Die Umsetzung von bezahlbarem Wohnraum stockt

Diese Häuschen an der Bernstrasse müssen 150 gemeinnützigen Wohnungen weichen.

(Bild: Marc Benedetti)

In Luzern und Zug wurden Initiativen zur Schaffung von vergünstigtem Wohnraum angenommen. In beiden Städten blieb der Tatbeweis bis heute aus, bis dato entstand aus dem politischen Auftrag keine einzige neue Wohnung. Warum harzt es? Und wie, und vor allem bis wann, wollen die Behörden den Auftrag des Stimmbürgers dennoch umsetzen? zentral+ hat nachgefragt.

2012 wurde in Luzern die Initiative «für zahlbaren Wohnraum» mit 58,18 Prozent angenommen. Ebenso sagten 52,2 Prozent der Zuger Ja zur Volksinitiative «Wohnen für alle». Beidenorts also ein klarer Auftrag des Stimmbürgers. Doch obwohl die beiden Städte gerade einmal 25 Kilometer trennen, verfolgt jede ihre eigene Strategie, wie Gespräche mit den zuständigen Stadträten zeigen.

Luzern: Politisch grünes Licht

Zur Umsetzung der politischen Forderung nach günstigem Wohnraum sagt die Luzerner Baudirektorin Manuela Jost: «Wir sind wohl etwas konkreter als Zug.» Damit meint sie den politischen Teil des Vorhabens. Sie ist stolz auf das erste Werk ihrer Amtszeit: Im Juni 2013, rund ein Jahr nach der Annahme der Initiative, präsentierte sie ein umfassendes Konzept mit dem Namen «Städtische Wohnraumpolitik II». Darin sind 21 Massnahmen genannt, wie die Stadt den Anteil an gemeinnützigen Wohnungen in den nächsten 25 Jahren von heute 14 auf 16 Prozent erhöhen will.

Mit all diesen Massnahmen müssten in der Stadt Luzern rund 2300 neue gemeinnützige Wohnungen gebaut werden. Das sind fast 100 Wohnungen pro Jahr. «Früher wurden die Probleme punktuell gelöst», sagt Jost. Mit diesem Bericht, sagt die im Herbst 2012 in den Stadtrat gewählte grünliberale Nationalökonomin, habe die Baudirektion die Situation umfassend analysiert. Und auch ökologische Aspekte neu berücksichtigt. Zu den vorgeschlagenen Massnahmen zählt allen voran die Verstärkung der Zusammenarbeit mit Luzerner Wohnbauträgern, aber auch planungsrechtliche Fördermassnahmen, baurechtliche Privilegien als Anreiz für gemeinnützigen Wohnbau und Massnahmen zur Erhöhung des städtischen Liegenschaftenbestands. Die Strategie ist im November vom Stadtparlament debattiert und gutgeheissen worden.

Zug: Warten auf «Umsetzungsstrategie»

Zug hat den politischen Prozess noch vor sich. Man wartet auf den Umsetzungsbericht. «Der Stadtrat wird bis Ende dieser Legislatur, das heisst bis Ende 2014, dem Gemeinderat eine Umsetzung der angenommenen Initiative Wohnen für alle unterbreiten», sagt Stadtrat Karl Kobelt.

Viele eigene Landreserven hat Zug nicht zu bieten, wie der Stadtrat in einer Antwort auf eine Interpellation der SP Zug schreibt. Wenn einmal etwas auf den Markt komme, wäre deshalb ein schneller Kauf nötig, da das Land sonst an den Meistbietenden gehe. Dafür fehlt dem Stadtrat aber teilweise die nötige Finanzkompetenz. Bei der Beschaffung von Land für Wohnbaugenossenschaften könne die Stadt ebenfalls bestenfalls als Vermittlerin auftreten, heisst es in der Antwort.

Vier Sonderzonen in BZO geschaffen

Bereits eine Weiche gestellt hat die Stadt Zug 2009 in der Revision ihrer Bau- und Zonenordnung. Sie hat nämlich vier «überlagerte Sonderzonen» geschaffen und quasi staatlich bestimmt, wo sie künftig erschwingliche Wohnungen haben will. Das erregte Aufsehen, betrifft die Zonierung doch teilweise private Grundbesitzer. Die vier Zonen Lüssi, Schleife Nord, Im Rank und Franziskusheim in Oberwil gehören drei privaten Landbesitzern, der Korporation und den Barmherzigen Brüdern Oberwil.

In den vier Sonderzonen können 50 Prozent der Wohnungen frei erstellt werden, mindestens 50 Prozent der Wohnungen müssen aber preisgünstig sein. Preisgünstig heisst WFG-berechtigt (erfüllen Wohnungen in Zug die Vorgaben des kantonalen Wohnraumförderungsgesetzes WFG, können Beiträge zur Verbilligung der Mietzinsen beantragt werden). Von den 50 Prozent günstigen Wohnungen müssen 35 Prozent Mietwohnungen sein, 15 Prozent können auch Eigentumswohnungen sein. «Auch Eigentum kann preisgünstig sein», sagt Finanzvorstand Karl Kobelt dazu.

Wohnungspreise staatlich definiert

Für die Stadt Zug hat man genau festgelegt, was eine Wohnung kosten darf. In einer Verordnung von 2011 legte der Stadtrat die Mietzinsobergrenzen fest. So darf eine 2-Zimmer-Wohnung maximal 1475 Franken, eine 5-Zimmer-Wohnung bis zu 2725 Franken monatlich kosten.

Nach der Annahme der Initiative «Wohnen für alle» ist Zug nun gefordert, weitere Massnahmen zum Erhalt und zur Schaffung von preisgünstigen Wohnungen zu treffen sowie den gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnungsbau zu fördern. Nebst der Unterstützung der Zuger Wohnbaugenossenschaften bei der Landbeschaffung sollen weitere Zonen für den preisgünstigen Wohnungsbau ausgeschieden werden.

340 Wohnungen geplant

Die Bebauungspläne Lüssi und Rank hat das Zuger Stadtparlament verabschiedet. Das Instrument des Bebauungsplans erlaubt eine dichtere Bebauung und grössere Verdichtung als normal möglich; dies aber nur unter der Bedingung, dass ein Mehrwert für die Öffentlichkeit entsteht. «Realisiert wurde aber noch keine Wohnung», räumt Finanzvorstand Karl Kobelt ein. Die Stadt rechnet mit mindestens 340 preisgünstigen neuen Wohnungen in allen vier Gebieten.

Bereits umgesetzt worden seien aufgrund eines früheren politischen Vorstosses aus den 1980-er Jahren 400 preisgünstige Wohnungen in der Wohnüberbauung im Roost. «Wir sind in Zug gut aufgestellt für die Zukunft», sagt Kobelt dennoch. Laut dem Stadtrat ist nicht nur die Stadt «ein Player» im Wohnungsbau, sondern auch die Bürgermeinde Zug, die Korporation Zug und die Zuger Wohnbaugenossenschaften Familia, Gewoba, AWZ und WBG.

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20 Luzerner Genossenschaften haben sich organisiert

Luzern setzt zur Umsetzung der Initiative auf eine enge Zusammenarbeit mit den Wohn- und Baugenossenschaften Luzerns. «Die Genossenschaften sind unsere Partner in diesem Prozess», sagt Baudirektorin Manuela Jost. Es sei nicht die Aufgabe der Stadt, selber Wohnungen zu bauen. Auch bräuchten die Genossenschaften kein Geld. «Für die Genossenschaften ist nicht die Finanzierung das Problem, sondern das fehlende Land», sagt Jost.

20 gemeinnützige Wohnbauträger haben sich zu einem informellen Netzwerk zusammengeschlossen, dem «G-Net». Damit hat die Stadt einen zentralen Ansprechpartner und muss nicht mit jeder Genossenschaft einzeln verhandeln. Die Genossenschaften bleiben dabei selbständig, werden aber bei öffentlichen Ausschreibungen für den gemeinnützigen Wohnungsbau geschlossen auftreten.

Viele reiche Genossenschaften

G-Net-Koordinator Florian Flohr betont ebenso wie die Stadt, dass Kredite oder Darlehen der Gemeinde nicht nötig seien. «Die meisten Genossenschaften sind solide finanziert, die Stadt muss nicht Bank spielen.» Ausserdem gebe es Förderbeiträge vom Bund. Die Genossenschaften suchen laut Flohr auch mit privaten Grundbesitzern das Gespräch: «Wir hoffen, dass sie vermehrt an Genossenschaften verkaufen.»

«Leider können wir noch keine konkreten Projekte für Neubauten bekanntgeben, es ist alles noch in Entwicklung», sagt Flohr.

Bezahlbarer Wohnraum, so Flohr, heisse nicht immer günstiger Wohnraum. Für eine neu erstellte 4-Zimmer-Wohnung müsse man zwischen 1800 bis 2200 Franken Monatsmiete rechnen. «Nur im Altbaubereich liegt man darunter», sagt Flohr. Und man wolle nicht nur Personen mit niedrigem Einkommen ansprechen, sondern auch Mieter mit mittleren Einkommen und den oberen Mittelstand.

Luzern will keine Mietobergrenzen festlegen

Sollte vielleicht auch Luzern Mietobergrenzen definieren wie Zug? «Das will der Stadtrat explizit nicht», sagt die Luzerner Baudirektorin. Manuela Jost: «Es ist nicht an uns, Zahlen zu den Mietobergrenzen zu nennen. Wir wollen diesen Entscheid in der unternehmerischen Kompetenz der Wohnbaugenossenschaften belassen.»

Im übrigen weist Manuela Jost daraufhin, dass Auflagen und Einschränkungen für die Stadt negative Folgen haben könnten. «Je mehr Vorschriften wir den Genossenschaften machen, desto tiefer wird der Verkehrswert des Landes, und das wirkt sich schliesslich auf den Baurechtszins aus, den wir verlangen können.»

Neben der Zusammenarbeit mit den Genossenschaften will die Stadt Luzern die Gemeinschaftsstiftung zur Erhaltung und Schaffung von preisgünstigem Wohnraum (GSW) stärken. Die Stiftung besitzt zurzeit zwölf Liegenschaften mit 220 Wohnungen und verwaltet sieben städtische Liegenschaften mit weiteren 58 Wohnungen. «Der Stadtrat und das Parlament wollen den Fonds zugunsten der GSW mit vier Millionen Franken auf 6,7 Millionen Franken aufstocken», sagt Manuela Jost. Dies solle der GW ermöglichen, die Anzahl Wohnungen die nächsten Jahre um 172 auf 450 zu erhöhen.

1000 Wohnungen in zehn Jahren

Die Stadt Luzern hat als Etappenziel festgelegt, dass in den nächsten 10 Jahren 1000 preisgünstige neue Wohnungen entstehen sollen. Sie will dafür eigene Grundstücke zur Verfügung stellen. Für gemeinnnützigen Wohnungsbau bietet die Stadt einen Ausnützungsbonus von 15 Prozent an. Denn je mehr Wohnungen die Investoren bauen dürfen, destso finanziell interessanter wird es für sie. Dafür will die Stadt zahlreiche Grundstücke im Baurecht abgeben: Obere Bernstrasse, Eichwald, Urnerhof, Längweiher 3, Hochhüsliweid, Rönnimoos, Vorderruopigen, das Grundstück des ehemaligen Hallenbads sowie ein Areal beim Feuerwehrdepot.

Bisher ist zwar noch keine einzige neue Wohnung gebaut worden. Doch es gibt Hoffnung: Als erstes wird wahrscheinlich das Projekt an der Bernstrasse realisiert. Auf einem Areal von rund 9’000 Quadratmetern, das grösstenteils der Stadt gehört, wollen die gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften ABL und Matt ein gemeinsames Projekt realisieren. Zwei ihrer Grundstücke will die Stadt an die Baugenossenschaft Matt verkaufen, die restlichen elf der ABL im Baurecht abgeben.

Die städtischen Grundstücke befinden sich in der Wohnzone mit Auflage zur Erstellung von gemeinnützigen Wohnungen und einer Gestaltungspflicht. Zudem soll das Projekt «2000-Watt-Gesellschaft» tauglich sein und Pioniercharakter haben.

Bernstrasse Luzern: 150 bis 170 Wohnungen geplant

Man sei in Verhandlungen mit der Stadt, sagt Markus Helfenstein, Präsident der Baugenossenschaft Matt. «Wir wollen bis in etwa zwei Jahren 150 bis 170 preisgünstige Wohnungen an der Bernstrasse realisieren und hoffen, im Frühling 2014 den Baurechtsvertrag unterschreiben zu können.» Dann wollen die Genossenschaften einen Architekturwettbewerb für das Projekt ausschreiben.

Die Genossenschaften haben bereits zwei private Grundstücke dazu gekauft, um das Areal zu vergrössern. Ein weiterer Landbesitzer war bisher nicht bereit mitzumachen. Helfenstein räumt ein, dass die Erstellung von preisgünstigen Wohnungen nicht einfach sei. «Wenn man neu baut, ist das Preisniveau schwierig zu erreichen.» Man strebe für eine 4,5-Zimmer-Wohnung einen Anfangsmietzins von unter 2000 Franken an.

Baurechtszins zentral für Mietpreise

Zentral ist die mögliche Dichte und Ausnützung des Areals sowie der von der Stadt verlangte Baurechtszins. «Wir hoffen, den in der neuen Bau- und Zonenordnung (BZO) vorgesehenen Ausnützungsbonus von 15 Prozent zu erhalten», sagt Helfenstein.
Dem stimmt Ruedi Meier als Präsident der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL) zu. «Damit wir die Zielmieten erreichen können, sind diese 15 Prozent zentral. Ausserdem darf der Baurechtszins nicht zu hoch sein», fügt der ehemalige Stadtrat der Grünen hinzu.

«Zum Baurechtszins will sich die Stadt wegen der momentan laufenden Verhandlungen nicht äussern», sagt Walter Brun, Stabschef der Luzerner Baudirektion. Zum Zeitrahmen meint er: «Zurzeit laufen Verhandlungsgespräche mit den Wohnbaugenossenschaften. Das Projekt hat hohe Priorität und soll im Verlauf des nächsten Jahres dem Stadtparlament unterbreitet werden.»

Ob die Stadt den Genossenschaften punkto Ausnützung entgegen kommen kann, hängt auch davon ab, wie schnell die neue BZO in Kraft tritt. Noch sind Einsprachen beim Luzerner Regierungsrat hängig.

Genossenschaften nicht zufrieden

Die Stadtbaukommission hat den beiden Genossenschaften Matt und ABL laut Markus Helfenstein inzwischen eröffnet, dass sie die geplante Überbauungsdichte als sehr kritisch beurteilt.  «Dies könnte bedeuten, dass die sich die Anzahl der geplanten Wohnungen reduzieren würde, obwohl die neue BZO diese Überbauungsdichte vorsieht», sagt Helfenstein. Gemäss dem Genossenschaftspräsidenten müssten der Kaufpreis respektive der Baurechtszins für die verschiedenen Grundstücke deshalb neu ausgehandelt werden.

Ironie: Günstiger Wohnraum verschwindet

Heute stehen auf dem Areal renovierungsbedürftige Alt-Liegenschaften mit zirka 60 Wohnungen, die für das Neubauprojekt abgebrochen würden. Weichen müssen die Liegenschaften Bernstrasse 68 bis 82, 88 und 90.

Doch widerspricht es nicht dem Wunsch nach preisgünstigem Wohnraum, wenn man billige Wohnungen vernichtet und durch Neue ersetzt? Davon will Helfenstein nichts wissen. «Für diesen Einwand habe ich kein Verständnis», sagt er. Man baue ja schliesslich viel mehr und hochwertigere Wohnungen. Und das entspreche dem Willen der Stadt und der Bevölkerung.

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