Das letzte Mal ums Volk gebuhlt

«Der beste Stadttunnel ever»

Noch lohnt sich das Weibeln: Am 14. Juni stimmt die Zuger Bevölkerung über den Stadttunnel ab. (Bild: wia)

Grande Finale der Informationstour zum Stadttunnel. Die letzten Überzeugungsversuche zum Megaprojekt wurden am Dienstagabend in Baar getätigt. Bald gilt es für den Zuger Baudirektor Heinz Tännler: Ruhig bleiben und gebannt abwarten, was die Bevölkerung am 14. Juni an der Urne entscheidet.

«Sie alle sitzen im gleichen Boot, aber sie rudern in unterschiedliche Richtungen», sagt der Zuger Baudirektor Heinz Tännler. Damit meint er die politischen Sprecher der Veranstaltung. Es geht – wie könnte es anders sein – um den Zuger Stadttunnel. Ein Megaprojekt, für das Tännler am Dienstagabend zum letzten Mal weibelt. Das Ende seiner Tournee der Gemeinden heisst Baar. Und die Baarer wollens offenbar wissen und füllen den Gemeindesaal bis auf den letzten Platz.

Tännler ist im Schuss. Den Text, den er nun etwa zum neunten Mal vors Publikum bringt, kennt er mittlerweile im Schlaf. Mit von der Partie sind auch der Zuger Stadtpräsident Dolfi Müller. Er zitiert zweckgemäss: «Eine Stadt, die sich nicht weiterentwickelt, stirbt.» Müller scheint entspannt. Auch er ist geübt. «Wir wissen mittlerweile auch, welche Voten in etwa aus dem Publikum kommen», sagt er und lacht. Weiter sind der Baarer Kantonsrat Heini Schmid (CVP) und Kantonsrat Andreas Lustenberger (ALG) mit von der Partie. Sie beide, obwohl auf politisch unterschiedlichen Schienen unterwegs, sind gegen den Tunnel. Weiter sitzt der Grüne Alt-Kantonsrat Martin Stuber auf der Bühne und die FDP-Kantonsrätin Cornelia Stocker.

Ein erstes Raunen

Das erste Raunen lässt nicht lange auf sich warten. Es geht durch die Menge, als Regierungsrat Heinz Tännler die Erhöhung der Motorfahrzeugsteuer thematisiert. Um 25 Prozent soll sie zugunsten vom Bau des Tunnels steigen. «Und auch dann haben wir im kantonalen Vergleich noch nicht die höchsten Steuern», versucht er zu beschwichtigen. «Wir haben das beste Stadttunnelprojekt ‹ever’», ist auch Dolfi Müller überzeugt. Er bezieht sich auf Tunnelpläne, die vor Jahrzehnten bereits mehrmals vorlagen.

Der CVP-Kantonsrat Heini Schmid trifft hingegen bewusst den Nerv der Leute, indem er die Staus, lange Umwege, den Finanzausgleich und die erhöhten Motorfahrzeugsteuern anspricht, die seiner Meinung nach durch ein Ja zum Stadttunnel entstehen würden.

«Heute würde keiner mehr sagen, die Stadtbahn sei ein Fehler gewesen.»

Cornelia Stocker, FDP-Kantonsrätin

FDP-Kantonsrätin Cornelia Stocker vertritt das Pro-Komitee. Sie zeichnet ein pessimistisches Bild, glaubt nicht an Home-Office, Car-Sharing und eine natürliche Abnahme des Verkehrs. Das Wachstum, das stattdessen entstünde, sei nunmal nur durch ein solches Projekt zu meistern. Stocker sagt: «Erinnern Sie sich an die Stadtbahn? Damals gab es auch Gegner. Heute würde aber keiner mehr sagen, die Stadtbahn sei ein Fehler gewesen.» Abschliessend versichert Stocker im Namen des Zuger Finanzdirektors Peter Hegglin: «Es gibt keine Steuererhöhungen wegen des Tunnels.»

Plus minus 20 Prozent der Kosten

Der grüne Kantonsrat Andreas Lustenberger attestiert Baudirektor Tännler zwar grosse Genauigkeit beim Berechnen der Kosten, «doch muss man bei solchen Projekten immer mit einer Abweichung der Kosten von plus minus 20 Prozent rechnen. Und ausserdem: Wie zahlen wir das, wenn der Tunnel renoviert werden muss?»

Der frühere grüne Kantonsrat Martin Stuber vertritt das Komitee Zentrum Plus und ist damit für den Tunnel. «Der Stadttunnel ist für uns tatsächlich nur Mittel zum Zweck», erklärt er. Er setzt sich stark für autofreie und verkehrsberuhigte Zonen ein. «Sie könnten vom Bahnhof ohne Verkehr bis zum Casino spazieren», ereifert er sich. Dann greift er das gegnerische Komitee, und damit Lustenberger, direkt an. «Die arbeiten mit fiesen Mitteln», sagt Stuber. Er erklärt, die Gegner würden in den Quartieren mit falschen Fakten werben. «Da hört’s bei mir auf; wenn das von einer Seite kommt, der ich das nicht zutrauen und von der ich das nicht erwarten würde.»

Andy Lustenberger erklärt: «Über dieses Projekt wird viel geschrieben und geredet. Das heisst aber noch lange nicht, dass alles, was man hört, der Wahrheit entspricht. Das Bezeichnen als Lügner, was du, Martin, machst, ist sicherlich nicht förderlich für die direkte Demokratie. Ich jedenfalls bin froh darüber, dass die Bevölkerung so intensiv über das wichtige Projekt redet.»

Das Podium wird gekapert

Ein älterer Herr erhebt sich und möchte ein komplettes Alternativprogramm vortragen. Tännler wird höchst ungeduldig, händigt ihm das Mikrofon aber dennoch aus. «Sie haben eine Minute», warnt er. Der ältere Herr betritt die Bühne und verspricht der Versammlung eine Abnahme des Verkehrs um vier Fünftel. – 60 Prozent im Verkehr seien ja sowieso nur «Umechäreler». Er will, dass man sich um Schrebergärten kümmere, das Auto nur zweimal in der Woche brauchen dürfe und «dass nicht mehr so viel Grosses gebaut wird». Dann ist Tännlers Geduld zu Ende, der ältere Herr muss dass Feld räumen.

«Verstanden habe ich das schon, aber begriffen habe ich es nicht.»

Interessierter an der Baarer Informationsveranstaltung

Jemand aus dem Publikum wundert sich, warum man nicht einfach einen ganz kurzen Tunnel bauen könne. Die Podiumssprecher erklären, dass es nicht möglich sei, zu nahe an der Altstadt zu bauen, da es sich um «archäologische Fundstellen» handle, in deren Nähe gemäss der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission nicht gebaut werden dürfe. Nach einigem Hin und Her gibt sich der Fragesteller irgendwann geschlagen: «Verstanden habe ich das schon, aber begriffen habe ich es nicht.»

Tännlers Geduld wird strapaziert

Auch mit weiteren, teils absurden Anliegen wird Heinz Tännlers Geduld strapaziert, er steht etwas resigniert auf der Bühne, schüttelt den Kopf, betont: «Glauben Sie mir, ich habe das Projekt genau angeschaut. Ich war nämlich von A bis Z dabei», so Tännler.

Heini Schmid betont auf eine Anfrage: «Die Aussenquartiere, in denen momentan verdichteter gebaut wird, die sind doch das Problem. Wie bringen wir all diese Leute aus ihren Quartieren raus und beispielsweise auf die Autobahn? Dort entsteht der Mehrverkehr. Und da nützt uns der Stadttunnel auch nichts.»

Eine neue Stimme aus dem Publikum, der Baarer CVP-Kantonsrat Pirmin Frei, äussert sich. Er sei gegen den Tunnel, denn «niemand garantiert Ihnen, dass der Tunnel schlussendlich auch wirklich 890 Millionen Franken kostet.» Woraufhin Tännler wieder den Kopf schüttelt. Frei findet: «Wir verbauen uns Chancen, indem wir Geld in einen solchen Tunnel binden.» Stattdessen könnten viele andere, wichtige Projekte realisiert werden. «Wir müssen verantwortungsvoll mit den Kantonsfinanzen umgehen», so Frei weiter.

Die Diskussion mit dem Publikum beschränkt sich oftmals auf die Gesprächtsteilnehmer auf der Bühne und mutiert zur hitzigen Podiumsrunde zwischen Politikern. Doch das ist nicht verwunderlich, sind diese nach neun solchen Anlässen doch eine eingespielte Truppe.

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