Hochwasserschutz Kanton Luzern

Renaturierung der Reuss bedroht die Existenz mehrerer Bauern

Bei Gisikon wird die Reuss zu beiden Ufern von Siedlungen begrenzt. Vor und nach diesem Abschnitt soll die Reuss mehr Platz erhalten. (Bild: mag)

Der Kanton Luzern will den Flusslauf der Reuss ausbauen. Damit soll der Hochwasserschutz im Reusstal verbessert und der Flussraum renaturiert werden. Betroffenen Bauern, die für die Realisierung dieser Massnahmen Land abgeben müssen, sind empört. Sie haben sich mit gelegentlichen Überflutungen arrangiert.

«Mehrere Generationen haben dieses Land schon bewirtschaftet. Jetzt will der Kanton den Bauern ihre Existenz wegnehmen.» Kaspar Kretz ist aufgebracht. Der Bauer aus der Luzerner Gemeinde Honau beackert direkt an der Reuss fünf Hektaren Kulturland. Kretz wäre in diesem Gebiet am stärksten von der geplanten Renaturierung der Reuss betroffen. Er meint, diese sei für den Hochwasserschutz überhaupt nicht notwendig. «Die Reuss hat genug Platz», ist Kretz überzeugt. Und: «Der Landverschleiss für die geplante Renaturierung passt nicht zum Anliegen für mehr Kulturlandschutz und Ernährungssicherheit.»

Da sind der Kanton Luzern und am Projekt beteiligte Ingenieure anderer Meinung. Im Bericht zum Hochwasserschutz und der Renaturierung der Reuss, den der Kanton 2011 veröffentlichte, heisst es: «Betrachtet man den Ist-Zustand, existieren Defizite in allen drei Bereichen.» Gemeint sind damit der Hochwasserschutz, Ökonomie und Ökologie. Das «grösste Defizit» stelle dabei die Hochwassersicherheit dar. «Insgesamt ist an der Reuss heute ein erhebliches Schutzdefizit vorhanden», steht weiter im Bericht.

Kanton kämpft mit finanziellen Problemen

Das Projekt «Hochwasserschutz und Renaturierung Reuss» sorgte bereits mehrmals für Schlagzeilen, zuletzt Anfang April. Das Problem: Der Kanton kann zwischen 2014 und 2016 anstehende Investitionen in den Schutz vor Hochwassern nicht tätigen. Es stehen ihm dafür nicht genügend Mittel zur Verfügung.

Das zuständige Departement wurde deshalb beauftragt, einzelne Teile im Projekt «Hochwasserschutz und Renaturierung Reuss» zu priorisieren. Dadurch wird die Lücke bei der Finanzierung zwar im Zeitraum 2014 bis 2016 fast geschlossen. Ab 2017 beträgt die fehlende Summe aber über 400 Millionen Franken.

Die seit dem letzten grossen Hochwasser 2005 geforderte Revision des Wasserbaugesetzes steht immer noch aus. Regierungsrat Robert Küng will das neue Wasserbaugesetz 2015 dem Kantonsrat vorlegen. Darin soll aufgezeigt werden, wie der Kanton den Hochwasserschutz finanzieren will.

Mit dem Ausbau des Hochwasserschutzes will der Kanton Luzern in erster Linie die Abflusskapazität der Reuss erhöhen. Dadurch könne die Bevölkerung vor einem neuen Hochwasser geschützt werden, wobei der Ausbau auch neue Erholungsräume schaffe und das Reusstal «stark» aufwerte, lautet die Zusammenfassung der Autoren des Berichts zum Hochwasserschutz.

Keine Klagen wegen Hochwassern

Auslöser für das gut 160 Millionen Franken teure Bauprojekt war das grosse Hochwasser im Jahr 2005. Dieses richtete entlang der Kleinen Emme und der Reuss Schäden in der Höhe von 345 Millionen Franken an. Die Reuss trat auch in Honau über die Ufer und überflutete das Kulturland von Bauer Kaspar Kretz. Er sagt rückblickend: «Das Hochwasser damals war nicht so schlimm.» Allgemein hielten sich die von Hochwassern verursachten Schäden in Grenzen. Es sei zwar jeweils Kulturland, nicht aber Gebäude betroffen, so Kretz weiter.

Wer meint, die Bauern an der Reuss litten unter den Überschwemmungen, der irrt. «Wir leben damit», sagt Otto Wicki. Der Honauer Landwirt bewirtschaftet ebenfalls an den Fluss grenzendes Land. Er fügt an: «Hochwasser sind für uns kein Problem. Normalerweise läuft das Wasser in zwei oder drei Tagen wieder ab.»

Das restliche Geschiebe holen die Bauern mit Baggern von ihren Feldern. Danach würden diese neu bestellt. Die Kosten tragen grösstenteils die Landwirte selbst. Versicherungen unterstützen sie bei unwetterbedingten Ertragsausfällen. Zudem verfügt der Kanton Luzern über einen Fonds für nichtversicherbare Elementarschäden, der bei Hochwassern gewisse Kosten übernimmt. zentral+ fragte nach, wie viel Geld der Kanton bei entsprechenden Ereignissen durch den Fonds ausschütte. Dieser wollte sich dazu aber nicht äussern.

Widerstand noch vor der öffentlichen Projektauflage

Gegen das Projekt «Hochwasserschutz und Renaturierung Reuss» (siehe Box) regt sich bei den betroffenen Bauern im Luzerner Reusstal grosser Widerstand. Wie stark der Schuh drückt, zeigt der Umstand, dass das Projekt bereits vor der öffentlichen Auflage für grosse Unruhe sorgt. Die vom Projekt tangierten Landwirte werden aktuell von der zuständigen Dienststelle Verkehr und Infrastruktur über die geplanten Massnahmen informiert.

«Das Projektteam ist bestrebt, mit den betroffenen Grundstückeigentümern und Bewirtschaftern Lösungen zu finden», sagt Sandro Ritler, Gesamtprojektleiter Reuss bei der Dienststelle Verkehr und Infrastruktur (vif). Gespräche würden seit Februar 2014 geführt. «Die Begleitplanung ist noch nicht abgeschlossen», sagt Ritler weiter.

Der Kanton wurde auch bei Otto Wicki, ebenfalls Bauer aus Honau, vorstellig. «Wir haben grosse Augen gemacht, als wir die Pläne zu Gesicht bekamen», sagt er und fügt an: «Die Renaturierung ist absolut sinnlos. Der Kanton nimmt uns schönstes Kulturland weg.» Gemäss Schätzungen der «Bauern Zeitung» würden insgesamt 32 Landwirtschaftsbetriebe zusammen etwa 28 Hektaren Land verlieren. Gleich mehrere Betriebe haben Angst, durch das Projekt ihre Existenzgrundlage zu verlieren.

Existenz mehrerer Betriebe bedroht

Zu ihnen gehört Alois Lötscher aus Gisikon. Er führt einen biologischen Landwirtschaftsbetrieb mit Legehennen. Sie sind sein Einkommen. «Für uns wäre es eine Katastrophe. Wir würden viel Land verlieren», sagt Lötscher. Würde das Projekt realisiert, stünde er vor einer ungewissen Zukunft. Zu gelegentlichen Hochwassern sagt auch Lötscher: «Wir können damit leben.»

Noch sind viele Fragen rund um das Projekt offen. Zum Beispiel, wie die betroffenen Bauern entschädigt würden. Realersatz schliesst Franz Christen, ein weiterer betroffener Bauer aus Gisikon, aus. Er vermutet, dass schlicht die Landreserven fehlten. Das dies tatsächlich so ist, bestätigte Albin Schmidhauser, Abteilungsleiter Naturgefahren beim vif in einem Artikel der «Neuen Luzerner Zeitung».

Christen führt einen Kleinbetrieb mit 12 Hektaren. Ein Drittel der Fläche liegt an der Reuss. Müsste er diesen Drittel abgeben, könne dies bis zur Hofaufgabe führen. «Ich habe nur einen kleinen Nebenerwerb und könnte den Verlust der Anbauflächen nicht kompensieren», so Christen. «In einer Zeit, in der die Bauernhöfe grösser werden sollten, sind dies keine idealen Voraussetzungen», ergänzt der Bauer aus Gisikon.

 

Geplante Hochwasserschutzmassnahmen im Abschnitt Perlen - Honau (Stand: August 2013). (Screenshot: Informationsbroschüre Kanton Luzern)

Geplante Hochwasserschutzmassnahmen im Abschnitt Perlen – Honau (Stand: August 2013). (Screenshot: Informationsbroschüre Kanton Luzern)

(Bild: Screenshot: Informationsbroschüre Kanton Luzern)

(Bild: Screenshot: Informationsbroschüre Kanton Luzern)

Gemeinden müssten sich finanziell beteiligen

Die Gemeinden müssen sich an den Kosten zum Ausbau der Reuss beteiligen. Wie hoch die Beiträge ausfallen, ist noch offen. Sie hängen von den Beiträgen des Kantons und des Bundes ab. «Diese wiederum sind davon abhängig, wie weit der gesetzlich geforderte Gewässerraum der Reuss effektiv wieder zur Verfügung gestellt werden kann», sagt Sandro Ritler, Gesamtprojektleiter Reuss bei der Dienststelle Verkehr und Infrastruktur (vif). Der Kanton schreibt in einer Infobroschüre, maximale Beiträge vom Bund seien für die Realisierung des Projekts «unerlässlich». Dazu müsste das Projekt sehr hohe Forderungen im Bereich Ökologie erfüllen, weshalb die Renaturierung ein wichtiger Bestandteil des Hochwasserschutzprojekts sei. Würde der Kanton demnach zugunsten der Bauern weniger Land für die Renaturierung beanspruchen, müssten die Gemeinden in der Folge mehr Kosten tragen.

«Details zum Projekt können wir erst vor dem Start der öffentlichen Auflage bekannt geben», sagt Gesamtprojektleiter Ritler auf Anfrage. Aber: Das Bauprojekt «soll demnächst den kantonsrätlichen Kommissionen vorgestellt werden.» Da im Moment konkrete Zahlen fehlen, geben sich die Gemeinden zurückhaltend. In Gisikon spricht man gegenwärtig von 1,4 Millionen Franken, sagt Gemeindepräsident Alois Muri. Dieser Betrag wäre für Gisikon gemäss Muri nicht tragbar, könne aber in den nächsten Monaten noch stark ändern. Der Gemeindepräsident von Root, Heinz Schumacher, will zum Projekt erst Stellung nehmen, wenn die Debatte läuft und ein konkretes Projekt des Kantons vorliegt. 

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