Zuger Gesetz über IMSI-Catcher

«Das führt zum absoluten Überwachungsstaat»

Kameras auf öffentlichen Plätzen sollen nicht mit Geräten kombiniert werden dürfen, die Passanten anhand ihrer Smartphones identifizieren können.

(Bild: phbaer/istockphoto)

Kantonsrat Philip C. Brunner fordert ein Verbot der Kombination von Videokameras und einem Gerät, dass Menschen anhand ihrer Smartphones identifizieren kann. Denn damit werde der Bürger komplett gläsern. Braucht Zug einen Einzelweg? Und kann die Polizei mit dem Gerät tatsächlich ohne Gerichtsbeschluss Menschen überwachen?

«Ich bin da per Zufall drauf gestossen», sagt der Zuger SVP–Kantonsrat Philip C. Brunner, «und sonst hat es auch keiner bemerkt.» Die Rede ist vom Gebrauch von sogenannten IMSI-Catchern in der Polizeiarbeit: Die neuartigen Geräte können Handybenutzer identifizieren, indem sie ein Telefonnetz vorgaukeln. Dabei lässt sich die individuelle Nummer eines Mobiltelefons ausfindig machen, die sogenannte International Mobile Subscriber Identity. Die Geräte können aber auch Gespräche mitschneiden und sie lassen sich mit geringen Kosten im Handel auch von Privaten anschaffen. Es gebe noch keine gesetzliche Regelung dafür, sagt Brunner. Die Geräte werden allerdings schon eingesetzt: Die Zürcher Kantonspolizei hat zwei Geräte angeschafft, und das Bundesamt für Polizei arbeite schon länger mit IMSI-Catchern, vor allem in der Vermisstensuche, schreibt die «NZZ».

«Über 1984 sind wir schon lange hinausgewachsen»

Brunner will mit einem Antrag nun verhindern, dass solche IMSI–Geräte im Kanton Zug in Zusammenhang mit der Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen zum Einsatz kommen. «Das müssen wir verhindern. Sie müssen sich vorstellen: Wenn Video-Überwachung mit solchen Geräten kombiniert wird, dann kann jederzeit festgestellt werden, wer gerade wo durchläuft. Das führt zum absoluten Überwachungsstaat.» Die Polizei dürfe ohne Gerichtsbeschluss mit solchen Geräten quasi Massen-Überwachung betreiben, sagt Brunner. Wer hinter dem Bildschirm einer Überwachungskamera sitzen würde, könnte mit einem IMSI-Catcher jederzeit herausfinden, wer da gerade durchläuft, oder eine bestimmte Person gezielt verfolgen: «Damit sind wir über den Überwachungsstaat im Roman «1984» schon lange hinausgewachsen. Ich fürchte einfach, wenn wir das verpassen, haben wir den komplett gläsernen Bürger.» Brunner reicht deshalb seinen Antrag im Zusammenhang mit dem Videogesetz ein, das am nächsten Donnerstag zum zweiten Mal im Kantonsrat gelesen wird. «Der Kanton Zug muss hier, solange es keine bundesweite Regelung gibt, aktiv werden.» Das Videogesetz biete Gelegenheit dazu, da es kein spezifisches Gesetz über IMSI-Catcher gebe.

Zuger Polizei hat Zugriff auf einen IMSI-Catcher

Mit seiner Aktion steht Brunner allerdings etwas alleine da: «Da können die Meinungen auseinander gehen. Man hat mir auch schon gesagt, du willst ja nur die Polizeiarbeit erschweren. Aber darum geht es nun überhaupt nicht. Sondern darum, eine Massenüberwachung abzuwenden.»

Sicherheitsdirektor Beat Villiger will auf Anfrage keine Auskunft zum Thema geben, er wolle die Debatte im Kantonsrat abwarten, bevor er dazu Stellung nehmen könne. Marcel Schlatter von der Zuger Polizei sagt: «Wir haben kein eigenes Gerät, aber wir können auf externe Geräte zugreifen, wenn wir eines benötigen.» Wie oft und aus welchen Gründen ein IMSI-Catcher in Zug eingesetzt worden sei, könne er nicht sagen: «Wir wollen der politischen Diskussion nicht vorgreifen», sagt Schlatter.

Macht Zuger Lösung Sinn?

Offenbar erwischt Brunner die Zuger Politik mit seinem Antrag unvorbereitet. «Wir sind auch im Kantonsrat etwas naiv, was solche neuen Entwicklungen angeht», sagt Brunner, «und da zähle ich mich auch selber mit dazu. Wir müssen aber auf der politischen Ebene mit moderner Technologie mithalten können.»

Während der Zuger SVP–Kantonsrat versucht, die Debatte zu den IMSI-Catchern über das Videogesetz zu führen, wird im Nationalrat derzeit über die Revision des Büpf (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post und Fernmeldeverkehrs) abgestimmt. Die Vorlage ist umstritten, eine Allianz der Jungparteien aller Couleur stemmt sich mit einer Petition dagegen. Der Ständerat hat die Revision im März durchgewunken. Sie würde den Einsatz von IMSI-Catchern schweizweit erlauben. Macht eine Zugerische Lösung denn überhaupt Sinn? «Naja, wenn es eine schweizweite Lösung gibt, dann ist sie der Zugerischen klar übergeordnet», sagt Brunner, «aber ich möchte ja vor allem, dass IMSI-Catcher nicht mit Video-Überwachung gekoppelt werden dürfen, und dabei könnte Zug nun auch eine Vorreiterrolle übernehmen.»

Flächendeckende Überwachung erlaubt oder nicht?

Der Datenschutzbeauftragte des Kantons Zug widerspricht: «Die Thematik der IMSI-Catcher wird momentan im Nationalrat bei der Revision des Büpf besprochen, und wenn die Räte eine Reglementierung des Gebrauchs von IMSI-Catchern ausarbeiten, würde eine Zuger Lösung obsolet», sagt René Huber. Zudem sei der Gebrauch schon jetzt reglementiert: «Im Rahmen des Fernmeldegesetzes ist auch der Gebrauch dieser Geräte geregelt: Wenn Sie so ein Gerät betreiben, dann simulieren Sie ja einen Provider. Sie stellen quasi eine Natel-Antenne auf. Und dafür braucht es eine Bewilliung. Ich darf also als Privatperson nicht einfach so einen Catcher kaufen und aufstellen.» Zu Brunners Befürchtung, die Polizei könne ohne richterlichen Beschluss mit solchen Catchern ganze Gebiete überwachen, sagt Huber: «Das ist nicht möglich: Dass die Polizei einfach findet, wir überwachen jetzt mal die Rössliwiese und schauen, wer alles da ist. Das geht nicht, das ist im Büpf auch jetzt schon geregelt.»

Laut Recherchen der «Schweiz am Sonntag» ist das allerdings nur die halbe Wahrheit: Es gebe im Büpf Schlupflöcher, die der Polizei erlaubten, nicht nur die Daten der Person zu sammeln, deren Überwachung durch richterlichen Beschluss erlaubt ist, sondern auch die Daten aller Personen, die sich in ihrer Nähe aufhalten. Denn das Gerät sammelt diese Daten automatisch mit, und die Identifizierung solcher mitgesammelter Personendaten über den IMSI-Code der Telefone sei ohne richterlichen Beschluss möglich, schreibt die Zeitung. Deshalb könne die Polizei trotz Büpf ohne Verdacht oder richterlichen Beschluss Menschen überwachen. Huber ist anderer Meinung: Die Polizei dürfe nur bei Notsuche oder im Rahmen von Strafverfolgungen mit richterlichem Beschluss IMSI-Catcher einsetzen. «Nicht aber zur flächendeckenden Überwachung», so der Datenschutzbeauftragte.

«Google weiss es»

Huber ist deshalb überzeugt, die Zuger müssten sich nicht davor fürchten, dass die Polizei jederzeit wissen könnte, wo sie sich aufhalten. «Aber Google weiss es natürlich», sagt Huber und lacht, «und viele andere Anbieter von Programmen, die Sie auf Ihr Smartphone heruntergeladen haben, wissen ebenfalls jederzeit, wo Sie sich befinden. Und das ist legal, weil Sie ja beim Herunterladen der App das Recht erteilt haben, dass der Anbieter der App Ihren Standort aufzeichnet und diesen allenfalls sogar auch an Dritte weitermeldet.»

 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Stefan Gisler
    Stefan Gisler, 24.06.2014, 16:37 Uhr

    Die Alternativ-Grüne Fraktion im Kantonsrat stützt die Anträge von KR Brunner, dass Handyüberwachungssysteme nicht an die Videoüberwachung gekoppelt werden und dass Drohnen nur eingeschränkt eingesetzt werden dürfen. Zudem hatten wir in der 1. Lesung zahlreiche Anträge für strengere Auflagen zum Schutze der Privatsphäre der unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger eingebracht – z.B. höhere Auflagen bei der Zulassung und Verlängerung von Videoüberwachungen oder die Auflage, dass Gemeinden nicht «Hinz und Kunz» mit der Auswertung betrauen dürfen. Leider ohne Erfolg. So bleibt denn wohl nur die Ablehnung, wollen wir nicht die Basis für «Big Brother Zug» legen. Zug muss sich verstärkt engagieren in Prävention, sichtbare Polizeipräsenz und Zivilcourage – Kameras verhelfen zu Scheinsicherheit.

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