Luzern

Ein Kompromiss, der zu vieles offen lässt

Die Bruchstrasse ist in Luzern ein beliebtes Wohnquartier. (Bild: bra)

Die neue Bau- und Zonenordnung der Stadt Luzern ist kein Meisterwerk. In Hirschmatt, Neustadt und Bruch werden die Wohnanteile geringer. Die Stadt habe mit dieser Planung eine Chance vertan, glaubt Hochschuldozent Stephan Käppeli.

Ist die neue Bau- und Zonenordnung (BZO) für die Stadt Luzern der grosse Wurf oder das Gelbe vom Ei? Es gibt berechtigte Zweifel, obwohl das Dokument den politisch-parlamentarischen Weg hinter sich hat. Nicht nur wegen den Hochhäusern und der von den Hoteliers bekämpften Tourismuszone.

Weit bedeutungsvoller in dieser Stadt sind die Wohnanteile. Genau diese sind jedoch in der neuen BZO nicht mehr gleich gut gesichert. Die Bau- und Zonenordnung gibt vor, wo gewohnt und wo gearbeitet werden soll. Doch die Bestimmungen dazu sind diffus, zu wenig griffig. Sie überlassen vieles dem Markt, respektive der Laune der Grundeigentümer.

«Die BZO hat für die Stadtentwicklung eine zentrale Bedeutung», schrieb alt Baudirektor Kurt Bieder im Bericht zur öffentlichen Auflage der neuen Bau- und Zonenordnung im Sommer vor zwei Jahren. Inzwischen ist verhandelt worden, intensiv, auf allen Ebenen. Und am 9. Juni kommt das Werk BZO zur Volksabstimmung.

«Wir haben die Kröte geschluckt»

Was jetzt in Sachen Wohnanteile auf dem Tische liegt, ist ein Kompromiss, zu dem wesentliche Spieler in dieser Stadt Ja gesagt haben. Der Stadtrat, die politischen Parteien, die Sozialdemokraten ohne Begeisterung. «Wir haben die Kröte geschluckt», sagt zum Beispiel SP-Grossstadtrat Nico van der Heiden, «weil wir andere Ziele in der BZO erreicht haben.» Einverstanden war auch der Mieterinnen- und Mieterverband. Geschäftsführer Beat Wicki: «Es sind beide etwas entgegengekommen, die Stadt und unser Verband.»

Die Wohnanteile waren in der alten BZO im Artikel 12 umschrieben. Ganz wichtig in der Stadt Luzern sind die zentralen Wohnquartiere Hirschmatt, Neustadt und Bruchstrasse, wo es neben teuren auch noch günstige Wohnungen gibt. Das waren die Wohnanteilzonen 2 und 3. Hier schrieb die BZO vor, dass «das Volumen oberhalb des ersten Obergeschosses Wohnzwecken zu dienen hat» (Zone 2), oder «oberhalb des zweiten Stockwerkes» (Zone 3).

Dem Grundeigentümer überlassen

In der neuen BZO gibt es keinen Abschnitt zu den «Wohnanteilen» mehr. Hirschmatt, Neustadt und Bruchstrasse befinden sich jetzt in der grossen Wohn- und Arbeitszone. Und der betreffende Gesetzesparagraph heisst so: «In der Wohn- und Arbeitszone (WA) ist bei Bauten mit vier oder mehr Vollgeschossen im Minimum die Fläche in der Grösse von zwei Vollgeschossen und eines allfälligen Attika- oder Dachgeschosses von allen für Wohnzwecke geeigneten Bauten als Wohnraum und die Fläche in der Grösse eines Vollgeschosses für Dienstleistungs- und Gewerbebetriebe zu nutzen. Ab sechs Vollgeschossen erhöht sich der Wohnanteil auf die Fläche in der Grösse von drei Vollgeschossen und eines allfälligen Attika- oder Dachgeschosses.»

Einfach formuliert heisst das: In einem fünfstöckigen Haus in der Hirschmatt muss auf zwei Stockwerken und allenfalls im Dachgeschoss gewohnt und auf einem Stockwerk gearbeitet werden. Das ist die Minimalvorschrift. Alles weitere ist offen, respektive dem Hausbesitzer oder Grundeigentümer überlassen. Der frühere Wohnanteilplan erlaubte keine geschäftliche Nutzung über dem ersten oder zweiten Stockwerk.

Weniger wohnen, mehr arbeiten?

Für Beat Wicki vom Mieterinnenverband ist das Ganze eine Mischrechnung. «Es kann in einem Quartier weniger Wohnanteile geben, aber gesamthaft wird man beim aktuellen Stand bleiben.» In den Verhandlungen mit dem Stadtrat hätten konkrete Zahlen über Wohnungen und Geschäftsräume gefehlt. Diesen Mangel kritisierte auch die SP/JUSO-Fraktion und reichte deshalb eine Interpellation ein. «Für die politische Diskussion wäre es hilfreich, die Auswirkungen dieses Kompromisses aufzeigen zu können», heisst es im Vorstoss.

In der Antwort des Stadtrates vom September werden dann die neu möglichen Nutzungsanteile für Wohnen und Arbeiten mit den Anteilen in den früheren Wohnanteilzonen verglichen. Und da zeigt sich Erstaunliches: In der Wohnanteilzone 2 zum Beispiel (Hirschmatt, Bruchstrasse) geht der maximale Wohnanteil in einem Bau mit fünf Stockwerken und einem Attikageschoss von 100 auf 82 Prozent zurück und der Arbeitsanteil steigt von 35 auf 53 Prozent.

Mischrechnung macht nicht glücklich

SP-Interpellant Nico van der Heiden zu diesen Zahlen: «Die Datengrundlage der Stadt ist ungenügend. Es gibt zum Beispiel keine Zahlen über Wohnungen und Büros in einem bestimmten Gebiet. Wenn in der Hirschmatt etwas verändert wird, lässt sich nichts beweisen. Man kann allenfalls die neuen Büros sehen, mehr nicht.»

Immerhin: Eigentliche Umnutzungen geschehen nur bei Neubauten oder neubauähnlichen Renovationen. Die SP sei nicht glücklich mit dieser Mischrechnung. Die Fraktion habe dem Kompromiss zwar zugestimmt, die Parteibasis allerdings werde vor der Volksabstimmung noch die Parole beschliessen müssen.

Für mehr Flexibilität

Ruedi Frischknecht, Leiter Stadtentwicklung auf der Baudirektion und eigentlicher «Vater» der Bau- und Zonenordnung, betont, es sei ein bewusster Entscheid des Stadtrates gewesen, in der Wohn- und Arbeitszone eine gewisse Flexibilität für die Nutzung zu erreichen. Damit liessen sich auch konjunkturelle Schwankungen besser auffangen. «In den zentralen Gebieten soll man wohnen und arbeiten können.» Auch Korintha Bärtsch, Fraktionssprecherin der Grünen, stützt diese Durchmischung. «Das ist gut für eine lebendige Stadt der kurzen Wege.»

Verdrängung von Wohnraum

Aus beruflichem Interesse hat sich Stephan Käppeli (49) mit dem Planungswerk befasst. Er ist Dozent am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie der Hochschule Luzern und bezeichnet sich als parteilos. «Wenn am Wohnort so etwas geschieht, verfolgt man das mit Interesse.» Käppeli ist in der Hirschmatt aufgewachsen und wohnt jetzt über dem Bruchquartier.

«Die neue BZO mit den lockeren Bestimmungen kann zur Verdrängung von Wohnraum in diesen Quartieren führen», sagt Käppeli. Mit Erstaunen hat er die Antwort des Stadtrates auf die SP-Interpellation zur Kenntnis genommen, die klar aufzeigt, dass der Wohnanteil zum Beispiel an der Bruchstrasse reduziert wird. Und vom Mischsystem über die ganze Stadt hält er nicht viel: «Dieses wird der spezifischen Situation im Bruchquartier, der Hirschmatt und der Neustadt nicht gerecht.»

Die Kritik von Stephan Käppeli zielt jedoch in zwei Punkten aufs Grundsätzliche. «Die Planungsarbeit für die BZO ist in den Jahren 2007 bis 2012 gelaufen, in einer Zeit mit völlig anderen Rahmenbedingungen.» Erstens empfindet es Käppeli als grotesk, dass sich die BZO nur auf das Gebiet der alten Stadt Luzern beschränke, obwohl in der Planungsphase die Fusion mit Littau stattgefunden habe. «Es gibt so keine Raumplanung über das ganze neue Stadtgebiet. Die Chancen der Fusion bleiben in der BZO ungenutzt.»

Zum Zweiten orientiere sich die neue BZO an der Zielsetzung, dass in Luzern neue Unternehmen mit neuen Arbeitsplätzen angesiedelt würden. «Das geht so nicht mehr gleich auf. Weil der Kanton die Unternehmenssteuern stark gesenkt hat, werden die neuen Unternehmen nur noch einen Bruchteil des damals erhofften Steuerertrages bringen.» Käppeli erachtet das Planungsinstrument der Bau- und Zonenordnung deshalb als «überholt und eine verpasste Chance».

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4 Kommentare
  • Profilfoto von David
    David, 14.05.2013, 22:32 Uhr

    Danke für die prompte Antwort.

    Vielleich hilft ein Blick auf den bisherigen Wohnanteilplan ( http://www.stadtluzern.ch/dl.php/de/0cu4z-a0m04x/Wohnanteil.pdf ) dabei zu verstehen, was wir meinen, wenn wir von der Reduktion des Wohnanteils in der Innenstadt sprechen.

    Überall dort auf der Karte wo nämlich eine «2» steht, würde der Wohnanteil mit der neuen BZO sinken.

    Überall dort wo es blau ist (und das Gebäude mehr als dreistöckig ist), besteht neu ein Mindest-Gewerbeanteil der bisher nicht bestand und der bei Neu- und grösseren Umbauten zwangsmässig zur Anwendung kommt.

    Einzig da wo keine Buchstaben oder Zahlen in blauen Gebiet stehen wird der Schutz neu theoretisch erhöht, falls es sich um ein Gebäude mit fünf oder mehr Geschossen handeln sollte.
    Wie aber leicht zu erkennen ist, betrifft dies grossmehrheitlich keine innerstädtischen Gebiete. Vielmehr sind es mehrheitlich Gebiete in Aussenquartieren, in denen der Wohnraum (im Gegensatz zur Innenstadt) weniger bedroht ist.

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  • Profilfoto von Mark Schmid Praes. MV Luzern
    Mark Schmid Praes. MV Luzern, 14.05.2013, 16:41 Uhr

    Für das Versehen bezüglich W2 und W3 bitte ich um Entschuldigung. Hätte ich wie David Stalder die Interpellation hervorgeholt, hätte ich das feststellen können. Mit den Zahlen der Interpellation wird die Sache aber noch viel deutlicher. Die «übrige Wohn- und Arbeitszone ist diejenige, die unter der alten nicht unter Wohnanteilplan stand. Diese Fläche, und das ist bestimmt die grösste (das weiss ich jetzt nach der Konsultation der Interpellation: 60 ha gegenüber den 30 und 13) unterliegt neu einem höheren Schutz des Wohnanteils: 1 Geschoss mehr bei 4 und 5 Geschossen, 2 Geschosse mehr bei 6 und mehr Geschossen.
    Und damit bleibe ich auch bei den Schlussfolgerungen und halte an allen weiteren Aussagen fest.

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  • Profilfoto von David
    David, 14.05.2013, 16:05 Uhr

    Mark Schmids Kommentar enthält zahlreiche Fehler. Daher kommt er auch zu einer falschen Schlussfolgerung.

    So behauptet er beispielsweise, die alte WA2-Zone sei kleiner als die alte WA3-Zone. Das ist Unsinn. Die alte WA2-Zone ist mit 30.1 ha mehr als doppelt so gross wie die alte WA3-Zone (13.2 ha).

    Die Aussage, dass in der (kleinen, nicht grossen!) WA3-Zone ein Geschoss Schutz gewonnen werde trifft zudem einzig und alleine auf fünfgeschossige Gebäude zu. Bei allen anderen Gebäudehöhen bleibt der Schutz gleich oder wird sogar reduziert.

    In der (grösseren, nicht kleineren!) WA2-Zone wird hingegen der Schutz in allen Gebäudehöhen reduziert (ausser fünfgeschossige, da bleibt er gleich).

    Dazu kommt, dass nun fast überall ein Minimum von ca. 20% Geschäftsflächen vorgeschrieben wird, wo bisher auch reine Wohngebäude möglich waren. D.h. es wird nicht nur der Schutz reduziert, sondern eine aktive Verdrängung von Wohnraum postuliert.

    (Die erwähnten so genannten «weiteren Wohn- und Arbeitszonen» sind ein rhetorisches Fantasiekonstrukt des Stadrats und haben mit der Innenstadt und der «Wohn- und Arbeitszone» der neuen BZO ohnehin nichts zu tun.)

    Das lässt sich alles in städtischen Dokumenten (u.a. Antwort auf Interpellation Nr. 338 2010/2012) nachlesen.

    Man muss sich schon fragen, wieso ein Vertreter des MiterInnenverbands ein Plädoyer gegen die Interessen der MieterInnen hält. Zudem noch ein derart fehlerhaftes.
    Ist er einfach zu wenig informiert oder versucht er die Tatsache schönzureden, dass der MV nicht verhindert hat, dass seine Klientel in der neuen BZO benachteiligt wird?

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  • Profilfoto von Mark Schmid Praes. MV Luzern
    Mark Schmid Praes. MV Luzern, 13.05.2013, 14:51 Uhr

    Neu an der BZO ist wirklich, dass 1 Geschoss in der Wohn- und Arbeitszone dem Arbeiten vorbehalten sein sollen (nach Neubau oder Gesamtsanierung). Das ist in einer Wohn- und Arbeitszone in der Innenstadt nicht unlogisch und für die Durchmischung auch gut. Die geschützten Mindestanteile für Wohnen (und nur zu diesen gab und gibt es Angaben in der alten und der neuen BZO) halten sich in den innerstädtischen Quartieren in etwa die Waage (in der kleineren WA2-Zone geht 1 Geschoss Schutz verloren,, in der grösseren WA3-Zone wird teilweise sogar ein Geschoss Schutz gewonnen). In den weiteren Wohn- und Arbeitszonen wird der Schutz um 1 – 2 Geschosse ausgedehnt. Unter dem Strich kommen in der Stadt sogar mehr Wohnungen unter Wohnanteil-Schutz.
    Weiter entscheidend war für die Einschätzung des MV, dass in der neuen BZO auch der Ortsbild-Schutz verstärkt wird, was es erschwert, die bestehenden und charakterbildenden Wohnbauten durch Renditebauten zu ersetzen.
    Positiv hinzu kommen die neuen, zusätzlichen Möglichkeiten für die gemeinnützigen Wohnbauträger. Damit steigt deren Angebot an tendenziell günstigeren und vor allem der Spekulation entzogenen Wohnungen.
    Unter dem Strich kam der Mieterinnen- und Mieterverband aus Sicht der Wohnstadt zu einem positiven Fazit bezüglich der neuen BZO.

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