Planung zu Industriestrasse-Areal

Vertreibung von Kultur und Kleingewerbe befürchtet

Die Industriestrasse soll in den nächsten Jahren überbaut werden. (Bild: Emanuel Ammon / AURA)

Der Luzerner Stadtrat hat die Ausschreibungskriterien für die Abgabe des Areals Industriestrasse definiert. Er verlangt einen Anteil an Familienwohnungen von 30 Prozent und dass die Kriterien der 2000-Watt-Gesellschaft-Zerfizierung erfüllt werden. Die IG Industriestrasse und die SP Luzern sind nicht zufrieden. Hauptvorwurf: Der preisgünstige Wohnungsbau komme zu kurz.

Der Bericht ist brisant. Der Stadtrat musste Farbe bekennen, wie er einerseits die Forderungen der 2012 von den Stadtluzernern angenommenen Initiative «Ja zu einer lebendigen Industriestrasse» und des 2013 durchgeführten partizipativen Prozesses umsetzen will. Also wo er Vorgaben an die Investoren und wo er nur Empfehlungen abgibt. Denn jede Auflage kann ein Bauprojekt verteuern. Auf der anderen Seite bilden die Ausschreibungskriterien für interessierte Wohnbaugenossenschaften eine Grundlage für ihre Investitionsentscheide.

Nur wenige Vorgaben

«An der Industriestrasse soll ein lebendiges Wohn- und Arbeitsquartier mit einer eigenständigen Identität und bezahlbaren Wohnungen entstehen», schreibt der Stadtrat. Damit dies gelinge, müsste der künftige Wohnbauträger unter anderem dafür sorgen, dass der Anteil an Familienwohnungen mindestens 30 Prozent betrage.

Eine weitere Vorgabe: Das Gebäude an der Industriestrasse 9 muss erhalten bleiben; das so genannte Chäslager, wo heute Künstlerateliers untergebracht sind, ist im städtischen Bauinventar als erhaltenswert eingetragen. Die künftige Bebauung an der Industriestrasse müsse ausserdem so realisiert werden, dass sie die Kriterien für das 2000-Watt-Gesellschaft-Zertifikat erfüllt.

Viele Empfehlungen

Neben diesen Vorgaben hat der Stadtrat Empfehlungen an den künftigen Wohnbauträger formuliert. Dazu gehören unter anderem ein breites Wohnungsangebot von 2,5- bis 5,5-Zimmerwohnungen für verschiedene Lebensformen, flexible Flächen für Gewerbe, Dienstleistungen und die Kreativwirtschaft sowie die Realisierung von Wohnateliers und künstlerischen Produktionsstätten. «Die Wohn- und Baugenossenschaften müssen in ihren Konzepten aufzeigen, ob sie diesen Empfehlungen nachkommen und wie sie diese umsetzen wollen», sagt die Luzerner Baudirektorin Manuela Jost (GLP).

«Am partizipativen Prozess wurde auch diskutiert, ob die in der Bau-und Zonenordnung vorgesehene Bebauungsstruktur optimal ist. Es könnte unter Umständen von Vorteil sein, wenn auf dem Areal eine grössere Fläche als vorgesehen, dafür weniger hoch gebaut werden könnte», sagt Jost. Dazu müsste die Bau- und Zonenordnung angepasst werden, was die Realisierung der Überbauung um rund eineinhalb Jahre verzögern würde. Wohn- und Baugenossenschaften, die diese Möglichkeit in Betracht ziehen, müssen in ihrem Angebot darlegen, wie sie diese Option umsetzen wollten.

Noch offen sei, wie der Baurechtszins berechnet wird. Die Stadt hat für die Abgabe im Baurecht einen Landwert von minimal 12,96 Millionen Franken festgelegt. Zurzeit erarbeitet sie in Zusammenarbeit mit dem «G-Net» ein Modell, das in Zukunft grundsätzlich bei Abgaben von Grundstücken im Baurecht an Wohn- und Baugenossenschaften angewendet werden soll. Ziel sei es, dass bis zur Ausschreibung des Areals im Sommer 2014 ein Kriterienkatalog vorliegt, in dem die Eckpunkte für Baurechtsverträge definiert seien.

IG: «Keine Vertreibung von Kultur und Kleingewerbe!»

Die IG Industriestrasse begrüsst den Bericht im Grundsatz. «Es sind einige Punkte aus dem partizipativen Prozess eingeflossen», sagt IG-Pressesprecher Philipp Ambühl. Wesentliche Punkte seien aber nicht definiert. «Der Baurechtszins ist viel zu hoch bewertet. Wir fordern, dass der Buchwert des Grundstücks zur Berechnung verwendet wird.» Ambühl spricht von 6,4 Millionen Franken, mit denen das Areal in den Büchern stehe, also die Hälfte des von der Stadt genannten Landwerts.

Der hohe Bauzins führe ansonsten zu teureren Wohnungen. «Die soziale Durchmischung im Quartier sollte erhalten bleiben. Mit einer Gewinnmaximierung kann das nicht erfüllt werden», sagt der IG-Pressesprecher. Die IG fordert ausserdem eine Etappierung der Überbauung, damit die so genannte Porzellanfabrik erhalten werden kann. Gemäss Bericht soll die ehemalige Fabrik, die heute von Kulturschaffenden benützt wird, abgebrochen werden. Erhalten will die Stadt bloss das denkmalgeschützte «Chäslager». Das Kleingewerbe und die Kultur würden ihren Platz verlieren, wenn die Porzellanfabrik verschwinde, sagt Philipp Ambühl.

Der vom Stadtrat empfohlene Verzicht auf eine etappierte Weiterentwicklung des Areals (mittelfristiger Erhalt Porzellanfabrik) vernichtet laut IG fast 3000 Quadratmeter an preisgünstigen Atelier- und Gewerberäumen. Da bezahlbare Ateliers in der Stadt Mangelware seien, würde dies den Wegzug von diversen KulturpreisträgerInnen, lokalem Kleingewerbe und prämierter Kreativwirtschaft führen. «Ob beispielsweise die Luzerner Weihnachtsbeleuchtung weiterhin in Luzern entsteht, der Kulturkopf 2012 auch in den nächsten Jahren hier arbeitet und wo künftig die prämierten Möbel einer Curling-Weltmeisterin entstehen hänge nicht zuletzt von dem mittelfristigen Erhalt der Porzellanfabrik ab.», schreibt die Gruppe. Eine Etappierung ist laut der IG notwendig, damit kulturelle und gewerbliche Nutzungen auch während der Bauphase weiterhin möglich seien. Gemäss einer Machbarkeitsstudie der IG Industriestrasse ist eine Etappierung ohne Probleme umsetz- und auch finanzierbar. Die IGI fordert, dass als städtische Vorgabe ein wesentlicher Anteil der Gewerbe- und Atelierräume sehr preisgünstig angeboten wird. Auch dies sei aber nur realistisch, wenn eine etappierte Bauweise zugelassen werde.

Für Ökologie, aber gegen Verteuerung

Im Clinch liegen die Mitglieder der IG Industrie bei einer weiteren Bauvorgabe. Der Stadtrat verlangt, dass die künftige Bebauung an der Industriestrasse so realisiert wird, dass sie die Kriterien für das 2000-Watt-Gesellschaft-Zertifikat erfüllt. Auf der einen Seite sei man für ökologisches Bauen und wenig Autoverkehr. Die Vorgaben würden die Wohnungen aber verteuern, findet Ambühl.

Die SP Luzern begrüsst, dass es endlich weitergeht an der Industriestrasse. Grund für die Verzögerung sei der von der FDP verlangte und nun vorliegende Planungsbericht. Viele Forderungen, welche die SP im partizipativen Prozess eingebracht habe, seien übernommen worden. «Eine autoarme 2000-Watt-Siedlung unter Einbezug bestehender Bauten, mit einem hohen Anteil an Familienwohnungen, mit Gemeinschaftsräumen, mit einem Kindergarten und mit innovativen Wohnformen entspricht den Anforderungen an ein modernes Quartier», schreiben die Sozialdemokraten.

SP: Vorgaben für günstigen Wohnraum fehlen

Die SP vermisst aber, wie die IG Industriestrasse, den klaren Fokus auf preisgünstigen Wohnraum und preisgünstige Kultur- und Gewerberäume. «Es finden sich bei den Ausschreibungskriterien leider keine Vorgaben, dass preisgünstige Wohnungen und Räume angeboten werden müssen», schreibt die SP.
Dies könnte laut SP mit einer etappierten Bauweise, durch stärkere Verdichtung oder einem tieferen Ausbaustandard problemlos erreicht werden. Und natürlich spiele der Baurechtszins eine wichtige Rolle. «Es ist absurd, wenn dieser bei der Wahl des Bauträgers noch höher gewichtet werden soll (neu 50 Prozent) als beim früher abgeschmetterten Allreal-Projekt (damals nur 40 Prozent).»
Damit es zu keinem «erneuten Scherbenhaufen» an der Industriestrasse kommt, müssten die Ausschreibungskriterien in den oben genannten Punkten überarbeitet werden.

Baudirektorin Manula Jost will sich zur geäusserten Kritik nicht äussern. «Mit den Fraktionen werden wir im Rahmen der Baukommission diskutieren, nicht über die Medien», sagte sie zentral+.

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