Bundesrats-Besuch an Podium in Zug

Die zweite Röhre ist noch lange nicht gebaut

Bundesrätin Doris Leuthard entsteigt der Limousine und begrüsst die zwei Sicherheitsbeamten. (Bild: mbe.)

Vom Klimaschutzgipfel in Paris sei Bundesrätin Doris Leuthard geradewegs ins Theater Casino Zug gereist, hiess es am Podium «Blick on tour». In Zug kämpfte die Verkehrsministerin engagiert und zuweilen ein wenig entnervt für die zweite Gotthard-Strassenröhre. Diese bedeutet für die Gegner genau das Gegenteil von Klimaschutz.

Die Schweiz liebt ihre Bundesräte. Anders lässt es sich nicht erklären, dass man ihnen nachsieht, nicht gerade viel Sinn für Symbolik zu zeigen. Die Bundesrätin kam also direkt vom Klimagipfel, wo ein historisches Abkommen zur Reduktion der C02-Emissionen abgeschlossen wurde.

Die Schweizer Verkehrsministerin kam aber nicht mit einem Elektromobil oder so etwas. Nein. Am Montagabend um 18.45 Uhr rollt eine schwarze Limousine mit Berner Nummernschild vors Theater Casino Zug und hält genau vor dem roten Teppich. Aus der Limo steigt, in rotem Mantel, Doris Leuthard und schreitet ins Casino. Ein Polizist und eine Polizistin in Zivil wachen diskret über ihre Sicherheit (siehe Bildergalerie unten).

«Frau Bundesrätin …», begrüsst sie ein Journalist mit Blöckchen in der Hand und macht fast eine Verbeugung. Die CVP-Bundesrätin, die soeben mit dem zweitbesten Resultat wieder gewählt wurde, gibt sich natürlich und locker. Sie zieht ihren Mantel aus, redet mit dem Mann über die neue Departementsverteilung. Kameras klicken rundherum, sie nimmt es wahr und gelassen hin.

Podium und PR-Veranstaltung

Dann verlegt sich das Geschehen in den Saal des Casino-Theaters. Rund 200 Leute sind gekommen. Die Bühne und das Podium sind mit einer roten Wand und «Blick on tour»-Schildchen dekoriert. Draussen liegen Gratisexemplare der Boulevardzeitung auf. Doch auch andere nutzen die Gelegenheit zur Werbung: SP-Regierungsratskandidat Zari Dzaferi hat sein Velo mit einem grossen Plakat vor dem Eingang parkiert. Sein CVP-Konkurrent Martin Pfister ist ebenfalls da – schliesslich ist Leuthard eine CVP-Bundesrätin.

«Es gibt einen Extrateller Boeuf Bourguignon.»

Hannes Britschgi, Ringier-Publizist

An der Polit-Diskussion mit PR-Charakter geht es um den zweiten Autotunnel durch den Gotthard, über den die Schweiz am 28. Februar abstimmt. Diskussionsleiter Hannes Britschgi irrt sich als Erstes im Datum und spricht vom 28. Januar. Murren im Saal. Obs wohl Absicht war? Das Publikum ist jetzt jedenfalls aufmerksam.

Britschgi sagt, der Saal des Theater Casinos sei einer der schönsten Säle, die je für diese Veranstaltungsreihe besucht worden seien. (Dass er bald renoviert werden muss, wissen nur die Zuger.) Und Britschgi verspricht einen «Extrateller Boeuf Bourguignon» für alle, die in der Fragerunde später etwas sagen werden. (Lachen im Saal).

«Schön, dass Sie nach der Arbeit oder aus der warmen Stube noch hierherkommen, um über diese wichtige Vorlage zu diskutieren.»

Doris Leuthard, Bundesrätin

Bundesrätin erklärt die Sache detailliert

Die Bundesrätin darf als Erste und lange reden. «Schön, dass Sie nach der Arbeit oder aus der warmen Stube noch hierherkommen, um über diese wichtige Vorlage zu diskutieren», sagt sie. Sie spricht klar, einfach und verständlich. Leuthard stellt die Argumente des Bundesrats und des Parlaments vor, welche der zweiten Röhre zustimmten, die nun aber wegen des Referendums vors Volk kommt.

Der Tunnel müsse bald saniert werden. Wenn man den ganzen Verkehr auf die Bahn verladen müsse, brauche es Verladestationen im ganzen Land. Zum Beispiel in Risch. Oder in ihrem Heimatkanton Aargau, dort komme diese genau in ein Naturschutzgebiet zu liegen. Doris Leuthard: «Viel Vergnügen beim Durchbringen.»

Hauptargument Sicherheit

«Doch das Hauptargument für die zweite Röhre ist die Sicherheit. Es braucht zwei richtungsgetrennte Röhren für den Verkehr», sagt Leuthard, «aber über die Sicherheit sprechen die Gegner nicht gern.» Leuthard redet lange, langweilig wird es nie.

«Wir müssen dem Verkehr nicht mit dem Tunnel den roten Teppich auslegen.»

Jon Pult, Präsident überparteiliche Alpen-Initiative

Zuweilen faltet die gelernte Juristin die Hände, beschwört das Publikum. Sie beschwört das Bild herauf, dass der Verkehr zusammenbreche, wenn man den Verkehrsträger des Gotthardtunnels für zwei bis drei Jahre schliessen müsse. Arbeitsplätze ständen ebenfalls auf dem Spiel. Betriebe im Tessin müssten schliessen, weil sie sich den Verlad auf die Bahn nicht leisten könnten, so Leuthard.

Zwei Befürworter und zwei Gegner

Dann beginnt die eigentliche Diskussion. Auf dem Podium erhält die Verkehrsministerin als Befürworterin der zweiten Röhre Schützenhilfe vom Urner FDP-Urgestein Franz Steinegger. Die Tunnelgegner sind vertreten durch die Grüne Berner Nationalrätin Regula Rytz und den Präsidenten der überparteilichen Alpen-Initiative, den Bünder Jon Pult. Die Teilnehmer diskutieren engagiert, beide Seiten bringen gute Argumente.

Die Gegner berufen sich auf Unterlagen, welche dem Parlament vorgelegt wurden, kritisieren, dass die Zahlen und Prognosen immer wieder änderten. Rytz: «Zuerst hiess es, ab 2025 sei die Sicherheit im Tunnel nicht mehr gewährleistet. Eine neue Studie spricht jetzt von 2035.»

«Dem Verkehr nicht den roten Teppich auslegen»

Die Gegner berufen sich zudem auf die 1994 vom Volk angenommene Alpenschutz-Initiative und die abgelehnte Avanti-Initiative. Man müssen den Verkehr in der Sanierungszeit auf die Schiene verlagern. «Wir müssen dem Verkehr nicht mit dem Tunnel den roten Teppich auslegen», sagt Jon Pult.

Steinegger und Leuthard werfen den Gegnern vor, naiv zu sein und den zugenommenen Verkehr zu ignorieren. Die Situation sei nicht mehr dieselbe wie 1980. Es geht um die Anzahl Lastwagenfahrten, um die Anzahl von Fussballfelder als nötiges Land für die Aufladestationen, um die nötigen Installationsplätze für den Tunnel.

Bundesrätin Leuthard wird erstmals kritisiert. Sie wehrt sich. «Herr Pult, schade, dass Sie nicht in den Nationalrat gewählt wurden. Das rhetorische Talent hätten Sie», sagt sie lächelnd.

Man schenkt sich nichts

Die Diskussion ist spannend. Man schenkt sich nichts. Als Regula Rytz den anwesenden Zugern aufzeigt, dass regionale Verkehrsprojekte aus dem Agglomerationsprogramm nicht ausgeführt werden könnten, weil dem Bund wegen der zweiten Gotthardröhre das Geld fehle, wird Doris Leuthard ausnahmsweise böse.

«Jetzt, Frau Nationalrätin, verzellet Sie Chabis. Das wissen Sie genau. Es ist nicht ehrlich und entspricht nicht den finanzpolitischen Tatsachen.» (Klatschen, Pfiffe im Saal). Das Geld für diese Projekte stamme nicht aus diesem Topf, so Leuthard.

«Das ist doch eine Chalberei.»

Martin Stuber, Zug

Fragerunde am Schluss

Nun endlich darf das Publikum in der Fragerunde etwas sagen – das Boeuf Bourguignon wartet schliesslich. Die Befürworter wie Gegner der Röhre halten sich in etwa die Waage.

Der ehemalige ALG-Kantonsrat Martin Stuber meint, es gebe nur ein Land auf der Welt, das einen neuen Bahntunnel für fast 24 Milliarden Franken baue, und bevor dieser eröffnet sei, einen Strassentunnnel beschliesse. «Das ist doch eine Chalberei», sagt er.

Der Zuger Journalist Charly Keiser will wissen, warum die «linken Tunnelgegner» bei der Masseneinwanderungsinitiative nicht ebenfalls so auf die Umsetzung pochen wie beim Alpenschutz.

Ein älterer Besucher fragt, ob man denn ans Christkind und den Samichlaus glaube, dass die zweite Spur im Tunnel nicht eröffnet werde, wenn der Druck aus der EU wachse. Die Bundesrätin versichert, dass das nicht der Fall sein wird. «Dafür müsste man die Verfassung ändern.»

Keine einfache Abstimmung

Es handelt sich um ein komplexes Thema. Das merkt man in der Diskussion. Es gibt gute Argumente für und gegen die zweite Röhre. Ein Luzerner Besucher bringt es so auf den Punkt: «Wegen des Alpenschutzes würde ich Nein stimmen. Wegen der Sicherheit stimme ich Ja.»

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Martin Stuber
    Martin Stuber, 15.12.2015, 12:27 Uhr

    Danke für die Korrekturen.
    In den 24 Milliarden sind die Projektkosten für die gesamte NEAT (also auch den Ceneri-Basistunnel) und die Finanzierungskosten eingeschlossen.
    Diese gestern Abend mehrfach auf dem Podium genannte Zahl wurde weder von Frau Leuthard noch von Herrn Steinegger bestritten.
    Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass die zweite Strassenröhre – Langfristkosten eingerechnet – 2 bis 3 Milliarden Franken teurer als die Sanierung inklusive Ersatzangebot auf der Schiene käme. Geld, das dann woanders fehlt. Wie gesagt: Chalberei!
    www.alpeninitiative.ch liefert ein Fülle von Fakten.

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  • Profilfoto von Marc Benedetti
    Marc Benedetti, 15.12.2015, 12:05 Uhr

    Danke für die Rückmeldung, Herr Stuber. Da sind mir in der Eile wohl die Zahlen etwas durcheinander geraten. Selbstverständlich habe ich Ihr Zitat korrigert, dass der Neat-Basistunnel laut Ihren Aussagen 24 Milliarden Franken kostet und ich entschuldige mich für den Fehler. Das Bundesamt für Verkehr nennt allerdings wiederum eine andere Zahl (18,2 Milliarden Franken). Haben Sie Insider-Kenntnisse?

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  • Profilfoto von Martin Stuber
    Martin Stuber, 15.12.2015, 08:58 Uhr

    Da war Herr Benedetti einen Moment unaufmerksam – es sind 24 Milliarden, wenn alles berücksichtigt wird. Und von 24 Milliarden habe ich auch gesprochen. Der zweite Strassentunnel würde für ein Verkehrsaufkommen gebaut, das kleiner ist als auf der Neugasse – 16’000 Fahrzeuge pro Tag am Gotthard, über 20’000 in der Neugasse. Das ist wirklich eine Chalberei.
    Und ich bin nicht «ehemals ALG», sondern immer noch Parteimitglied. Ehemals Kantonsrat wäre korrekt. 🙂 Und, Herr Benedetti – waren es jetzt 200 oder 150 im Saal?
    Noch ein Hinweis: es ist aufgefallen, dass die Pro-Leuthard Klatscher zur grossen Mehrheit Auswärtige waren. Offenbar hat der TCS in der Zentralschweiz rund um Zug fleissig mobilisiert….

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