Luzerner Wahlen

Behinderter kämpft für Wahl in den Kantonsrat

«Selbständigkeit ist mir sehr wichtig.» Kantonsratskandidat Daniel Grund in seinem umgebauten Auto.

(Bild: Sam Schalch)

Selbstbewusst stellt sich Daniel Grund, der an der seltenen «Glasknochen-Krankheit» leidet, für die Kantonsratswahlen zur Verfügung. Der 45-jährige GLPler will zeigen, wie Behinderte besser in die Gesellschaft integriert werden können. «Wir haben keine politische Lobby», sagt er. Und er weiss, wovon er spricht.

Unter den paar hundert Kandidatinnen und Kandidaten fällt Daniel Grund besonders auf. Er sitzt im Rollstuhl, ist zirka einen Meter gross, 45 Jahre alt und will am 29. März für die Grünliberalen in das Luzerner Parlament gewählt werden. «Ich möchte Wege aufzeigen, um Behinderte besser in den Alltag zu integrieren, sei es beruflich oder sozial», sagt er. zentral+ hat ihn besucht.

Der Kantonsratskandidat wohnt in Emmenbrücke, nahe des Betagtenzentrums Alp. Die Türen bis zu seiner Wohnung öffnen sich per Knopfdruck. Daniel Grund ist froh, dass das Interview bei ihm zuhause stattfinden kann. Sein rechter Unterarm ist bandagiert. «Wahrscheinlich wieder einmal gebrochen». Es kommt oft vor. Wie es sich anfühlt, weiss er gut.

Knochen brechen wie Glas

Daniel Grund will als körperlich behinderte Person kein Mitleid erregen. Was gar nicht so leicht ist. Seit Geburt leidet der Adligenswiler, der seit mehr als zehn Jahren in Emmenbrücke wohnt, an der sogenannten «Glasknochen-Krankheit». Es ist eine seltene Erbkrankheit, die Knochen ähnlich leicht brechen lässt wie Glas.

Schon gut 70 Mal sei es in seinem Leben bereits passiert. «Ich bin momentan nicht sehr mobil», sagt er. Und er ist auf Hilfe angewiesen. Diese Situationen mag er nicht. «Mich gross bewegen und mich selber ‹herumlupfen›, das darf ich jetzt alles nicht machen.»

«Ich will nicht über Themen diskutieren, von denen ich keine Ahnung habe.»

Daniel Grund, Kantonsratskandidat, GLP Emmen

Daniel Grund will so gut wie möglich selbständig sein. Viele Menschen seien überrascht, wenn sie hörten, dass er Auto fahren könne. Er kann seinen Alltag weitgehend alleine meistern und darauf ist er stolz. «Im Auto, auf der Strasse merkt man keinen Unterschied. Da bin ich einfach einer von Vielen.»

Noch wenig politische Erfahrung

Er sei bescheiden und «kein Mensch, der immer mehr will». Ungerechtigkeit bringe ihn auf die Palme. An der Politik gefalle ihm vor allem das Diskutieren. «Sachpolitik finde ich sehr spannend», sagt er. Die Erfahrung fehle ihm aber noch ein wenig. «Ich will nicht über Themen diskutieren, von denen ich keine Ahnung habe.»

Sein Schwager Marius Göldi, Präsident der GLP Emmen-Rothenburg, kam vor einem halben Jahr auf ihn zu. So wurde Grund bei der GLP Kassier. Die Gesundheit liess die neue Aufgabe zu. Und warum gerade diese Partei? «Sie haben inhaltlich viele Punkte, die sich mit meinen Vorstellungen treffen. Der Umgangston ist nicht altmodisch. Und es sind viele Jüngere mit guten Ideen dabei. Das gefällt mir.»

So richtig eingeübt sind die Antworten des Kantonsratskandidaten noch nicht. Ein Zettel mit Handnotizen und vielen Argumenten liegt vor ihm. Welche Probleme er aber anpacken will, weiss Grund genau: «Behinderte haben keine politische Lobby», sagt er bestimmt.

Null Chancen im Arbeitsmarkt

Er wolle sich vor allem für Menschen mit Behinderung einsetzen und für ihre berufliche Integration. «Hier wird noch viel geredet, aber wenig getan. Es geht für mich einfach nicht auf, dass gut qualifizierte Personen mit einer Behinderung tausende Bewerbungen schreiben. Und die Erfolgschancen sind gleich null.»

Entgegen aller Behauptungen – «von wegen Integration oder Gleichstellung» – seien Behinderte auf dem Arbeitsmarkt einfach nicht gesucht. «Obwohl ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten oft die selben sind, oder sich von Nichtbehinderten oft nur leicht unterscheiden, werden sie meist aus Angst vor dem Unbekannten nicht genommen.» Manchmal fürchte man zusätzliche Hilfestellungen oder auch baulichen Anpassungen am Arbeitsplatz.

Erniedrigendes Prozedere für IV-Rente

Berufliche Integration sei auch für ihn sehr wichtig, für sein Selbstwertgefühl. Seit zwanzig Jahren arbeitet Grund halbtags als Sachbearbeiter bei der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung in Nottwil. Dazu ergänzt die Invalidenrente seine Lebenskosten. In Sachen Sozialversicherungen könne man auch noch einiges verbessern, sagt er.

«Eine Stufe geht. Aber zwei Stufen sind für Menschen im Rollstuhl immer eine zu viel.»

Das Prozedere für eine IV-Rente sei zum Beispiel für ihn zwar nichts Neues, aber immer aufs Neue erniedrigend: «Die Details, ob man selbständig Essen, sich Rasieren, oder auf die Toilette kann: Die Angaben sind jedes Mal eine Art Rechtfertigung für eine Behinderung, für die ich nichts dafür kann.»

Klar seien auch architektonische Barrieren für Menschen wie ihn ein Dauerthema. Im öffentlichen Verkehr sei zwar vieles schon gemacht worden, es gäbe trotzdem noch einiges zu verbessern. «Eine Stufe geht. Aber zwei Stufen sind für Menschen im Rollstuhl immer eine zu viel.» Als Kantonsrat möchte er solche Themen ansprechen und die Politik sensibilisieren.

Barrieren im Alltag

Grund wäre der erste Luzerner Parlamentarier, der in einem Rollstuhl sitzt. Falls er gewählt würde, käme er durch den Hintereingang des Regierungsgebäudes, das im Jahr 2000 behindertengerecht umgebaut wurde. Er könne es sich gut vorstellen, dort zu debattieren.

Und es wäre eine Herausforderung. «Sachlich können schon auch mal die Fetzen fliegen, da diskutiere ich sehr gern.» Einen gewissen Respekt vor der Politik und vor einer grossen Öffentlichkeit hat er trotzdem. Er sei manchmal sensibel. «Wenn ich etwas persönlich nehme, bin ich manchmal ein wenig ein Pflänzchen.» 

Am Ende des Gesprächs grüsst uns seine Frau Vera. Sie sagt über ihren Mann, er sei grosszügig und sehr ehrgeizig. «Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.» Vera sitzt ebenfalls im Rollstuhl und kennengelernt haben sie sich während der gemeinsamen Schulzeit an der Luzerner Stiftung Rodtegg.

Seit neun Jahren sind sie verheiratet. «Ich habe geweint, als ich gehört habe, dass er sich schon wieder den Arm gebrochen hat.» Danach schweigt Daniel etwas länger. Er öffnet die Türe. Die Heilung dauere sechs Wochen. «Gleich wie bei normalen Menschen.»

 

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