Aus dem Kantonsrat Luzern

«Asylbewerber-Busse»: Kantonsrat will sich nicht festlegen

Der Luzerner Kantonsrat. Eine Klasse der Montessori-Schule verfolgte die Ratsdebatte. (Bild: mbe.)

Bei der Beratung des neuen Sozialhilfegesetzes im Luzerner Kantonsparlament war auch das Asylwesen ein Thema. Es geht um eine Ersatzabgabe für Gemeinden, welche ihrer Unterbringungspflicht nicht nachkommen. Der Kantonsrat folgte einem SVP-Vorschlag statt der Regierung.

Das Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons kann die Einwohnergemeinden verpflichten, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen oder Asylsuchende, vorläufig aufgenommene Personen und Schutzbedürftige aufzunehmen. In besonderen Fällen, auf ein begründetes Gesuch hin, kann der Kanton die Gemeinden von der Erfüllung dieser Aufnahmepflicht befreien. Diese müssen im Gegenzug eine Abgabe zahlen.

An der Fortsetzung der ersten Lesung des Sozialhilfegesetzes am Dienstagmorgen (über die Eintretensdebatte berichtete zentral+ gestern), war diese «Ersatzabgabe» und ihre Höhe ein Thema. «Es gibt gewisse Situationen, wo wir uns bei Gemeinden nicht durchsetzen können», sagte Regierungsrat Guido Graf. Gemäss Graf ist die Festsetzung eines Betrags im Kantonsgesetz gemäss einem Bundesgerichtsurteil von 2010 obligatorisch. Doch über die Höhe und die Art, wie dieser Betrag definiert werden sollte, gingen die Meinungen weit auseinander.

Der Regierungsrat wollte die Formulierung von «maximal 150 Franken» im Gesetz. Yvonne Zemp-Baumgartner von der SP forderte genau 150 Franken pro nicht aufgenommene Person und Tag. – Das wären monatlich also bis zu 4’500 Franken. «Wir wollen einen fixen Betrag im Gesetz, die Schmerzgrenze soll hoch sein für die Gemeinden», sagte Zemp.

Gemäss Romy Odoni, Präsidentin der Kommission Gesundheit, Arbeit und soziale Sicherheit (GASK), hatte sich die Kommissionsmehrheit für eine «flexiblere Lösung» ausgesprochen. Die GASK hat einem Vorschlag der SVP zugestimmt mit einem Spielraum von 50 bis 150 Franken. Der Kantonsrat folgte diesem Entscheid am Dienstagmorgen und lehnte sowohl die SP- wie auch die Regierungsvariante ab.

Was bedeutet das rechtlich, und wie würde diese Regelung konkret umgesetzt? Wir haben Rolf Frick gefragt, Leiter des Rechtsdienstes des Gesundheits- und Sozialdepartementes.Der Regierungsrat werde die Sache in einer Verordnung regeln müssen. «Bleibt diese Bestimmung auch aufgrund der zweiten Beratung im Gesetz, hat die Ersatzabgabe mindestens 50 Franken zu betragen. Eine geringere Ersatzabgabe ist nicht möglich. Die Höchstgrenze von 150 Franken bleibt gemäss Vorschlag der Regierung», schreibt Frick zentral+.

«Herz und gesunder Menschenverstand»

Auch bei anderen Fragen wollte sich der Kantonsrat nicht genauer festlegen als nötig. Von SP- und Grünenseite waren verschiedene Anträge eingereicht worden, die eine gute fachliche Ausbildung und Qualifikation der Sozialinspektoren, aber auch der Sozialbehörden in den Gemeinden forderten. «Wir brauchen keine Überflieger in den Sozialhilfebehörden», sagte Christina Reusser (Grüne). Die Ratsmehrheit und Regierungsrat Guido Graf wollten davon nicht wissen. SVP-Kantonsrat Räto Camenisch: «Wir wollen keine Entwicklung im Kanton Luzern wie bei den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden». Ein gutes Herz, gesunder Menschenverstand und Weiterbildung müssten genügen.

Kein Einverständnis erforderlich

Chancenlos war auch ein Antrag von Heidi Rebsamen (Grüne), die ein Einverständnis des betroffenen Sozialhilfebezügers forderte, dass Ämter untereinander Auskünfte geben und Akteneinsicht gewähren. «Eine generelle Einsichtnahme geht zu weit», sagte Rebsamen. Gemäss Romy Odoni wurde der Antrag bereits in der GASK mit 12 Nein zu einer Ja-Stimme abgelehnt. Nur die SP unterstützte den Antrag Rebsamens. Herbert Widmer (FDP) brachte ein gewisses Verständnis auf. «Ich verstehe, dass man Respekt verlangt», sagte er. Doch in der Bevölkerung werde genau beobachtet, wer Sozialhilfe erhalte und wer nicht. Deshalb seien genaue Kontrollen nötig. Der SVP-Sprecher sprach von Schikanen gegen die Sozialbehörden. «Der Bürger verlangt eine genaue Kontrolle der Leistungen», sagt Räto Camenisch

Wegzug von Sozialfällen erzwingen?

Streit um Sozialinspektoren

Chancenlos blieb ein Antrag von Yvonne Zemp (SP), die Arbeitsfähigkeit nicht durch Sozialinspektoren prüfen zu lassen. Das sei eine ärztliche Aufgabe. «Sonst haben wir wieder einen Schnüffelstaat», sagte Zemp. Die Grünen unterstützten das Anliegen, die Bürgerlichen waren alle dagegen: Mit 81 Nein- zu 21 Ja-Stimmen wurde der Antrag abgelehnt.

Ebenso abgelehnt wurde ein Antrag von der SP, dass die Sozialinspektoren über die nötige Qualifikation verfügen müssten. Die rechte Ratsseite verwahrte sich gegen die Kritik. «Die Behörden machen ihren Job sehr gut. Wir sollten ihnen keine zusätzlichen Auflagen machen», sagt der kantonale Sozialdirektor Guido Graf.

Der Regierungsrat Guido Graf äusserte sich ziemlich bissig zu einem weiteren Antrag von Yvonne Zemp-Baumgartner (SP). Zemp beantragte, dass die Organe der Sozialbehörden einer Gemeinde keine bedürftigen Personen «zwingen» dürften wegzuziehen oder ihren Zuzug verhindern, um sie nicht unterstützen zu müssen. «Sie dürfen diese Person auch nicht davon abhalten, in einer Einwohnergemeinde einen Unterstützungswohnsitz zu begründen», wollte Zemp im Gesetz verankert wissen. Guido Graf: «Sie suggerieren damit etwas, was es gar nicht gibt im Kanton Luzern.» Er forderte Zemp auf, das Beispiel einer Gemeinde zu nennen, wo dies der Fall gewesen sei. Zemp bezog sich jedoch dabei auf einen publik gewordenen Fall aus dem Kanton Aargau. Der Rat lehnte auch diesen Antrag mit 70 Nein zu 21 Ja ab.

Support für umstrittene SKOS-Richtlinien

Abgelehnt wurde ebenso der Antrag von Nino Froelicher (Grüne) die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) für klar verbindlich zu erklären. Aber auch ein Gegenantrag der SVP wurde abgelehnt. Räto Camenisch beantragte, die wirtschaftliche Sozialhilfe solle das soziale Existenzminimum abdecken, die «privaten» SKOS-Richtlinien «könnten» wegleitend sein. Regierungsrat, Gemeinden und Sozialbehörden sollte aber einen möglichst grossen Ermessensspielraum haben.

Der Rat hat wie von der Regierung vorgeschlagen entschieden, dass die Richtlinien der SKOS bei der Bemessung des sozialen Existenzminimus wegleitend sein sollen – er hat also einen Mittelweg zwischen totalem Zwang und totaler Abschwächung gewählt.

Das Sozialhilfegesetz wurde nach erster Lesung mit 86 Ja und 27 Nein-Stimmen und einer Enthaltung angenommen.

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