Wahrsagen für die Wahlen

Wir rutschen nach rechts, sagt Brigitte

Wie verhext: Eine Hellseherin deutet schon heute die Ergebnisse der Luzerner Wahlen. (Bild: Montage: Dominique Rüedi)

Wir rufen eine Wahrsagerin an und investieren dafür 20 Franken. Versprochen wird unter anderem «Sachverstand und Inspiration». Grund genug, um uns die Ergebnisse der Luzerner Wahlen voraussagen zu lassen. Die Antworten sind Gold wert. 

Ein bisschen Hokuspokus kann nicht schaden. Wir probieren es aus, und zwar ganz professionell. «Wahrsagen am Telefon» verspricht die Webseite «maleficio.ch». Genau das Richtige für die Luzerner Wahlen am 29. März. Wenn «Schweizer Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft» diesen zauberhaften «Service» nutzen, dann können wir das auch. Den Hörer in der Hand wird also die 0900-Nummer gewählt. Unsere Fragen auf dem Notizblock: Wie wird der Kanton Luzern wählen? Rutschen wir nach links? Nach rechts? Erlösende Antworten sind erwünscht. Das Ganze kostet zwei Franken pro Minute. Teuer. Es klingelt.

In der Leitung sorgen magische Panflöten für einen passenden Soundteppich. Dazu Engel im Chor. Der Pin-Code 287 bringt uns direkt zu Brigitte. Sie wird die Beraterin unserer Wahl, weil: Sie lässt ihre Karten in die Zukunft schauen. Und für unsere Fragen hat sie das richtige Rüstzeug. Ihr Spezialgebiet ist quasi alles, auch Liebesdinge und so weiter. «Hallo, hier ist die Gitti», sagt sie. «Was kann ich für dich tun?» Die Zeit läuft.

100 Sekunden Verhandlung

Nach netter Begrüssung und Bekanntmachung – es dauert rund 20 Sekunden – sind wir Gitti verständlicherweise eine Erklärung schuldig. Wir haben unser fast schon fetisches Interesse an den Luzerner Wahlergebnissen zu begründen. Es sind ganz «individuelle Fragen» halt. Das sei erlaubt und Kundenbedürfnis. Es folgen 100 Sekunden Verhandlungen. «Wie viele politische Parteien sind das denn?», fragt sie. Der Zähler müsste in der Zwischenzeit bei über drei Franken stehen.

Ein seriöser Eindruck. Dann meint sie: «Ich könnte dir die Tendenz voraussagen.» Das reicht ja schon mal. Das nehmen wir. Es folgt die erste Sensation, die erste Erkenntnis, ein Lichtstrahl am Horizont. Brigitte lässt uns exklusiv wissen: «Es wird eine grössere Veränderungen geben. Ich sehe das ganz klar.» Wir horchen auf. Finden, dass sich das bis hierhin schon mal gelohnt hat – und sind bei ungefähr vier Franken.

Ob es denn bei den Wahlen Ende März einen «Linksrutsch» geben könnte, wird gefragt. Ob sich die Luzernerinnen und Luzerner mehrheitlich für SP und die Grünen entscheiden? Brigitte brummelt etwas über die Karten und antwortet dann in astreinem Wischiwaschi: «Ich sehe einerseits die Klarheits-Karte. Im Moment aber auch noch eine «Blockade» mit drin. Das ist nicht ganz sicher». Dann fragen wir also – nicht sehr beeindruckt – das Gegenteil: Ob es für Luzern denn politisch eher nach rechts gehen könnte? «Ja, da geht die Tendenz hin. Ganz klar», sagt Brigitte. Ui. Über das Warum könne sie leider keine Auskunft geben. Aber immerhin.

Der Bauch ist Schuld

Gittis Technik ist sehr bemerkenswert. Sie fährt mit dem Zeigefinger über die Karten. Das macht sie solange, bis wir «Stopp» sagen. Dann dreht sie um. Schuld an den Antworten haben also wir. Unser Timing bestimmt ihre Antworten. Und nebenbei bemerkt, soll das «Stopp» tief aus dem Bauch heraus kommen, rät Brigitte. Allmählich macht sich aber dort, im Bauch, nur das flaue Gefühl breit, veräppelt zu werden. Egal, es geht weiter.

Wir stellen ein paar Fragen und sagen Stopp. So wie es Brigitte möchte. Sechs Minuten gehen zur Neige. Sieben. Werden die Steuern erhöht? Stopp. «Ja, das wird kommen. … Es ist noch eine Vorsichtskarte mit dabei. Aber ja. Ganz klar. … Die Steuern werden erhöht.» Etwas später: Werden auch Sparmassnahmen durchgesetzt? Nun braucht Gittis Zeigefinger weitere zehn Sekunden Zeit. Stopp. «Das ist schwierig, schwierig, schwierig. … Ja, das kommt. … Das kommt auf jeden Fall. … Da kommt eine Veränderung auf uns zu. Da sehe ich noch das Symbol der Leichtigkeit. … Es wird besser. … Ja, es wird besser.» Alles gut. Auf Einzelheiten wird leider nicht eingegangen.  

Mit Sachverstand und Inspiration

Nun, als Freunde der Magie werden wir uns mit dem Gesagten zufrieden geben müssen. Zehn Minuten neigen sich dem Ende zu. Es bleibt immerhin die sichere Erkenntnis, dass Luzern politisch nach rechts rutschen wird. Die Aussage ist Gold wert eigentlich, und da sind die 20 Franken Budget doch gut investiertes Geld.

Auch der Grad der Enttäuschung hält sich in Grenzen. Versprochen wurde von maleficio.ch unter anderem «Sachverstand und Inspiration». Erstes fehlte zwar gänzlich. Aber Zweites war im Überfluss vorhanden. Wir geben ein überzeugtes: Naja. Dank und Abschied. «Mögen deine Wünsche in Erfüllung gehen», sagt Brigitte. Gewünscht haben wir doch gar nichts? Wir lassen uns überraschen. Das Bauchgefühl soll nicht schuld sein. Am 29. März.

Ihre Meinung interessiert uns! Als Community-Mitglied können Sie diese mit der Kommentar-Funktion mitteilen.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon