Der Wolf verliert in Luzern und Zug an Verbündeten

Rudelbildung im Ständerat

Der Wolf sorgt immer wieder für hitzige Diskussionen in der Politik. (Bild: Natalie Boo/AURA)

Der Ständerat hat sich deutlich für eine Lockerung des Schutzes von Wölfen ausgesprochen. Dazu beigetragen haben die Räte aus der Zentralschweiz, unter denen kaum ein Freund des Wolfs zu finden ist. zentral+ hat nachgefragt, wie sich Experten den Umgang mit dem Raubtier in der Zentralschweiz vorstellen und auf wen der Wolf noch zählen kann.

Der Wolf ist in der Schweiz ein wiederkehrendes und umstrittenes Politikum. «Keine Session ohne Wolfsdiskussionen», so der Wortlaut von Bundesrätin Doris Leuthard bei der Diskussion um die Motion des Bündners Stefan Engler (CVP).

Dass sich die «Städter» und «Bergler» uneinig über den Umgang mit Grossraubtieren wie Bär oder Wolf sind, hat sich bei den Diskussionen bereits herauskristallisiert. Nun haben sich jedoch vermehrt Ständeräte aus Stadt und Agglomeration für die Lockerung des Schutzes ausgesprochen. Auch solche, die vor den Ständeratswahlen 2011 noch dagegen waren.

Was die Motion will

Der Vorstoss ist während der Sommersession in der kleinen Kammer ohne Abstimmung angenommen worden. Die Motion von CVP-Ständerat Stefan Engler will das Zusammenleben von Wolf und Bergbevölkerung «zeitgemäss regeln». Konkret fordert die Motion eine Anpassung des Jagdgesetzes, um den Bestand zu regulieren. Statt wie bisher den Schutz des Wolfs in den Vordergrund zu stellen, sollen die Interessen von Landwirtschaft, Jagd, Tourismus und Sicherheit gleich hoch gewichtet werden. Für ein bestimmtes Gebiet (Kompartiment) sollen die Behörden künftig eine maximal tolerierbare Zahl Wölfe festlegen können.

In der Zentralschweiz hat der Wolf wenig Freunde im Bundeshaus. Kein Luzerner oder Zuger Ständerat stellt sich gegen die Lockerung des Schutzes – oder nicht mehr. Denn der Luzerner CVP-Ständerat Konrad Graber hat offensichtlich seine Meinung geändert. Auf smartvote.ch sprach sich Graber bisher deutlich gegen eine Lockerung des Schutzes von Grossraubtieren, darunter eben auch des Wolfs, aus. Dennoch hat er der Motion von Engler zugestimmt. Graber erklärt: «Der Hauptgrund war, weil es um Rudelbildung ging und auch der Bundesrat zustimmte, der sich bisher diesbezüglich eher zurückhaltend gab.»

«Weitergehende Vorstösse werde ich nicht unterstützen»

Es überrascht umso mehr, dass Graber nach seiner Annahme der Motion sagt, dass er seine Meinung, die er dazu habe, seit längerer Zeit so vertrete. Zudem findet der Luzerner Ständerat, dass um das Thema Wolf momentan zu viel Politik gemacht werde. «Weitergehende Vorstösse, die bereits eingereicht wurden, werde ich nicht unterstützen.»

Der zweite Luzerner in der kleinen Kammer in Bern, FDP-Ständerat Georges Theiler, möchte sich auf Anfrage zum Thema nicht äussern. Seine Positionen seien alle publiziert. Tatsächlich sprach sich Theiler schon 2011 für eine Lockerung des Schutzes aus.

«Die Thematik Wolf wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen»

Peter Bieri, Zuger CVP-Ständerat

Der Zuger CVP-Ständerat Peter Bieri seinerseits ist seiner Linie bezüglich des Schutzes des Wolfs treu geblieben. Bereits vor den Ständeratswahlen 2011 hat sich Bieri für eine Lockerung der Schutzbestimmungen für Grossraubtiere ausgesprochen. Folglich ist er einer der Mitunterzeichnenden der Motion.

Der Ständerat verlässt sich dabei auf die Fachkenntnisse von Engler: «Als ehemaliger Zuständiger in der Bündner Regierung und als aktiver Jäger kennt er die Sache sehr gut.» Unter anderem aus diesem Grund könne Bieri sich Englers Äusserungen voll und ganz anschliessen. Peter Bieri fügt an: «Die Thematik Wolf wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, da sich die Wölfe nicht mehr als Einzeltiere, sondern in Rudeln bei uns entwickeln und verbreiten werden.» Joachim Eder, Zuger FDP-Ständerat, war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

«Auf die Sorgen der direkt Betroffenen ist Rücksicht zu nehmen»

Da der Ständerat die Motion durchgewunken hat, wird sie in absehbarer Zeit zum Politikum in der grossen Kammer. Es zeichnet sich im Nationalrat ebenfalls ab, dass der Wolf kaum Verbündete hat. Die Ausnahme bildet der Luzerner Nationalrat Louis Schelbert (Grüne). «In meinen Augen sind die geltenden Bestimmungen und Massnahmen zum Herdenschutz und Umgang mit dem Wolf geeignet, um das Zusammenleben sinnvoll zu gewährleisten.» Es bestehe kein gerechtfertigter Grund, den Abschuss des Wolfs zu erleichtern, nur weil jetzt ein Bär Probleme mache. Relevant sei, dass die Herdenschutzprojekte ernsthaft umgesetzt würden. «Aus heutiger Sicht werde ich der Motion nicht zustimmen», so Schelbert und präzisiert, dass er es offen lasse, ob er die Motion ablehne oder sich seiner Stimme enthalte.

«Väter und Mütter sollen nicht Angst haben müssen, dass ihre Kinder während einer Wanderung plötzlich vom Wolf angegriffen werden»

Thomas Aeschi, Zuger SVP-Nationalrat

Eine andere Sicht vertritt Bruno Pezzatti, Zuger FDP-Nationalrat. «Ich bin für die Lockerung des Schutzes. Unser Land ist dicht besiedelt, weshalb auf die Sorgen und Anliegen der direkt betroffenen Kantone und Einwohner Rücksicht zu nehmen ist.»

Gar von «Gefährdung der öffentlichen Sicherheit» spricht Thomas Aeschi, Zuger SVP-Nationalrat. Auch aus touristischen Gründen sei Aeschi gegenüber der Lockerung gemäss Motionstext positiv eingestellt. «Die landwirtschaftliche Nutzung von Maiensässen und Alpen soll weiterhin möglich sein. Auch sollen Väter und Mütter nicht Angst haben müssen, dass ihre Kinder während einer Wanderung plötzlich vom Wolf angegriffen werden», so Thomas Aeschi.

«Der Schutz der Wölfe ist übertrieben und teuer»

Für Nationalratspräsident Ruedi Lustenberger spielt weniger der Handlungsbedarf sondern vielmehr der finanzielle Aspekt eine übergeordnete Rolle. «Der Schutz für Wölfe ist übertrieben und teuer.» Dieses Geld hätte man besser in die Forschung gegen das Eschensterben eingesetzt. «Ich unterstütze die Motion. Meiner Meinung nach könnte diese aber noch weiter gehen», so Lustenberger.

«Was der Wolf bisher angerichtet hat, geht über jeglichen Schutzbedarf hinaus», findet gar SVP-Nationalrätin Yvette Estermann aus Luzern. Die Schäden von Wölfen seien wirtschaftlich nicht mehr tragbar, weshalb sie die Motion als «nötig» einstuft. «Meine Zustimmung hat der Vorstoss. Ich finde jedoch, dass jeder Kanton selber für sich entscheiden sollte», so Estermann weiter.

«Wolfsfreie Zonen könnten nur mit verbotenen Mitteln durchgesetzt werden»

Britta Allgöwer, Direktorin Natur-Museum Luzern

«Ob wir es wollen oder nicht, der Wolf wird in absehbarer Zeit wieder fester Bestandteil unserer einheimischen Fauna sein. Dieser Herausforderung müssen wir uns mit Augenmass stellen», erklärt Britta Allgöwer, Direktorin des Natur-Museums Luzern. «Die Schaffung wolfsfreier Zonen geht allein aus Aufwandgründen nicht. Das würde ja bedeuten, dass man die Gebiete ständig kontrollieren müsste. Wolfsfreie Zonen könnten nur mit verbotenen Mitteln durchgesetzt werden, was auch den Haustieren schaden könnte. Von grösserem Nutzen hingegen ist eine Bestandesregulierung, die situativ angepasst wird», so Allgöwer.

Grössere Wolfsrudel, wie beispielsweise in Nordamerika, werde es hier kaum geben. «In Mitteleuropa bilden sich eher kleine Rudel bestehend aus Elterntieren und den diesjährigen und vorjährigen Jungtieren. Letztere wandern dann bald ab, wie der im Kanton Zürich überfahrene Jungwolf aus dem Calanda-Rudel zeigte», erklärt die Direktorin.

Auch der Herdenschutz findet im Vorstoss Erwähnung, der besonders für die Landwirte mit Nutztieren von grosser Bedeutung ist. Britta Allgöwer sagt dazu: «Das Argument, Herdenschutz sei aufwändig, teuer und funktioniere nicht immer, möchte ich an dieser Stelle nicht gelten lassen. Wichtig ist, dass man sich als Halter mit seinen Hunden für den Einsatz beim Herdenschutz entsprechend ausbildet. Heute besteht dazu die Möglichkeit, was auch behördlich unterstützt wird. Wir leben in einer Zeit, in der jede Berufsbranche sich an veränderte Produktionsbedingungen anpassen muss, um überleben und wirtschaften zu können. Warum soll die Landwirtschaft in dieser Beziehung eine Ausnahme bilden?»

«Wildtiere suchen die Nähe zum Menschen nicht»

Was bei der Diskussion auch stets mitschwingt, ist die Angst, dass der Wolf den Weg in besiedelte Gebiete schafft und somit eine Bedrohung für Menschen wird. «Der Wolf ist ein Wildtier und soll es auch bleiben. Grundsätzlich suchen die Wildtiere die Nähe zum Menschen nicht. Sie sind für ein sich selbst überlassenes Leben geboren», erklärt die Direktorin. Dabei sei der Mensch derjenige, der dies permanent unterlaufe, indem er Wildtiere jeglicher Art füttere und somit anlocke. «Das kann dazu führen, dass die Wildtiere ihre natürliche Scheu verlieren und abhängig vom Menschen werden.» Sobald das zutraulich gewordene Tier nicht mehr versorgt werde, könne es schliesslich zur Gefahr werden.

«Damit der Umgang mit dem Wolf in einem ausgewogenen Stil funktioniere, gehört der Schutz und das langfristige Management der Grossraubtiere ausschliesslich in die Hände der eidgenössischen und der kantonalen Jagdverwaltungen. Weder die Landwirtschaft, der Naturschutz noch die Jägerschaft darf dies in die eigenen Hände nehmen. Sonst entscheiden Partikularinteressen. Die gesetzlichen Grundlagen dafür liegen vor», resümiert Allgöwer.

«Die Motion suggeriert, dass man das Problem mit etwas ‹Schiesserei› lösen könne»

David Gerke, Präsident der Gruppe Wolf Schweiz und Schafhirte

David Gerke, Präsident der Gruppe Wolf Schweiz und Schafhirte, stellt sich entschlossen gegen das Vorhaben. «Die Motion ist der falsche Weg. Das Jagen ist grundsätzlich nicht geeignet, um Schäden zu verhindern.» Denn viele Wölfe würden nicht gleichzeitig mehr Schäden bedeuten. «Im Bündner Calanda-Gebiet lebt seit 2011 ein grösseres Rudel. Dort werden jedoch im Gegensatz zu anderen Gebieten, wo teilweise nur Einzeltiere leben, viel weniger Zwischenfälle verzeichnet», so Gerke.

Dass die Zahl der Wolfsrudel in der Schweiz ansteigen werde, davon ist David Gerke überzeugt. «Es ist auch richtig, Wölfe, die Nutztiere angreifen, abzuschiessen. Das ist ja heute bereits Praxis. Wölfe, die sich hingegen unauffällig verhalten, sollte man unbedingt in Ruhe lassen.» Denn der Wolf sei ein soziales und sehr lernfähiges Tier. «Ein Wolf, der keine Schafe reisst, gibt dieses Verhalten im Rudel weiter», erklärt Gerke, was einen langfristig positiven Effekt habe. Er resümiert: «Die Motion suggeriert, dass man das Problem mit etwas ‹Schiesserei› lösen könne.»

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Huib
    Huib, 20.08.2014, 17:52 Uhr

    Was fällt in viele Argumente verwendet wird, ist die Angst und Unwissenheit. Angst vor Angriffen auf Menschen ist äußerst unwahrscheinlich und selten berichtet. Ich komme aus die Niederlanden und gehe regelmäßig in die Schweiz als Tourist. Das Argument, dass die Wölfe würden Touristen abschrecken wird nicht auf Tatsachen beruhen. Ich und viele andere finden die Rückkehr des Wolfes ein bereichern die Landschaft und der Natur in der Schweiz. Ich muss jetzt nicht den ganzen Weg zu den Vereinigten Staaten für Wildnis, weil die Schweiz zu bieten hat. Ich denke, dass die Politiker täten gut daran, auch in Bezug auf Chancen und nicht nur Bedrohungen richtig denken. Es ist diese Haltung Intollerante gegen Raubtiere und Wiederherstellung der Ökosysteme sind in meinen Augen eine Bedrohung für den Tourismus. Denn wenn Switserland wählen Sie ein Land ohne Raubtiere, ich könnte in der Zukunft moglicherweis gehen nach benachbarte Frankreich und Italien, wo es moglich ist mit Wölfen zusammen zu leben und das Ökosystem viel mehr intakt und daher interessant für mich als Tourist is. Ich hoffe auf eine kluge und nachhaltige Entscheidung. Vielen Dank

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  • Profilfoto von Urs N
    Urs N, 10.08.2014, 14:50 Uhr

    In der Schweiz werden mehr Menschen durch Kühe getötet als durch Wölfe. Wird deshalb ebenfalls ein Anpassung des Jagdgesetzes verlagnt, um den Kuhbestand zu regulieren?

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