Zuger Bauern zur Agrarpolitik 2014-2017

«So werden unsere Böden in 50 Jahren völlig zerstört sein»

"Wir sind also schon so dumm, dass wir unsere Schweizer Kühe mit dem Essen der Menschen hirten!" sagt Bio-Bauer Toni Hürlimann aus Walchwil. (Bild: asc)

Auf den 1. Januar 2014 tritt die neue Agrarpolitik in Kraft. Während viele Bauern jammern, weil sie keine Tierbeiträge mehr erhalten werden, ist der Walchwiler Toni Hürlimann zuversichtlich. Er setzt ganz auf die Natur. «Ich habe keine Angst mehr! Ich arbeite so, wie ich es für richtig halte», sagt der Bio-Bauer.

Die Agrarpolitik 2014-2017 macht Toni Hürlimann aus Walchwil keine Sorgen. «Das Gute daran ist, dass wir mit der neuen Agrarpolitik mehr Sorge zur Natur tragen. Viele Bauern sagen aber, dass sie keine Ökoflächen haben, sondern einfach viel produzieren wollen. Das ist so ein Schwachsinn!» findet der 48-Jährige. Mit dieser Einstellung mache man die Böden völlig kaputt. Seit 30 Jahren würde man Kunstdünger in grossen Mengen einsetzen und das Land so intensiv bewirtschaften, dass der Boden eines Tages nichts mehr hergeben würde. «Wenn wir so weiter machen, werden unsere Böden in 50 Jahren völlig zerstört sein. Das geht doch einfach nicht! Wir landen damit in einer Sackgasse, sodass weder Menschen noch Tiere ein gutes Leben haben werden.»

Direktzahlungen verschlimmern finanzielle Situation

Der Zuger hat bisher nie berechnet, ob er von der neuen Agrarpolitik profitieren wird. «Das Ganze ist sehr komplex. Ich will mich nicht davon beeinflussen lassen. Ich gehe meinen eigenen Weg und arbeite so, wie ich es verantworten kann», stellt der zweifache Familienvater klar. Ohne Unterstützung vom Bund  würde er aber finanziell auch nicht über die Runden kommen. «Aus eigener Kraft würde ich es nicht schaffen. Ich müsste dann auf der Stelle mit der Landwirtschaft aufhören.» Natürlich sei man mit den Direktzahlungen auch abhängig geworden. «Seit wir Bauern Direktzahlungen bekommen, geht es uns finanziell immer schlechter. Wir stehen heute viel schlechter da als am Ende des Zweiten Weltkrieges. Darum müssen wir mit dem Geld des Bundes beruhigt werden.»

Toni Hürlimann ist ein aussergewöhnlicher Bauer. Der Zuger bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 44 Hektaren Fläche und Muttertierhaltung. Auf seinem Hof leben rund 30 Mutterkühe, deren Kälber und ein Stier. Obwohl andere Landwirte auf der gleichen Fläche Land bis zu 45 Mutterkühe halten, will der Zuger diese Grösse beibehalten. «Ich möchte den Überblick und Zeit für meine Tiere haben», erklärt er. Auf seinem Hof im Gebiet Obersüren am Walchwilerberg werden keine synthetischen Mittel, Fungizide, Herbizide und kein Antibiotika eingesetzt.

Rücksicht auf die Natur nehmen

Wenn eines seiner Tiere erkrankt, kontaktiert er die Tierkommunikatorin und diplomierte Homöopathin Anja Voyame. Seinen Kühen und Kälbern werden homöopathische Kügelchen statt Spritzen vom Tierarzt verabreicht. «Ich habe schon vor langer Zeit gemerkt, dass ich umdenken muss. Ich setze voll auf die Natur. Ich mache das nicht, um jemanden etwas zu beweisen, sondern weil ich ganz genau weiss, dass es der richtige Weg ist.» Bei ihm werde das Gras seit vier Jahren mit Mähbalken geschnitten und nicht mit Schlägelmäher abgeschlagen. Dies, damit die Insekten nicht getötet werden. «Ich bin eine Ausnahme, das macht sonst keiner in unserer Gemeinde. Viele Bauern verstehen meine Sprache nicht. Sie denken, dass Milch und Fleisch viel Geld ergibt, vergessen aber, dass man keine Milch und kein Fleisch produzieren kann, wenn der Boden zerstört ist.»

Die Gier und der Wunsch nach finanziellem Wachstum machen Toni Hürlimann nachdenklich. «Ich staune, wie viele Menschen in diesem System immer noch mitmachen und mit dem Strom schwimmen. Es wird einem erst bewusst, dass dies der falsche Weg ist, wenn einem etwas Schlimmes widerfährt.» Nach einer schweren Krankheit habe er seine Einstellung geändert. «Ich habe gemerkt, worauf es im Leben wirklich ankommt. Für mich ist klar, dass wir keinen Raubbau betreiben dürfen. Kühe, Bienen, Regenwürmer oder Insekten sind gleichwertig wie wir Menschen. Wir müssen dafür sorgen, dass das ökologische Gleichgewicht nicht aus den Fugen gerät.»

Happige Vorwürfe

Hürlimann betont, dass viele Bauern bei ihrer Arbeit den gesunden Menschenverstand  verloren hätten. «Wir lassen tonnenweise Soja importieren, das wir unseren Kühen verfüttern, weil unsere Böden zuwenig Gras und Heu hergeben. Wir sind also schon so dumm, dass wir unsere Schweizer Kühen mit dem Essen der Menschen hirten! Wir wissen aber alle, dass der Soja aus Ländern kommt, wo viele Menschen verhungern!»

Früher habe eine Kuh 20 Liter Milch am Tag gegeben. Von den heutigen Hochleistungskühen könnten bis zu 70 Liter Milch pro Tag erwirtschaftet werden. Für Hürlimann ist klar, dass die Qualität der Milch darunter enorm gelitten hat. Er ist überzeugt: «Diese Hochleistungskühe würden alle verenden, wenn man ihnen nur noch Gras und Heu füttern würde. Die Kühe sind total überzüchtet worden. Man muss ihnen heute abgelöschten Kalk verfüttern, damit sie den PH-Wert in ihrem Ranzen behalten können.» Der Bio-Bauer sagt, dass es Wahnsinn sei, welche Futtermittel man den Tieren abgegeben würde: «Da wird man ja nur schon vom Lesen krank! Wenn Kühe gesund sind, benötigen sie keine solchen Futtermittel. Das Einzige, was meine Kühe fressen, sind Gras und Heu.»

Mit seiner Haltung angeeckt

Mit seiner Einstellung und seinen Aussagen macht sich Toni Hürlimann in landwirtschaftlichen Kreisen nicht nur beliebt. «Es ist nicht einfach für mich. Ich habe schon 2009, als ich gegen das Impfobligatorium der Blauzungenkrankheit gekämpft habe, einige gute Freunde verloren. Doch es war eine sehr wichtige Erfahrung für mich. Denn ich habe keine Angst mehr! Ich arbeite so, wie ich es für richtig halte.» Bei ihm werden auch keine Kühe mehr enthornt. «Ich sage zu jedem, der behauptet, dass sich gehornte Kühe im Laufstall verletzen, dass er jedes meiner Tiere untersuchen könne. Ich habe nie auch nur eine Verletzung festgestellt. Die Kühe haben eine klare Rangordnung.»

Der Bio-Bauer berichtet, dass viele seiner Tiere Zuneigung brauchen. Der 48-Jährige spricht deshalb oft mit seinen Kühen. «Ich musste das auch lernen», gesteht er lachend. Kuh Heidi hat ihm über Nacht Zwillinge geschenkt und diese will der stolze Bauer nun zeigen. Er präsentiert seinen grossen Stall und seine Tiere. «Es ist traumhaft, dass ich das erleben darf. Ich könnten den Tieren stundenlang zusehen. Bauer zu sein ist für mich eine riesige Freude», schwärmt Hürlimann.

Er betont, dass es auch heute noch möglich sei, Zeit für die Tiere zu haben und trotzdem genügend Geld zu erwirtschaften. Zu viele Tiere und zu grosse Flächen würden aber dazu führen, dass viele Bauern überfordert seien. «Wir Bauern müssen wieder ein Gespür für die Natur bekommen. So vieles ist uns aus den Händen geglitten. Meistens ist aber das Einfachste vom Einfachsten das, was einen glücklich macht.»

Lesen Sie dazu morgen ein Interview mit dem Zuger Bauernpräsidenten Markus Bieri.

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