Zuger Mundart-Initiative

«Hören Sie auf Volkes Stimme!»

Kommst du auf den Drachen? Oder: Chunnsch uf de Drache? Daran wird die SVP-Initiative nicht viel ändern, sagen die anderen Parteien. (Bild: zvg (Stadt Zug))

Die SVP kämpft für die Mundart in Zuger Kindergärten. So sieht sie das zumindest. Alle anderen Parteien sagen: Das ist schon längst Realität. Das stört die SVP allerdings nicht – ihre Initiative «Ja zur Mundart» kommt nun vors Volk. Die Partei sieht ihren Sieg als sicher. Was der allerdings konkret ändern soll, bleibt unklar.

Der SVP-Kantonsrat Michael Riboni ist siegessicher: «Schauen Sie sich die Masseneinwanderungsinitiative an, und die Minarettinitiative – haben Sie daraus nichts gelernt? Hören Sie auf Volkes Stimme. Nicht auf Professoren und pseudopädagogische Gutachten.»

Volkes Stimme, so Riboni, sage: Im Kindergarten muss Mundart gesprochen werden. Das verlangt die Initiative der SVP «Ja zur Mundart». 2002 hatte der damalige Erziehungsrat (heute Bildungsrat) nach dem Schock der ersten Pisa-Studie festgelegt, dass in Kindergarten und Primarschule Standardsprache gesprochen werden soll. Dies, um die schlechten Deutschkenntnisse zu verbessern. Das soll mit der SVP-Initiative rückgängig gemacht werden.

Realität ist anders

Nur: Das hat die SVP eigentlich schon erreicht. Der Bildungsrat hat vorgeschlagen, die damalige Weisung aufzuheben und folgende Regelung einzuführen: Grundsätzlich Mundart im Kindergarten, grundsätzlich Standardsprache in der Primar- und Sekundarschule. Er argumentiert dabei damit, dass der Pisa-Schock zu einer Überreaktion geführt habe. Deshalb sei heute zwar Standardsprache im Kindergarten festgelegt – in Realität werde aber längst Mundart im Kindergarten gelebt. Das soll das neue Reglement auch so festhalten. Der Präsident der Bildungskommission sagt dazu: «Die starre Lösung der SVP-Initiative wird den Anforderungen auf den verschiedenen Schulstufen nicht gerecht.»

Der Kantonsrat, das war schon vorher klar, hat deshalb die SVP-Initiative am Donnerstag abgelehnt. Mit 56 zu 18 Stimmen geschlossen gegen die SVP-Fraktion. Der ist das aber egal: Da sie ihr Anliegen als Initiative formuliert hat, wird sie nach einer zweiten Lesung im nächsten Jahr vors Volk kommen. Und da rechnet sich die SVP grosse Chancen aus. «Wir haben die Unterschriften in Rekordzeit zusammenbekommen», sagt Beni Riedi (SVP).

«Grossmütter haben gesagt»

Er betont, dass die Initiative keine neuen Gesetze konstruieren wolle: «Es geht nur darum, den Zustand von vor 2002 wieder einzuführen. Sie alle hier im Saal haben im Kindergarten Mundart gesprochen.» So schlimm kann es ja dann nicht sein. Und der Vorschlag des Bildungsrats? «Wir wollen erst einmal schriftlich haben, wann denn diese neue Regelung umgesetzt werden würde», sagt Riedi.

«Grossmütter haben uns gesagt: Ihre Enkelkinder wissen nicht mehr, was ein Mutschli ist und was ein Prügeli.»

Michael Riboni, SVP

Und Riboni doppelt nach: «Grossmütter haben uns gesagt: Ihre Enkelkinder wissen nicht mehr, was ein Mutschli ist und was ein Prügeli. Secondos sagen uns, die Mundartkenntnisse brächten ihnen grosse Vorteile im Berufsleben. Kindergartenkinder haben uns zugeflüstert, die Mundart erleichtere die Integration von ausländischen Kindern.»

Allerdings zieht dieser Abstimmungskitsch beim Kantonsrat nicht. Zari Dzaferi (SP) findet dazu klare Worte: «Die Bevölkerung stimmt über Ja zur Mundart ab. Niemand ist gegen Mundart. Ich sage auch Ja zur Mundart. Das Volk muss aber wissen, dass es die gängige Praxis ist, die an den Schulen gelebt wird: Im Kindergarten wird heute Mundart gesprochen. Die SVP tut so, als sei das nicht der Fall.»

Es sei zwar nachvollziehbar, dass die SVP diese Initiative ergriffen habe: «Schon bevor die Initiative vors Volk kommt, hat die SVP profitiert. Hat tüchtig Wahlkampf betrieben. Es ist aber falsch, dass die Mundart gefährdet ist. Mit der Regelung des Bildungsrates ist das Problem elegant gelöst: Der Einsatz der Standardsprache bleibt weiterhin möglich.»

Welches Problem soll die Initiative lösen?

Kein Wunder, versuchen die Votanten der anderen Parteien der SVP ihre Initiative auszureden. Dabei kommen sie auf interessante Ideen: Esther Haas etwa (ALG) hält ihr Votum gleich auf Walliserdütsch, um zu verdeutlichen, dass die Initiative ganz andere Probleme aufwerfen würde: Welche Mundart ist gemeint? Und könnten dann keine Lehrer aus dem deutschsprachigen Raum mehr eingestellt werden? Aus dem Tessin?

Kreativ wird auch die CVP: «Da ich vor allem die SVP-Fraktion überzeugen muss und ihnen ins Herz sprechen will, habe ich beschlossen, meine Rhetorik anzupassen», sagt CVP Kantonsrätin Anna Bieri. «Ich lege Ihnen deshalb hier meine Seven Thinking Steps vor.»

Der Saal amüsiert sich, aber Bieri erschöpft sich nicht in der Pointe – da steckt mehr dahinter: «Ich finde es ja zuvorkommend, dass die SVP sich um die Integration von ausländischen Kindern kümmern und unser Schulsystem nach den fremdsprachigen Kindern ausrichten will – das ist aber der falsche Ansatz.» Und Bieri stellt gleich klar, wo der Bruch verläuft: «Die Mundart ist wohl unsere Muttersprache, aber Hochdeutsch ist unsere schriftliche Muttersprache. Nur ein Analphabet kann diese doppelte Muttersprache in Abrede stellen.»

Und dann kommt sie zum Kern der Sache: «Nach den offiziellen Seven Thinking Steps lautet der Schritt 1: Finding the right problem to solve. Welches Problem will die Initiative lösen? Wo liegen materielle Unterschiede zur heutigen Praxis? Die Praxis macht es bereits so: Im Kindergarten grundsätzlich Mundart, in der Primar und Sekundarstufe grundsätzlich Hochdeutsch.»

«Mundart ist auf dem Vormarsch»

Und in dem Stil geht es weiter. Stefan Gisler (ALG) sagt zur SVP: «Eines kann ich wirklich nicht verstehen: Eure Angst, dass die Mundart bedroht sei.» Das sei reine Polemik. «Das Gegenteil ist der Fall: Die Mundart ist auf dem Vormarsch. Werfen Sie einen Blick in die sozialen Medien. Mundart ist Teil unserer Kultur», sagt Gisler und wird ungewollt ironisch. «Die SVP scheint mir ein wenig bildungsfremd. Oder wenigstens Lichtjahre davon weg, was tatsächlich im Kindergarten Realität ist.»

Da sind sich alle Parteien ausser der SVP einig. FDP-Kantonsrat Peter Letter sagt: «Aktuell wird im Kindergarten der weit grösste Teil in Mundart und ein kleiner Teil in Hochdeutsch unterrichtet. Das ist gut so. Lehrmeister beklagen die ungenügenden Deutschfähigkeiten der Jugendlichen.» Würden Kinder schon im Kindergarten mit Hochdeutsch in Kontakt kommen, falle es ihnen in der Primarschule leichter, korrekte Satzstellungen zu schreiben. «Verbieten wir das, tun wir unseren Kindern keinen Gefallen.»

«Lieber Zari, ich gebe dir einen Tipp: Rede doch lieber zur Sache, statt mit dem Holzhammer auf die SVP einzuhämmern. Denn so erreichst du nur, dass die SVP eine erfolgreiche Partei bleibt.»

Philip C. Brunner, SVP

Die SVP hat also mit ihrer Initiative schon gewonnen: Weshalb kämpft sie weiter? Für ein klares Bild darüber, was da tatsächlich passiert, sorgt SVP-Kantonsrat Phillip C. Brunner, wenn auch ungewollt. Es sei paranoid, zu behaupten, die SVP betreibe dauernden Wahlkampf. «Warum soll man die Diskussion über die Mundart im Kindergarten nicht führen? Nach diesem ganzen SVP-Bashing muss ich etwas sagen. Lieber Zari, ich gebe dir einen Tipp: Rede doch lieber zur Sache, statt mit dem Holzhammer auf die SVP einzuhämmern. Denn so erreichst du nur, dass die SVP eine erfolgreiche Partei bleibt.»

Zari kontert: «Es hat niemand SVP-Bashing betrieben, die Argumente waren sachlich. Dass sich die SVP jetzt als Opfer darstellen will, das finde ich nicht gut.»

Beni Riedis Anliegen steht aber noch im Raum: Wann würde denn die neue Regelung des Bildungsrates eingeführt? Bildungsdirektor Stephan Schleiss (SVP) schafft Abhilfe: «Ehrlich gesagt, wir wissen es nicht. Es wäre natürlich aus Sicht der Regierung verlockend, aus taktischen Gründen die neue Regelung vor der Abstimmung einzuführen. Wir werden versuchen, das so handzuhaben. Vielleicht nimmt ja die SVP das als Vorleistung wahr und als Einladung, ihre Initiative zurückzuziehen.»

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