Ortsplanung

Gemeinden vergolden ihre Zentren

Der Dorfkern in Ruswil soll erneuert und wiederbelebt werden. Dabei soll das Ortsbild möglichst erhalten bleiben. Geplant sind Investitionen in der Höhe von 30 Millionen Franken, unter anderem in ein neues Gemeindehaus. (Bild: ZVG)

Luzerner Gemeinden erwecken ihre Dorfkerne und Zentren mit modernen Bauten zu neuem Leben – für viel Geld. Dieses fehlt den Gemeinden, nicht aber den Investoren. Unter den Banken, Versicherungen, Pensionskassen und privaten Investoren herrscht ein reger Wettbewerb um Anlageobjekte. In den nächsten 10 Jahren sollen in einem Viertel aller Luzerner Gemeinden mehrere Milliarden Franken verbaut werden.

«Wir versprechen uns neue Impulse für die Gemeinde. Neue Geschäfter sollen angesiedelt werden und ein neuer Dorfplatz entstehen.» Ruedi Amrein, Gemeindepräsident von Malters, verspricht sich viel von der Erneuerung des Dorfzentrums im Bereich Bahnhof/Weihermatte. Die Bevölkerung stimmte dem Bebauungsplan im Juni zu. Das Projekt wird 70 bis 100 Millionen Franken kosten. «Die Investorensuche bereitete uns keine Probleme. Die Verhandlungen sind abgeschlossen. Wir hatten viele Interessenten», sagt der Gemeindepräsident stolz.

Gemäss Recherchen von zentral+ beschäftigen sich gut ein Viertel der Luzerner Gemeinden mit einer Erneuerung ihres Dorfkerns. Dass es in Malters gerade vor diesem Hintergrund relativ einfach war, Investoren zu finden, erstaunt deshalb. Ein anderes Beispiel: In Hochdorf ergriff die Gemeinde die Initiative und liess eine umfangreiche Studie zur Zentrumsentwicklung erstellen. Diese kostete alleine mehrere hunderttausend Franken. Das Herzstück ist der Baustein «Neue Mitte». Die entsprechenden Kosten liegen zwischen 40 und 50 Millionen Franken. Die Verhandlungen zwischen einem Investoren und Grundeigentümer laufen.

Neues Tummelfeld für Unternehmen

Die vielen Infrastrukturprojekte der Gemeinden haben neue Unternehmen auf den Plan gerufen. Jürg Inderbitzin hat eine Firma gegründet, die den Entwicklungsprozess von der ersten Idee bis zum letzten Dachziegel begleitet. Auch «Blickpunkt Lebensraum» bietet diese Dienstleistungen an. «Die Geschäftsidee ist aus meinen eigenen Projekterfahrungen entstanden», beschreibt Inderbitzin.

Neutraler Moderator

Da Gemeinden mit den Projekten oft auch Eigeninteressen verfolgen und nicht über die Ressourcen verfügen, die Infrastrukturprojekte eng zu begleiten, sei ein neutraler Moderator gefragt. «Wir können die Nähe zu den Akteuren behalten», sagt Jürg Inderbitzin betont. Dass dadurch mehr Einfluss auf die unterschiedlichen Interessen der Grundstückbesitzer, eventuell von Mietern und dem Denkmalschutz ausgeübt werden kann und mögliche Investoren einfacher bei der Stange gehalten werden, lässt er jedoch unerwähnt.

Hansueli Renggli, Bereichsleiter Bau der Gemeinde Hochdorf, sagt: «Die Gemeinde kann nur die Grundlage schaffen. Handeln müssen die Grundeigentümer.» Angestrebt wird ein Regionalzentrum mit gesteigerter Zentrumsqualität. Die schlechte Bausubstanz einzelner Gebäude im Ortskern, die Erosion des Detailhandels und die wachsende Verkehrsbelastung sind Gründe, weshalb die Gemeinde gerade jetzt etwas unternimmt. «Geld und Interesse ist bei den Investoren vorhanden», weiss Renggli zu erzählen. Zusammen mit potentiellen Geldgebern haben Mitarbeiter der Gemeinde die betreffenden Grundstücke besichtigt. Mit einem Bus sind sie von Parzelle zu Parzelle gefahren und haben sich die Situation vor Ort angeschaut.

Motive hinter den Projekten gleichen sich

In Root liegt der Gestaltungsplan «Dorf Root», der eine Fläche von 15’000 Quadratmetern umfasst, bis Anfang Oktober auf. Geplant ist ein richtiges Dorfzentrum um den bestehenden Gasthof Rössli herum. In Schüpfheim findet schon bald eine erste Informationsveranstaltung zur Zentrumsentwicklung statt. Meggen realisierte schon vor 19 Jahren ein neues Gemeindezentrum. Das Erweiterungsprojekt Schwerzi wurde 2009 fertiggestellt und beinhaltete acht Wohnungen und die Vergrösserung der Ladenfläche eines Grossverteilers. In Eschenbach bestehen erste Vorstellungen, auf welchem Areal eine Zentrumsüberbauung erfolgen sollte. In Sursee wurden in den letzten Jahren unzählige Millionen Franken in Infrastrukturprojekte investiert.

Die Aufzählung lässt sich beliebig weiter führen. In Ruswil soll der Dorfkern ebenfalls wiederbelebt werden. Die Bevölkerung stimmte diesen Frühling in einer Abstimmung dem Planungskredit für die Dorfkernerneuerung in der Höhe von einer halben Million Franken zu. Damit kann die Gemeinde die Detailplanung in Angriff nehmen. Die Kosten des Projekts «Ladegass» belaufen sich insgesamt auf ungefähr 30 Millionen Franken. In Sempach Station ist die neue Umfahrung seit kurzem befahrbar. Am Projekt «Seepark-Village» wird gebaut. In Wikon soll eine Überbauung mit 72 Wohnungen und Dienstleistungsfläche entstehen. Durch das Projekt möchte die Gemeinde ihre Identität stärken und generationenübergreifendes Wohnen ermöglichen. Und in Ebikon entstehen für rund 20 Millionen Franken ein neuer Dorfplatz und zwei Wohnblöcke mit 52 Mietwohnungen und Gewerberäume. Der Baustart ist dort erst kürzlich erfolgt.

Wettbewerb unter den Investoren

Das Geld der Investoren ist gefragt. Bei der gegenwärtig angespannten Finanzlage können sich die Gemeinden die Projekte selber kaum leisten – und zählt auch nicht zwingend zu deren Hauptaufgaben. Die Liste potentieller Geldgeber ist lang. Alex Widmer, Leiter Immobilien bei der Luzerner Pensionskasse, sagt: «Die Nachfrage nach Immobilien ist bei institutionellen Anlegern weiterhin ungebrochen gross.»

In der Gemeinde Wauwil war ein neues Gemeindezentrum im Gestaltungsplan zwar nicht explizit vorgesehen. Dennoch ist es jetzt in den ersten Vorschlägen Bestandteil des Projekts. Auf dem Gebiet der ehemaligen Glasi hinter der S-Bahn-Haltestelle ist eine Überbauung mit  250 bis 280 Wohnungen, Gewerbe und Dienstleistungsanbietern geplant. Der Baubeginn des Wauwiler Projekts „Zentrum Glasi“ soll 2015 erfolgen. Der Investor ist bei diesem Projekt auch schon bekannt. Die Stadtbauentwicklungs AG beteiligt sich mit gesamthaft über 100 Millionen Franken. Christoph Hug von Blickpunkt Lebensraum, einem Unternehmen, das sich im Namen des Bauherren um die Entwicklung und Projektsteuerung kümmert, bestätigt allgemein das grosse Interesse von Investoren: «Offenbar ist das Kapital vorhanden. Die Projekte sind günstige Investitionsmöglichkeiten. Viele Akteure reissen sich darum.»

Zufällige Entwicklung?

Dass die Gemeinden gerade jetzt derart bestrebt sind, ihre Zentren aufzuwerten, ist laut Jürg Inderbitzin, Wirtschaftsdozent an der Hochschule Luzern, zufällig. Die Bauprojekte erstreckten sich oft über mehrere Parzellen verschiedener Eigentümer, deren Interessen sich unterscheiden. Damit variiere auch die Geschwindigkeit der am Projekt beteiligten Akteure. Dorfkernerneuerungen seien aufgrund dieser langfristigen Prozesse schon länger ein Thema und die vielen gleichzeitig vorhanden Gemeindepläne deshalb reiner Zufall. Und Inderbitzin fügt an: «Durch die begrenzten Siedlungsflächen sind Entwicklungen im Siedlungsinnern mehr gefragt. Die Sensibilisierung dafür ist gewachsen.» Genau dieses Argument nimmt auch Kantonsplaner Mike Siegrist auf. «Das neue Raumplanungsgesetz führt zu einem Stopp der Zersiedelung. Und damit zu einer Siedlungsentwicklung nach Innen, wozu auch die Zentrums- und Dorfkernerneuerungen gehören.»

Vernachlässigte Zentren

Wenn Dorfkerne erneuert werden, weichen in der Regel alte Bauten. Der Eingriff ins traditionelle Ortsbild ist Auffrischung und Bruch zugleich. Der Innerschweizer Heimatschutz setzt sich als «Anwalt des gebauten Erbes» für den Erhalt und die Umnutzung von schützenswerten Objekten ein. Bei neuer Architektur möchte er für eine gute Qualität einstehen. «Wir beraten lieber als dass wir Einspruch erheben», sagt Hansjörg Emmenegger. Er fungiert als Leiter des Bauberatergremiums des Heimatschutzes im Kanton Luzern. Vor allem bei grossen Eingriffen in die bestehenden Ortskerne fordert er qualifizierte Verfahren, in welchen die Projektstudien diskutiert und beurteilt werden. «Die Zentren haben ein sehr grosses Potential. Sie sind gut erschlossen», hebt Emmenegger einen grossen Vorteil hervor. Vielfach sei lange nichts passiert, die Bausubstanz in die Jahre gekommen.

«Die Vorstellung der Gemeinde, wie sich ein Zentrum entwickeln soll, ist absolut entscheidend», so Emmenegger. Seiner Meinung nach gibt es einzelne Beispiele, wo die Zentren am falschen Ort gebaut worden seien. Das seien jedoch Ausnahmen.

Geldgeber investieren mehrere Milliarden Franken

Als Architekt hat Hansjörg Emmenegger aufgrund der Entwicklung diverser Bebauungs- und Gestaltungspläne grosser Überbauungen viele Erfahrungen mit Dorfkernerneuerungen gesammelt. Zuletzt war er an der siegreichen Studie für den neuen Stadtteil «horw mitte» beteiligt. Dieser gehört zu den Schwergewichten unter den Projekten im Kanton Luzern. Das Investitionsvolumen liegt  bei 600 Millionen Franken. Aktuell wird das Vorprojekt erarbeitet. Rund um den Bahnhof sollen 520 Wohnungen und 1700 Arbeitsplätze entstehen.

Im Zentrum von Horw steht gleich noch ein zweites Projekt an, das zu einer Aufwertung der Gemeinde beitragen soll. Mit dem Bau des Projekts «Horw Zentrum Plus» möchte die Luzerner Agglomerationsgemeinde diesen Winter beginnen. Das Investitionsvolumen beträgt hier gegen 300 Millionen Franken. Mit den Horwer Baugenossenschaften wird günstiger Wohnraum und Alterswohnen, sowie öffentliche Nutzungen erstellt. Gemeinderätin Manuela Bernasconi fügt an: «Die Ortskernumgestaltung war bei uns schon lange ein Wunsch und hat eine lange Geschichte.» Horw hat sich im Bereich Zentrumserneuerung inzwischen zur Vorkämpferin gemausert. Manuela Bernasconi führt heute selber Politiker aus anderen Schweizer Gemeinden über die verschiedenen Schau- und Bauplätze und erklärt, wie Horw bei der Planung und Realisierung der Projekte vorging.

Das Projekt «LuzernNord» in Emmen umfasst Areale im Luzerner Stadtquartier Reussbühl und das Gebiet um den Seetalplatz. Es setzt unglaubliche Massstäbe: Das Investitionsvolumen beträgt gemäss Schätzungen von Hans-Urs Hengartner vom regionalen Entwicklungsträger LuzernPlus, der die Projekte koordiniert, 1,5 bis 2 Milliarden Franken. Nicht eingerechnet ist da das Areal der Monosuisse mit einem Investitionsvolumen von 550 Millionen. Ungefähr 2000 neue Wohnungen und gut 4000 Arbeitsplätze entstehen auf einer Fläche, die neun Mal grösser ist als jene der Luzerner Altstadt.

Projekt «LuzernNord» fällt aus dem Rahmen

«Wir bauen hier eine neue Stadt», versucht Hengartner die Dimensionen einigermassen bewusst zu machen. «Die Lage um den Seetalplatz ist sensationell, es ist eine historische Chance», sagt er euphorisch. Und wer bezahlt das alles? An einer Veranstaltung für mögliche Investoren vor der Abstimmung im Juni 2012 wurden 65 mögliche Partner eingeladen. Es kamen aber 80: Banken, Versicherungen, Pensionskassen, private Investoren aus dem In- und Ausland. Alle wollten sie ihr Geld in Emmen in Immobilien investieren. Hengartner sagt, das Potential der Investoren habe im mittleren zweistelligen Milliarden-Bereich gelegen. Und er ergänzt: «Es kommen wöchentlich Anfragen.»

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon