVP-Lüge weiterverbreitet, das Parlament hätte seine Arbeit nicht gemacht, ist hochgradig peinlich. Jeder echte Demokrat – egal, ob rechts oder links – muss das Monstrum DSI ablehnen!

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