Polizeikrise: Abgang in gegenseitigem Einvernehmen

Luzerns Kommandant Beat Hensler tritt ab

Jürg Sollberger präsentiert die Ergebnisse der Untersuchungen. Links: Regierungsräte Yvonne Schärli und Guido Graf, rechts: Beat Hensler. (Bild: bra)

Der Luzerner Polizeikommandant Beat Hensler gibt seine Funktion «in gegenseitigem Einvernehmen» ab. Interimistisch wird das Korps durch Adi Achermann geführt, der aktuell bei der Oberstaatsanwaltschaft die zentralen Dienste leitet. Ebenso wird der Polizei eine neue Führungsstruktur verpasst und ein vollamtlicher Stellvertreter eingesetzt. Änderungen gibt es zukünftig auch bei Beförderungen.

«Nein, ich darf von Beat Hensler nicht enttäuscht sein», sagte die Luzerner Justizdirektorin Yvonne Schärli. Vorausgegangen war die Kommunikation des Rücktritts ihres Polizeikommandanten per Mitte Dezember, der damit einen vorläufigen Schlussstrich unter die seit einem Jahr schwelende Polizeikrise (siehe Chronologie) zieht.

«New Balls, wie man im Tennis sagen würde», meinte Hensler zu seinem Rücktritt «in gegenseitigem Einvernehmen». Gleichzeitig gab er an der Medienkonferenz einen Einblick in sein Gemütsleben. «Es gab in meinen elf Jahren als Kommandant Fälle, in denen aus heutiger Sicht nicht richtig gehandelt wurde, unschöne Fälle. Ich stehe aber zu meinen Entscheidungen.»

Spannungen in der Geschäftsleitung

Hensler deutete auch an, dass die Zusammenführung der Korps der Stadt- und Kantonspolizei Spuren hinterlassen habe. Spuren, die bis in die Geschäftsleitung führen, wo es regelmässig zu Spannungen kam – was laut Regierungspräsident Guido Graf im Endeffekt zu einem Vertrauensverlust führte. Dieser zeitigte in der Zwischenzeit auch personelle Konsequenzen: Der Chef Planung und Einsatz trat auf eigenen Wunsch aus der siebenköpfigen Leitung zurück, wird aber weiterhin operative Funktionen wahrnehmen. Und auch der bisherige stellvertretende Kommandant Daniel Bussmann wird entmachtet. Mit dem Rücktritt Henslers verliert er seine Stellvertreter-Aufgabe, wird aber Kripochef beiben. Er sei ein wichtiger Teil der Spannungen innerhalb der Polizeiführung gewesen, begründet Schärli.

Ob Hensler über den 15. Dezember hinaus für die Polizei tätig sein wird, konnte Yvonne Schärli gegenüber zentral+ nicht ausschliessen. Seine Mandate als Dozent an der Polizeischule und dem Polizeiinstitut seien nicht Teil der getroffenen, vertraulichen Kündigungsvereinbarung. Eine Einigung müsse direkt zwischen den Beteiligten gefunden werden, meinte Schärli. «Der Regierungsrat wird sich aber nicht gegen die Weiterführung von Henslers Engagement aussprechen.»

«Auffällig ist der Umgang mit den Vorfällen durch den Kommandanten»

Als erstes nun werden zwei Stellen ausgeschrieben, jene des Kommandanten und anschliessend jene seines Stellvertreters. Letztere Aufgabe soll zukünftig ein Vollamt sein, und nicht mehr wie bis anhin eine Zusatzaufgabe eines Abteilungsleiters. Bis das Führungsduo seine Aufgabe antritt, übernimmt Adi Achermann: «Ich bin topmotiviert und kenne die Kompetenzen der Luzerner Polizei recht gut», sagte der bisherige Leiter Zentrale Dienste der Oberstaatsanwaltschaft Luzern an der Medienkonferenz. «Auch kenne ich die Polizeiseele aus meinem persönlichen familiären Umfeld», so der 49-jährige ad-interim-Kommandant.

Die Konsequenzen

Neuordnung der Polizeiführung: Die Zuständigkeiten und Kompetenzen der Geschäftsleitung werden entflochten. Dem Kommandanten wird künftig ein vollamtlicher stellvertretender Kommandant zur Seite stehen.

Die höchsten Kader der Luzerner Polizei werden künftig auf Vorschlag des Kommandanten durch die Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements gewählt.
 
Ermittlung gegen eigene Mitarbeitende: Die Rolle der Staatsanwaltschaft wurde gestärkt. Eine Kooperations-Vereinbarung mit dem Kanton Aargau ist zudem in Erarbeitung, eine Administrativkommission begleitet die Fälle.

Überarbeitung der Richtlinien für Beförderungen und Stellenbesetzungen: Auskunftspflicht für Funktionsänderungen und Stellenbesetzungen; Straffälle der letzten 5 Jahre sind zu deklarieren; Stellenanträge am mittleren Kader gelangen an die Geschäftsleitung; Wahlbeschlusskopie an das Justiz- und Sicherheitsdepartement.

Dieses Wissen wird auch nötig sein. «Die Luzerner Polizei arbeitet seit Sommer unter wahnsinnig schwierigen Umständen. Über 800 Leute haben mit all dem nichts zu tun», meinte Yvonne Schärli einleitend über die seit Monaten schwelende Krise. Und auch wenn es in den letzten Monaten nicht an Verdachtsfällen, Vermutungen und wilden Gerüchten gemangelt habe: «Luzern hat keine Prügelpolizei», sagt Regierungspräsident Guido Graf.

Es bestünde nicht ein «generelles Gewaltproblem», glaubt Schärli. Für Jürg Sollberger, der seine externe Untersuchung mit dem Schlussbericht nun abschloss, sei nicht primär die Gewalt auffällig. «Auffällig ist aber der Umgang mit den Vorfällen durch den Kommandanten.» Die Vorgänge bei der Luzerner Polizei hätten eine ganz andere Aussenwirkung gehabt, als vom Kommandanten eingeschätzt, so der Berner alt Untersuchungsrichter.

Untersuchung zu 46 Vorfällen

Die meisten der untersuchten Fälle sind inzwischen bekannt (siehe Chronologie unten). Insgesamt wurden 46 Vorgänge untersucht. Acht davon ordnete Sollberger der obersten Kategorie, erheblich, zu. 14 Fälle seien von mittlerer Schwere, und die verbleibenden 24 Vorgänge seien von tiefer Bedeutung. Fünf wichtige Vorfälle stünden laut Sollberger im Zentrum, davon mehrere Fälle unangemessener Gewalt. Der Kommandant habe die Tragweite der Vorfälle falsch eingeschätzt seine Vorgesetzten nicht oder unrichtig informiert und in weiteren Fällen nicht korrekt gehandelt.

«Das Einleiten der Untersuchung war wie ein Dammbruch. Meldungen strömten bei mir nur so rein.»
Jürg Sollberger

Auf den ersten Blick wirke die Menge der Vorfälle erschreckend, müsse aber relativiert werden. «Das Einleiten der Untersuchung war wie ein Dammbruch. Meldungen strömten bei mir nur so rein», erklärte Jürg Sollberger. Von vielen Seiten sei Betroffenheit spürbar gewesen. Elf Fälle sind derzeit noch offen, weil hier eine externe Strafuntersuchung geführt werde oder anstehend sei.

Vertrauenskrise und mangelnde Kommunikation

Neu in den Schlussbericht des Untersuchungsrichters aufgenommen wurden Überlegungen zum Führungsverhalten und zu mangelnder Transparenz des Kommandanten. Hier gestand denn auch Yvonne Schärli ein, dass sie persönliche Lehren ziehen müsse. «Als politische Führung hat man in jedem Fall die Verantwortung. Diese unterscheidet sich jedoch, ob man informiert ist oder nicht», spricht sie die von Sollberger bemängelten Kommunikationsdefizite ihres Kommandanten an. Der Kommandant, so heisst es im Schlussbericht, hat die Regierungsrätin über relevante Vorgänge teils ungenügend oder gar nicht orientiert.»

Dies wurde von Schärli denn auch heftig kritisiert. «Vertrauen ist eine der zentralsten Voraussetzungen. Es muss sichergestellt sein, dass ein Mitarbeiter der obersten Funktion Vorgesetzte so informiert, dass man die politische Verantwortung wahrnehmen kann.» Eine Optimierung will man mit neuen Beförderungs- und Stellenbesetzungsrichtlinien sicherstellen (siehe Kasten).

Personalrechtliche Massnahmen

Einer der Fälle, der für viel Aufsehen sorgte, ist der Gewaltexzess eines Polizisten gegenüber seiner Freundin vom Weihnachtsabend 2010. Der suspendierte Polizist wird eine Stabsstelle auf Stufe Facharbeiter (Zivilangestellter ohne Grad und Führungsverantwortung) antreten. Mit dem seit April 2012 krank geschriebenen Geschäftsleitungsmitglied wurde eine Vereinbarung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses getroffen. Ein weiterer Fall mit Vorfällen in den Jahren 2004, 2008 und 2010 wird nicht neu aufgerollt. Die Massnahme einer bereits erfolgten Abmahnung sei laut Sollberger milde, aber knapp angemessen. Weitere Massnahmen würde das Personalrecht nicht zulassen, ergänzte Schärli.

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Parteien fordern Aufklärung

Die Reaktionen der Parteien auf die Massnahmen fallen im Nachgang zur Medienorientierung unterschiedlich aus. Die CVP Kanton Luzern nimmt den Abgang des Polizeikommandanten Hensler mit Bedauern zur Kenntnis, wie sie in einer Mitteilung schreibt. Im Hinblick auf das fehlende Vertrauen sowie auf das Führungsverständnis könne die CVP die Massnahme des Regierungsrates aber nachvollziehen.
 
Weiter fordert die CVP eine lückenlose Aufklärung «der Indiskretionen mit entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen» und setzt der Regierungsrätin eine Frist: Bis zum 31. Januar 2014 sei die Aufsichts- und Kontrollkommission (AKK) des Kantonsparlaments über die Umsetzung der von der CVP Luzern formulierten Forderungen zu informieren. Ansonsten werde die Partei entsprechende Vorstösse einreichen und den Einsatz einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) in Erwägung ziehen, so Pirmin Jung, Präsident CVP Kanton Luzern.
 
Auch die SVP sieht die Sache trotz Henslers Abgang als noch nicht ausgestanden: Um die Unruhe zu beenden und das Vertrauen in die Luzerner Polizei wieder nachhaltig herzustellen, stehe Regierungsrätin Schärli nun in der Pflicht, «auf ihr monatelanges Wegsehen und Zögern endlich Taten folgen zu lassen und durch die Einleitung weiterer, allenfalls auch unpopulärer Massnahmen für Ordnung zu sorgen», schreibt die Partei in einer Mitteilung.
 
Für die SP hingegen steht die Regierungsrätin nicht unter Zugzwang. «Aus den Aussagen von Herrn Sollberger geht klar hervor, dass Polizeikommandant Hensler seine politische Vorgesetzte Yvonne Schärli in einzelnen Fällen ungenügend oder gar nicht informiert hat», sagt Sprecherin Felicitas Zopfi.
 
Die Grünen fordern, den Schlussbericht Sollbergers zu veröffentlichen und einer politischen Gesamtwürdigung zu unterziehen. Ihr Anspruch: Ein Neuanfang soll im Sinne einer Organisationsentwicklung folgen und von einer erfahrenen Person (BeraterIn/Coach) begleitet werden. Sie schlägt verschiedene organisatorische Massnahmen vor, unter anderem sei gegen Gewalt und Rassismus «ein Strategieprozess analog zur Zürcher Polizei einzuleiten», schreibt die Partei in einer Stellungnahme.

Polizeikrise: die wichtigsten Ereignisse

24.12.2010: Ein Kaderpolizist der Luzerner Polizei verprügelte seine Freundin – und wurde ein Jahr später von Beat Hensler befördert. Das führte intern zu harscher Kritik an der Beförderungspraxis. Bei einem zweiten Fall soll ein Geschäftsleitungsmitglied der Polizei eine Mitarbeiterin sexuell genötigt haben. Der Polizist wurde erst zwei Monate nach dem Vorfall mit einem Hausverbot belegt, jedoch nicht angeordnet von Hensler, sondern von Regierungsrätin Yvonne Schärli.

20.01.2013: Der Personalverband der Luzerner Polizei VLP kritisierte öffentlich eine Äusserung Beat Henslers an der Verleihung des «Kick Ass Award» von Radio 3fach. Hensler betitelte eine illegale Party als «schönste Nachtruhestörung». Eine Aussage, die bei Dutzenden von VLP-Mitgliedern zu Reaktionen geführt hatte. Hintergrund: Bei der Auflösung der Party seien Polizisten provoziert und mit Steinen und brennenden Gegenständen beworfen worden, so der VLP.

8.07.2013: Der Berner alt Richter Jürg Sollberger wird von Yvonne Schärli beauftragt, Vorfälle innerhalb des Polizeikorps zu untersuchen. Der Fokus lag auf dem Fall von Heiligabend 2010. Sollberger sollte sich aber auch um alle weiteren Fälle kümmern, in denen gegen Mitarbeiter der Luzerner Polizei Strafrechts- oder Administrativverfahren durchgeführt worden sind.

20.08.2013: Jürg Sollberger präsentierte den Zwischenbericht: Insgesamt 22 Fälle hatte er bis dato untersucht, darunter Bagatellen, aber auch fünf bis sechs schwerwiegende Fälle. Es seien doppelt so viele wie ursprünglich angenommen. Sollberger liess durchblicken, dass Beförderungsregelungen, die eine Machtkonzentration beim Kommandanten bewirken, fragwürdig sind.

21.8.2013: Ein Schockvideo gelangte mit der Sendung «Rundschau» von SRF 1 an die Öffentlichkeit. Es zeigt einen Elitepolizisten, der einen wehrlos am Boden liegenden Einbrecher mit fünf Tritten an den Kopf traktiert. Intern hatte Beat Hensler das Überwachungsvideo den Mitgliedern der Sondereinheit Luchs gezeigt. Wegen Verstoss gegen die Geheimhaltungspflicht wurde deswegen ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet.

14.11.2013: Ein interner Newsletter des Personalverbands VLP kritisiert, die Stimmung im Korps sei auf dem Tiefpunkt. Insbesondere die Kommunikation seitens Regierungsrätin Yvonne Schärli und Kommandant Beat Hensler sei fehlerhaft. Die untersuchten Vorfälle und die Umstände führten «zu einer bedenklichen Vertrauenskrise in die polizeiliche wie politische Führung der Luzerner Polizei», so der Personalverband.

20.11.2013: Der Schlussbericht von Jürg Sollberger gelangt vorgängig an die Medien. Im Bericht empfiehlt er, dem Polizeikommandanten eine schriftliche Mahnung zu erteilen. Weitere Vergehen in ähnlichen Dimensionen könnten danach eine Kündigung zur Folge haben, so Sollberger.

27.11.2013: Nach Recherchen der «Neuen Luzerner Zeitung» soll ein Kaderpolizist von zwei Mitarbeiterinnen sexuelle Leistungen gefordert und im Gegenzug ein gutes Zeugnis in Aussicht gestellt haben. So interne Aussagen. Auch dieser «Kadermann» soll später befördert worden sein.

1.12.2013:  Die «Zentralschweiz am Sonntag» thematisierte einen Brief, den Beat Hensler nach einem Interview an den Regierungsrat verschickt haben soll. Im Brief habe er festgehalten, Yvonne Schärli nicht aktiv über allfällige Vorfälle informiert zu haben.

1.12.2013: Der heutige Chef der Bereitschafts- und Verkehrspolizei soll im Jahr 2005 auf dem Brünig mit seinem Motorrad so schnell gefahren sein, dass ihm der Führerausweis entzogen wurde. Später sei er gemäss «Sonntagsblick» befördert worden.

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