Entwurf Sozialhilfegesetz im Luzerner Kantonsrat

Sozialhilfe: Bürgerliche begrüssen mehr Druck, Linke sind skeptisch

Im Kantonsrat wurde heute über das Sozialhilfegesetz debattiert. (Bild: bra)

Luzerns Sozialhilfegesetz ist über 20 Jahre alt. Das Neue soll laut Regierungsrat «zeitgemäss und zielgerichtet» sein. Diesen Montag hat die Beratung im Luzerner Kantonsrat begonnen – die Reaktionen könnten teils unterschiedlicher nicht sein.

Romy Odoni (FDP) ist Präsidentin der Kommission Gesundheit, Arbeit und soziale Sicherheit (GASK), die den Gesetzesentwurf vorberaten hat. Die GASK besteht aus zehn bürgerlichen und drei linken Kantonsratsmitgliedern. Odoni brachte deren Meinungen so auf den Punkt: «Die Rechte findet, der Druck müsse grösser werden im Sozialhilfegesetz. Die Linke findet das Gesetz nicht zeitgemäss, weil alle Sozialhilfebezüger unter Generalverdacht gestellt würde, die Hilfe zu missbrauchen.» Eines ist sicher: Das Gesetz hat schon im Vorfeld viel zu reden gegeben, und es wurden insgesamt 29 Änderungsanträge gestellt. «In der GASK haben wir dem Entwurf schliesslich mit 10 zu 3 Stimmen zugestimmt», informierte Romy Odoni.

EU-, EFTA- und F-Ausweis nur noch Nothilfe

Die wichtigsten Neuerungen im Gesetz: Im Gesetz werden erstmals Wirkungsziele definiert sowie Massnahmen zu deren Erreichung. Die Arbeit der Sozialinspektoren wird auf eine Rechtsgrundlage gestellt. Die Informationsbeschaffung zwischen Sozialbehörden und Versicherungen wie IV oder ALV wird vereinfacht – der Sozialhilfebezüger wird gezwungen mitzuwirken. Doch es ist auch ein «Spargesetz»: Kurzaufenthalter aus dem EU- und EFTA-Raum, welche keine Arbeit haben, will der Kanton Luzern aus der ordentlichen Sozialhilfe ausschliessen; sie erhalten nur noch Nothilfe, ebenso wie vorläufig aufgenommene Flüchtlinge (zentral+ berichtete).

CVP gegen «Sozialindustrie»

Die CVP begrüsst die Gesetzesrevision grundsätzlich. Auch die Transparenz beim Austausch von Informationen sei positiv. «Den Aufbau einer Sozialhilfeindustrie und die Professionalisierung der Sozialhilfe lehnen wir ab», sagt Fraktionssprecher André Aregger. Dass Personen fachlich ausgebildet und qualifiziert seien, garantierte nicht, dass Leute richtig geholfen werde. Die CVP ist für Eintreten.

SVP: Gegen «Bequemlichkeit»

«Es muss nicht mehr bequem sein, von Sozialhilfe zu leben», sagt SVP-Fraktionssprecherin Vroni Thalmann-Bieri. Die SVP sei für eine Senkung der Sozialhilfe um zehn Prozent. Thalmann-Bieri weist aufs Emmental hin, das solche Kürzungen beschlossen hat. «Wir haben nicht höhere Lebensunterhaltungskosten als dort.» Die SVP ist für Eintreten.

FDP spricht von Akademisierung

FDP-Fraktionssprecher Herbert Widmer spricht von einem «Dschungel im Sozialwesen», bei dem selbst die im Sozialwesen tätigen Personen keinen Durchblick hätten. Als Hauptprobleme des Gesetzesentwurfs bezeichnet Widmer die Akademisierung der Mitarbeiter im Sozialwesen. Zudem findet die FDP, dass Sozialhilfebezüger noch stärker gezwungen werden sollten, mitzuwirken. Widmer beantragt, die neun noch existierenden Anträge in die Kommission zurück zu nehmen und zu diskutieren. Die FDP ist ebenfalls für Eintreten.

SP: Bräuchte Sozialinspektoren nicht

Die SP begrüsst grundsätzlich, dass ein neues Gesetz kommt. «Wir wehren uns aber vehement dagegen, dass hinter dem Rücken der Sozialhilfebezüger Infos eingeholt werden», sagt Yvonne Zemp-Baumgartner. Zudem bräuchte es die Sozialinspektoren gar nicht, wenn die Sozial-Behörden genügend personelle Ressourcen hätten. Zemp weist auf die regionalen Unterschiede zwischen dem Entlebuch und Luzern und Umgebung hin. Die Sozialhilfelasten in den Gemeinden seien ungleich verteilt. «Luzern, Emmen, Kriens und Ebikon tragen 63 Prozent aller Sozialhilfekosten im Kanton Luzern, haben aber nur 38 Prozent der Einwohner.» Die Sozialdemokraten wollen eintreten, behalten sich aber eine Ablehnung vor, wenn ihre Änderungsanträge abgelehnt werden.

Grüne: «Kein Sozialhilfegesetz»

«Es ist ein Sozialmissbrauchsgesetz», sagt Nino Froelicher von den Grünen. Wenn ein Gesetz in den Rat komme, bei dem die SVP keine Änderungswünsche habe, seien die Grünen skeptisch. Das Gesetz stelle alle Sozialhilfebezüger unter Generalverdacht. «Man will nicht die Armut bekämpfen, sondern die Armen. Das liegt im Trend in wirtschaftlich schwierigen Zeiten», sagt Froehlicher. Zudem finden die Grünen, die Qualifikationen der Mitarbeitenden im Sozialwesen seien zuwenig klar definiert. Die Einsichtsrechte in Informationen über die Bezüger gingen zu weit, ebenso die Entbindung vom Arzgeheimnis. Die SKOS-Richtlinien seien hingegen verbindlich. Bei der Sozialhilfe für Asylsuchende würden sich die Grünen wünschen, dass der Kanton und die Gemeinden die Kosten zu 50 Prozent tragen sollten – der Kanton ziehe sich immer mehr zurück. Die Grünen wollen eintreten, lehnen das Gesetz aber ab.

Grünliberale: Wo bleiben gut Ausgebildete?

Die Grünliberalen sind ebenfalls für die Beibehaltung der SKOS-Richtlinien. «Sie bieten Garantie, dass jeder gleich behandelt wird», sagt Sprecher Ralph Hess. Die Grünliberalen begrüssen die bessere Zusammenarbeit beim Informationsaustausch zwischen Amtsstellen. Die GLP werfen noch einen Punkt auf die angestrebte Reintegration ins Berufsleben:  «Wir wünschen uns bessere Angebote für gut ausbildete Sozialhilfebezüger», sagt Hess.

Der Rat beschliesst Eintreten.

Jörg Meyer von der SP-Fraktion weist auf seine Berufserfahrung im Sozialwesen hin. Die SP vermisse im Gesetzesentwurf, dass die Situation der betroffenen Personen aktiv gestaltet und gelöst wird statt dass «Sozialhilfebezüger verwaltet werden.»

Guido Graf: «Unterstellung der Grünen»

Der «Sozialdirektor» des Kantons Luzern, Guido Graf, nimmt ebenfalls Stellung zum Gesetzesentwurf. Er verwahrt sich gegen die Aussage Nino Fröhlichers von den Grünen, er «bestelle» Gefälligkeits-Anträge bei der SVP. «Das ist eine Unterstellung», sagt Graf. «Zudem ist das ein Gesetzesentwurf der Regierung und nicht des Sozialdirektors.» Die soziale Sicherheit sei ein grosses Gut, Menschen in Not hätten Anspruch auf Hilfe.

Sozialhilfe sei jedoch auch in der Bundesverfassung nicht als Dauerhilfe, sondern als zeitweilige Überbrückung definiert. Prävention und die Verstärkung der Eigenverantwortung und der Kontrolle seien deshalb wichtig für die Akzeptanz der Sozialhilfe in der Bevölkerung. «Wir stellen niemand unter Generalverdacht», sagt der CVP-Regierungsrat.

8000 Sozialhilfebezüger

Gemäss Guido Graf bezogen 2012 rund 8000 Personen im Kanton Luzern Sozialhilfe. Es gebe jedoch noch viel mehr Menschen, die an der Armutsgrenze lebten, aber keine Hilfe beantragen würden. «Sie empfinden sich nicht als arm. Oft werden sie auch von ihren Familien mit unterstützt.»

Zum Asylwesen meinte Graf, wer an Leib und Leben bedroht sei, solle bleiben können. «Wir haben 700 neue Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene im Kanton Luzern.» Die meisten bleiben sehr lange von der Sozialhilfe abhängig, das sei keine gute Entwicklung. «Deshalb ist mehr Eigenleistung von den Flüchtlingen nötig und die Wirtschaft sollte ebenfalls noch mehr in die Pflicht genommen werden.» Guido Graf bittet den Kantonsrat, dem Gesetzesentwurf zuzustimmen.

Diesen Dienstagmorgen geht die Beratung des Sozialhilfegesetzes weiter.

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